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Über Luxus und Verzicht

"Denn sie tun nicht was sie wissen“ / Die Soziologin Dr. Miriam Schad ist zu Gast bei Forum Siegen Siegen.

„Die gesunde Stadt – Zwischen Technologie, Prophylaxe und Wellness“ lautet das Thema von Forum Siegen im Sommersemester. Den Auftakt der Vorträge mit Diskussion am Donnerstagabend im Lÿz an der St.-Johann-Straße in Siegen macht am 2. Mai (20 Uhr) die Soziologin Dr. Miriam Schad (TU Dortmund) zum Thema „Nachhaltigkeit im Alltag? Soziale Ungleichheit als Herausforderung sozial-ökologischer Transformation“. Nicht erst seit den Fridays for Future hat dieses Thema stark an Aktualität gewonnen. Im Interview gibt die Wissenschaftlerin Ausblick und Einblick.

Frage: Frau Dr. Schad, Sie sind Diplom-Soziologin, haben am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen gearbeitet und forschen und lehren nun an der TU Dortmund. Wie sind Sie zum Thema Nachhaltigkeit gekommen?

Schad: Themen wie Umweltschutz und nachhaltige Konsumpraktiken haben mich privat schon seit meiner Jugend beschäftigt. Die wissenschaftliche und insbesondere soziologische Auseinandersetzung mit Fragen des anthropogenen Klimawandels ergab sich dann durch die Mitarbeit als studentische Hilfskraft in einem Forschungsprojekt zu Klimaadaption in deutschen Küstenstädten am Leibniz-Institut für räumliche Sozialforschung. Ich war sofort begeistert, meine theoretischen Erkenntnisse aus meinem Soziologie-Studium nun auf so drängende und unmittelbar relevante Fragen der aktuellen ökologischen Krise anwenden zu können. Seitdem lässt mich die Auseinandersetzung mit Themen aus dem Bereich der Umweltsoziologie nicht mehr los. So verfasste ich in Anschluss an mein Studium meine Dissertation in Rahmen eines durch die Hans-Böckler Stiftung geförderten Graduiertenkollegs mit dem Titel „Herausforderungen der Demokratie durch den Klimawandel“ am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Und auch wenn ich aktuell in einem klassischen ungleichheitssoziologischen Forschungsprojekt zum Thema des Statuserhalts in der sozialen Mitte an der TU Dortmund forsche, bleiben umweltsoziologische Themen weiterhin für mich präsent.

Frage: Einen Fokus legen Sie auf die soziale Ungleichheit. Wie sieht es unter diesem Gesichtspunkt mit der Kluft zwischen Einstellung und Verhalten, zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten aus?

Schad: Der Zusammenhang zwischen sozialen und ökologischen Problemlagen war Thema meiner Dissertation „Über Luxus und Verzicht“. Ausgangspunkt dieser Arbeit war die häufig geäußerte Beobachtung, dass Menschen in privilegierten sozialen Lagen sich in Umfragen meist sehr umweltfreundlich äußern. Menschen, die sich in benachteiligten sozialen Lagen befinden, hingegen machen sich zum Beispiel vergleichsweise weniger Sorgen um die Umwelt. Betrachtet man jedoch das konkrete Umwelthandeln ergibt sich hier der umgekehrte Befund, dass bestimmte besonders umweltschädliche Praktiken (wie Fliegen oder der Besitz eines PKWs) erst ein bestimmtes Maß an ökonomischen Ressourcen voraussetzt. Bei solchen Beobachtungen spricht man auch von der so genannten Kluft zwischen Umweltbewusstsein und Umwelthandeln. Ich würde hier aber argumentieren, dass dies aus soziologischer Perspektive erst einmal auch nicht überraschend ist, da Menschen im Alltag sehr unterschiedlichen Handlungsanforderungen begegnen und eher nur in Ausnahmen genau entsprechend ihrer Orientierungen handeln können und wollen. Dabei muss zudem berücksichtigt werden, das Umwelthandeln ein höchst heterogenes Handlungsmuster ist und je nach Teilbereich wie Mobilität oder Ernährung sich auch im Kontext sozialer Ungleichheit sehr unterschiedliche Logiken ergeben können. Und darauf spielt auch der Titel meiner Dissertation an. In bestimmten Bereichen scheint umweltfreundliches Handeln eher als ein Luxus zu gelten (wie bei dem Konsum von Bio-Produkten) und in anderen Bereichen kann sich Verzicht (wie im Bereich Fliegen) allein schon aus der sozialen Lage ergeben. Wie so oft: Einfache, monokausale Zusammenhänge zwischen sozialer Position und Umweltschutzaffinität und umweltrelevanter Alltagspraxis gibt es nicht. Es lassen sich aber bestimmte Dynamiken empirisch beobachten.

Frage: Spielt dabei die Einstellung zur Mobilität eine besondere Rolle?

Schad: Mobilität gilt in der Umweltschutzdebatte (neben dem Bereich Ernährung und dem Konsum von Haushaltsstrom), als ein Teilbereich des Umwelthandeln der im Alltag relativ leicht beeinflussbar ist. Also ja, Mobilität ist ein besonders spannender Bereich, wenn man sich mit alltäglichen Konsumpraktiken beschäftigt. Dabei wird von der in der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte betonten normativen Anrufung ausgegangen jede oder jeder Einzelne solle sein Handeln an Umweltschutzkriterien ausrichten. Das heißt zum Beispiel im Bereich Mobilität etwa besser den Öffentlichen Nahverkehr zu nutzen oder auf Flugreisen zu verzichten. Dabei zeigen Studien zu Nutzung des privaten Autos eben auch, dass hier bestimmte Verkehrsmittel nicht nur die Funktion haben, uns besonders schnell und bequem von A nach B zu bringen, sondern auch andere soziale Deutungsmuster wie ‚gute Eltern‘ zu sein (und entsprechend durch die Nutzung des Pkws die Kinder auf dem Schulweg zu schützen u.ä.) eine besondere Bedeutung haben. Geht man nun von dieser Individualisierung von Umweltschutzverantwortung aus, stellt sich die soziologisch spannende Frage, inwiefern denn die soziale Lage die Handlungspielräume hier prägt. Dabei wird zum Beispiel auch kritisch diskutiert, ob ökologischer oder ethischer Konsum ein Mittelschichts-Phänomen darstellt, um sich auch von unteren und oberen sozialen Lagen abgrenzen zu können.

Frage: Gilt das Motto „Denn sie tun nicht was sie wissen“ ausschließlich für Gebildete und Wohlhabendere?

Schad: Nein, dies ist ein empirischer Befund, der sich grundsätzlich beobachten lässt − aber eben auch wenig überraschend ist. Er könnte allerdings ein Grund dafür sein warum moralische Appelle an Einzelne häufig so unerfolgreich sind. Daher sollte man meiner Einschätzung nach durchaus diskutieren, inwiefern die starke Fokussierung auf die individuelle Umweltschutzverantwortung innerhalb der Nachhaltigkeitsdebatte bestimmte entlastende Funktionen erfüllt und inwiefern politische Entscheidungen und Verantwortlichkeiten wieder stärker thematisiert werden sollten.

Frage: Welche Rolle spielen mit Blick auf die Nachhaltigkeit mentale Konten? Können diese Rechnungen aufgehen?

Schad: Der Begriff mental accounting verweist einfach nochmal auf das Problem, dass bestimmte Wissensbestände sich nicht automatisch in eine entsprechende Alltagspraxis übersetzen. Dabei wird davon ausgegangen, dass themenbezogene mentale Konten erstellt werden, um Einnahmen und Ausgaben im Blick zu behalten. Dies kann so auch auf das eigene als umweltfreundlich oder umweltschädlich definiertes Handeln bezogen werden. Ich denke entsprechende Muster finden sich auch bei überzeugten „Ökos“ und kennen auch Ihre Leserinnen und Leser vermutlich von sich selbst. Dies kann aber zu paradoxen Ergebnissen führen. Es lässt sich aber in diesem Kontext auch reflektieren, dass nicht nur eigene Deutungsmuster der eigenen Öko-Bilanz, sondern eben auch gebaute Infrastrukturen und politisch und wirtschaftlich geformte Anreizsysteme das alltägliche Handeln stark beeinflussen.

Frage: Kann das Querschnittsthema Thema Nachhaltigkeit Lösungsansätze bieten, um die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern?

Schad: Ich finde es wichtig, die soziale Dimension der Nachhaltigkeit global aber eben auch innerhalb von Industriegesellschaften auch in der öffentlichen Debatte zu berücksichtigen. Das geschieht angesichts aktueller gesellschaftlicher Trends zunehmend. Häufig werden soziale Argumente (wie der Erhalt von Arbeitsplätzen) und ökologische Herausforderungen (wie der Kohleausstieg) gegeneinander ausgespielt. Auch hier muss man differenzieren. Es gibt natürlich Themenbereiche in denen tatsächlich ein schwer überwindbares Konfliktpotenzial lauert. In anderen Bereichen wie der Mobilitätswende hingegen, gibt es durchaus viele Ansatzpunkte in denen Lösungsvorschläge aus der Debatte um eine sozial-ökologischen Transformation (wie ein kostenloser ÖPNV) auch Fragen der sozialen Verteilung und Ungleichheit adressieren.

Das Interview führte Katja Knoche; Foto: David Ausserhofer / Körber Stiftung