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Sozialpädagogische Forschung an der Universität Siegen


Hier wird sich demnächst die spezifisch sozialpädagogische Forschung an der Universität Siegen vorstellen. Klaus Wolf und Thomas Coelen wollen ihre Forschungsprojekte, Philosophien und die Essentials einer sozialpädagogischen Forschung darstellen. Später werden weitere Kollegen und Kolleginnen der Universität Siegen eingeladen, ihre Projekte und Positionen ebenfalls hier zu verorten und vorzustellen. So soll nicht zuletzt ein Diskurs darüber eröffnet werden, was das spezifisch Sozialpädagogische der Forschung an der Universität Siegen ist und was damit ihr Beitrag zu einer inter- und transdisziplinären Forschung sein kann.

 


Thomas Coelen

Gibt es eine sozialpädagogische Forschung?

Die Titelfrage kann man auffassen, als ob nach der schieren Existenz von empirischen Arbeiten in den Bezugswissenschaften zur Sozialen Arbeit gesucht würde. Dies aber wäre sehr schnell mit dem Verweis auf zahlreiche Veröffentlichungen geklärt (als Beispiele genannt seinen hier nur Rauschenbach/Thole (1998) und Otto/Oelerich/Micheel (2003).
Nein, die Frage ist anders gemeint: Ist eine Forschungsart möglich und ggf. sinnvoll, deren Methodik dezidiert (sozial-)pädagogisch ist? Also eine Methodik, mit der sich Entwicklungsprozesse nicht nur abbilden ließen, sondern die ebensolche Prozesse auch während der Forschung initiierte, also selbst u. a. bildend wirkte?
Im weiteren Kontext wird damit auch der methodologische Fragenkomplex aufgegriffen, ob die Erziehungswissenschaft eine eigene Art von Forschungsmethodik hat, haben kann oder sollte.
Das Konzept der „Handlungspausenforschung“ (Coelen 2002, Richter u. a. 2003) regt an, dass sich eine (sozial-)pädagogische Forschung als Teil einer demokratischen Öffentlichkeit verstehen sollte und insofern den Forschungsprozess selbst transparent zu gestalten habe. Vor diesem normativen Horizont werden 1. während der Datenerhebung die diskursiven Elemente von Interviews gestärkt, wird 2. während der Datenauswertung eine kommunikative Validierung gepflegt, und geschieht 3. die Verwendung der Interpretationen u. a. im Kontext derjenigen segmentierten Öffentlichkeit, aus der die Gespräche entnommen wurden.
Das Konzept geht auf intensive Debatten während der fünfjährigen Forschungspraxis im Projekt: „Kontakte und Konflikte in der Kommune“ an der Universität Hamburg zurück (1994-1999, Leitung: Helmut Richter). In verschiedenen Varianten wurden Teilaspekte des Grundgedankens bereits Mitte der 1990er Jahre auf Tagungen der Empirie-AG der Kommission Sozialpädagogik der DGfE vorgetragen. Seither wurde das Konzept in einer Reihe von Forschungs- und auch Evaluationsprojekten verfeinert. Die entsprechenden Veröffentlichungen sind jedoch in der Methodendebatte bisher wenig diskutiert wurden.
Das erhoffe ich mir von dem sich bildenden Forum.

 

Literatur:

  • Coelen, Thomas (2002): Kommunale Jugendbildung. Raumbezogene Identitätsbildung zwischen Schule und Jugendarbeit, Frankfurt a. M. u. a.: Lang.
  • Otto, Hans-Uwe/Oelerich, Gertrud/Micheel, Heinz-Günther (Hg.) (2003): Empirische Forschung und Soziale Arbeit. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. München/Basel: Reinhardt, S. 45-63.
  • Rauschenbach, Thomas/Thole, Werner (Hg.) (1998): Sozialpädagogische Forschung. Gegenstand und Funktionen, Bereiche und Methoden, Weinheim und München: Juventa.
  • Richter, Helmut/Coelen, Thomas/Peters, Lutz/Mohr, Elisabeth (2003): Handlungspausenforschung – Sozialforschung als Bildungsprozess. Aus der Not der Reflexivität eine Tugend machen, in: Oelerich/Otto/Micheel (Hg.): Empirische Forschung und Soziale Arbeit. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, München/Basel: Reinhardt, S. 45-63.

Klaus Wolf 

Was kennzeichnet "Sozialpädagogische Forschung"?

Das Feld ist weit, in dem Forschung zur Sozialpädagogik, Sozialen Arbeit  oder zu Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit stattfindet. Ist es nicht ein Vorteil, dass viele Disziplinen Phänomene in diesem weiten Feld untersuchen, ihre Wissensbestände, Begriffsapparate und Forschungsmethoden einbringen?  Ich meine: grundsätzlich ja.   Die große Vielfalt kann fruchtbar sein, um Phänomene und komplexe Prozesse aus vielen Perspektiven  zu betrachten und zu untersuchen.

Ist es nicht geradezu vorbildlich, wie interdisziplinär hier geforscht wird und Theorieentwicklung  betrieben wird? Da bin ich mir nicht mehr ganz so sicher. Inszenieren sich die Einzeldisziplinen doch häufig als Mastertheorien ohne sich um interdisziplinäre Anschlüsse zu kümmern. Die Theorieproduktion unterliegt damit den Konjunkturen der jeweiligen Hegemonien der Disziplinen. So wurde während meines ersten Studium  gelehrt, dass das edelste Ziel der Sozialpädagogik die Vermeidung von Stigmatisierung und die Auflösung totaler Institutionen sei. Später bekam das Systemische in der Sozialen Arbeit geradezu religiöse Züge usw. – interessante Zugänge, aber jeder ein neues, vielleicht das wahre  Zentrum?

Ich möchte als Merkmale für die Sozialpädagogische Forschung (nicht: der Forschung in der Sozialen Arbeit – die ist weiter gefasst) folgende Eckpunkte vorschlagen:

Sozialpädagogische Forschung soll

  1. sich als erziehungswissenschaftliche Disziplin verstehen und  das Aufwachsen und die Entwicklungs- und Lernprozesse  von Menschen (von den Neugeborenen bis zu den Sterbenden) untersuchen,
  2. diese Prozesse explizit in gesellschaftlichen Verhältnissen untersuchen, das heißt die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlicher Makroebene, der Mesoebene in den  Lebensfeldern und den individuellen Verarbeitungs- und Bewältigungsformen in den Blick nehmen,
  3. sie in einer historischen bzw. biografischen Perspektive betrachten, d. h. sowohl die Gesellschaft als auch den einzelnen Menschen als Gewordene(n) und Werdende(n),
  4. insbesondere das Aufwachsen und die Entwicklung unter schwierigen Bedingungen -  mit Einschränkungen, Benachteiligungen, Verletzungen - in den Blick nehmen, zumindest diese Bedingungen nicht ausblenden und dabei pathologisierende Zuschreibungen vermeiden.