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Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit

Ein Rückblick auf eine Siegener Kontroverse von Prof. Dr. Erhard Schüttpelz in Forum Siegen

„Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit. Im Rückblick auf eine Siegener Kontroverse lautete das Thema von Prof. Dr. Erhard Schüttpelz, Professor für Medientheorie an der Universität Siegen, bei Forum Siegen. Hintergrund des Vortrags war die Einladung der Politiker Thilo Sarrazin und Marc Jongen an die Universität Siegen im Rahmen des Proseminars „Denken und Denken lassen. Zur Theorie und Praxis der Meinungsfreiheit“. Anbei das vorläufige Fazit des Referenten sowie sein Rückblick auf die Siegener Kontroverse.

„(1.)Die Siegener Kontroverse war alles in allem eine Skandalisierung ohne Skandal. Wenn man die Einheit und den Unterschied von Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit berücksichtigt, dann ist alles korrekt abgelaufen, und zwar bei größtmöglicher Toleranz gegenüber einem Professor, der die Grenzen seiner Meinungsfreiheit als "Narrenfreiheit" (das ist, wie gesagt, nicht meine Formulierung, sondern die der Siegener Zeitung) austesten wollte. Der einzige Skandal, der nach dem ganzen öffentlichen Lärm übrigbleibt, war der Wille zur Skandalisierung, der dem Geschehen vorauseilte, bevor überhaupt etwas geschehen war, und dann auf Gerüchtebasis einfach weiterlief. Denn alles in allem hat in Siegen niemand etwas getan, was an einer Universität nicht geschehen sollte, und die Bewältigung der Kontroverse durch die Universitätsleitung, die Statusgruppen und die Universitätsgremien war improvisiert, aber dennoch vorbildlich. Wenn Siegen jetzt in einer Reihe mit anderen Städten und Universitäten als Beispiel für die Gefährdung der Meinungsfreiheit oder Wissenschaftsfreiheit aufgelistet wird, geschieht das ohne sachlichen Grund, auf Gerüchtebasis. Das kann frustrierend sein, fällt aber in historischer Betrachtung auf die Urheber und Nutznießer dieses Gerüchts zurück.

(2.) Wir haben damals versäumt, über den Unterschied von Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit zu sprechen. Damit haben wir den Gegenstand unserer Debatte verfehlt, und wir haben es versäumt, aus der Kontroverse eine wissenschaftliche Kontroverse zu machen. Wissenschaftsfreiheit beruht auf der Meinungsfreiheit von Wissenschaftlern, aber geht über die Meinungsfreiheit noch hinaus. Sie ist ein individuelles und kollektives Abwehrrecht von Wissenschaftler*innen. Das individuelle Abwehrrecht von Herrn Schönecker wurde nicht bestritten; denn niemand hat ihm das Recht abgestritten, die Einladungen in sein Proseminar auszusprechen. Allerdings haben seine Veranstaltungen durch die Öffnung für eine universitätsexterne Öffentlichkeit auch das kollektive Abwehrrecht anderer Wissenschaftler berührt, die zu Recht eine wissenschaftsfremde Intervention bemängelten und in diesem Sinne die Wissenschaftsfreiheit verteidigen mussten. In diesem Sinne hat auch die Gesellschaft für Philosophie argumentiert und Herrn Schönecker auch nach einem ausführlichen Workshop über das philosophische Thema und den realexistierenden Verlauf seines Seminars ihre Unterstützung verweigert. Die von Anfang an bestehende Skepsis gegenüber Dieter Schöneckers Seminar-Regie hat daher in jedem Punkt recht behalten.

(3.) Aber wir hätten weiter gehen sollen, und wir können auch jetzt weiter gehen. Wir sollten geltend machen, dass wir unsere Wissenschaftsfreiheit vor allen Bestrebungen schützen müssen, die unsere Wissenschaftsfreiheit untergraben wollen; wir sollten geltend machen, dass es kein Recht des Staates, der politischen Parteien und unserer eigenen Interessenverbände gibt, dieses Recht zu unterminieren; und wir sollten geltend machen, dass Wissenschaft auch deshalb demokratisch verfasst ist, damit Wissenschaftler Wissenschaftler von Nicht-Wissenschaftlern unterscheiden können, und nicht umgekehrt, und damit sie nicht gezwungen werden können, alle jene Veranstaltungen an einer Universität abhalten zu müssen, die es außerhalb der Universität ohnehin schon gibt. Und in dieser Hinsicht hat der Deutsche Hochschulverband versagt, die Hochschulrektorenkonferenz hingegen Klarheit gezeigt, und die Deutsche Gesellschaft für Philosophie auch. Abschließend möchte ich auf das meiner Meinung nach wichtigste Ergebnis der Siegener Kontroverse eingehen:

(4.) Die Zivilisiertheit einer Universität beruht auf dem freundschaftlichen Umgang mit und von Fremden. Wenn man diese Basis verlässt, zerstört man die Universität. Der Grund wird allerdings in der Öffentlichkeit nicht immer verstanden und insbesondere von Anhängern einer amerikanischen "Free Speech"-Auffassung falsch diagnostiziert. Bekanntlich haben Rechtspopulisten das Wort der "Schneeflocke" erfunden, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass die ihrer Meinung nach Linksliberalen ihrer Meinung nach "nichts aushalten" und wie Schneeflocken in der Wärme zerfließen, sobald man sie allzu hart anfasst. Daher muss man diese Schwächlinge und Sensibelchen durch Beleidigungen und Zumutungen aus ihrem Schneeflocken-Dasein erlösen, oder ihnen klarmachen, dass sie sich an die Härten des Umgangs - und des Daseins - gewöhnen müssen. Wie abstrus die Folgen dieser Konzeption sind, kann man sich dadurch ausmalen, wenn man sich vorstellt, dass Leute, die aufgrund ihrer Herkunft niemals diskriminiert worden sind, andere Leute, die herabsetzende Titulierungen seit ihrer Kindheit kennengelernt haben, im ersten und vielleicht auch einzigen sozialen und sprachlichen Schutzraum, den sie kennenlernen werden, mit eben jenen Titulierungen traktieren wollen, denen sie gerade erst entkommen sind. Was soll bei diesem Sprachspiel anderes herauskommen als eine schlecht begründete öffentliche Schikanierung? Aber die ganze Vorstellung, die Universität bestehe aus Schneeflocken und Sensibelchen, die es aufzurütteln gelte, ist absurd. Die Pazifizierung der Universität ist nicht deshalb vonnöten, weil die Universität aus Schneeflocken, sondern weil sie aus Drachenzähnen besteht. Die Grundlage der Zivilisiertheit einer Universität liegt nicht im Schutz vor Mächten, die von außen kommen, sondern im Schutz vor den Kräften, die sie im Inneren zerreißen würden und die in ihrer Entfesselung stärker sind als die umgebende Welt, ja als die Welt selbst. Das hat mir auf drastische Weise einmal ein Bibliothekar an der Columbia University in New York nahegebracht, der aus der russischen Nomenklatura kam und den ich vor einem Vierteljahrhundert fast jeden Tag in der Bibliothek traf. Einmal sprachen wir davon, dass das Atombombenprogramm der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg, das "Manhattan Project" in eben jener Bibliothek, in der wir uns befanden, und zwar in ihren Kellergewölben, in den "Stacks" seinen Anfang genommen hatte, und ob man diese Räume identifizieren könnte. Daraufhin sagte er zu mir: "You know... Die Bombe ist noch da... oder glaubst Du, dass eine solche Bibliothek weniger gefährlich ist als die Bombe?" Alle militanten Ideen der Moderne sind in Universitäten vorhanden oder gingen, historisch gesehen, von ihr aus.

Die Führungsriege jeder Guerillabewegung dieser Welt besteht aus Universitätsabsolventen. Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss hat einmal die guten Manieren in unserer Gesellschaft mit den guten Manieren in Indianerkulturen verglichen. Er schrieb: "Wenn man heute ... Eltern fragte, warum sie ihren Kindern verbieten, Wein zu trinken, würden wohl alle in gleicher Weise antworten: der Wein ist ein zu starkes Getränk; und man darf ihn nicht ohne Gefahren schwachen Organismen verabreichen, die nur Nahrungsmittel vertragen, deren Zartheit der ihren entspricht. Doch nichts ist jüngeren Datums als diese Erklärung, denn vom Altertum bis zur Renaissance und selbst darüber hinaus verbot man den Kindern den Wein aus genau den entgegengesetzten Gründen: indem man sich nicht auf die Verletzbarkeit eines jungen Organismus durch eine äußere Aggression berief, sondern auf die Heftigkeit, mit der die Lebenserscheinungen sich darin kundtun: daher die Gefahr, explosive Kräfte miteinander zu verbinden, die beide eher ein mäßigendes Mittel erfordern. Statt also den Wein für zu stark für das Kind zu erklären, erklärte man das Kind für zu stark für den Wein, oder zumindest für ebenso stark wie er." - und damit in seiner Stärke für multiplizierbar...

Wie Claude Lévi-Strauss ausführt, gilt für die indianischen Gesellschaften, dass sie nicht von Sartres bekanntem Diktum ausgehen: „Die Hölle, das sind die anderen", sondern von der entgegengesetzten Prämisse: „Die Hölle, das sind wir selbst." Kinder und Jugendliche, aber auch die Erwachsenen als ehemalige Kinder müssen dazu gebracht werden, sich gut zu benehmen, damit ihre übermächtigen Kräfte nicht mit denen der Außenwelt fusionieren und den gesamten Kosmos in Schutt und Asche legen, während ihr Körper darauf wie in einem Zeitraffer beschleunigt reagiert und schneller altert als andere. Ich denke, diese entgegengesetzte Perspektive gilt für unsere Erziehungsanstalten weiterhin und erst recht für die Universität. Man kann sich vorstellen, sie müsse vor Kräften der Außenwelt beschützt werden, aber das ist nur ein Fassadenargument. Wir können nur die Außenwelt und die Heranwachsenden davor beschützen, Kräfte der Verwüstung freizusetzen und mit denen der Außenwelt zu multiplizieren, deren Kombination wir beim besten Willen nicht mehrkontrollieren könnten. Die freundschaftlichen Umgangsformen an einer Universität beruhen auf dieser Prämisse.

Der größte Schock, den ich im Laufe der Siegener Kontroverse erlebte, geschah am 6.12. letzten Jahres, also an Nikolaus vor einem Jahr. Wir besuchten Dieter Schöneckers Seminar, das an diesem Tag der Rechtfertigung und Diskussion seiner eigenen Seminarkonzeption gewidmet war, und stellten im Laufe der Sitzung fest, dass der Sinn der Veranstaltung von Seiten des Seminarleiters darin bestand, von ihm als „Feinde der Freiheit" bezeichnet zu werden. Die anderen Teilnehmer waren in dieses Manöver allem Anschein nach bereits eingeweiht, als wir den Vorlesungssaal betraten. Es handelte sich daher allem Anschein nach um ein „fait accompli" und um eine sorgfältig herbeigeführte Finte. Ich fiel aus allen Wolken, und erst durch diesen Fall merkte ich, dass ich allen Ernstes damit gerechnet hatte, niemals - oder zumindest nicht in einer wissenschaftlichen Diskussion - an einer Universität als „Feind" von Grundwerten, und vor allem nicht als Feind von Grundwerten der Universität angesprochen zu werden. Ich musste mein Weltbild noch einmal ganz neu sortieren, und offensichtlich bereitete es auch Dieter Schönecker eine gewisse Überwindung, Leute in der Universität als „Feinde" anzureden, zumindest wich er dieser Frage ungefähr eine Stunde lang aus und dozierte erst einmal über die Existenz dieser Feinde und die Notwendigkeit ihrer Identifizierung. Erst am Ende der Sitzung wurde er direkt und bezeichnete uns ganz offen als „Feinde der Freiheit", und das auch noch unter Berufung auf Karl Popper, dessen Position er zu Unrecht bemühte, wie sich beim Nachlesen unschwer feststellen ließ. Diese Feindschaftserklärung blieb einseitig, und dabei ist es auch geblieben. „Feindschaft", das gehört sich in der Wissenschaft und in der Universität eben nicht, denn sobald man dort jemanden zum Feind erklärt, statt zum Gegner oder zum Gegenspieler oder zum Dialogpartner, hat man an Wissenschaftlichkeit schon verloren. Oder man müsste erst einmal nachweisen, dass der wissenschaftliche Feind auch tatsächlich ein „Feind der Wissenschaft" ist, und das ist für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung erst einmal eine ungünstige Prämisse. Denn wenn man so unhöflich mit seinem Gesprächspartner oder seinem Gegner umgehen wollte, müsste man ja damit rechnen, selbst als Feind behandelt zu werden, und das heißt, mit Lug und Trug, mit Heimtücke und Täuschungsmanövern. Bekanntlich ist das erste Opfer des Krieges die Wahrheit, und das erste Opfer der Feindschaft auch. Wie soll dabei wieder etwas wissenschaftlich Tragfähiges entstehen? Egal wie ich diesen Ausdruck verstehen wollte oder an Beispielen überprüfte: Mir schien es immer klarer zu werden, dass Wissenschaft und Feindschaft einander ausschließen, dass die Wissenschaft dort aussetzt, wo die Feindschaft einsetzt. Ich kann hier nicht die gesammelte Wissenschaftsgeschichte aufrufen, die vonnöten wäre, um diese Inkompatibilität zu demonstrieren, daher gebe ich nur zwei Beispiele von den Rändern der Philosophiegeschichte: Erstes Beispiel. Als Newton sich mit Leibniz in einen Streit über die Priorität der Infinitesimalrechnung verwickelte, behandelte er Leibniz mehr und mehr als seinen Feind, und in gleichem Maße ging auch sein Wahrheitsanspruch in dieser Angelegenheit zu Bruch, bis zu Fälschungen von Chronologien und zur Herstellung von Plagiaten. Ich denke einmal, das geschieht in jedem Prioritätsstreit dieser Art. Persönliche Feindschaften führen vielleicht am Anfang dazu, dass man sich in wissenschaftlicher Konkurrenz bewähren will, aber dann führen sie in wissenschaftsferne und für die Wahrheit und die Forschung zerstörerische Konsequenzen. Zweites Beispiel. Analytische Philosophie und kontinentale Philosophie lagen mehrere Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg mit einander in einem Kalten Krieg, der zwischendurch so weit ging, dass die jeweiligen Vertreter so gut wie nichts von den Korpora der Gegenseite gelesen hatten, so dass sie beim geringsten Berührungsversuch umstandslos zur Polemik übergingen, die aber nicht sehr weit reichte, weil sie ja nicht weiterlesen wollten und keine gemeinsame Textgrundlage hatten. Erst als die Analytische Philosophie dazu überging, die kontinentalen Korpora analytisch zu lesen, entspannte sich die Lage, aber leider nur einseitig. Das Resultat bestand darin, dass die Analytische Philosophie mithilfe der kontinentalen Korpora zur weltweit beherrschenden Schulphilosophie aufstieg, und zwar deshalb, weil sie es schaffte, den Zustand der Feindschaft durch einen wissenschaftlichen Anspruch und wissenschaftliche Methodik zu überwinden, während ein großer Teil der kontinentalen Philosophie zu diesem Schritt nicht mehr fähig war. Ich müsste die Beispiele vermehren, aber mir ging es nur um diese elementare Anschaulichkeit: Wissenschaft und Feindschaft schließen einander aus; wo die Feindschaft überhand nimmt, setzt die Wissenschaft aus und wird zur unwissenschaftlichen Animosität; und wo Wissenschaft die Regie übernimmt, setzt auch die Feindschaft wieder aus, und wird wieder zur Wissenschaft. Diese Inkompatibilität gibt mir Mut, einen solchen Vorgang auch für unsere Kontroverse zu postulieren, sobald wir es schaffen, die Kontroverse als wissenschaftliche Kontroverse auszutragen, und zwar über genau dieses Thema: Wissenschaftsfreiheit ohne Feindschaft. Die Wissenschaft verlangt von uns, dass wir in jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf die typischen Mittel der Feindschaft, auf Gewalt, Betrug, Lüge, Heuchelei, verzichten und unsere Gegner niemals als „Feinde der Wissenschaft", „Feinde der Freiheit" oder „Feinde der Wissenschaftsfreiheit" behandeln. Wer in der Wissenschaft zur Feindschaft übergeht, kann von sich selbst für den Fall eines solchen Übergangs keine Wissenschaftlichkeit mehr erwarten. Die Hölle, das sind nicht die anderen, das sind wir selbst. Das heißt nicht, dass Feindschaft an Universitäten nicht vorkommt - das wäre ein wenig unrealistisch, denn sie ist dort genauso verbreitet wie in anderen Betrieben -, es heißt nur, dass eine solche Verhaltensweise die entsprechenden Sozialbeziehungen aus der Wissenschaft hinauskatapultiert, und wenn sie nicht mehr punktuell bleibt, sondern sich gegen ganze Personengruppen, Fächer oder Institutionen richtet, die Axt an die Universität selbst legt. Die Universität ist als Ort der Wissenschaftsfreiheit seit ihrer Gründung im Mittelalter auf das freundschaftliche Zusammenleben von Fremden angewiesen, und kann weder in der Wissenschaftskommunikation noch im Zusammenleben der Wissenschaftler offene Feindschaft zulassen. Die einzige Feindschaft, die eine Universität pflegen und kultivieren kann, richtet sich gegen Gruppen und Organisationen, die das freundschaftliche Zusammenleben und Debattieren von Fremden in Frage stellen oder beschränken wollen. Denn hier greifen die von Popper und in unserer Verfassung vorgesehenen Abwehrrechte, und wir sollten sie uns nicht nehmen lassen.

Ich komme zum Ende. Wie ich versucht habe zu zeigen, können wir Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit gut mit einander vereinbaren, und wir können sie in ihren individuellen und kollektiven Abwehrrechten gut begründet handhaben, auch wo sie einander punktuell widersprechen. Für diese Begründungen brauchen wir uns nicht auf individuelle Moralvorstellungen zu beziehen, sondern besitzen eine gemeinsame Grundlage in den Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit und den demokratischen Prinzipien der Wissenschaft selbst. Das wissenschaftliche Arbeiten, Forschen und Lehren verlangt einen zivilisierten Umgang, ohne den diese Grundlage brüchig wird, wie dies auf deutschem Boden bis zur Selbstzerstörung der Wissenschaftsfreiheit und dieses Landes geschehen ist, und zwar bekanntlich durch dieselben Leute.

Und damit komme ich zum Schluss doch noch einmal auf die Worte unseres Bundespräsidenten bei der Eröffnung der Hochschulrektorenkonferenz zurück, und zwar durch die Frage, wie die Wissenschaftsfreiheit einer Universität und die Zivilisiertheit der Umgangsformen an einer Universität zusammenhängen. Frank-Walter Steinmeier sagte aus diesem Anlass nämlich folgendes: „Forschung und Lehre müssen frei sein! Diese unersetzliche Freiheit zu achten und nicht zu missbrauchen, ist Aufgabe aller an der Universität – und sie zu garantieren, ist die Pflicht der universitären wie der staatlichen Verantwortungsträger. Die Freiheit von Forschung und Lehre findet in unserem Grundgesetz ihre Grenzen erst da – und nur da, - wo geschützte Grundrechte Dritter oder wichtige Schutzgüter mit Verfassungsrang verletzt sind. Nur in solcher akademischer Freiheit nämlich wird die Suche nach Wahrheit möglich. Einer Wahrheit, die keiner für sich allein hat, sondern die unserem gemeinsamen Forschen, Ringen und Streiten immer voraus liegt. ˂….. ˃

Die Meinungsfreiheit wird nicht dadurch eingeschränkt, dass wir bestimmte, historisch gewachsene und heilsame Tabus im Umgang miteinander gelten lassen, ja schützen. Die Meinungsfreiheit wird nicht bedroht durch den ganz normalen menschlichen Anstand. Die Meinungsfreiheit ist nicht bedroht, wenn wir beim öffentlichen Reden – und auch jedes Posting im Netz ist öffentliches Reden – darauf achtgeben, niemanden willentlich zu verletzen. Die Meinungsfreiheit ist nicht bedroht, wenn wir auf besonders verwundbare Menschen besonders Rücksicht nehmen. Das tun wir ja in der Familie, im Freundeskreis, unter Kollegen auch, und mit großer Selbstverständlichkeit. Das ist kein sprachpolizeilicher Tugendterror, sondern Ausdruck von Respekt und Höflichkeit, wie wir sie für uns selber wünschen und wie sie uns der oft berufene gesunde Menschenverstand nahelegt. Ein respektvoller Umgangston schließt Dissens in der Sache natürlich keineswegs aus. Was wir wieder neu brauchen, ist Streitkultur. Streitkultur billigt anderen zunächst lautere Absichten zu. Streitkultur erspart anderen keinen Widerspruch, aber sich selbst auch keine Selbstkritik." Ich denke, besser kann man es nicht sagen, und besser kann ich es auch nicht sagen. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, ich danke dem Bundespräsidenten für seine Klarstellung in schwierigen Zeiten, und ich freue mich auf die Diskussion.

Prof. Schönecker verwies in der kurzen, für eine Stellungnahme zur Verfügung stehenden Zeit darauf, dass in der Kontroverse die Umgangsformen unter den Kollegen hätten zu wünschen übrig gelassen. Der Rektor sei aufgefordert worden, besagtte Veranstaltung zu unterbinden.