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Ghetto- und Nischenprogramme für Parallelgesellschaften oder Integrationsfunktion?

Projekt untersucht alte und neue Leitmedien für Migranten in Deutschland

 

Nach dem 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus, erschienen zahlreiche italienische ‚Gastarbeiter‘ des westdeutschen Wirtschaftswunders nicht an ihren Arbeitsplätzen, sondern packten, zur Republikflucht der anderen Art entschlossen, ihre Koffer – nichts wie heim ins Mezzogiorno, solange es noch geht! Diese leidvolle Erfahrung mit unerwünschten Leitmedien gab den Ausschlag für die Einrichtung der Ausländerprogramme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Italiener waren der Desinformation aufgesessen, die Radio Prag von italienischen Kommunisten ausstrahlen ließ: Ein Krieg stehe bevor, die Grenzen der BRD und Westberlins würden daher bald geschlossen, eine Ausreise sei dann nicht mehr möglich.

Der Ostblock hatte schon seit Jahren arbeitsteilig in mehreren Sprachen für BRD-Gastarbeiter ein Formatradio der anderen Art ausgestrahlt; sentimental heimatschmachtende Musikfarbe begleitet von Hörergrüßen und Agitprop. Der kommunistische Funktionär Peppone hatte das Radio und konnte damit unmittelbarer zuschlagen als der katholische Funktionär Don Camillo, der nur über eine schwerfällige Wochenzeitung gebot, den Corriere d’Italia, den Missionare schon 1951 in Frankfurt gegründet hatten und der später verdeckt von der Bonner Regierung subventioniert wurde. Überhaupt war die Presse schon damals kein wirkliches Leitmedium für die Gastarbeiter. Trotz getarnter Staatsbeihilfen gelang es nicht, die zur ‚Betreuung‘ – und antikommunistischen Indoktrination im Kalten Krieg – der Gastarbeiter gegründeten Organe auf die Beine zu bringen. Blätter von Exilanten aus dem Ostblock fristeten, von deutschen und US-Stellen diskret unterstützt, erst Recht ein Schattendasein am Rande der Medienlandschaft.
Bis 1961 hatten sich die öffentlich-rechtlichen Monopolisten erfolgreich dem Ansinnen widersetzt, ihren Programmauftrag auch für die Gastarbeiter wahrzunehmen. Auch demokratietheoretische Argumente stießen auf taube Ohren. So bat die SPD in Erinnerung an Gastrecht im republikanischen Spanien, wo im Bürgerkrieg auch deutschsprachiger anti-Hitler-Funk ausgestrahlt worden war, vergeblich um ein demokratisches Gegengewicht zur Franco-Propaganda. Erst der Äthercoup des Ostens und massive Drohungen der Politik, andernfalls den seit 1960 als Bundesanstalten von der Adenauer-Regierung direkt kontrollierten Auslandssendern Deutsche Welle und Deutschlandfunk auch Inlandssendungen eben für die Gastarbeiter in deren Muttersprachen zu erlauben, bewirkten ein Umschwenken.
Freilich: Die ins Leben gerufenen Nischenprogramme gehörten zu den am billigsten produzierten überhaupt. Und: Je ein festangestellter deutscher Redakteur fungierte als Aufsicht über ein Team von auf Honorarbasis beschäftigten Ausländern. Bald fing auch Gegendruck von rechts an. Regierungen der mit Ausnahme Italiens allesamt mindestens zeitweise autoritär regierten Anwerbeländer protestierten wiederholt gegen missliebige Inhalte – die deutsche Wirtschaft, um Exportaufträge besorgt, stieß ins gleiche Horn. Zum Lob des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei gesagt, dass er dem Druck meistens widerstand – so setzte sich der WDR später über massive türkische Pressionen hinweg und begann mit kurdischen Sendungen.
Die Frage, wer die Medien für die Minderheiten leitet bzw. kontrolliert und zu welchem Zweck, hat in den vergangenen hundert Jahren nichts von ihrer Aktualität verloren. Schon um 1900 wurden die Zeitungen der polnischen Zuwanderer im Ruhrgebiet, etwa der ‚Naródowiec‘ [Landsmann] in Herne und der ‚Wiarus Polski‘ [Der polnische Getreue] in Bochum, von einer eigenen ‚Polenüberwachungsstelle‘, die zu diesem Zweck umfangreiche Übersetzungen anfertigte, akribisch auf ‚staatsfeindliche‘ Äußerungen hin ausgewertet, während die Polizei auch ohne Reichstrojaner allgegenwärtig die Polen bespitzelte. Heute macht die Bundesregierung schon mal bei türkischen Stellen in Ankara Druck, um die redaktionelle Linie der türkischen Medien zu beeinflussen, namentlich der Europa-Ausgabe der Zeitung Hürriyet [Freiheit]. Rechtlich zweifelhafte, aber hochwirksame – auch nach gewonnenem Prozess gegen Schily oder Schäuble sind die Titel in der Regel nicht mehr wiederzubeleben – administrative Verbote von unerwünschten (z. B. kurdischen oder islamistischen) Blättern, von der größeren Öffentlichkeit kaum beachtet, kommen hinzu.
In beiden Weltkriegen veröffentlichten deutsche Dienststellen Propagandamedien für Minderheiten im eigenen Machtbereich, Kriegsgefangene wie ‚Fremdarbeiter‘. Während der Charakter der Goebbels’schen Bemühungen wohl allgemein erkannt wird, werden die kaiserzeitlichen Medien (etwa eine türkische Zeitung für die Stärkung des Bündnisses mit dem Osmanischen Reich, das parallel den Völkermord an den Armeniern betrieb) in grotesker Verkennung der Verhältnisse heute z. T. als Anfänge einer autonomen Ethnomedienkultur in Deutschland gepriesen. Auch die deutschen Sender verlieren heute kein Wort mehr über ihren zähen Abwehrkampf gegen Minderheitenprogramme, sondern feiern sich vielmehr selbst als schon immer weitblickend-verständnisvolle Pioniere interkultureller Integration. Noch vor 25 Jahren war das anders, da wurde das ‚leidige Problem‘ nach Möglichkeit totgeschwiegen.
Die Erforschung der Kontrolle über die Ethnomedien ist alt – schon 1922 veröffentlichte der amerikanische Soziologe Robert Ezra Park ‚The immigrant press and its control‘. In Deutschland steckt die Erforschung noch in den Kinderschuhen. Das Forscherteam des Projekts ‚Mediale Integration ethnischer Minderheiten‘ unter der Leitung von Prof. Dr. Rainer Geißler (Siegen) und Prof. Dr. Horst Pöttker (Dortmund) im Forschungskolleg ‚Medienumbrüche‘ an der Universität Siegen befasst sich mit einigen Aspekten zwecks ‚Lückenschluss‘ unmittelbar, will aber vor allem einen Beitrag zur Systematisierung, Periodisierung und Theoriebildung leisten, im größeren – vor allem auf die Mehrheitsbevölkerung abzielenden! – Zusammenhang der Frage, was Medien zur Integration von ethnischen Minderheiten beitragen können. 

Leitmedien/ Umbrüche

Die nur in Viertelstunden rechnenden Fensterprogramme – bald auch in Spanisch, Griechisch, Türkisch; schließlich auch in Portugiesisch und Serbokroatisch, zu guter Letzt auch im Fernsehen – hatten bis in die 1980er Jahre hinein echten Leitmedienstatus für die Gastarbeiter. So wie sich die deutsche Fernsehnation vor Straßenfegern wie Durbridges ‚Halstuch‘ oder Thoelkes ‚Großem Preis‘ versammelte, erzielten die Gastarbeitersendungen bei den Zielgruppen phänomenale Einschaltquoten, waschkörbeweise lief Hörerpost ein. Dann folgten mehrere rasche Leitmedienwechsel: Zunächst kamen Konserven auf, nach Musik (Audiokassetten, Schallplatten) gab es einen Videoboom: In türkischen Haushalten war die Gerätedichte trotz hoher Preise und niedriger Einkommen schnell weit höher als in deutschen, was den großen Bedarf an muttersprachlichen Medien aufzeigte, dem die deutschen Anstalten und andere bürokratisierten Medien weiter kaum entsprechen wollten oder konnten.
Mit Kabel- und Satellitenfernsehen und dem Durchbruch der Online-Medien schlug dann vollends die Stunde der Wahrheit: Heute ist in Haushalten von Migranten, und besonders von Türken, das Fernsehen das Medium schlechthin. Kaum ein türkischer Haushalt kommt ohne Satellitenschüssel aus, die zahlreiche türkische Free-TV-Kanäle liefert. Online-Medien – das deutsch-türkische Internetportal ‚Vaybee‘ wird im Projekt von Mitarbeiterin Kristina Enders untersucht – sind zwar unter jüngeren Gebildeten auf dem Vormarsch, die meisten Migranten sind aber im ‚digital divide‘ noch auf der Seite der Habenichtse und offliner einzuordnen. 

Forschungslücken und Kontroversen um die Mediennutzung

Die Erforschung der Mediennutzung der Migranten begann ernsthaft 1966 mit einer Untersuchung der Reichweiten der damals vier WDR-Gastarbeiterprogramme. 1982 veranstaltete die ARD/ZDF-Medienkommission eine umfassend angelegte Studie (erhoben wurde die Nutzung ausländischer und deutscher Medien), für die 3.000 Personen der größten Gruppen (Türken, Italiener, Jugoslawen, Griechen, Spanier) repräsentativ befragt wurden. Seitdem hat es zahlreiche größere und kleinere Studien gegeben – neben wissenschaftlichem besteht hier auch erhebliches kommerzielles Interesse (Werbewirtschaft). Freilich fehlt es nach wie vor an Einschaltquoten, wie sie für Deutsche selbstverständlich sind: Die EU-Ausländer sind seit einigen Jahren im Fernsehpanel der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) enthalten, nicht jedoch Türken und andere nicht-EU-Ausländer. Insgesamt liegen belastbare, regelmäßige Daten nach Migrationshintergrund weiterhin nicht vor.
Zuletzt hat die ARD/ZDF-Medienkommission 2007, 25 Jahre nach der vergleichbaren Erststudie, wiederum eine Befragung von 3.000 Personen vorgestellt (diesmal mit sechs Gruppen; an die Stelle der Spanier sind als Folge des Aussiedlerzustroms russischsprachige und polnischsprachige Minderheiten getreten). Die Studie wurde am 5. Juni in opulentem Rahmen in Mainz präsentiert. Damit wollen ARD und ZDF ihre Sicht auf die Streitfrage(n) um ‚Medienghettos’ und auch im Mediensystem verortete ‚Parallelgesellschaften‘ durchsetzen.
Dr. Sonja Weber-Menges untersucht im Siegener Projekt im Rahmen ihrer Habilitationsschrift die Mediennutzung der Migranten. Dabei ist die Verzahnung von empirischem Messen und theoretisch begründetem Erklären entscheidend. Der Bedarf an neutraler Forschung ist trotz der mit großem Aufwand betriebenen Studien der Sender und Marketingfirmen evident – denn auch die Präsentation in Mainz zeigte wieder klar den Vorrang von Eigennutz und resultierender strategischer Kommunikation vor Erkenntnisinteresse: Die empirisch zweifellos zuverlässigen Ergebnisse erhielten durch Fragestellung und Aufbereitung einen systematischen spin. 

Integration durch Medien oder Medienghettos für Parallelgesellschaften?

So wurde in Mainz, anstatt das eigene silberne Jubiläum zu feiern, wieder und wieder betont, man habe nun erstmals die Mediennutzung der Migranten erforscht. Die umfangreiche – nicht zuletzt eigene – Forschung wurde so bewusst ausgeblendet. Kein Wunder: Denn die Ergebnisse waren auch 1982 propagandistisch dermaßen aufgehübscht, dass man sie heute lieber ignoriert. Unter der Überschrift ‚Hardly different from the Germans themselves‘ war die Forschung damals europaweit lanciert und praktisch der Vollzug medialer Integration gefeiert worden. Tatsächlich war das Problem damals wie heute dasselbe: Wo Alternativen fehlen oder Zugangshürden (technisch, finanziell) zu hoch sind, bleibt den Migranten nur die Abstimmung mit dem Ausschaltknopf. Aus der Reaktion Zwangskonsum/Konsumverzicht auf das Angebot „Friss oder stirb!“ aber auf fehlenden Bedarf zu schließen, scheint grotesk – 1982 wie 2007.
So existiert, da Frequenzen verweigert werden, nur in Berlin bisher ein durchgängig muttersprachliches Ukw-Programm für Migranten, das türkischsprachige ‚Radyo Metropol‘. Mit phänomenalem Zuspruch – ‚Hörer gestern’ von 70% und mehr unter Berliner Türken – zeigt es den Bedarf auf; das hochgelobte ‚Radio Multikulti‘ des RBB, etwa dem ‚Funkhaus Europa‘ des WDR zu vergleichen, ist seit dem Sendestart von Metropol bei den Türken ganz an den Rand der Skala gerückt. Anderswo haben sich die Türken vom Radio vielfach ganz verabschiedet: In 39% der türkischen Haushalte in Deutschland gibt es laut Studie gar kein Radio (mehr), nicht einmal ein Autoradio oder einen Radiowecker. Die Tagesreichweite des Hörfunks liegt bei Türken bei gerade einmal 22%, die durchschnittliche Hördauer beträgt 42 Minuten. Die Mainzer Studie verschleiert den Erfolg von Radyo Metropol nach Kräften, indem sie nur einen Wert für alle sechs Berlin(-Brandenburg)er Migrantengruppen präsentiert, also die extrem hohen Werte der Berliner Türken mit den aus mangelndem Angebot resultierenden Daten nahe am absoluten Nullpunkt – wer mag schon am Weltempfänger dem knarzenden Heimatrauschen lauschen oder nach Internet-Radio surfen, gar noch im Auto? – der anderen Gruppen zu einem systematisch verfälschenden Nonsens-Durchschnitt verrechnet. Man bekommt also Daten für Migranten in Berlin-Brandenburg oder Türken in Deutschland, aber nicht für Türken in Berlin – weil die Daten dort massiven Hörfunkbedarf jenseits von Multikulti-Radio à la Funkhaus Europa deutlich machen.
Überhaupt zeigt die Studie, wenn auch eher unfreiwillig, die Notwendigkeit auf, die Türken als klar am schlechtesten integrierte Gruppe stets separat zu erfassen. Die zweite Botschaft aus Mainz – es gebe keine ausgeprägten Parallelgesellschaften – ist für die Wissenschaft ein Ansporn, genauer hinzusehen. ‚Parallelgesellschaft‘ als binäre Logik (ja/nein) signalisierendes Schlagwort sollte durch eine skalierbare Herangehensweise (mehr/weniger) ersetzt werden. Wenn man die Hürde für ‚Parallelgesellschaften‘ hoch genug legt, wird es sie nie geben; solch falsche Entwarnungen sollte die Wissenschaft ebenso verweigern wie Dramatisierungen.
Im Fernsehen – quantitativ mit Tagesreichweite von 83% und 211 Minuten Sehdauer das Leitmedium der Türken – zeigt sich eine starke Nutzung sowohl deutscher als auch türkischer Programme. Freilich präsentiert die Studie nur ‚Stammnutzerdaten‘, die nicht ohne weiteres auch Einschaltquoten bedeuten. Nach Daten von Marketingunternehmen, die natürlich eigene Interessen verfolgen, ist die kumulierte Einschaltquote der türkischen Sender denen der deutschen 5:1 überlegen. Sei’s drum – auch die Mainzer Studie reicht hier nicht zur Entwarnung aus. Das zeigt schon die Rangfolge der deutschen Sender: Die privaten Sender, allen voran ProSieben, dominieren, selbst Zweitligisten wie Vox, RTL2 und SuperRTL landen vor ZDF und ARD. Der Kinderkanal (und hier besonders die Kindernachrichtensendung ‚logo‘) erzielt beachtliche Werte – wohlgemerkt, bei Türken ab 14 Jahren! Um mit ‚logo‘ noch mehr türkische Zuhörer zu erreichen, wird die Sendung seit einer Vereinbarung des ZDF mit der Doğan-Gruppe auch vom in Deutschland meistgenutzten türkischen Sender ‚Kanal D‘ ausgestrahlt – in deutscher Sprache.
Jedenfalls zeigt die Vorliebe für Sender und Sendungen, dass der Konsum deutscher TV-Produkte nicht ohne weiteres als Beweis für Integration gesehen werden kann. Deutsch synchronisierte Hollywoodware, wie sie für ProSieben typisch ist, und andere ausländische fiktionale Programme tragen zur Integration wohl nur begrenzt bei. Damit stellt sich die Frage, was denn in einem anderen als einem rein quantitativen Sinne (Nutzungsdauer, Einschaltquoten/Auflagen) die Leitmedien der Türken und überhaupt der Migranten sind. Wo erfahren Türken oder Aussiedler etwas über ihre neue deutsche Heimat, wo werden politische Themen behandelt, die sie speziell betreffen? Die deutschen TV-Sender leisten das meist ebenso wenig wie die heimatsprachigen, die ja in der Regel nicht für die Auswanderer gemacht sind. 

Politische Leitfunktion der Zeitung

Hier erweisen sich, allen Medienumbrüchen zum trotz, die ältesten Massenmedien als werthaltig und durchaus als Leitmedien im Sinne von Meinungsführermedien: die Zeitungen. Die türkischen Tageszeitungen begannen um 1970, auf den deutschen Markt vorzudringen und eigene Deutschland-Redaktionen aufzubauen. Heute ist die eher laizistisch orientierte ‚Hürriyet‘ (die zur Doğan-Gruppe gehört) Marktführer vor der strenger islamischen ‚Zaman‘ [Zeit]; beide verkaufen in Deutschland 40.000 bzw. 25.000 Exemplare, davon jeweils nicht einmal 1.000 im Abonnement, den Rest im Einzelverkauf. Im Gegensatz zu den Sendern befassen sich diese Blätter intensiv und häufig polemisch mit der Situation der Türken in Deutschland. Somit eignet sich die Hürriyet auch trefflich, freilich auf eher fatale Weise, um als Sprachrohr der Türkei in den deutschen Medien zitiert zu werden. Diese Rückkopplung wird im Projekt von Mitarbeiter Harald Bader untersucht.
Der Autor des vorliegenden Beitrags unternimmt derzeit einen typologischen Vergleich der Inhalte der Hürriyet und der 2007 neu gegründeten russischsprachigen Tageszeitung ‚Rejnskaja gazeta‘ [Rheinische Zeitung], die zum Essener WAZ-Konzern gehört. Derzeit gibt es russische Tageszeitungen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion sonst nur in New York und Tel Aviv. Der Vergleich dieser wichtigen Presseerzeugnisse der beiden größten Sprachminderheiten in Deutschland (türkisch- und russischsprachig je ca. 2,5 Millionen) zeigt gravierende Unterschiede, die sich vielleicht am besten am Fußball aufzeigen lassen. In der Rejnskaja dominiert die Bundesliga, russischer und ukrainischer Fußball erfahren eine gewisse Beachtung (je Spieltag der 1. Ligen je eine halbe Seite). In der Hürriyet gibt es nur türkischen Fußball – Mannschaft oder Spieler: Wenn ein Altintop oder ein Özil ein Tor schießt, ist auch die Bundesliga relevant, alle anderen Tore interessieren dagegen nicht.
Vielleicht sind die Rejnskaja gazeta und Radyo Metropol ermutigende Zeichen, da sie echte Minderheitenmedien sind, wie es sie in Deutschland bisher kaum gegeben hat: von Angehörigen der Minderheiten für die Minderheiten gemacht, nicht weitgehend aus dem Ausland (Hürriyet, Kanal D) und auch nicht von deutschen halbstaatlichen Stellen (Funkhaus Europa, Radio Multikulti) gesteuert, und sei es auch noch so wohlmeinend. Allerdings gehören beide Medien deutschen Zeitungskonzernen, nicht Migranten. Wirklich autonome Mediengründungen – nicht Medien für Migranten, sondern Medien der Migranten – sind trotz vieler Vorschusslorbeeren meist schnell gescheitert, so das deutsch-türkische Hochglanzmagazin ‚etap‘ [Etappe]. Derzeit versucht eine multikulturelle Redaktion von Frauen, mit der ‚Gazelle‘ eine deutschsprachige Frauenzeitschrift zu etablieren, die den Blickwinkel von Migrantinnen einbezieht. Die Forschung muss die Entwicklung weiter begleiten und darf dabei nicht nur die Oberfläche betrachten.

Verfasser: Dr. Daniel Müller


Texte und Bilder sind, mit Ausnahme der historischen Fotos, frei zum Wiederabdruck

Ansprechpartner

Dr. Daniel Müller
Universität Siegen
Forschungskolleg SFB/FK 615 'Medienumbrüche'
Teilprojekt A2: Mediale Integration ethnischer Minderheiten
Am Eichenhang 50
57076 Siegen
Telefon: +49 271 740 4953
Telefax: +49 271 740 4924
daniel.mueller@uni-siegen.de

Forschungskolleg 'Medienumbrüche'
www.fk615.uni-siegen.de