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„Erziehung zum Widerstand“

Dr. Christian Zimmermann referierte bei "Forum Siegen" über „Lesarten des Grundgesetzes. Perspektiven der Politischen Bildung".

Befindet sich Demokratie in der Krise? Eine Frage, die Dr. Christian Zimmermann, Didaktiker der Sozialwissenschaften der Uni Siegen, im Rahmen seines Vortrags bei Forum Siegen „Lesarten des Grundgesetzes. Perspektiven der Politischen Bildung“ durchaus bejahte. Der Blick in die USA aber auch in die Europäische Union spreche dafür. „Wer Sozialwissenschaften unterrichtet, kommt nicht um eine demokratiereflexive Sichtweise herum“, so der gebürtige Franke. Eingebettet sein müsse ein solcher Unterricht immer in die Fragestellungen „In welcher Gesellschaft leben wir?“ und „Wo wollen wir hin?“. Die Antworten dürften auch utopische Sichtweisen umfassen.

Zwei Schwerpunkte umfasste der Vortrag Zimmermanns: 1) Demokratie – Gefährdung (Krisendiagnosen und Krisentheorien) sowie 2) Demokratie – Kultivierung (Politische Bildung). Drei Theorien zur Demokratiegefährdung skizzierte der Wissenschaftler.

Zuvorderst stand die Theorie der Postdemokratie des britischen Politikwissenschaftlers und Politologen Colin Crouch. Diese basiert auf der Annahme, dass Demokratie noch existiert, es sich in Postdemokratien also nicht um undemokratische Gesellschaften handelt. Crouch versteht unter einem postdemokratischen politischen System ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten würden, die sogar dazu führten, dass Regierungen wechselte. Allerdings kontrollierten Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark, dass diese zu einem reinen Spektakel verkomme, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiere, die die Experten zuvor ausgewählt hätten. Die Mehrheit der Bürger spiele dabei eine passive Rolle, sie reagierten nur auf die Signale, die man ihnen gebe. Im Schatten dieser politischen Inszenierung werde die reale Politik hinter verschlossenen Türen von gewählten Regierungen und Eliten gemacht, die vor allem die Interessen der Wirtschaft verträten.

Maximale Demokratie, so Zimmermann, habe es in den 60er und 70er Jahren gegeben. Mit Regierungschefs wie Thatcher und Reagan sowie dem Neoliberalismus habe die Demokratie einen deutlichen Abschwung erlitten. Folge sei beispielsweise die Oligopolitisierung politischer Partizipation. Unterschichten gingen nicht mehr oder nicht mehr so häufig zur Wahl. Eine weitere Auswirkung bestehe im Verfall der Qualität der politischen Kommunikation besonders auch im Bundestag. Talk-Shows übernahmen die Funktion politischer Debatten. Egalitäre politische Projekte hätten geringere Chancen auf Umsetzung. So sei es unter einer SPD-Regierung zum größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik gekommen.

Die zweite Theorie stammt vom Ökonomen und Soziologen Oliver Nachtwey. Demnach leben wir in einer Abstiegsgesellschaft. Lange Zeit waren in Deutschland der Anstieg des Lebensstandards und der berufliche wie persönliche gesellschaftliche Aufstieg reale Lebensperspektiven. Nun sei dem nicht mehr so. Das Modell der Vollerwerbstätigkeit sei dem der Prekariatisierung der Arbeitswelt gewichen. Diese regressive Moderne entspreche der Verfallsform der demokratischen Moderne.

Die dritte Theorie - die der simulativen Demokratie - stammt von Ingolfur Blühdorn. Sie skizziert ein Paradox – die Gleichzeitigkeit von Zustimmung zu demokratischen Werten und die Enttäuschung über die Demokratie. Die zentrale These lautet, dass die Demokratie in den modernen Wohlstandsgesellschaften des Westens einen grundlegenden Formwandel durchmacht. Der Begriff „simulative Demokratie“ stehe für einen Konflikt zwischen den Interessen der Bürger und denen der Eliten. Als Beispiel nannte Zimmermann die Mitgliederentscheidung der SPD zur Großen Koalition. Es gehe um punktuelle demokratische Selbstvergewisserung.

Den Übergang zum zweiten Vortragsschwerpunkt – der Kultivierung der Demokratie durch Politische Bildung – bildete ein Zitat des einstmaligen Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht erzeugen kann.“ Ein kurzer Rückblick auf die politische Bildung in der Bundesrepublik endete beim Beutelsbacher Konsens. Dieser beinhaltet zum einen ein „Überwältigungsverbot“ - Schülerinnen und Schüler dürfen nicht im Sinne eines gewissen Ergebnisses beeinflusst werden. Zum anderen inkludiert der Konsens das „Kontroversitätsgebot“ - in der Gesellschaft kontrovers diskutierte Themen müssen auch im Unterricht kontrovers behandelt werden.

Zimmermans eigeneThese geht davon aus, dass die skizzierten demokratie- und gesellschaftstheoretischen Diagnosen eine Neubegründung politischer Bildung erfordern. Alternative Lesarten der Artikel 20 und 28 des Grundgesetzes, die Demokratie und Sozialstaat festschreiben, könnten dahin gehen, dass Vermögensverteilung - inklusive der Wirtschaft - zur Disposition des demokratischen Souveräns stünden. Eine als aus den Fugen geraten empfundene Welt begründe eine radikaldemokratische Konzeption politischer Bildung. Die Kontingenzorientierung stehe für eine alternative Konzeption von Demokratie und Sozialstaatlichkeit. Politikunterricht sollte Handlungsorientierung als demokratische Interventionskompetenz vermitteln. Zimmermann: „Das ist Erziehung zum Widerstand.“