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Scharfe Kritik am „System Erdogan“

Die Publizistin und ehemalige Bundestagsabgeordnete Dr. Lale Akgün sprach an der Uni Siegen über die politische Entwicklung und die aktuelle Situation in der Türkei.

Urlaub in der Türkei kann Dr. Lale Akgün zurzeit nicht machen. „Ich würde dort mit großer Wahrscheinlichkeit verhaftet werden“, sagt die türkischstämmige Publizistin und ehemalige Abgeordnete des deutschen Bundestags. Der Grund: In ihrer Kritik am türkischen Präsidenten Erdogan und seiner „neuen“ Türkei nimmt Akgün kein Blatt vor den Mund. Das galt auch für ihren jüngsten Vortrag an der Uni Siegen. Im Rahmen des Projekts „Eine Uni – ein Buch“ beschäftigt sich die Hochschule in diesem Semester mit dem Grundgesetz. Passend dazu referierte Akgün über die aktuelle Anwendung von Verfassung und Grundrechten in der Türkei. Der Titel ihres Vortrags: „Das dünne Eis der Zivilisation – wie zerbrechlich sind die Grundrechte?“

Die Veränderungen der vergangenen Jahre in der Türkei bewegten sie persönlich sehr, versicherte Akgün den zahlreich erschienenen ZuhörerInnen. „Ich bin mit neun Jahren nach Deutschland gekommen und habe während meiner Schulzeit hier viel über das dritte Reich gehört. Ich war fest davon überzeugt, dass ich es nicht mehr erlebe, wie ein europäisches Land in eine Diktatur rutscht.“ 2002 habe sie Erdogan persönlich kennengelernt, erzählte Akgün weiter. „Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass er eine solche Agenda verfolgt.“

Neben persönlichen Eindrücken und Erlebnissen enthielt der Vortrag auch zahlreiche Hintergrundinformationen. Ein Exkurs über den Islamismus und seine Ausprägungen gehörte ebenso dazu, wie Ausführungen über die Ursprünge der Gülen-Bewegung und zu Gründung und Aufstieg der AKP. Die Partei verfüge mit rund 10 Millionen Mitgliedern heute über eine enorme Basis im Volk. Gleichzeitig seien unter ihrer Regierung die Grundrechte in der Türkei immer mehr eingeschränkt worden, erklärte Akgün - vom finanziellen Ruin oppositioneller Zeitungsverleger, über die Einführung von Geschlechtertrennung bis hin zu einer zunehmenden Tabuisierung von Homosexualität und dem Zwang zu einer frommen Lebensart.

Seit dem Putschversuch vor einem Jahr befinde sich das Land ununterbrochen im Ausnahmezustand: „Durch die Massenentlassungen von Staatsbediensteten sind Millionen Menschen ins Elend gestürzt worden, weil sie der Regierung nicht genehm sind.“ Das mit knapper Mehrheit gewonnene Verfassungsreferendum im April 2017 – in Akgüns Augen ein klarer Fall von Wahlbetrug. Es habe nachgewiesene Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung gegeben. Erdogan sei spätestens seitdem uneingeschränkter Herrscher. Denunziation, Bedrohung und Einschüchterung seien die Mittel, mit denen er sein System aufrechterhalte.

Doch nicht nur die Situation in der Türkei bereitet Lale Akgün große Sorge. Auch in Deutschland habe das System Erdogan seine Strukturen aufgebaut, auch hierzulande würden Kritiker innerhalb der türkischen Community systematisch unter Druck gesetzt. „Wir müssen über manches nachdenken und zusammen mit unseren europäischen Partnern überlegen: Wie gehen wir mit der Türkei weiter um?‘, mahnte Akgün.

Mit Blick auf die knapp drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland sei auch das Thema „Integration“ nicht zu vernachlässigen. „Wenn wir verhindern wollen, dass andere von außen in unser Land hineinregieren und wir unsere Grundrechte auch in Zukunft erhalten wollen, dann müssen wir uns um die Integration kümmern.“ Prorektor Prof. Dr. Michael Bongardt dankte Lale Akgün für den „Farbe bekennenden“ Vortrag, dem sich eine angeregte Diskussion zwischen Referentin und Publikum anschloss.

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