Berufsperspektiven
Berufliche Perspektiven. Absolvent*innen der Siegener Germanistik berichten, wie es nach dem Studienabschluss für sie weiterging.
Sarah Benscheidt
„Und was machst du dann damit?“ Berufserfahrung und Berufseinstieg
Hände hoch, wem diese Frage schon mal ins Gesicht geschmettert wurde: UND WAS MACHST DU DANN DAMIT? Schlechte Frage, weil Ingenieur:innen oder Jurist:innen sich das wahrscheinlich deutlich weniger oft anhören müssen als wir Literatur- und Geisteswissenschaftlicher:innen – aber wir können die Schaulustigen auf unsere Studiengangwahl mit einer knappen vier-Buchstaben-Antwort in ihre Schranken weisen: Viel.
Und das ist weder generisch noch unwahr, es ist, wie es ist: ein Meer an Möglichkeiten. Und weil wir Germanisten noch mehr können als larmoyante Alliterationen, fange ich für diese Erfahrungsbericht mal genau mit den Fähigkeiten an, die uns unser Studium an die Hand gibt: Analysieren. Kritisches Denken. Recherchieren. Wissenschaftliches und faktisches Arbeiten. Medienaffinität. Und natürlich ein ganzes Konglomerat an Kommunikationsfähigkeiten. Soll heißen: Wir können gut mit Worten, mit Text, mit Medien. Wir können Ausdrucksweise auf allen Kanälen. Und das – lasst euch das von keinen UND-WAS-MACHST-DU-DANN-DAMIT-Brüllern erzählen, ist ziemlich wichtig.
Starke Kommunikationsfähigkeit, ein vertieftes Textverständnis, Interdisziplinarität, Empathie und kulturelles Bewusstsein, die Fähigkeit, Probleme kreativ zu lösen, all das ist für Unternehmen, die Wirtschaft, die Öffentlichkeit, das gesamt-gesellschaftliche System, in dem wir leben, ein ganz schöner Mehrwert und – by the way – ziemlich begehrt. (Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt abschweife und mich über Germanisten-Taxifahrer-Witze aufrege und mit Kafka-Zitaten um mich schmeiße … jetzt aber wirklich der Blick auf Berufe, Berufswahl und Bullshit-Bingo.)
Mir ging es immer ähnlich wie Hermann Hesse. Ich wollte Dichterin oder gar nichts werden. Hat offensichtlich nicht geklappt, dafür bin ich in den typischen Berufsfeldern gelandet, die ChatGPT ausspuckt, wenn man es nach möglichen Jobs fragt, die nach einem abgeschlossenen Sprach- und Literaturstudium in Frage kommen könnten (nein, Taxifahren gehört nicht dazu). Nämlich: erst im Journalismus, dann in der Unternehmenskommunikation. Und das ist ziemlich gut so, denn ich habe immer noch viel mit Sprache, Text und Kommunikation am Hut, dafür ganz wenig mit ödem Berufsalltag.
Aber von vorn. Ziemlich früh und dann auch während des gesamten Bachelor- und Masterstudiums fand ich mich als freie Mitarbeiterin in den Irren und Wirren einer lokalen Tageszeitung wieder (Fun Fact: ich habe dort sogar schon mein Schülerpraktikum in der 9. Klasse gemacht) und, weil der Journalismus dann mein Herz mit Sturm und Drang eroberte, machte ich bei der Siegener Zeitung abschließend bzw. parallel zum Masterstudium ein redaktionelles Volontariat (ja, das geht, wenn man die Arbeitsstunden vorher mit der Chefredaktion abspricht). Den Einstieg in den Beruf habe ich also schon während des Studiums gesetzt. Erfahrungswert in der Rückschau: Nicht immer ganz unstressig. Die Steps nacheinander gehen? Auf jeden Fall auch eine Möglichkeit.
Denn „irr“ und „wirr“ ist es im anstrengenden Redaktionsalltag während des „Volos“ manchmal zu oft, aber es ist und bleibt aus meiner Sicht vor allem eins: das Beste, was ihr als ersten Karriereschritt machen könnt, wenn ihr euch für „irgendwas mit Sprache“ interessiert. Sicherlich kann man groß über das Geschäftsmodell an sich, die Zukunftsfähigkeit des Lokaljournalismus und breit über dessen entscheidende Rolle in der Gesellschaft debattieren (Informationsquelle, demokratische Funktion, Rechenschaftspflicht, Bildung und Aufklärung ect. pp.), machen wir jetzt aber nicht, weil wir uns ja dem Berufseinstieg widmen wollen. Also: In einer Redaktion lernt man ganz sicher Stressbeständigkeit, sammelt Erfahrungen im redaktionellen Alltag, lernt Recherchetechniken, feilt an seinem Schreibstil und arbeitet mit verschiedenen Medienformaten (Print, Online, Audio, Video). Man bekommt dort Feedback von erfahrenen Journalist:innen und Redakteur:innen – und dieses Mentoring hilft enorm, die eigenen Anlagen und Fähigkeiten sowie Gelerntes aus dem Studium weiterzuentwickeln. In dieser Dauer von zwei Jahren kann man sich wild in den Bereichen Journalismus und Kommunikation ausprobieren: Nachrichten- oder Sportberichterstattung, Kultur, Wirtschaft, Social Media. Mir hat diese Zeit extrem geholfen, Stärken und Interessenschwerpunkte zu sortieren, und es war für mich immer eine sinnstiftende Arbeit, eine breite Öffentlichkeit dabei zu unterstützen, Themen besser zu verstehen, vor Hintergründen einzuordnen, bewusst zu machen. Unabhängig und nach journalistischem Wertecodex.
Und: Durch das praktische Arbeiten im „Volo“ kann man natürlich auch ein starkes Portfolio mit den besten Arbeiten aufbauen – das ist oft entscheidend für zukünftige Bewerbungen in der Kommunikations- Sprach und Medienwelt. Und damit sind wir bei meinem Branchenwechsel.
Denn auch, wenn in mir immer ein Reporterherz schlagen wird, hat mich der (unter Journalistenkolleg:innen oft verachtete) Seitenwechsel in die Wirtschaft, hin zur Öffentlichkeitsarbeit für ein Unternehmen, immer gereizt. Gründe? Viele. Den Unterschied zwischen PR, Unternehmenskommunikation, Marketing und Journalismus übergehen wir an dieser Stelle, aber es war sicher der Wunsch, in eine andere Richtung über den Tellerrand, nämlich hinter die Strukturen eines Wirtschaftsunternehmens zu schauen. Es hat mich interessiert, mein strategisches Denken weiterzuentwickeln, Kommunikationsziele mit den übergeordneten Zielen eines Unternehmens in Einklang zu bringen und daraus Kommunikationsstrategien abzuleiten, außerdem wollte ich interdisziplinär und international mit Kolleg:innen zusammenzuarbeiten und als Kommunikator zum öffentlichen Image eines Unternehmens oder einer Marke direkt beitragen bzw. in diesen Bereichen Erfahrungen sammeln.
Und – ganz unlarmoyant – es hat auch etwas mit Vergütung und Arbeitsbedingungen zu tun. Hohe Drucksituationen, unregelmäßige Schichten und lange Arbeitszeiten sind im Journalismus keine Seltenheit. Wer mich also nach meiner Work-Live-Balance fragt: absolutes Upgrade. Gegen eine ausgeprägte Leidenschaft für den Journalismus ist das allerdings oft nur ein kleines Argument. Aber: Es gibt noch anderes neben Vergütung, Arbeitszeit, klaren Karrierewegen mit der Möglichkeit, in Führungspositionen aufzusteigen, die den Job ziemlich reizvoll machen. Zum Beispiel eine breite Palette von Aufgaben, die von interner Kommunikation über Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Krisenmanagement und Social Media reicht. Ich selbst habe nach meinem Jobwechsel und der Probezeit das interne Mitarbeitermagazin der Unternehmensgruppe als Projektleiterin übernommen, kann also immer noch recherchieren, Interviews führen, Texte schreiben und Shootings begleiten, schreibe aber auch weiterhin Presse-Infos oder für das Kundenmagazin.
Und, weil Geisteswissenschaftler:innen ja oft auch gut Perspektivwechsel können, würde ich mich mal an probeweise aufgesetzter Arbeitgeber:innenbrille versuchen und behaupten, dass viele Unternehmen ein Volontariat als wertvolle Qualifikation sehen, es sogar vorziehen, Kandidat:innen einzustellen, die bereits praktische Erfahrungen gesammelt haben – schaut mal in etwaige Stellenausschreibungen, ein Volontariat ist da sogar meistens Voraussetzung. Macht auch Sinn. Nach drei Jahren auf der, ich zitiere einen Ex-Journalistenkollegen, „bösen Seite der Macht“, sehe ich im Rückspiegel, wie die Bausteine der Ausbildung ineinandergreifen und das Fundament des Berufseinstiegs gegossen haben. Denn nach einem Volontariat bringt ihr viele Fähigkeiten mit, die in der PR und Unternehmenskommunikation sehr geschätzt werden (Schreiben von klaren und prägnanten Texten, Recherchefähigkeiten, Storytelling, die Fähigkeit, komplexe Informationen verständlich zu vermitteln und natürlich ein tiefes Verständnis dafür, wie Medien funktionieren etc. pp).
Und die Moral von der Geschicht? Wege entstehen dadurch, dass man sie geht, Aphorismen haben oft nichts in guten Texten verloren, das „Mehr“ an Möglichkeiten im Berufsleben durch unseren Studiengang macht viele Türen auf, Praktika/ Volos helfen nicht nur bei der Entscheidung, durch welche Tür man jetzt nun gehen will (sorry, eine sentimentale Metapher musste sein), sondern auch bei der Spezifikation sowie im Bewerbungsprozess und es gibt keine „böse Seite der Macht“. Alle anderen Erfahrungen dürft ihr selber machen. Have fun!
Vita:
Sarah Benscheidt, 29, studierte Sprach- und Literaturwissenschaften in Marburg und Siegen, ist gelernte Journalistin und schrieb über zehn Jahre für lokale Tageszeitungen. Erst als freie Mitarbeiterin, dann als Volontärin und Redakteurin bei der Siegener Zeitung. Danach wechselte sie die Seiten und in die Unternehmenskommunikation eines mittelständischen Familienunternehmens. Dort übernahm sie das Mitarbeitermagazin.