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Anatomie dreidimensional: Zielgerichtet vom Röntgenbild zum virtuellen Körper

 

Tomographische Bildgebungsverfahren, wie die Computer- und Kernspintomographie, sind heute fester Bestandteil des medizinischen Repertoires an Methoden für die Diagnostik und Interventionsplanung. Die bekannten Schichtbilder ermöglichen detaillierte Einblicke in den menschlichen Körper bei einer relativ geringen Belastung für den Patienten. Erfahrene Radiologen verfügen über die erstaunliche Fähigkeit, durch Blick auf die aufgenommenen Schichtbilder anatomischeStrukturen mental rekonstruieren und Pathologien sofort erkennen zu können. In vielen Fällen jedoch, beispielsweise bei der Planung eines komplizierten chirurgischen Eingriffs, sind Schichtbilder alleine nicht ausreichend. In den letzten Jahren sind daher ‚Volume Rendering‘ Verfahren interessant geworden, mit denen das aufgenommene Volumen aus den Schichten im Computer dreidimensional rekonstruiert wird. (Abb.1) Derartige Verfahren sind nicht nur für die Planung und Durchführung von Operationen wichtig. Sie helfen auch jungen Radiologen, das Lesen der Schichtbilder zu erlernen und bieten ideale Möglichkeiten zur Kommunikation, insbesondere zur Veranschaulichung einer Diagnose für den Patienten selbst.

In der Realität des klinischen Alltags werden Volume Rendering Verfahren allerdings nicht so häufig eingesetzt, wie es uns populäre Arzt-Fernsehserien glauben machen wollen. Die Bedienung komplexer Visualisierungssysteme ist nicht einfach und benötigt für einen individuellen Datensatz viel ‚Rumprobieren‘. Während der klinischen Routine bleibt oft nicht die Zeit, um notwendige Parameter zu justieren. Dr. Christof Rezk-Salama von der Fachgruppe ‚Computergraphik und Multimediasysteme‘ der Universität Siegen beschreibt die Problematik: „Viele der 3D Visualisierungsverfahren, die Sie heute in klinischen Anwendungen finden, sind nicht zielgerichtet genug. Es handelt sich im Grunde um eines der klassischen Probleme der Mensch-Maschine Interaktion: Der Mediziner hat eine bestimmte Absicht. Er möchte in der virtuellen Darstellung beispielsweise das Weichgewebe ausblenden, um darunter liegende Blutgefäße zu untersuchen. Die Benutzeroberfläche bietet ihm eine Reihe komplexer Bedienelemente zur Einstellung visueller Parameter. Sein Dilemma ist jedoch, dass ihm nicht intuitiv klar wird, welche Änderungen der Parameter er vornehmen muss, um sein Vorhaben umzusetzen. Es fehlen klare Semantiken, sprich eindeutige Bedeutungszuordnungen, zu dem Angebot an möglichen Aktionen. Welche Benutzerschnittstellen müssen wie bedient werden, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen?“

Gerade in der Medizinischen Visualisierung sind derartige Probleme schwierig zu lösen, da sowohl die Menge der sinnvollen Aktionen als auch die Semantik einer bestimmten Aktion abhängig von dem individuellen Datensatz und dem Untersuchungskontext ist. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Die Wahl der Aufnahmesequenz und der Strahlendosis, die Verwendung eines Kontrastmittels oder die Körperfülle des Patienten haben beispielsweise starken Einfluss auf das Visualisierungssystem. Bei vielen Datensätzen ist es gar nicht möglich, anatomische Strukturen voneinander zu trennen, da sie sich anhand des aufgenommenen Datenwerts kaum unterscheiden. In diesen Fällen werden in der Forschung höherdimensionale Klassifikationsverfahren angewendet, die aus dem Datensatz zusätzliche Informationen errechnen. Der Gradientenvektor beispielsweise, ist ein einfaches Maß für die lokale Veränderung der Datenwerte in der Umgebung eines Messpunktes und kann verwendet werden, um Teilbereiche anhand ihrer Homogenität zu klassifizieren. Solche Verfahren führen allerdings schnell zu sehr komplexen Benutzerschnittstellen, die selbst für Experten oft nur schwer zu verstehen sind. In der klinischen Praxis kommen sie daher so gut wie nie zum Einsatz.

Lernfähiges Visualisierungssystem

Um die Einsatzfähigkeit komplexer Visualisierungssysteme in Zukunft zu verbessern, entwickelte die Fachgruppe für Computergraphik und Multimediasysteme der Universität Siegen den Prototypen eines Visualisierungssystems, das es ermöglicht Semantiken für bestimmte Aktionen anhand von Beispielen automatisch zu erlernen.
Um ein semantisches Modell für eine bestimmte klinische Untersuchungsprozedur zu erstellen, muss der Visualisierungsprozess mehrfach an unterschiedlichen Datensätzen durchexerziert werden. Während dieser Trainingsphase arbeitet ein Visualisierungsexperte mit einem erfahrenen Mediziner zusammen. Sie erstellen gemeinsam aussagekräftige Bilder für eine repräsentative Menge relevanter Datensätze in einem vorgegebenen Untersuchungsszenario. Dabei können sie sich soviel Zeit nehmen, wie sie benötigen und spielerisch verschiedene Einstellungen ausprobieren. Während dieser Prozedur sammelt das Softwaresystem Informationen über die benötigten Aktionen und Parametereinstellungen. Ein statistischer Algorithmus ermittelt anschließend automatisch die relevanten Parameteränderungen, die für bestimmte Aktionen notwendig sind. Informationstechnisch betrachtet, ist dieser Vorgang gleichzusetzen mit einer möglichst verlustfreien Datenreduktion durch Ausnutzung von Korrelationen. Mathematisch gesehen entspricht dies wiederum der Suche nach der optimalen Projektion eines hochdimensionalen Parameterraums in einen niedrigdimensionalen Unterraum.

Als Beispielszenario wurde eine Anwendung für die Behandlungsplanung intrakranieller Aneurysmen mittels CT-Angiographie (CTA) erstellt. Unter einem intrakraniellen Aneurysma versteht man die blasenförmige Erweiterung einer Arterie im Gehirn, die das Risiko einer Hirnblutung birgt. Die CTA ist eine Computertomographiesequenz mit Kontrastmittel und wird in der klinischen Routine verwendet, um Blutgefäße dreidimensional aufzunehmen. Die Patientendaten für das Untersuchungsszenario wurden von Dr. Bernd Tomandl von der Abteilung für Neuroradiologie des Klinikums Bremen-Mitte bereitgestellt.

Abbildung 4 zeigt ein typisches Schichtbild eines CTA Datensatzes. Das dazugehörige 2D Histogramm (Abbildung 5) stellt die relative Häufigkeit des Auftretens eines bestimmten Datenwerts in Kombination mit einem bestimmten Gradientenbetrag farbcodiert dar. Die kleinen blauen Punkte am unteren Rand des Bildes sind die Peaks im Histogramm. Sie entsprechen den relativ homogenen Gewebetypen mit geringem Gradienten. An den Übergängen zwischen unterschiedlichen Gewebetypen steigt der Betrag des Gradienten zunächst an und fällt anschließend wieder ab. Dies ist im Histogramm an den parabelförmigen Bögen deutlich zu erkennen. Anhand dieser Eigenschaften lassen sich selektiv bestimmte anatomische Strukturen im Datensatz klassifizieren, um ihnen in der folgenden Visualisierung bestimmte Farbeigenschaften zuzuordnen (Abbildung 2). Abbildung 6 zeigt das semantische Modell in der Anwendung. Die dreidimensionale Darstellung erfolgt in Echtzeit. Der Benutzer kann visuelle Eigenschaften, beispielsweise die Transparenz des Weichgewebes, oder den Kontrast zwischen Knochen und Blutgefäßen direkt und zielgerichtet beeinflussen. Für die Feineinstellung zur Anpassung des vordefinierten Modells an unterschiedliche Datensätze muss lediglich ein einziger Parameter justiert werden (Abbildung 3).

Der am ‚Institut für Bildinformatik‘ entstandene Prototyp wird als wichtiger Baustein für die Entwicklung medizinischer Expertensysteme angesehen und hat auf internationalen Konferenzen großes Interesse gefunden. Für die Zukunft gilt es den Prototyp des Visualisierungssystems für unterschiedliche Anwendungsfälle im klinischen Alltag zu erproben. Hierzu werden zurzeit verstärkt klinische Partner aus unterschiedlichen Fachgebieten gesucht.


Gradient

Der ‚Gradient‘ ist ein Maß dafür, wie stark sich ein Messwert in der nahen
Umgebung seines Messpunktes ändert. Ein niedriger Gradient bedeutet, dass
sich die Werte in der Umgebung kaum ändern (= homogene Regionen), während
ein hoher Gradient auf einen steilen Anstieg oder Abfall hinweist.


Semantik

In der Linguistik bezieht sich der Begriff ‚Semantik‘ auf den Sinn, die Bedeutung eines Wortes. In der Informatik versteht man unter der Semantik einer Aktion (z.B. Drücken der Umschalt-Taste) die Wirkung, die diese Aktion auf das System hat (z.B. der Text wird groß geschrieben).

Verfasser: Dr. Christof Rezk-Salama


Ansprechpartner

Dr.-Ing. Christof Rezk-Salama
Universität Siegen
Institut für Bildinformatik/
Fachgruppe Computergraphik und Multimediasysteme
Hölderlinstr. 3
57076 Siegen
Telefon: +49 271 740 2826
Telefax: +49 271 740 3337
rezk@fb12.uni-siegen.de

Institut für Bildinformatik
http://www.ivg.informatik.uni-siegen.de

Fachgruppe Computergraphik und Multimediasysteme
http://www.cg.informatik.uni-siegen.de