Susanne Friede
Wer hat nicht schon einmal, vielleicht im Umfeld seiner Tolkien-Lektüren, gern mehr über das altenglische Epos Beowulf oder die altnordischen Lieder der Edda wissen wollen? Wer kennt die Göttliche Komödie von Dante oder das altfranzösische "Rolandslied" nur dem Namen nach und würde gern mehr darüber erfahren? Wen hat es schon immer einmal interessiert, eine Vorlesung über die deutsche Mystik und Wolframs von Eschenbach Parzival zu hören? All diese Dichtungen gehören zu den kanonischen Meisterwerken der europäischen Volkssprachen des Mittelalters, was sowohl die Zeitgenossen, als auch die jahrhundertelange Rezeption, die von einer anhaltenden Faszination dieser Texte zeugt, belegen. Die Vorlesung erhebt den Anspruch, eine repräsentative Auswahl solcher Meisterwerke vorzunehmen und in einer (fast) chronologischen Abfolge mit ihren jeweiligen Besonderheiten zu präsentieren. Ein Ziel der Vorlesung ist es, den Gedanken von Ernst Robert Curtius, die vielfachen Zusammenhänge der europäischen Literaturen untereinander sowie mit der lateinischen Dichtung greifbar zu machen, und somit auch die Verflochtenheit der frühen deutschen Dichtung mit jener der anderen europäischen Kulturen und Sprachen herauszustellen. Ein zweites Ziel ist es, Spezifika der mittelalterlichen Literatur (höfische Kultur und christliche Hermeneutik, Medialität und Performativität, Rhetorik und narrative Schemata, Immanenz und Transzendenz) in ihrer Andersheit, aber auch in ihren Bezügen zur neuzeitlichen und modernen Literatur vor Augen zu stellen. Drittens schließlich stehen viele dieser Dichtungen am Anfang europäischer Gattungsentwicklungen und können so dazu beitragen, ein imaginäres Grundgerüst der europäischen Literatur herzustellen.[GK]
Ort: AR-D-5104 (grüner Hörsaal), Adolf-Reichwein-Campus
Veranstalter: Universität Siegen, Fak I, Germanistisches Seminar