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Abstracts

André Barz

Nichtprofessionelle Theaterkritik im Internet

Nichtprofessionelle Theaterkritik im Internet scheint sich zu einem bedeutsamen Phänomen zu entwickeln. Für 2012 verzeichnet das wohl diesbezüglich renommierteste Forum „nachtkritik.de“ 2.110 000 Seitenbesuche (vgl. Gut und viel gegoogelt 2012) mit etwa 7 000 Kommentaren (vgl. Der Debatte sachlichst dienen 2012). Beides galt natürlich nicht nur Rezensionen von Theaterinszenierungen. Aber auch hinsichtlich letzterer sind im Einzelnen allein quantitativ umfangreiche Äußerungen zu finden, wie etwa die 111 Kommentare zur Rezension von Wolfgang Engels „Othello“-Inszenierung mit dem Untertitel „Venedigs Neger“ 2012 am neuen theater Halle zeigen. (vgl. Schmidt 2012) Im Vortrag wird der Frage nachgegangen, inwiefern diese, so scheint es, inzwischen ‚Alltagspraxis‘ der nichtprofessionellen Theaterkritik des Publikums im Internet einerseits Ausdruck des in der Theorie vielfach beschriebenen ‚koproduzierenden Zuschauers‘ (etwa wieder Vaßen 2013) ist und andererseits eine wie immer geartete Konzeptualisierung des Zuschauers seitens der Theaterproduzenten, ob explizit offengelegt (etwa Werli, vgl. Reimers 2013), implizit inszeniert (vgl. etwa Pollesch 2014) oder im Sowohl-als-Auch praktiziert (etwa Rimini Protokoll, vgl. Marscheider 2009 oder Ostermeier, vgl. Schröder 2007), bestätigt oder infrage stellt. Herauszuarbeiten sind dabei die Intentionen der Kritiken und deren Gestus ebenso wie die inhärenten ‚Selbstdefinitionen‘ der Schreibenden.

Literatur:
Marscheider, Jana Henrike (2009): Zur Konzeptualisierung des Zuschauers im Theater von Rimini Protokoll. Bachelor Arbeit an der Universität Siegen. Unveröffentlicht.
Pollesch, René (2014): Kill Your Darlings. Stücke. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Reimers, Ann-Kathrin (2013): Der neugierige Zuschauer – Penelope Wehrlis Theater der kalkulierten Unübersichtlichkeit. In: Barz, André/ Paule, Gabriela (Hrsg.): Der Zuschauer. Analysen einer Konstruktion im theaterpädagogischen Kontext. Berlin: Lit Verlag. S. 165-182.
Schröder, Miriam (2007): Theater und Medien. Strukturelle Bezüge dargestellt am Beispiel des Theaters Thomas Ostermeiers. Diplomarbeit an der Universität Siegen. Unveröffentlicht.
Vaßen, Florian (2013): Der koproduzierende Zuschauer – Kollektive Kreativität und Theater-Praxis. In: Barz, André/ Paule, Gabriela (Hrsg.): Der Zuschauer. Analysen einer Konstruktion im theaterpädagogischen Kontext. Berlin: Lit Verlag. S. 125-147.

Internetquellen:
Der Debatte sachlichst dienen. Die meistkommentierten Seiten auf nachtkritik.de 2012. (2012)
http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7579:die-meistkommentierten-seiten-auf-nachtkritikde-2012&catid=673:jahresrueckblick-2012&Itemid=60; zuletzt aufgerufen am 16.02.2016
Gut und viel gegoogelt. Die meistgelesenen Texte auf nachtkritik.de 2012. (2012) http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7581:die-meistgelesenen-texte-auf-nachtkritikde-2012&catid=673:jahresrueckblick-2012&Itemid=60; zuletzt aufgerufen am 16.02.2016
Schmidt, Matthias: Red-Bellying contra Black-Facing. (2012) http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6943:othello-venedigs-neger-in-halle-schaut-wolfgang-engel-hinter-den-korrekten-empoerungsreflex&catid=178; zuletzt aufgerufen am 16.02.2016

Ulla Fix

Erziehung oder Ermunterung? - Die sprachlich-mediale Konstruktion eines Publikums im Streit um Theaterkonzeptionen

In den letzten Jahren gab es um die Arbeit des Schauspielhauses Leipzig (von Hartmann in "Centraltheater" umbenannt) eine heftige Auseinandersetzung. Der Stil des damals neuen Intendanten Sebastian Hartmann spaltete die Öffentlichkeit und zeigte damit, dass es verschiedene Arten von Erwartungen und damit verschiedene Publikumsgruppen gibt. Hartmann formulierte einen aus meiner Sicht pädagogischen Anspruch (was er sicher strikt zurückweisen würde). Er meinte, das Publikum müsse lernen, mit neuen Auffassungen von Theater und Inszenierung sowie mit einer Stücke nicht mehr als Kanon betrachtenden Vorgehensweise zurechtzukommen, und dürfe nicht an seinen, wie er unterstellte, bildungsbürgerlichen Ansprüchen kleben bleiben. Ein Zulauf junger Leute gab ihm recht. Die alten Zuschauer blieben zu einem beträchtlichen Teil weg.

Nach der Ablösung Hartmanns durch Enrico Lübbe wurde eine andere Vorstellung von Publikum formuliert. Keine Erziehung, sondern ein mit allen Möglichkeiten des Theaters bestrittene Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Text in dem Glauben, dass man damit alle Zuschauergruppen durch Ermunterung erreichen kann. Der Erfolg der ersten Jahres - das Theater war voll von alten und jungen Besuchern - scheint im recht zu geben.

Mir geht es natürlich nicht darum zu entscheiden, wer von beiden recht hat. Ich will vielmehr aus den Äußerungen der Intendanten unter Hinzuziehung des öffentlichen Meinungsstreits (Netz und/oder Zeitung) diskursanalytisch ermitteln, wie eine bestimmte Vorstellung von Publikum sprachlich konstruiert wird.

1.
Die eine Seite (alter Intendant: Sebastian Hartmann) geht davon aus, dass das Publikum noch nicht begriffen habe, was das Theater kann und will. Er will, um dem abzuhelfen, ein neues Publikum erziehen (neue Sehgewohnheiten heranbilden) bzw. ein neues Publikum, dessen Bedürfnisse er zu kennen glaubt, heranziehen (jugendliche Zuschauer gewinnen).
Hier wäre es interessant, herauszuarbeiten, wie sich in dem Diskurs zwischen Theater und Öffentlichkeit ein jeweiliges Publikumsbild herausgebildet hat. Schwerpunkt sollte sein, wie der Intendant und seine Mitstreiter, vor allem der Hausphilosoph des Theaters (Guillaume Paoli) das Publikum sehen.

2.
Die andere Seite (neuer Intendant: Enrico Lübbe) will das Leipziger Publikum (traditioneller eingestimmte Zuschauer) zurückgewinnen, ohne auf das neue, junge Publikum zu verzichten. Er nimmt sie also, wie sie sind, will ihre Erwartungen erfüllen und sie ermuntern, auf Neuerungen einzugehen.
Hier ist es ebenso interessant zu sehen, wie sich die Öffentlichkeit in den Medien dazu verhält, vor allem aber, wie der neue Intendant und sein Chefdramaturg das Publikum sehen und auf welche Weise das Publikum angesprochen wird.

Matt Hills

From Media Fandom to Art Fandom? Appreciating an Exnominated Discourse

This paper will explore how different kinds of fandom can be theorized by learning from fan studies’ emphasis on media fandom. The concept of “implicit fandom” will be used, drawing on notions of “implicit religion” which evade standard definitions of the term (Bailey 1998). I will argue that “implicit fandom” occurs where ‘fandom’ can be analytically used in relation to high-cultural forms, yet is not usually discursively drawn on by participants (Bourdieu 1986). In terms of contemporary art, the discourse of fandom has begun to circulate, but as a kind of provocation: for example, Grayson Perry refers to the Tate Modern as a “cult entertainment megastore” (2014: 88), comparing art “fans” to fan-shoppers at Forbidden Planet.

If fandom has remained highly implicit (and devalued) in cultures of modern art, we should nonetheless be careful of deploying high culture in ways that seek to legitimate the study of fandom. Politicizing approaches to fandom have often formed an authenticating bid for the subject’s ‘inherent’ value – whether this involves characterizing fans as resistant “poachers” or subversive “activists”. Attempting to legitimate fandom has been part of fan/audience studies’ history, but it invariably makes use of disciplinary discourses of cultural ‘significance’ that other and exclude as much as they dignify. Indeed, attacks on fan studies by Marxist writers draw on a similar discursive matrix (Fuchs 2014). Thus, while contemporary art has an unstable relationship to discourses of fandom (which are often exnominated), fan studies remains uneasily legitimated

About the presenter: Matt Hills is Professor of Film & TV Studies at Aberystwyth University. He is the author of Fan Cultures (2002) as well as five other monographs, the most recent of which is Doctor Who: The Unfolding Event (2015). Matt has published more than a hundred journal articles/book chapters on fandom and cult media. He is currently completing Sherlock: Detecting Quality TV for I.B. Tauris (2016), and is a co-series editor on the Transmedia book series for Amsterdam University Press.

Werner Holly

Sprechendes Publikum?

Wie kann man sich dem Begriff des Publikums aus einer linguistischen Perspektive nähern? Zunächst versuche ich Elemente eines semantischen Frames ‚Publikum‘ zu identifizieren. Dann wird im Hinblick auf die Eigenschaft der „(Teil-)Dialogizität“ ein kurzer Rückblick auf unsere Fernsehrezeptionsforschung unternommen, die Anschlusskommunikation zum Gegenstand hatte. Im zentralen Teil wird der Frage nachgegangen, wie das Fernsehen in bestimmten Formaten wie z.B. Polit-Talkshows die fehlende Interaktivität mit dem Zuschauer durch ein Studiopublikum zu kompensieren versucht. Dazu verwende ich einige Beispiele von Maybrit-Illner-Sendungen aus den Jahren 2007, 2011 und 2016, wo das Publikum nicht wirklich „spricht“, sondern akustisch und optisch als Brücke zum Zuschauer inszeniert wird, mit allen Risiken der Verzerrung und Polarisierung, so dass seine Funktion als Rezeptionsmodell typische weitere Eigenschaften des Frames-Publikum zum Vorschein bringt, die abschließend thematisiert werden: Reflexivität und diskursive Komplexitätsreduktionen.

Raphaela Knipp

„Also nicht den üblichen Zugang, Buch zu und weg“ – Literatur als ortsbezogene Praxis

Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive stellt das Publikum im Sinne von Alltags¬lesern und Leserinnen eine weitestgehend unbeachtete Größe dar. Fragen der Literatur¬rezeption und -an-eignung werden meist unter Rückgriff auf bestimmte Theorien und Modelle behandelt. Der Vortrag schlägt hingegen einen praxeologischen Ansatz vor, dessen Ziel es ist, literatur-ästhetische Aspekte mit der Frage nach spezifischen Leser¬praktiken zu verknüpfen. Konkret wird dies am Beispiel des Literaturtourismus darge¬stellt, wobei es sich um eine besondere Form der ortsbezogenen Rezeption literarischer Texte handelt: Leser suchen Handlungsschauplätze der Literatur im Realraum auf. Anhand von Interview- und Beobachtungsdaten, die im Rahmen der Teilnahme an literaturtou¬ris¬tischen Angeboten gewonnen wurden, soll der Frage nach-gegangen werden, welche Praktiken der Aneignung von Literatur dabei stattfinden und wie sich diese an die literarischen Ver¬fahren der Texte zurückbinden lassen.

Hubert Knoblauch

Publikumsinteraktion und Publikumsemotion

Der Beitrag soll sich mit der Frage der Publikumsemotion beschäftigen. Genauer geht es hier um Formen des kommunikativen Handelns von Präsenzpublika in verschiedenen Settings, also der körperlichen sinnhaften Aktivitäten des Publikums als einer Aggregation von Handelnden. Es handelt sich dabei um einen explorativen Beitrag, der „Publikum“ als Leistung des daran beteiligten Handelnden ansieht. Ausgehend von einem kurzen Überblick des Forschungsstandes soll an ausgewählten empirischen Beispielen die These verfolgt werden, dass und wie die Publikumsemotion als eine Koproduktion der Beteiligten angesehen werden kann. In einem weiteren Schritt soll auf ein besonderes Phänomen der Publikumsinteraktion eingegangen werden, nämlich die Publikumsresonanz. Sie kann als interaktiv erzeugte Form der Efferveszenz verstanden werden, in der subjektive, sinnliche Wahrnehmung, kommunikatives Handeln so koordiniert werden, dass „Publikum“ als Handlungsträger erscheint.
Der Beitrag beruht auf explorativen videographischen Untersuchungen, deren Schwerpunkt im institutionellen Bereich von Sport und Religion liegen. Um das Phänomen des „Publikums“ allgemeiner zu adressieren, werden auch andere Kontexte hinzugezogen.

Marcus Müller / Jörn Stegmeier

Twittern als #Alltagspraxis des Kunstpublikums

In unserem Vortrag wird es um Praktiken der Positionierung relativ zur Bildenden Kunst (Hausendorf 2012) auf Twitter gehen. Twittern ist eine Alltagspraxis, insofern es von denjenigen, die es tun, prinzipiell immer und überall ausgeübt werden kann. Deshalb ist Twitter ein gutes Maß, um die lokale Dissoziierung des Kunstpublikums unserer Zeit abschätzen zu können. Getwittert wird direkt aus dem Museum, durch Leser*innen von Ausstellungskritiken oder auch assoziativ aus dem Alltag heraus. Die Twitterer sind allerdings nur zur Hälfte (rezipierendes) Kunstpublikum, gleichzeitig sind Sie ja aktiv an der medialen Transkription (Jäger 2002) von Kunst beteiligt und nehmen dabei soziale Positionen ein (z.B. als EXPERTEN, WERBER, VERMITTLER, KRITIKER, FANS). Unsere Analysen beruhen auf einem Korpus von deutschen und englischen Tweets zu Künstlern im Zeitfenster vom 01.12.2015 bis zum 31.01.2016, denen dann gerade große Ausstellungen gewidmet sind: #Botticelli (Berlin), #Schiele (Zürich), #Gursky (Baden Baden), #Calder (London), #Kandinsky (New York), # Balthus (Rom).

Genannte Literatur Hausendorf, Heiko (2012): Soziale Positionierungen im Kunstbetrieb. Linguistische Aspekte einer Soziologie der Kunstkommunikation. In: Müller, Marcus/Kluwe, Sandra (Hgg.): Identitätsentwürfe in der Kunstkommunikation. Berlin, Boston, 93–123.
Jäger, Ludwig (2002): „Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik“. In: Ludwig Jäger/Georg Stanitzek (Hgg.): Transkribieren. Medien/Lektüren. München: Fink, 19-41.

Karola Pitsch

Ein Roboter als Museumsführer? - Besucherpraktiken des Umgangs mit einem neuen medialen Artefakt in einer Museumsausstellung

In Museumsführungen, in denen ein Mitarbeiter Informationen über Kunstwerke, historische Gegenstände und sonstige Exponate anbietet, stellen die Besucher eine spezifische Form des Publikums dar. Zum einen sind sie Rezipienten der inhaltlichen Erläuterungen, zum anderen konzeptuell fassbar als Ko-Akteure, die aktiv - durch verbale wie schweigend-verkörperte Praktiken des Displays von Aufmerksamkeit, Raumkonstitution etc. - an der Gestaltung dieser Erläuterungen und der Aktivität 'Museumsführung' mitwirken und diese ko-konstruieren (Hausendorf 2011, Pitsch 2012, de Stefani & Mondada 2014, Dausendschön-Gay/Gülich/Krafft 2015). Soll nun ein technisches System, wie ein humanoider Roboter, die Aufgabe des Museumsführers übernehmen und mit Mitteln natürlichsprachlicher Kommunikation steuerbar sein, liegt eine derartige interaktive Koordinierung in weiter Ferne. Nichtsdestotrotz zielt ein Teil der Forschung in diesem Bereich darauf ab, technische Systeme mit basalen Möglichkeiten sowohl der Reaktivität auf beobachtetes Besucherverhalten als auch der Initiierung spezifischer Besucherhandlungen auszustatten (Yamazaki et al. 2008, 2013, Pitsch et al. 2013, 2015a). Dabei besteht eine besondere Herausforderung darin, mit der prinzipiellen Nicht-Vorhersehbarkeit/Kontingenz von menschlichem Interaktionsverhalten und mit der Heterogenität der Besucher umzugehen, die individuell oder in kleinen Gruppen während ihres Rundgangs im Museum auf den Roboter treffen. Daher ist es zentral, die interaktiven Praktiken eines solchen Publikums, ihre Sinnstiftungsprozesse im Umgang mit einem neuen technisch-medialen Artefakt und die dabei entstehenden Dynamiken im Interaktionssystem 'Mensch-Roboter' zu verstehen.

Vor diesem Hintergrund werden Videoaufnahmen einer Studie zur Mensch-Roboter-Interaktion untersucht, in der ein spezifisch-heterogener Publikumstyp in einer realen Museumsausstellung zum ersten Mal auf einen robotischen Museumsführer trifft: aus Kindern und Erwachsenen bestehende Kleingruppen (typischerweise: Familien). Es wird der Frage nachgegangen, wie diese Besucher mit den - verbalsprachlich und körperlich verfassten - kommunikativen Angeboten des Roboters in der Situation des Erstkontakts umgehen. Wie behandeln Kinder vs. Erwachsene die vom Roboter aufgebauten strukturellen Relevanzen? Welche Dynamiken entstehen in einer solchen heterogenen Gruppe durch den Umgang mit etwaigen Diskrepanzen? - Dieses wird beispielhaft an Momenten herausgearbeitet, an denen der Roboter (a) Fragen an die Besucher stellt und (b) auf Exponate verweist. Es lässt sich beobachten, dass - nachdem in der Eröffnung Zugänglichkeit im Sinne 'natürlichsprachlicher Kommunikation' etabliert wird (Pitsch 2015b) - Kinder nicht nur entsprechend alltagsweltlicher Handlungslogiken agieren, sondern auch institutionell-schulisch geprägte Verhaltensweisen (z.B. aufzeigen) verwenden oder ihre Antworten u.U. zunächst leise an den Erwachsenen (anstatt an den Roboter) adressieren. Demgegenüber agieren die Erwachsenen häufig räumlich wie sequenzstrukturell aus der "zweiten Reihe" und bieten auf der Basis größerer Beobachtungsmöglichkeiten (vermeintliche) Unterstützung im 'richtigen' Umgang mit dem technischen Artefakt an. Insgesamt verdoppelt sich so strukturell die besucherseitige Bearbeitung der 'first turns' des Roboters, so dass innerhalb des Publikums spezifische Dynamiken in solchen Multi-Party-Situationen entstehen. Darüber hinaus wird die Situation von den Besuchern auch in ihrer Rolle als "Familie" bearbeitet, was sich z.B. darin äußert, dass während der laufenden Interaktion Erinnerungsfotos 'Kinder mit Roboter' geschossen werden, was wiederum zu spezifischen Dynamiken innerhalb der Gruppe führt. - Derartige Beobachtungen sind zum einen relevant für die Weiterentwicklung des Roboters und erlauben zum anderen das 'Publikum' in seiner Heterogenität und interaktiven Dynamik zu fassen, in der sich verschiedene Grade der Alltagssozialisierung als Basis für den Umgang mit einem neuen technisch-medialen Artefakt abbilden.

Axel Schmidt

"Anpassung an prospektive Zuschauer? - Eine multimodal-interaktionsanalytische Perspektive auf Publikums-Konstruktionen in Theaterproben"

„No audience, no performance“ postuliert Erving Goffman (1977) in seiner Rahmenanalyse. Soll heißen: Die Anwesenheit eines Publikums ist Voraussetzung, um beobachtbare Vorgänge als Aufführungen zu begreifen. Prototypisch hierfür seien – so Goffman – Theateraufführungen. Im Gegensatz zu anderen sozialen Vorgängen (vom Alltagshandeln bis zu Zeremonien), die gleichfalls in Teilen beobachtbar bzw. auf Beobachtung bezogen sind (vgl. Goffman 1983), endet die soziale Situation ‚Theateraufführung‘ mit dem Verschwinden von Beobachtern. Grund hierfür ist das Fehlen eines über die Darstellung hinausgehenden Zwecks. Goffman nennt sie deshalb „reine Aufführungen“.

Zugleich erweist sich der Prozess der Kreation und Herstellung von Theater aber als öffentlichkeitsabgeschirmter (vor allem im Anfangsstadium) sowie tentativer, experimenteller und intimer Vorgang, der aufgrund seiner besonderen Institutionalisiertheit als ‚Probe‘ (vgl. Matzke 2012) gerade nicht publikumsbezogen sein kann und soll. Dennoch entsteht im Schutzraum ‚Probe‘ die für Publika gestaltete Aufführung.

Diese Spannung aus kreativem Schonraum und immanenter Bezogenheit der Darstellung auf seine (spätere) Beobachtung ist konsequenzenreich für den Produktionsprozess: Einerseits ist Publikumswirkung zentral, andererseits stört eine (zu frühe) Orientierung an möglichen Publikums-Effekten den kreativen Prozess. Diese Vermittlungsleistung ist ein zentraler Aspekt der Regiearbeit (Leach 2013).

In meinem Beitrag gehe ich der Frage nach, ob und wie Theatermachende das Publikum bzw. dessen Bedürfnisse, Wünsche, Reaktionen etc. im Probenprozess antizipieren und was das für die laufende Probenarbeit bedeutet. Bezugspunkt ist damit nicht die kommunikative Aneignung durch ein Publikum, sondern die Reflexion des Publikums im Herstellungsprozess auf Produzentenseite. Der Blick auf das ‚andere Ende der Medienkommunikation‘ ergänzt die Frage nach der kommunikativen "Selbst-Konstruktion" des Publikums durch die Frage nach "Fremd-Konstruktionen" des Publikums durch die Produzenten. Fokus sind allerdings weder die Selbstdeutungen von Theaterschaffenden (wie sie etwa in Interviews greifbar werden) noch konzeptionelle Vorarbeiten (grundsätzliche Ausrichtung und Anlage des Stücks, mögliche Publika, die angesprochen werden sollen, Zielgruppenbezug, Relevanz und ‚Aussage‘ des Stücks etc.), sondern faktische Produktionspraktiken im Prozess der Probe selbst.
Empirische Grundlage zur Rekonstruktion von produktiven Praktiken im Probenprozess ist ein Korpus von über 30 Stunden Videoaufnahmen von Theaterproben im Amateur- und professionellen Bereich. An ausgewählten Ausschnitten soll im Beitrag gezeigt werden, welche unterschiedlichen impliziten und expliziten Formen des Publikumsbezug existieren, wie diese interaktiv realisiert werden und welche Rückschlüsse das auf die Weisen der Publikumskonstruktion im Kontext von Proben zulässt.

Literatur
Goffman, Erving (1977): Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrung. Frankfurt/M: Suhrkamp.
Goffman, Erving (1983): The interaction order. In: American Sociological Review, 48, 1, S. 1-17.
Leach, Robert (2013): Theatre studies: the basics. New York: Routledge, Taylor Francis Group.
Matzke, Annemarie (2012): Arbeit am Theater: Eine Diskursgeschichte der Probe. Berlin: De Gruyter.

Paulo Astor Soethe

Deutschsprachiges Laientheater in Brasilien (1919-1968): Archivarbeit und -präsentation als diskursiver Vorgang im heutigen ‚espaço público‘ der Kunstkommunikation

Zwischen 1824 und 1952 kamen rund 350 Tausend deutschsprachige Immigranten nach Brasilien. Man schätzt, dass heute circa 6 Millionen Brasilianer teilweise deutschstämmig sind. Durch die Entstehung von mittelgroßen Städten in Siedlungsgebieten vor allem in Südbrasilien und die Binnenmigration von Deutschen oder Deutschstämmigen in schon bestehende Großstädte galt die deutsche Sprache dort als wichtige Komponente im urbanen Kulturleben. Die Integration der Sprache und Gewohnheiten dieser Bürger durch brasilianische Institutionen ermöglichte bis 1937 die Gründung und Wirkung von mehreren Theatervereinen. Deutsche Sprache und Kultur genossen ein hohes Ansehen und ihre Präsenz prägte damals das alltägliche Leben der Städte und die Entwicklung der brasilianischen Gesellschaft. Das sind bis heute kaum erforschte Elemente der brasilianischen und der deutschsprachigen Theatergeschichte. Die Erfassung, Auswertung und digitale Präsentation von Dokumenten aus jener Zeit beschäftigen junge Wissenschaftler vor Ort, können historische, kultur- und bildungspolitische Relevanz erlangen. Mein Beitrag beabsichtigt zu zeigen, wie die damaligen Praktiken des Publikums zum Thema des (auch virtuellen) „espaço público“ im heutigen Brasilien werden können und somit zu Transformationen im öffentlichen Raum von bestimmten Gemeinden und Regionen im Land beitragen können.

 
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