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Wenn Fans Geschichten weiterschreiben

Recht am geistigen Eigentum: Projekt des Siegener Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“ beschäftigt sich mit Urheberrechten in Fanfiction.

„Harry Potter“-Autorin Joanne K. Rowling verkündete 2016, dass es nach dem offiziellen Ende ihres Epos ein Theaterstück im Londoner Westend geben sollte. Die Fans rasten vor Entzücken. Mit dieser Alternativwelt schuf Rowling eine Neuinterpretation ihres eigenen Werkes. Etwas Ähnliches machen Fans auch selbst, Fanfiction genannt. Eine Fanfiction ist eine Weitererzählung von Fans, die die Charaktere auf andere Ebenen, in andere Zeiten oder an andere Orte versetzen. Fans hauchen ihren Lieblingsfiguren neues Leben ein.

Fanfiction ist kein Nischenprodukt. Internetportale wie „Archive of Our Own“ oder „FanFiktion.de“ bieten unzählige Geschichten zu sogenannten Fandoms wie Harry Potter, Supernatural oder Yo-Gi-Oh. Fanfiction ist ein Massenphänomen, das spätestens nach dem Bucherfolg von „50 Shades of Grey“ Berühmtheit erlangte, denn die Hauptprotagonisten „Anastacia und Christian“ hießen in der im Internet verbreiteten FanFiction in Anlehnung an Twilight noch „Edward und Bella“.

Fans interpretieren und veröffentlichen weltweit Werke und drücken damit ihre Liebe zu den Charakteren und Welten aus. Doch wem gehören die Rechte an solchen Werken? Verletzen Fanfiction-AutorInnen die Urheberrechte der Original-AutorInnen? Ist das bestehende Urheberrecht noch zeitgemäß? Muss es mit Blick auf die sogenannte „Remix-Kultur“ angepasst werden?

Mit diesen Fragen setzt sich das Teilprojekt „Medienpraktiken und Urheberrecht – Soziale und juristische Rahmenbedingungen kooperativen und derivativen Werkschaffens im Netz“ des Siegener Sonderforschungsbereichs (SFB) „Medien der Kooperation“ auseinander. „Am Beispiel von Fanfiction fragen wir: Was ist eigentlich Originalität? Was ist schützenswert, was nicht?“, erklärt Dr. Wolfgang Reißmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt. Seine Kollegin Kamila Kempfert fügt hinzu: „Remix, Neu- und Wiederbearbeitung sind gesellschaftlich anerkannte Äußerungsformen. Damit muss sich auch der Gesetzgeber beschäftigen.“

Das Teilprojekt gliedert sich in zwei Säulen: Die länderspezifische Aufarbeitung des rechtlichen Status quo ist der erste. Dabei wird der Stand des internationalen Urheberrechts betrachtet und Beispielmodelle herausgefiltert. „Wir untersuchen, wie sich ausländische Regelungssysteme bewährt haben und inwieweit diese ein Vorbild für das deutsche und europäische Urheberrecht sein können“, sagt Projektmitarbeiterin Sibel Kocatepe. Neben den gesetzlichen Normierungen sind auch die ausländischen Gerichtsurteile, in denen über Urheberrechtsverletzungen gestritten wird, für die ForscherInnen interessant.

Die zweite Säule betrifft die Empirie. Sie setzt sich aus einer qualitativen Interviewstudie und ethnografischen Vertiefungsstudien zusammen. Bislang wurden mit rund 30 Fanfiction-AutorInnen intensive Gespräche geführt. Was sind die Motivationen? Welches Bild haben die AutorInnen von sich, anderen und den UrheberInnen? Sind sie sich über mögliche Urheberrechtsvorstöße im Klaren? Welche Wahrnehmung haben sie von den Plattformen, auf denen sie veröffentlichen? Wie sieht die Praxis des Schreibens aus? Gerade letzteres lässt sich sehr viel besser in Erfahrung bringen, wenn man nah dran ist. Dafür ist die Ethnografie da. Svenja Kaiser, studentische Mitarbeiterin im Projekt, ist selbst Fanfiction-Autorin. Ein halbes Jahr lang hat sie in einer Gruppe mitgeschrieben, die Fanfiction als Rollenspiel betreibt. Derzeit unterstützt sie eine Autorin, die Fanfiction für ihren YouTube-Kanal produziert und vorliest.

Einige AutorInnen schreiben alleine. Kooperiert wird häufig noch mit einem Korrekturleser, dem „Beta“. Andere AutorInnen schreiben und engagieren sich in kooperativ angelegten Schreibformen. Gerade digitale Plattformen und Werkzeuge erlauben eine bunte Vielfalt kreativer Schaffensformen, auch über Zeitzonen und Ländergrenzen hinweg. Damit wird klar: es gibt nicht nur eine Form der Fanfiction. Die Arten zu schreiben sind genauso vielfältig wie die Fandoms selbst. Was und wann die AutorInnen schreiben, tritt in Intervallen auf: Star Trek, Herr der Ringe, Harry Potter, Twilight bis hin zur BBC Serie Sherlock. Jedes Fandom hat „seine Zeit“.

Die ForscherInnen stellen bei den AutorInnen einen großen Respekt gegenüber den Original-AutorInnen fest. Wenn diese das kreative Schreiben verbieten, ist das für die meisten aber keine Hürde, dennoch kreativ zu werden. Im Fanalltag werden Konflikte eher untereinander ausgetragen. „Wir deuten diese als praktisch gelebtes ‚Urheberrecht’ und beschäftigen uns mit den ausgesprochenen und unausgesprochenen Normen“, erläutert Reißmann. Interessant sei auch, dass die wenigsten AutorInnen wissen, dass sie selbst oftmals rechtlich schutzfähiges Material produzieren.

Im Moment treiben die ForscherInnen vor allem Fragen der Kommerzialisierung um. Bislang galt in der Fanfiction-Kultur die Maxime, dass das Feedback der Leser, die Reviews, die einzige ‚Währung’ sind. Doch was passiert, wenn die sinnbildliche Währung gegen eine reale ausgetauscht wird? Wenn zum Beispiel mit Werbung auf YouTube Geld verdient wird? „Die Kommerzialisierung wird uns in Zukunft stärker beschäftigen“, so Kocatepe. Bei Werken kreativen Schaffens schwinge stets die Frage mit: Wenn die Urheberrechte verletzt werden, welcher (fiktive) Schaden entsteht? Um letztlich ein umfassendes Bild über die verschiedenen Interessen der einzelnen Akteure zu erhalten, wird das Teilprojekt in der kommenden Untersuchungsphase daher auch Interviews mit PlattformbetreiberInnen, OriginalautorInnen und Verlagen durchführen.

Hintergrund
Das Projekt ist eines von 16 Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“ an der Universität Siegen. Mehr als 60 WissenschaftlerInnen erforschen interdisziplinär kooperative Praktiken im Kontext der Nutzung digitaler Medien, Infrastrukturen und (medialer) Öffentlichkeiten.

 
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