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Vereinzelung wird zum Mittelschicht-Standard

PD Dr. Olaf Behrend: Säkularisierung lässt Mittelschicht-Familien nach neuer Sinnhaftigkeit suchen / Varianten sind Karriere, Geld oder auch Vegetariertum

„Religion und Gesellschaft“ lautet zum Jubiläum 500 Jahre Reformation das Semesterthema der öffentlichen Vortragsreihe „Forum Siegen“ der Universität Siegen. Den Auftakt bildete Privatdozent Dr. Olaf Behrend, Soziologe mit psychologischer Qualifikation. Der 47-jährige Frankfurter sprach über „Familie und Religiosität in der heutigen Mittelschichtkultur“. Seine Ausführungen basierten auf der aktuellen Forschungslage sowie auf eigenen Erkenntnissen. Behrendt umriss zu Beginn den Begriff der „Familialität“ sowie die drei historischen Vorläufer der Mittelschicht – die bäuerliche, die bürgerliche und die Arbeiterfamilie. Allen Kulturen - auch den traditionellen - sei gemeinsam, jungen Menschen Halt beziehungsweise Bildung und Identifikation - also Zugehörigkeit - zu vermitteln. Kinder würden auf Kulturziele hin sozialisiert und erzogen. Diese Erzeugungsleistung stehe für den Begriff der „Familialität“.

Während archaische und traditionelle Kulturen den Wert der Paar- und Kernfamilie der Einbettung in eine Gemeinschaft wie die eines Stamms oder eines Clans unterstellten, habe sich auf einer Linie westlich von St. Petersburg und Triest die Isolierung der Kernfamilie herauskristallisiert, in der Kinder gehalten seien, die Familie zu verlassen. Historisch ist dies nachvollziehbar. Noch in der bäuerlichen Familie dominierte mit Blick auf die Familienbildung der Aspekt des Haushalts als Wirtschaftsgemeinschaft. Liebesheiraten waren bekannt, wurden aber einer möglichen Entscheidung der Dorfgemeinschaft hinsichtlich der Angemessenheit eines autonomen Paares untergeordnet. Die Arbeiterfamilie oder proletarische Familie rekrutierte sich im 19. Jahrhundert überwiegend aus Reihen der Landbevölkerung. Sie beherrschte das Familienbild bis in die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Danach ging sie überwiegend in der Mittelschichtfamilie auf. Kennzeichnend für die Arbeiterfamilie  sind zwei Faktoren: Beide Eltern mussten arbeiten; durch das Verbot der Kinderarbeit und die Schulpflicht wuchs der Nachwuchs relativ unbewacht durch die Eltern auf. Die neue bürgerliche Familie produzierte autonome Subjekte, die ihre Familie verlassen und in die Gesellschaft eintreten, um eigene Familien zu gründen. Eine familiäre Privatsphäre wird durch Abgrenzung erzeugt. Die Liebe zu den Kindern geht einher mit hohen Erwartungen an deren Entwicklung.

Die heutige Mittelschicht sei vor allem urban und stark akademisch geprägt, umfasse zudem Bildungsaufsteiger und Kinderlose. Des Weiteren gebe es ein neofeudales Milieu der reichen Oberschicht sowie eine Unterschicht, bestehend aus randständigen Milieus, denen auch viele Migranten angehörten. Die fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft und auch der Mittelschichtfamilien, die mittlerweile einen Großteil der Gesellschaft stellten, werfe die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Lebens neu auf. Für viele Menschen würden Aspekte wie die Karriere, Geld oder auch individuelle Lebensweisen wie Vegetariertum zu einer Art Ersatzreligion. Die urbane Mittelschicht stehe dabei ganz besonders für den kulturellen Wandel. Frauen seien im Beruf erfolgreich, Männer beteiligten sich an der Erziehungsarbeit. Die Karriere-Ansprüche der Eltern würden auf die Kinder übertragen. Der Trend gehe hin zur Bildungsoptimierung: Die Kinder sollten möglichst Abitur machen. Ein Fakt, den Behrendt als „Bildungspanik“ bezeichnete, da heutzutage auch junge Leute mit passablem Hauptschulabschluss mit guten Chancen in die Berufswelt starten könnten.

Den traditionellen Religionen wohnte das „Absolute“ inne. Die heutige Suche nach der Sinnhaftigkeit bedürfe der Bestätigung, sei es durch einen Blick auf den Kontostand oder durch Gleichgesinnte. Der Glaube von einst werde nicht aufgelöst, sondern in einen pragmatischen Glaubensbegriff umgewandelt. So werde die Teilnahme eines Kindes an einem Krippenspiel zum „Minikarrierespiel für die Achtjährigen“. Die Auflösung der bürgerlichen und der proletarischen Kulturreste sowie der Vergemeinschaftsungsformen (generationenübergreifende Familie, Kirche, Vereine etc.) führe dazu, dass jede Familie quasi zum eigenen Stamm werde, es an übergreifender Solidarität mangele. Der Mangel an Kooperationserfolgen führe dazu, dass auch die Generationen zunehmend auf sich gestellt seien. So komme es, dass 14-Jährige ihre Rolle in der Gesellschaft wie folgt definierten: „Ich kümmere mich um meine Familie und halte die Gesetze ein.“ Nicht zuletzt die „Bildungspanik“ der Eltern zeige Folgen: Wichen die Wünsche der Kinder von den (hohen) Bildungszielen der Eltern ab, würden die jungen Leute häufig nicht ernst genommen. So könnten diese im Bildungsbereich überfordert und auf dem Sektor ihrer eigenen Interessen unterfordert werden. Behrendt plädierte dafür, Zukunftsziele mit den Kindern zu diskutieren. Damit könne einem aktuellen Trend entgegengewirkt werden: Es gebe planlose junge Leute auch an den Universitäten, die eine latente Aggressivität gegenüber der Bildungseinrichtung lebten, die sie besuchen müssten. Den Mittelschicht-Eltern rät er zudem an, wieder mit Menschen zu reden, mit denen man wenig gemein habe, um den Blick zu weiten. Der Gang in die Kneipe bilde eine Möglichkeit.