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"Nadel im Heuhaufen – da können wir nur lachen"


Wie ein Pixeldetektor den Geheimnissen der Teilchenphysik auf die Spur kommen soll

Die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist für die Teilchenphysiker, die sich am Europäischen Labor für Elementarteilchenphysik CERN in Genf aufgemacht haben, die letzten Geheimnisse des Mikrokosmos zu ergründen, eigentlich ein Klacks. Grob überschlagen, besteht ein Heuhaufen aus einer Million Grashalme, in denen versteckt die Nadel ruhig ihrer Entdeckung harrt. „Wenn man bedenkt, dass wir pro Sekunde 40 Millionen mal mehr als tausend neu entstandene Teilchen nach Dingen durchsuchen, von denen wir zu allem Überfluss noch nicht einmal wissen, wie sie genau aussehen, und die aller Wahrscheinlichkeit nach nur extrem kurz auftreten, versteht man, warum wir über die Nadel im Heuhaufen nur lächeln können“, erläutert Prof. Dr. Peter Buchholz, der die Arbeitsgruppe ‚Experimentelle Teilchenphysik‘ an der Universität Siegen leitet. Er baut mit seinen Mitarbeitern als eine von vier deutschen Arbeitsgruppen aus NRW im Rahmen einer weltweiten Kollaboration den derzeit leistungsstärksten ‚Nadelsucher‘ der Welt, den so genannten ‚Pixeldetektor‘. „Faszinierend dabei ist auch die in den letzten Jahren immer klarer gewordene Bedeutung der so gewonnenen Erkenntnisse für das Verständnis unseres gesamten Universums. Das verstärkt noch die Bereitschaft, sich auf ein technisch derartig schwieriges und auch langfristiges Unternehmen einzulassen“, fügt Buchholz hinzu.

Um was geht es nun genau und wie schaffen es die Physiker auch an einer kleineren Universität ein solches Großprojekt zu verwirklichen? Die treibende Kraft ist der Drang, fundamentalste Dinge zu verstehen, wie z.B. die Entstehung des Universums und seinen Aufbau vom subatomaren Bereich bis zu kosmologischen Distanzen, sowie seine zukünftige Entwicklung vorhersagen zu können. Dazu haben sich die Teilchenphysiker weltweit zusammengeschlossen, um an großen Beschleunigeranlagen Teilchen möglichst hoher Energie zur Kollision zu bringen. Mittlerweile sind die erreichten Energien so hoch, dass sich dabei ähnliche Verhältnisse wie bei der Entstehung des Universums im Urknall herstellen lassen – allerdings räumlich sehr begrenzt. Die frei werdende Energie geht sofort in eine sehr große Anzahl neu entstandener Teilchen über. Die Kunst ist nun, möglichst viele dieser Partikel, nicht nur zu identifizieren, sondern auch ihre Richtungen und Geschwindigkeiten zu bestimmen. Da manche Teilchen nur sehr kurz leben und nach einigen Millimetern schon wieder zerfallen, muss man sehr dicht an ihren Entstehungsort gehen. Außerdem sind es sehr viele – tausende auf kleinstem Raum. Daher benötigt man ein Nachweisgerät möglichst hoher Auflösung. Das kennt jeder Hobbyfotograf, der gerne große Ausdrucke seiner Bilder machen möchte, von seiner Digitalkamera. Er entscheidet sich für eine Kamera mit der höchsten Pixelzahl, die sein Geldbeutel ihm erlaubt.

„Gerne hätten wir den Pixeldetektor von der Industrie gekauft, da wir auch mit dem Betrieb und der Datenauswertung schon alle Hände voll zu tun haben; aber so etwas gibt es leider nicht“, meint Peter Buchholz. „Das mag manchen Kamerabesitzer verwundern, der doch auch schon Herr über Millionen von Pixel ist. Das Problem besteht darin, dass die CCD-Chips der Kameras einfach nicht schnell genug sind.“

Wie entsteht das fotografische Bild bei einer Digitalkamera? Ein CCD-Chip besteht aus einer Matrix von lichtempfindlichen Silizium-Zellen, die Pixel genannt werden. Ein Lichtstrahl setzt sich aus unzähligen kleinen Teilchen, den Photonen, zusammen. Dringen Photonen durch das Kameraobjektiv zu den Pixel des CCD-Chips vor, schlagen diese Elektronen, negativ geladene Teilchen, aus der Atomstruktur des Chips heraus. Je Lichtfarbe entsteht dadurch ein spezifisches elektrisches Signal, das über Ladungsverschiebungen zur Ausleseelektronik des CCD-Chips weitergeleitet wird. Wie bei einer Menschenkette, die zum Löschen eines Brandes einen Wassereimer von der Quelle zum Brandherd weiter reicht, werden die Ladungen sukzessive durch den Chip transportiert. Jedem Signal, das in die Ausleseelektronik des Chips eingeht, ist eine eindeutig bestimmte Farbe zugeordnet. Aus dieser fotografischen Zuordnung konstruiert der Chip dann das gewünschte fotografische Bild. Das dauert bei der Kamera typischerweise bis zu einer halben Sekunde. Dazu bleibt im Teilchenphysik-Experiment einfach keine Zeit.

Schauplatz des Experiments ist das CERN in Genf – das Jahrzehnte alte Mekka der Teilchenphysik in Europa, mittlerweile auch weltweit führend. Die Apparatur, von der man sich ab Inbetriebnahme in diesem Jahr eine Fülle wissenschaftlicher Erkenntnisse verspricht, heißt ‚Large Hadron Collider‘, kurz ‚LHC‘. Der LHC ist ein Beschleuniger für Protonen – Atomkern-Bausteine, die viele noch aus der Schule kennen. Teilchenbeschleuniger werden in der experimentellen Physik seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt, um auf künstlichem Wege Elementarteilchen zu produzieren. Die Protonen werden in einem unterirdischen ringförmigen Tunnel von 27 km Länge in einem Vakuumrohr beschleunigt. Elektromagnetische Wechselfelder geben ihnen auf ihrer Bahn die notwendige Energie, Magnete halten sie durch extrem starke Felder auf der Strecke. Haben die Protonen nach ca. 400 Millionen Umläufen endlich ihre Zielgeschwindigkeit erreicht, stellen die Wissenschaftler am CERN die Weichen um: die fast lichtschnellen Protonen rasen dann mit ungebremster Geschwindigkeit aufeinander zu – und einige knallen mit voller Wucht ineinander. Rechnet man die dabei entstehende Kollisionsenergie in eine Temperatur um, so herrscht im Moment eines einzelnen Proton-Proton-Volltreffers eine Hitze von 140 000 000 000 000 000 Grad. Temperaturen wie diese gab es bisher nur ein einziges Mal in unserem Universum - vor 15 Milliarden Jahren während der Geburt unseres Universums. Der Crash, von den Physikern lakonisch nur ‚Ereignis‘ genannt, simuliert damit Bedingungen, wie sie wenige Augenblicke nach dem Urknall herrschten. Wie beim ‚Big Bang‘ wird entsprechend der berühmten Einsteinschen Formel E=mc2 kinetische Energie im Moment des Zusammenpralls in
 Masse transformiert; auf diese Weise werden vielfältige
 neue Formen von Materie erzeugt. Um die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten auch extrem seltener Prozesse zu erhöhen, bemühen sich die Physiker am CERN den Produktions-Ausstoß der LHC-Teilchenfabrik möglichst hoch zu schrauben. Das heißt, dass sie die Wechselwirkungsrate des LHC auf 40 Megahertz takten; im Klartext: der Mini-Urknall wiederholt sich unglaubliche 40 Millionen mal in der Sekunde. Alle 25 Nanosekunden treffen demnach die Protonen aufeinander und hinterlassen einen Teilchenschauer, der sich sternförmig vom Wechselwirkungspunkt weg in alle Richtungen ausbreitet.

Der Pixeldetektor ist die innerste Schale und gleichzeitig das letzte fehlende Bauteil einer gigantischen High-Tech-Apparatur mit Namen ‚ATLAS‘, die zur Vermessung der Kollisions-Zerfallsprodukte wie eine Zwiebel in mehreren Lagen um den Wechselwirkungspunkt herum aufgebaut ist. ATLAS, der ob seiner immensen Größe seinen Namen nicht zu Unrecht von einer Riesen-Gestalt aus der griechischen Mythologie bezieht, ist einer von insgesamt vier zylinderförmigen Detektoren, die zur Erkundung der physikalischen Vorgänge im Augenblick der Teilchen-Kollisionen derzeitig am Streckenverlauf der LHC-Trasse installiert werden. Insgesamt 44 Meter lang und 22 Meter hoch schichtet sich das riesige Messgerät in mehreren Lagen um die Strahlachse des LHC-Teilchenbeschleunigers. Jede Lage dieses für Beschleuniger wohl größten Detektors der Welt hat als eigener Subdetektor seine spezifische Messfunktion. Nur wenn die Subdetektoren von ATLAS genau aufeinander abgestimmt sind und
 zuverlässig ihre Aufgaben erfüllen, können die Physiker die aus dem
 Wechselwirkungs-Ereignis entstehenden Teilchenarten bestimmen und
 analysieren.
 Als innerster Subdetektor von ATLAS trennen den Pixeldetektor nur Zentimeter vom Ursprung des Geschehens. Eine Digitalkamera könnte dieses etwa zweimal pro Sekunde festhalten; der Pixeldetektor muss 40 Millionen Mal bereit sein! Das schafft er nur, wenn jedes einzelne Pixel seine Information auf direktem Wege an die Ausleseelektronik weitergeben kann.

Anders ausgedrückt: jedes der insgesamt 80 Millionen Pixel benötigt einen direkten Draht zu dem jeweils zuständigen Verstärker. Bei einer Pixelgröße von nur 50 Mikrometer Breite und 400 Mikrometer Länge keine leichte Aufgabe; Kabel scheiden offensichtlich aus. Zum Vergleich: ein menschliches Haar ist etwa 100 Mikrometer dick. Die Lösung bietet eine neue Technologie, das ‚Bump-Bonding‘. Dabei werden der Pixel-Chip und die Chips, die die Verstärker und weitere Elektronik beinhalten, direkt miteinander zu einem so genannten ‚Bare Module‘ verbunden. Die Verbindung erfolgt mit Hilfe kleiner Metallkügelchen (‚Bumps‘), die kleiner sind als die Pixel. Im Falle des Pixeldetektors werden so mit einem Sensorchip, der über 46000 Pixel besitzt, jeweils sechzehn kleinere Elektronikchips mit je 2880 Verstärkern verbunden. Im Klartext bedeutet das, es müssen 2880 winzig kleine Lötverbindungen gleichzeitig hergestellt werden. Dieses High-Tech-Verfahren gibt es nur an wenigen Orten der Welt. Einer dieser Orte ist das ‚Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration‘ in Berlin, das einen Großteil der Bare Module hergestellt hat. Diese werden dann in den Universitätslaboren auf einer Trägerplatine mit weiteren Elektronikchips sowie ihrer elektrischen Versorgung versehen. Das Resultat ist eines von 1744 Modulen, die dann zu dem gesamten Pixeldetektor zusammengesetzt werden. „Wir haben uns schon früh entschieden, alle Schritte des Modulbaus in allen beteiligten Arbeitsgruppen auszuführen. Die Alternative wäre eine Fließband-Produktion gewesen, bei der jedes Institut jeweils nur für sehr wenige Schritte zuständig gewesen wäre“, führt Dr. Wolfgang Walkowiak aus, der die Modulproduktion in Siegen leitet. In einer beispielhaften Zusammenarbeit haben sich die vier aus NRW stammenden Arbeitsgruppen der Universitäten Bonn, Dortmund, Siegen und Wuppertal als Teil einer internationalen Kollaboration des Pixeldetektors angenommen. Jede Gruppe hat dabei, ihrer Expertise und ihren Möglichkeiten entsprechend, Aufgaben bei der Entwicklung und beim Bau des Detektors übernommen. Dadurch kann auch mit den weltweit größten am Bau des Pixeldetektors beteiligten Laboren mitgehalten werden.

Ende Mai soll es soweit sein; der Pixeldetektor wird in das ATLAS-Experiment eingebaut. Dann werden auch Siegener Studierende die Gelegenheit haben, aktiv zu seiner Inbetriebnahme beizutragen. „Die dabei in einer hochmotivierten, internationalen Wissenschaftlergruppe gemachten Erfahrungen werden für ihren späteren beruflichen Werdegang sicherlich sehr hilfreich sein“, ist Peter Buchholz überzeugt.

Ansprechpartner
Prof. Dr. Peter Buchholz
Experimentelle Teilchen-/Astroteilchenphysik
Telefon: +49 271 740 3718
Telefax: +49 271 740 3886
buchholz@hep.physik.uni-siegen.de
Fraunhofer-Institut IZM: www.pb.izm.fhg.de/izm/DE/index.html