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Bleibt die nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit?

Forum Siegen: Prof. Dr. Ingolfur Blühdorn skizzierte Perspektiven für die Nach-Corona-Zeit

Markiert die Corona-Pandemie den definitiven Start eines sozial-ökologischen Wandels? – Mit dieser Frage setzte sich Prof. Dr. Ingolfur Blühdorn, Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, im Forum Siegen, der öffentlichen Vortragsreihe der Universität Siegen, auseinander. Vorgestellt wurde der Gast von Jun.-Prof. Alexander Wohnig. Blühdorn, Jahrgang 1964, stammt aus dem westfälischen Burgsteinfurt und studierte in Erlangen Philosophie, Englisch, Germanistik und Theaterwissenschaften. Er promovierte an der University of Keele in Großbritannien, forschte und lehrte auf der Insel, bevor er 2015 in die österreichische Hauptstadt wechselte. Seine Schwerpunkte liegen beim Gesellschaftswandel, der Nachhaltigkeit, den sozialen Bewegungen (vor allem den so genannten neuen sozialen Bewegungen und den Grünen Parteien), der emanzipatorischen Politik sowie der Gesellschafts- und Demokratietheorie. Blühdorn prägte Schlagworte wie die nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit, die post-demokratische Wende und die simulative Demokratie.

Im Forum, das von Steffen Pelzel moderiert wurde, beschäftigte er sich mit „Der Sehnsucht nach Normalität. COVID 19 und die veränderte Debatte zur Nachhaltigkeitstransformation“. Mit der Nach-Corona-Zeit beschäftigte sich der Wissenschaftler bereits in der Frühzeit der Pandemie - mit allen Unwägbarkeiten der Prognose und vielleicht auch der Spekulation. Blühdorn: „Ja, die Dinge haben sich so entwickelt wie ich das vorausgesehen habe, manchmal aber auch anders.“ Eine endgültige Bilanz der Pandemie erachtete er in zum jetzigen Zeitpunkt als verfrüht. Blühdorn: „Nach der gesundheitspolitischen Bewältigung der Pandemie beginnt die ökonomische Bewältigung.“ Immense Schuldenberge seien entstanden, um Arbeitsplätze und Existenzen zu schützen. Das habe dazu geführt, dass Rechtsextreme – anders als nach der Finanzkrise 2008 - keinen Vorteil aus der Pandemie hätten ziehen können. Der aktuelle Schuldenberg sei aber größer als der des Jahres 2008. Bei der Bewältigung könnten deshalb auch die sozialen Verwerfungen noch größer werden.

Drei Bilanzen stellte der Wissenschaftler vorneweg:

a) Das Klimathema ist nicht erstickt worden, sondern sehr lebendig.

b) Die Konfliktlinien und die Struktur der diskursiven Arena hätten sich verändert. Diese Konfliktlinien, Spannungen und Spaltungen blieben auch in der Zeit nach der Bundestagswahl im Herbst erhalten. Dabei komme es zu erstaunlichen diskursiven Allianzen wie beispielsweise zwischen der FDP und der AFD mit Blick auf das Eintreten für die Freiheitsrechte während der Pandemie.

c) Es existiere eine sonderbare Gleichzeitigkeit von Sehnsucht nach Normalität und Sehnsucht nach grundlegender Veränderung, die manchmal mit der Stimmung der Zwischenkriegsjahre verglichen werde.

Blühdorns nächster Dreier-Schritt umfasste

a) einen Rückblick auf die frühe Pandemiephase

b) eine Zwischenbilanz zum jetzigen Zeitpunkt

c) einen Ausblick auf das Erwartbare und Wünschenswerte

Im Jahr 2019, so der Vortragende, habe sich die Klimabewegung auf dem Höhepunkt der Aktivierungsphase befunden. Fridays for Future forderte einen Systemwechsel anstelle des Klimawechsels. Die Corona-Pandemie habe in den Medien zuerst in der Erwartungshaltung Niederschlag gefunden, dass jetzt endlich alles anders werde, die sozial-ökologische Transformation beginne. Vorangegangene Anzeichen des Klimawandels wie Dürreperioden, Hitzewellen und Waldbrände hätten die Handlungsdringlichkeit unterstrichen.

In der Pandemie schließlich habe das Postulat staatlicher Fürsorge über das Wirtschaftsprimat dominiert. Das komme einer Wiederentdeckung der Politik gleich, neue Solidarität in der Bevölkerung sei entstanden, die Konsensfähigkeit zwischen Parteien zutage getreten. Blühdorn: „Selbstbeschränkung und Selbstdisziplin waren gefragt.“

Wenige Monate später hätten sich die Prioritäten wieder verschoben. Für die Politik sei nunmehr die Rückkehr zur Normalität oberstes Ziel. Die Einschränkungen der Pandemie-Zeit seien temporär und marginal gewesen. Blühdorn: „Sie wurden aber als schlimm wahrgenommen.“ Die nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit scheine zur Sicherung der Demokratie notwendig. Die Ökonomie setze auf Stimulation von Wachstum und Konsum wie zuvor, die Ungleichheit, Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft werde beschleunigt, im Bereich der Ökologie werde auf ökologische Modernisierung und Resilienz gesetzt, die Politik kämpfe mit Vertrauensverlust auch in die Demokratie. Die Frage nach der Eignung der Systeme zur Überwindung von Krisen stelle die westlichen Demokratien in Konkurrenz zum asiatischen Autoritarismus.

Es stelle sich die Frage, warum gerade jetzt Klimabewegungen und Grüne in der Lage sein sollten, den Aufbruch in den Ausbruch aus der nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit zu schaffen. Zumal sich der Hauptkonflikt innerhalb der Gruppe der Umweltbewusst-Progressiven abspiele – zwischen „Boomern“ und der jungen Generation, zwischen privilegierten jungen Menschen, denen bewusst sei, dass der aktuelle Lebensstil nicht zu halten ist, und denen, die ihn verteidigten. Blühdorn: „Die Privilegierten sind die primären Akteure.“ Und weiter: „Soziale Umverteilung, Begrenzung und Beschränkung sind in der Klimabewegung immer noch Randthemen.“ Der Ausblick des Wissenschaftlers: „Ein politischer Prozess muss von der bedingungslosen Verteidigung der Freiheitsverständnisse zu deren inhaltlicher Neubestimmung führen.“ Blühdorn warnte dabei vor dem Begriff des „Verbots“ und plädierte für den der „Regulierung“. Sein Abschlusscredo: „Mein Glaube an den mündigen Bürger bleibt bestehen.“