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Digitaler Barock - Geschichte und Ästhetik dreidimensionaler Raumbilder


Wer der Meinung ist, die Welten von klassischer Bildung und Hollywood hätten keine Berührungspunkte, sollte in dem von der DFG geförderten Siegener Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg ‚Medienumbrüche‘ vorbeischauen: Das Teilprojekt ‚Virtualisierung von Skulptur‘ erstellt seit einigen Jahren in Kooperation von KunsthistorikerInnen, Medienwissenschaftlern, Informatikern des Fraunhofer-Instituts, Sankt Augustin, und MitarbeiterInnen der Villa Borghese, Rom, 3D-Simulationen tonnenschwerer Marmorstatuen des Künstlers Gianlorenzo Bernini.

Die barocken Skulpturen werden vor Ort abgescannt und dann in mühseliger Handarbeit aus einzelnen Bruchstücken digital rekonstruiert – dieser Vorgang erinnert weniger an traditionelle Arbeitsprozesse eines Künstlerateliers, als vielmehr an die Workshops der Special-Effect-Abteilungen der Filmindustrie. Dabei steht, dem Thema des Forschungskollegs entsprechend, die Frage im Vordergrund, wie sich mit dem Aufkommen digital erzeugter Bildlichkeiten mediale Voraussetzungen von Wahrnehmung verändert haben: Für die virtuelle Galleria Borghese wurden die an zweidimensionalen Bildflächen erprobten Darstellungskonventionen der Zentralperspektive und sequentielle Bildfolgen traditioneller Filme durch dreidimensionale computertechnische Simulationen erweitert. 

Wahrnehmungswandel: neue Bildtechniken

Es ist der zunehmende Einsatz digitaler Medien innerhalb kunsthistorischer Forschung und Lehre – Powerpoint-Präsentation, Beamer und online genutzte Bildarchive wie ‚Prometheus‘ – der diese Reflexion herkömmlicher Bildtechniken wie Fotografie und Diapositiv vorantreibt. Dabei erstaunt es, dass sich das Fach erst in letzter Zeit mit seinen wichtigsten Lehrmitteln auseinandersetzt, handelt es sich doch um mehr als bloße Vermittlungsinstrumente: An ihnen lassen sich die Grundlagen der Disziplin verhandeln. War es noch im 19. Jahrhundert üblich, im Publikum Fotografien und Stiche der besprochenen Kunstwerke herumgehen zu lassen, so veränderte die Einführung der Diaprojektion diese Praxis. Seit den 1880er Jahren warfen Universitätsangehörige in der verdunkelten, frontal ausgerichteten Experimentalanordnung des Hörsaals einzelne Bilder und Bildreihen an die Wände, Aufnahmen, die jeweils nur eine Ansicht der entsprechenden Skulpturen zeigten. Obwohl das so genannte Skioptikon in medienhistorischer Perspektive die Tradition der Laterna Magica, des Spektakels, der Zauberei, der Unterhaltung und des Kinderspielzeugs aufruft – darüber hinaus wurde es im deutsch-französischen Krieg zur Dechiffrierung militärischer Informationen gebraucht – diente es der Herstellung historischer Evidenz und vor allem die so genannte doppelte Projektion ermöglichte im Gegensatz zur illustrierenden Abbildung eines Werks vergleichende Bildanalysen.
Diese kunsthistorische Konvention blieb lange Zeit unverändert, doch Besucher des Siegener Projektes können nun mit Hilfe von Beamer, Leinwand und Spezialbrille durch eine virtuelle Villa Borghese flanieren, um Gianlorenzo Berninis berühmte Statuen von allen Seiten in den entsprechenden räumlichen Kontexten zu betrachten. Dabei geht es kaum um einen Ersatz für den Rombesuch. Vielmehr soll die ehemalige Aufstellung sowie ein mögliches Programm des in den 1620er Jahren entstandenen Skulpturenensembles, das neben dem David aus den Figurengruppen Aeneas und Anchises, Apoll und Daphne sowie Pluto und Persephone besteht, entschlüsselt werden. Fotografien und Dias ermöglichen dies nur bedingt; erst durch die Computersimulation wird die mediale Entkontextualisierung, das Abhandenkommen des architektonischen Umraums, aufgehoben: Diese Technologie forciert die Erkundung von Kontexten, seien es die komplexen Blickachsen und Bezüge gelehrter Programme oder architektonische Zusammenhänge wie die Lichtführung.  

Fotografie: mediale Entkontextualisierung

Zusätzlich können BetrachterInnen mit den Objekten interagieren, d.h. ansonsten physisch unverrückbare Artefakte werden mobilisiert, um mögliche Raumwirkungen und Varianten der Aufstellung modellhaft zu testen – es bedarf nur eines virtuellen Knopfdrucks und schon steht der David in einem anderen Raum, in einem ganz anderen Licht, vor einer farbigen Wand oder neben Gemälden und Möbeln. Das Projekt ‚Virtualisierung von Skulptur’ beschäftigt sich allerdings nicht allein mit ‚Rekonstruktion‘ und ‚Präsentation‘ der Skulpturen Berninis oder der möglichen Auswirkungen der Computertechnologie auf die kunsthistorische Lehre – es geht neben den veränderten Analysemöglichkeiten von Skulpturen vor allem um Fragen nach der ‚Installation‘, um Ästhetik und Geschichte dreidimensionaler Bilder. Dabei wird der These nachgespürt, dass sich Skulpturen und dreidimensionale virtuelle Bilder entsprechen. Stellt ein einzelnes Foto oder Diapositiv ein Standbild dar, so entstehen durch Navigation in der virtuellen Villa Borghese bewegte, filmisch anmutende Sequenzen. Überhaupt lädt diese künstliche Welt verstärkt dazu ein, in L-Shape oder I-Cone eine kunsthistorische Performance aufzuführen und mit den plastischen Bildern zu Interagieren. 

Anwendung: Ausstellungs-Planung und virtuelles Museum

Die Kooperation von Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und Informatik soll kein einmaliger Spezialfall sein – vielmehr geht es um nichts Geringeres als um die Herstellung eines Prototypen.
Galten in vergangenen Jahrhunderten die Stecher, die Kupferstiche von Kunstwerken anfertigten, auch als deren Interpreten, so kann mit Spannung erwartet werden, wie innerhalb dieser transdisziplinären Kooperation die Verbindung von Lehre, Forschung und Institutionalisierung für das 21. Jahrhundert definiert wird. Es ist nun möglich, sich gemeinsam mit Studierenden in die Cyberwelt des Barock zu begeben, Plastiken zu umschreiben und Raumwirkungen zu diskutieren. Durch gemeinschaftliche körperliche Aktion könnte der Vorherrschaft des Auges sowie der Autorität eines Redners vor passivem, auf Sitzen mit frontaler Anordnung fixiertem Publikum entgegengewirkt werden. Und es sind zahlreiche weitere zukünftige Einsatzmöglichkeiten denkbar; die entwickelte Technologie könnte für die denkmalpflegerische Vermessung und Archivierung, die Planung von Ausstellungen oder virtuelle Museen im Internet eingesetzt werden. Dabei bleibt abzuwarten, wie der Gebrauch digitaler Medien vergleichende Bildanalysen verändert. Schließlich wäre es möglich, die Villa Borghese einem weiteren architektonischen Ensemble im Split-Screen-Verfahren gegenüberzustellen, um sich auf vergleichende Wanderschaften zu begeben – die Schulung des Wahrnehmungsapparates anhand von Computerspielen dürfte damit zur notwendigen Voraussetzung für die achterbahnartige kunsthistorische Raumnavigation werden.

Verfasser: Petra Lange-Berndt

Text und Bilder sind frei zum Wiederabdruck

Ansprechpartner

Dr. Jens Schröter
Universität Siegen
Forschungskolleg SFB/FK 615 'Medienumbrüche‘
Teilprojekt B7: Virtualisierung von Skulptur: Rekonstruktion,
Präsentation, Installation
Am Eichenhang 50
57076 Siegen
Telefon: +49 271 238 4959
Telefax: +49 271 740 4924
schroeter@fk615.uni-siegen.de

Forschungskolleg 'Medienumbrüche‘
www.fk615.uni-siegen.de