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Buch des Monats Februar 2013

Inés Garland:

Wie ein unsichtbares Band.
Aus dem argentinischen Spanisch von Ilse Layer.
Frankfurt am Main: KJB 2013.
Ab 16 Jahren.

Wie ein unsichtbares Band ist ein wunderbares Buch, poetisch und langsam erzählt, und doch lässt es einen ratlos und februar_2013nachdenklich zurück: Der Roman zeigt, wie sehr der westeuropäische Blick auf bestimmte Dinge konzentriert ist und wie schwierig bestimmte Romane, die Erzählperspektiven mit Leerstellen wählen, für die Rezeption sein können. Die Lektüre setzt ein Wissen über Argentinien voraus. Nach Die Zeit der Wunder (von Anne-Laure Bondoux) und Abzählen (von Tamata Welaschwili) ist Wie ein unsichtbares Band wieder ein Roman, der politische Konflikte schildert, die naiv kindliche Erzählperspektive wählt und die Leserinnen und Leser so mit Leerstellen konfrontiert, die man dann im Gespräch füllen muss. Und trotzdem oder gerade deswegen gehören diese drei Romane zu den wichtigen Texten der letzten beiden Jahre, die unbedingt gelesen werden müssen.

An dem Morgen, als ich Carmen und Marito kennenlernte, war unser Garten auf der Insel überschwemmt. Die Bäume ragten direkt aus dem Wasser, und die Häuser der Nachbarn am anderen Flussufer sahen aus wie Wassertiere, die reglos auf ihren langen Beinen dastanden. (Garland 2013, S. 9)

Mit diesen Sätzen setzt der Roman ein. Alma, die Ich-Erzählerin, schildert den Beginn einer Freundschaft und Liebe, die vor dem Hintergrund der 1960er und 1970er Jahre eine schwierige Freundschaft werden wird. Alma kommt aus wohlhabenden Verhältnissen, lebt mit ihren Eltern in Buenos Aires und verbringt ihre Wochenenden in ihrem Haus auf einer Insel, wo sie Carmen und Marito trifft, die aus der Unterschicht stammen und bei ihrer Großmutter leben. Ihre Mutter ist in der Stadt, ihre Väter verschwunden und das Geld ist knapp. Und trotzdem erlebt Alma, die kaum Freundinnen/Freunde hat, hier Liebe und Freundschaft, die ihr so in der Stadt nicht begegnen. Sie erkennt aber nicht die Welten, die sie von einander trennen: Alma lebt fast in einer Seifenblase, wohl behütet, kennt sie ein Leben in Armut nicht. Politik interessiert sie nicht und auch der Militärputsch, der scheinbar von ihren Eltern befürwortet wird, ist für sie nicht wichtig.

Am Anfang ist die Freundschaft noch unschuldig, Carmen und Alma teilen alle Geheimnisse und auch mit Marito verbindet sie zunächst eine kindliche Freundschaft. Doch die Kinder werden älter, Carmen verliebt sich und auch Alma merkt, dass sie Marito liebt, aber eben nicht lieben darf. Es kommt zu Brüchen: Alma schafft es nicht, ihre beiden Welten zu verbinden und verleugnet sogar Carmen vor ihren wohlhabenden Freundinnen/Freunden aus der Stadt. Nach und nach zerbricht die Freundschaft zwischen Alma und Carmen, Marito verschwindet, um Alma zu vergessen und Alma versteckt sich hinter Büchern.

Carmen scheint im Untergrund zu arbeiten, Alma sieht sie mehrere Jahre nicht und mit Marito trifft sie sich heimlich, lernt von ihm andere Literatur kennen und doch muss sie erkennen, dass auch seine Welt nicht die ihre ist. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht verschwindet Marito spurlos, dafür taucht die schwangere Carmen auf, die nach zwei Tagen ebenfalls verschwindet und auch auf der Beerdigung des Onkels tauchen weder Carmen noch Marito auf. Alma sieht beide nicht wieder und erst der Epilog deutet an, dass beide gefangen genommen und wahrscheinlich ermordet wurden.

Es ist nicht einfach, diesen Roman in wenigen kurzen Sätzen zusammenzufassen. Der eigentliche Plot wirkt einfach und doch steckt eine Tiefe darin, die sich erst nach und nach entfaltet. Es ist eine Liebes- und Freundschaftsgeschichte in äußerst schwierigen Zeiten. Die Stimmung ist drückend und man ahnt, dass weder die Freundschaft noch die Liebe mit einem Happy Ending schließen. Das Wetter unterstreicht diese Stimmung, denn es ist heiß, drückend und macht alle träge. Die Ich-Erzählerin Alma sehnt sich nach Freundinnen/Freunden, Liebe und Zuneigung und blendet somit alle Unterschiede zwischen den Kindern aus, die jedoch Carmen und Marito bewusst sind. Alma, die sich als Erwachsene wieder in ihre Kindheitserinnerungen versetzt, erzählt fast naiv ihr Leben auf der Insel. Es ist diese Naivität, die den Roman einerseits auszeichnet, andererseits so schwierig macht: Es folgen kaum Erklärungen, sondern Alma schildert ihre Gefühle aus der Zeit. Auch das Nachwort liefert kaum Informationen über diese Zeit. Erst im Epilog, der 30 Jahre später spielt, erkennt Alma, die wieder auf der Insel ist, was tatsächlich geschehen ist und weint.

Inés Garland lässt mit Alma eine Ich-Erzählerin auftreten, die genau beobachtet, ohne jedoch immer das Beobachtende auch zu verstehen. Die Mimik, Gestik der Eltern, die rauen Hände der Großmutter von Marito und Carmen werden beschrieben und gegenübergestellt. Besonders eindrucksvoll ist sicherlich die Szene, in der Almas Eltern aus Miami nach Hause kehren, mit vollen Einkaufstaschen: Im Türrahmen steht Carmen und beobachtet den Reichtum fassungslos. Vielleicht wird hier Alma die Kluft zwischen ihr und ihrer Freundin bewusst. Doch erst im Epilog wird ihr klar, wie schwer es für Marito sein musste, seine politischen Ideale und seine Liebe zu einem reichen Mädchen zu verbinden.

Man könnte noch viel zu den Figuren, der Sprache und den historischen Ereignissen schreiben. Aber die Leserinnen/Leser sollen die Chance bekommen, den Roman selbst zu lesen, auf sich wirken zu lassen und sich in eine Zeit zu versetzen, die sicherlich vielen nicht bekannt sein dürfte.

Quelle: Mikota, Jana (2013): Eine Rezension von Jana Mikota: Inés Garland: Wie ein unsichtbares Band. Aus dem argentinischen Spanisch von Ilse Layer. Online unter: http://www.alliteratus.com/pdf/al_gesch_garland2.pdf (letzter Abruf: 12.06.2014)