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Buch des Monats Mai 2012

Anne-Laure Bondoux. Die Zeit der Wunder. A. d. Französischen von Maja von Vogel. Carlsen 2011. 189 Seiten. 12,90  €.

Die Zeit der Wunder ist ein Roman voller Hoffnung und Verzweiflung, der die Geschichte eines Flüchtlingskindes konsequent 2012_maientfaltet und zum Nachdenken anregt. Und zugleich ist es eine Geschichte, die man kaum inhaltlich nacherzählen kann, da sie so dicht und jedes noch so kurze Kapitel voller Überraschungen ist.

Die Geschichte beginnt damit, dass ein 12-jähriger Junge, der Ich-Erzähler Koumail, von französischen Zollbeamten in einem LKW entdeckt wird und in ein Auffanglager kommt. Damit endet seine Kindheit auf der Autobahn A4 und er muss sich im Lande der Menschenrechte behaupten. In einer Rückblende erzählt er, wie es dazu gekommen ist. Er beginnt im Jahre 1992 als er mit Gloria und anderen Flüchtlingen im „Großen Haus“ irgendwo im Kaukasus lebt. Hier erlebt er neben Armut und Hunger auch glückliche Stunden mit anderen Kindern, die jedoch jäh unterbrochen werden. Gloria und er müssen weiter. Ihr Ziel ist Frankreich, denn, so erzählt es ihm Gloria, ist Koumail eigentlich Franzose, der bei einem Zugunglück seine Mutter verloren hatte. Gloria konnte ihn retten samt der Pässe, so dass sie in Frankreich ein neues Leben beginnen möchten. Doch der Weg ist weit und im Kaukasus herrscht Krieg. In kleinen Schritten nähern sie sich der Grenze und Koumail erzählt immer wieder kleine Episoden aus dem Leben. Seine Erinnerungen sind unzuverlässig, er erkennt nicht die Tragweite der Flucht und Gloria erzählt ihm nicht die gesamte Wahrheit.

Schließlich gelangen sie nach Ungarn, ein Lastwagenfahrer soll sie bis nach Frankreich nehmen. In Frankreich ist jedoch Gloria verschwunden, Koumails Geschichte wird angezweifelt, er kommt in ein Heim, lernt hier andere Flüchtlinge kennen und baut sich nach und nach ein Leben in Frankreich auf, ohne jedoch Gloria zu vergessen. Nach seinem Abitur macht er sich auf die Suche, findet sie schließlich in Georgien, besucht sie und erfährt die ganze Wahrheit der Flucht.

Es ist ein schwieriges Thema, das uns die Autorin hier zum Lesen gibt, aber ein sehr wichtiges. Konsequent wird aus der Sicht des Ich-Erzählers erzählt, der als achtjähriges Kind die gesamte Situation des Krieges und der Flucht nicht erfassen kann und somit den Lesern zahlreiche Leerstellen bietet, die sich erst auf den letzten Seiten mit Inhalt füllen. Koumail spricht lediglich vom Kaukasus, nennt kleinere Ortschaften, aber mehr muss der Leser entweder selber recherchieren oder sich auf den kindlichen Erzähler einlassen. Ein solches Erzählen ermöglicht, dass man sich mit dem Erzähler identifizieren kann. Übrigens ist es auch nicht wichtig, ob der Roman den Konflikt im Kaukasus thematisiert. Das, was geschildert ist, erleben Flüchtlinge auch in anderen Krisengebieten. Insofern ist die Wahl des kindlichen Ich-Erzählers auch vor diesem Hintergrund gelungen, denn die Leerstellen ermöglichen einen solchen universellen Anspruch.

Zwischen den Schilderungen der Flucht, die durch Hunger, Kälte und Überfälle charakterisiert ist, versucht Gloria Koumail eine Kindheit zu ermöglichen. Er soll seine Hoffnung nicht verlieren: „Das einzige wirksame Heilmittel gegen Verzweiflung ist die Hoffnung, Koumail.“, heißt es immer wieder im Roman und der Junge hofft. Und zugleich zeigt dieser Satz die hohe Poetizität des Romans, der eben nicht nur aufgrund der Thematik ein solch wichtiger Text ist. Auch auf der sprachlichen und erzählerischen Ebene beschreitet die Autorin sicherlich neue Wege, was bereits mit der Wahl des Erzählers deutlich wurde.
Der Roman schafft es auf die Menschen aufmerksam zu machen, die als Flüchtlinge in die wohlhabenderen Länder Europas kommen, dort oftmals mit unmenschlichen Bedingungen konfrontiert werden und nicht immer in der Lage sind, ihre Leiden zu artikulieren. Erzählt wird, warum diese Menschen flüchten müssen und hoffentlich sind es genau solche Texte, die andere Menschen für das Schicksal der Flüchtlinge sensibilisieren.

Und zugleich ist es auch ein Roman, der die Macht des Erzählens hervorhebt. Immer wieder erzählt Koumail seine Geschichte und es ist gerade seine Art des Erzählens und die Geschichte selbst, die ihm oftmals weiterhilft und das Leben rettet. Ob es eine wahre oder eine erfundene Geschichte ist, ist zunächst zweitrangig.

Die Zeit der Wunder ist ein wunderbarer Roman, der zu Recht für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde und dem man einfach sehr viele Leser wünscht. Es ist übrigens ein Roman, der auch in der Schule eingesetzt werden kann!