Im „Abseits“ der Gesellschaft?
Viele Migrant*innen aus der Türkei gründen eigene Fußballvereine in Deutschland. Welche Motive haben sie? Der Wissenschaftler Dr. Stefan Metzger hat drei Vereine ein Jahr lang begleitet.
Im Berliner Amateurfußball
stehen Woche für Woche tausende junge Menschen auf dem Platz.
Auch Türkiyemspor Berlin, der 1. FC Galatasaray Spandau oder
Steglitzer Genҫler Birliği spielen mit. In Berlin allein gibt
es etwa 25 Amateur-Vereine mit türkischem Namen – obwohl es
bereits eine große Zahl von etablierten Fußball-Klubs in allen
Amateur-Ligen gibt. Warum ist das so? Mit dieser Frage hat sich
Stefan Metzger in seiner Doktorarbeit an der Uni Münster
beschäftigt, heute forscht er an der Uni Siegen zu den Themen
Migration, Integration und Arbeit. „Viele Menschen begegnen den
Vereinen mit Türkeibezug misstrauisch, auch weil sie sie als
relativ geschlossen empfinden und kaum Einblick erhalten“,
berichtet Metzger. Um das zu ändern, begleitete der
Wissenschaftler drei Vereine über ein Jahr lang intensiv.
Turniere, Spiele, Sportgerichtsverhandlungen, Feste oder
Schiedsrichterfortbildungen für Jugendliche – Metzger war
überall dabei und sagt: „Ich habe den Alltag im Berliner
Amateurfußball aus der Perspektive der Migranten beobachtet.“
Bier und Bratwurst passen nicht zum
Islam
Dabei fing alles mit einer Frage an: Warum machen die das
eigentlich? „Das war die Frage, die ich in den Gesprächen immer
wieder gehört habe“, blickt Metzger auf den Start seiner
Forschungsarbeit zurück. Manche wollten das aus reinem
Interesse wissen, bei anderen schwang Skepsis mit. Heute kann
er die Frage beantworten: „Kultur und Religion spielen in
vielen Vereinen eine Rolle, teils mehr, teils weniger stark
ausgeprägt.“ Zum Fußball gehören in Deutschland meist Bier und
Bratwurst. Alkohol und Schweinefleisch werden auch von weniger
religiösen Türkeistämmigen oft gemieden. Die Vereine mit
Türkeibezug stellen daher eine Alternative zu den bereits
etablieren Vereinen dar, indem sie etwa auf kulturelle
Gepflogenheiten ihrer Vereinsmitglieder Rücksicht nehmen. Dazu
gehört auch die Rindsbratwurst auf dem Grill, manche Vereine
mit Türkeibezug bieten geänderte Trainingszeiten während des
Ramadans an.
„Viele türkeistämmige Spieler fühlen sich in den etablierten
Vereinen nicht willkommen“, hat Metzger festgestellt. Das galt
insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren, als ein Großteil
der Vereine gegründet wurde, gilt teilweise aber immer noch.
Prinzipiell habe es aber nicht nur mit Bratwurst und Bier zu
tun. Wenn sie Ämter übernehmen möchten, zum Beispiel als
Trainer, Kassenwart oder im Vereinsvorstand, sind diese
Positionen oft langfristig vergeben. Es gibt wenig Chancen,
etwas zu bewegen. „Gründen sie einen eigenen Verein, können sie
mitbestimmen“, sagt Metzger, „sie schaffen sich sozusagen ihre
eigenen Teilhabemöglichkeiten.“
Den Vereinsmitgliedern war es auch wichtig,
selbst darüber zu bestimmen, wie über sie geredet wird. Von
außen werden sie oft als „die Türken“ angesehen, die gegen „die
Deutschen“ spielen. Sie selbst fühlen sich meist jedoch ebenso
als Berliner, als Kreuzberger oder als Neuköllner. Das hat
Metzger in vielen Interviews herausgefunden. Viele Jugendliche
fühlten sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen
benachteiligt, zum Beispiel in der Schule oder im Nachtleben,
wenn Spieler mit Migrationshintergrund keinen Zugang zu
Diskotheken erhielten. „Am Wochenende auf dem Platz wollen sie
das kompensieren. Teilwiese sind sie deswegen auch
übermotiviert, was zu Konflikten führen kann“, sagt Metzger. Es
käme zum Beispiel vor, dass gestritten wird, welche Sprache auf
dem Fußballplatz erlaubt ist und welche nicht. Warum dürften
sich Poldi und Klose in der Nationalmannschaft auf Polnisch
absprechen, die interviewten Spieler hingegen würden für
türkische Zurufe die gelbe Karte erhalten, wurde von den
Spielern oft hervorgebracht „Prinzipiell werden im
Amateurfußball gesellschaftliche Veränderungsprozesse
ausgehandelt, die auch für andere Lebensbereiche gültig sind“,
sagt Metzger. „Man kann also sagen: Im Amateurfußball wird
Gesellschaft gemacht. Wie unter einem Brennglas werden dort die
Herausforderungen der Migrationsgesellschaft besonders deutlich
sichtbar.“
Vereine mit Türkeibezug müssen sich öffnen, um eine
Zukunft zu haben
Weil viele Menschen in Deutschland wenig über Vereine mit
Türkeibezug wissen und diese von außen als geschlossene Gruppe
wahrnehmen, käme schnell eine Art Fundamentalismusverdacht auf,
berichtet der Siegener Wissenschaftler. Handele es sich gar um
Islamisten? Viele haben auch das Gefühl, als wollten sich die
Spieler in einer Parallelwelt abschotten. Dass Vereine mit
Türkeibezug immer eine homogene Gruppe sind, kann Metzger nicht
bestätigen. Ganz im Gegenteil: Im Laufe ihrer Vereinsgeschichte
ändern manche Vereine ihren Namen sogar ins Deutsche und werden
zum Stadtteilverein, wie etwa der Verein Samsunspor, der sich
in FC Kreuzberg umbenannte. Andere verstehen sich als
muslimische Vereine und ziehen dadurch viele Herkunftsnationen
an, zum Beispiel Spieler aus Syrien, Palästina oder dem Kosovo.
Auch alevitische und aramäische Vereine gibt es in Berlin.
„Vereine, dich sich nicht für andere Zielgruppen öffnen, lösen
sich meist nach einiger Zeit wieder auf. Denn nur wer auf den
Nachwuchs setzt, hat im Amateurfußball langfristig eine
Zukunft“, sagt Metzger.
Stefan Metzger ist Wissenschaftler im Forschungsbereich
Demografie und Migration am Forschungskolleg der Uni Siegen
(FoKoS). Seine Doktorarbeit schrieb er an der Uni Münster, u.a.
während zweier Schreibaufenthalte am FoKoS.
Kontakt
Dr. Stefan Metzger
0271 740-3423
stefan.metzger@uni-siegen.de