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Die Quadratur der Figur - Anmerkungen zur Illustration des Artikels 'Form und Präsenz‘


Ein atemberaubender Luftzug pfeift durch das aufgerissene Fenster zur Welt(lichkeit): Gerhard Richters Neuverglasung des Südquerhauses im Hohen Dom zu Köln provoziert gegenwärtig die erzbistümliche Quasi-Öffentlichkeit. Sie zeigt uns, wie vielschichtig die Debatte um die Leitmedien ist.
Was ist der Fall? Das Kölner Metropolenkapitel hat Richter beauftragt, das in der Nachkriegszeit von Wilhelm Teuwen entworfene glasklare Fenster zu ersetzen. Ihrem Wunsch, die Figuren der christlichen Märtyrer des 20. Jahrhunderts ins Fensterbild zu setzen, konnte oder wollte Richter allerdings nicht entsprechen. Stattdessen verweist das neue Domfenster auf das Darstellungsprinzip eines Bildes aus seinem Frühwerk – Quadratur der Figur (4096 Farben, 1974).
Besonders interessant wird dieses sakral-künstliche Experiment mit all dem diskursiven Begleitrumoren, wenn es in Hinblick auf Formdynamik und Präsenzeffekte begriffen wird. Nehmen wir an, das Kirchenfenster verfügte einmal über leitmediale Qualitäten (‚imago biblia pauperum est‘). Motive und Figuren der genuinen Fenster sind bekannte und konventionalisierte Variablen, ebenso die Stoffe. Die Konkurrenz durch andere Medien fiel vergleichsweise dünn aus.Nehmen wir weiterhin an, die Kirche und ihre Medien sähen sich seit geraumer Zeit nun schon mit Präsenzverlusten konfrontiert (Stichwort ‚Säkularisierung‘; Stichwort: ‚Medienkonkurrenz‘). Im Sinne der nebenan formulierten These wäre solcher Präsenzverlust durch Formdaption kompensierbar. Die Forderung der Kirche, den oben erwähnten Märtyrer-Stoff in ästhetisch-richteresker Form zum Ausdruck zu bringen, wäre insofern verständlich.

Was ist nun der Fall? Und worin liegt die problematische Dimension? Die Art von Formdynamik, recht eigentlich der Formwechsel, der sich hier vollzogen hat, rechnet nicht mit Sinn. Die Geschichte, die das konventionelle Kirchenfenster erzählt, ist auf Eindeutigkeit ihres Sinnes angelegt. Die Auslegung konkurrierender Sinne ist insofern keine erwünschte Rezeptionshaltung, wenn nicht gar verunmöglicht. Das Kirchenfenster ist das ‚Massenmedium‘ seiner Zeit.
Ganz anders verhält es sich nun mit dem Formwechsel, für den Gerhard Richter sich just entschieden hat. Richter importiert keine sakralen Elemente in seine ästhetische Form, sondern realisiert die denkbar größte Differenz zur sakralen Form. Durch den krassen Formwechsel multiplizieren sich nun die möglichen Sinn- und Deutungsangebote. Kunst ist eben überwiegend auf Vieldeutigkeit angelegt. Massenmediale Serialität hingegen auf Eindeutigkeit. Insofern kann sich in der Vieldeutigkeit des Richter-Fensters nicht mehr die Eindeutigkeit des sakralen Sinnes realisieren. Die sakralen Deutungsmuster verlieren ihre kirchenhoheitliche Funktion. Statt in diesem Zusammenhang von ‚Entartung‘ des sakralen Kultus, vom Auseinandertreten von ‚Kultur‘ und ‚Kultus‘ zu sprechen, wie Kardinal Meissner vorlieb nahm, wäre es aus Sicht der Kirche strategisch sinnvoller, die weltlichen und vielfach vorgetragenen Domfenster-Deutungen der Presse – dem Habermas’schen Leitmedium – zu durchkreuzen und die Vieldeutigkeit zu reduzieren, indem man der Quadratur der Figur selbst einen pfiffigen Sinn zuschreibt; sakralen freilich. Stattdessen produziert man den Skandal und überlässt der Presse das Feld. Der Sinn des Domfensters liegt nun in seinem Pixel: Der Computer und das digitale Bild halten die Welt – wohl nicht die Kirche – in ihrem Innersten zusammen. So zumindest die nicht weniger dogmatischen Sinnzuschreibungen der Presse.

 

Ansprechpartner

Henning Groscurth
Universität Siegen
Forschungskolleg SFB/FK 615 'Medienumbrüche‘
Teilprojekt A4: Mediendynamik. Prinzipien und Strategien
der Fusion und Differenzierung von Medien
Am Eichenhang 50
57076 Siegen
Telefon: +49 271 740 4933
Telefax: +49 271 740 4924
henning.groscurth@gmx.de

Forschungskolleg 'Medienumbrüche‘
www.fk615.uni-siegen.de