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Buch des Monats Februar 2015

Marcin Szczygielski: Flügel aus Papier.

Aus dem Polnischen von Thomas Weiler. Sauerländer 2015. 286 Seiten. 13,99€. Ab 11 Jahre. ISBN 978-3-7373-5212-3.



„Zur Bibliothek kommt man so: Zuerst muss man durch unseren Hof, dann über die Straße und durch den nächsten Hof dahinter.“ (S. 9)


Mit dieser detaillierten Ortsbeschreibung beginnt der ungewöhnliche Roman Flügel aus Papier des polnischen Autors Marcin februarSzczygielski, der die Zeit des Warschauer Ghettos thematisiert. Der Roman selbst wurde u. a. mit dem Astrid-Lindgren-Manuskriptpreis ausgezeichnet sowie als Buch des Jahres der polnischen IBBY-Sektion prämiert. Jetzt liegt er in deutscher Übersetzung vor und man kann nur hoffen, dass der Roman auch hier die verdiente Beachtung finden wird.


Im Mittelpunkt steht der achtjährige Rafal, der 1942 mit seinem Großvater ein Zimmer im Ghetto bewohnt. Seine Eltern sind in Afrika und Rafal weiß wenig über sie. Er kann sich an die Zeit mit den Eltern kaum erinnern. Das Leben ist schwierig, doch der Großvater bemüht sich, seinem Enkel trotzdem ein Stück Kindheit zu ermöglich. Rafal selbst, der kaum Kontakt zu gleichaltrigen Kindern hat, liest und besucht regelmäßig die Bibliothek. Doch er liest nicht mehr Kinderbücher, sondern Jules Verne. Als die Bibliothekarin Janka ihm Die Zeitmaschine von H.G. Wells ausleiht, ist Rafal von der Geschichte fasziniert. Rafal liest und liest, doch die Ereignisse spitzen sich immer weiter zu. Die Nationalsozialisten, die er nur noch in Anlehnung an Wells die „Morlocks“ nennt, organisieren Transporte, immer mehr Juden verschwinden und auch Rafal und sein Großvater müssen sich ein neues Zimmer suchen. Schließlich beschließt der Großvater, der ein bekannter Konzertgeiger war, dass Rafal das Ghetto verlassen muss. Eine Familie außerhalb soll organisiert werden, doch diese wird entdeckt und Rafal muss sich krank im ehemaligen Zoo der Stadt verstecken. Dort trifft er weitere versteckte Kinder und gemeinsam versuchen sie zu überleben.


Der Roman wird konsequent aus Rafals Sicht erzählt, der vieles beobachtet, aber eben nicht versteht. Er sieht die Brutalität der Nationalsozialisten, versteht aber nicht, warum der Großvater ihn verlässt. Die Erzählweise überzeugt und unterstreicht so die Brutalität des NS-Regimes. Allein die Beschreibungen des Ghettos, die Leserinnen/Leser die Enge und das Elend durch Rafals Augen sehen zu lassen, ist mehr als gelungen. Seinen Übertritt dann in die Stadt, die trotz des Ghettos weiter existiert und voller Farbe ist, vergleicht er mit einer Reise, die er mit der Zeitmaschine gemacht hat. Für ihn ist es kaum nachvollziehbar, dass sich Stadtteile so ändern können. Das Leben im Zoo, das jetzt ohne Tiere von der Warschauer Bevölkerung als ein großer Schrebergarten genutzt wird, erlebt Rafal ebenfalls sehr intensiv und voller Farbe und als eine Fast-Freiheit. Trotzdem bleibt die Angst ... Rafal erkrankt und hier taucht das Motive der Zeitreisemaschine wieder auf: Rafal findet sie und fliegt in die Zukunft. Dort trifft er ein junges Mädchen, das seine Enkelin ist. Das Motiv ist mehrdeutig und bietet unterschiedliche Lesarten an. Es bleibt offen, ob es ein (Fieber-)Traum ist. Aber es kann auch eine Entlastungsfunktion für die kindlichen Leserinnen und Leser sein, denn sie entkommen so der brutalen Realität der Verfolgung. Besonders hier deutet sich die Mehrfachadressierung des Romans an, der kein einfacher, aber ein sehr wertvoller Kinderroman ist. Der Autor Marcin Szczygielski verbindet phantastische Elemente mit der Zeit des Nationalsozialismus und hebt sich dadurch von der zeitgeschichtlichen Kinder- und Jugendliteratur ab. Ein solcher Zugang, der nicht auf Aufklärung setzt, verwundert zunächst, aber es gelingt dem Autor, zum Nachdenken anzuregen. Dies gelingt ihm vor allem deswegen, weil wir die Geschehnisse nur durch Rafals Augen sehen. Mit Rafal wird eine sympathische und kluge Figur eingeführt. Im Zoo trifft er auf zwei weitere Kinder und gemeinsam versuchen sie, dem Elend zu entkommen. Der Roman zeigt aber auch die Solidarität der polnischen Bevölkerung und damit appelliert der Roman, sich solidarisch und hilfsbereit zu zeigen.  


Flügel aus Papier ist ein Roman, der sich überzeugend mit der Geschichte auseinandersetzt. Das Nachwort unterstreicht noch, wie wichtig Erinnerung an die Geschichte ist. Man darf die Menschen nicht vergessen, die in den Ghettos und Konzentrationslagern waren!