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Durch das Zwielicht hin zum Werden

Deniz Utlu las bei Forum Siegen aus seinem neuen Roman „Gegen Morgen“

„Gegen Morgen“ – die Zeit zwischen Tag und Nacht besitzt etwas Schummriges, Undefiniertes, ist angesiedelt zwischen Traum und Realität, zwischen Schlaf und Wachsein. Das Unscharfe, das dem Werden Raum gibt, ähnelt dem Erwachsenwerden. Und diese Zeit des Übergangs versucht Kara, Protagonist in Deniz Utlus Roman „Gegen Morgen“ (Suhrkamp Verlag), festzuhalten. Er ist auf der Suche – trotz seiner 33 Lebensjahre, trotz der Anstellung in der „Arbeits-Unfallversicherungsanstalt“. Dort besteht seine Aufgabe darin, eine Formel für die Kosten des Lebens zu finden. Beruf, Privatleben, Gestern, Heute und Morgen verschwimmen im Leben Karas. Die Beziehung zu Nadia – der Studienliebe – geht in die Brüche. Da ist sein Freund Vince, dessen Zimmer in der vormaligen Berliner Studierenden-WG nun leer ist. Und da ist der verschwundene Freund Ramón, der Außenseiter, der durchs Raster der Erinnerung gefallen ist und doch wieder aufersteht just in dem Zeitslot, da Kara die Endlichkeit eindrücklich bewusst wird. Sein Flieger von Berlin nach Frankfurt gerät in Turbulenzen und muss in Hannover, der Geburtsstadt des Protagonisten und des Autors – notlanden. Die Handlung nimmt ihren Lauf.

Prof. Dr. Gustav Bergmann stellte Utlus Roman als ein Buch vor, das zur Menschlichkeit hinführt, zur Uneindeutigkeit und Solidarität“. Im Interview mit Dr. Feriha Özdemir gewährte Deniz Utlu, der den diesjährigen Literaturpreis seiner Heimatstadt Hannover für seinen 2015 erschienenen Debutroman „Die Ungehaltenen“ erhält, Einblicke in sein Werk. Utlu, von Haus aus Volkswirt, lebt in Berlin. In „Gegen Morgen“ fragt er nach den Grundsätzlichkeiten im Leben, der Tragweite von Entscheidungen, das, was uns ausmacht, und damit der Frage nach Versäumnissen und Potentialen des Lebens. Dabei spielt auch die Mathematik eine wichtige Rolle. Denn Deniz Utlu lässt sich vom eigenen Leben inspirieren: „Klar schreibe ich über mich. Die Handlung ist allerdings fiktiv. Ich arbeite zwar mit Erfahrungen aus meinem eigenen Leben. Die Figuren treffen aber andere Entscheidungen und werden somit eigenständig. Ich arbeite immer zu Themen, die mich bewegen.“ Beispielsweise die Parallelität zwischen Studieninhalt und Romanschreiben: Hier die nüchternen Wirtschaftsvorlesungen, dort die Kreativität: „Ich habe in den Vorlesungen angefangen, mathematische Wirtschaftsmodelle zu lesen wie Poesie. Es ging plötzlich auch um ästhetische Fragestellungen.“ Diese Erfahrung sei in diesem Buch überraschend wiedergekommen. Die berufliche Suche nach den Kosten des Lebens wird zum Lebensportrait des Protagonisten. Und: „Die Mathematik zeigt Wirkung bis in die Metaphorik.“ Die Verhältnismäßigkeit spielt eine gewichtige Rolle.

Der Flug von Berlin nach Frankfurt bereitet dem Inhalt den Weg. Im Flieger wird Kara mit einer Nahtoderfahrung konfrontiert. Utlu: „Ich wollte wissen, was die Todesangst mit einem Leben macht. In meiner Vorstellung wird das Zeitverständnis infrage gestellt.“ Die Zeittaktung unserer Lebenswelt sei eng. Utlu: „In Erzählungen um den letzten Moment dehnt sich die Zeit allerdings aus.“ Ihm habe sich die Frage gestellt, wie diese Ausdehnung erzählerisch gestaltet werden könne. Stilistisch greift der Autor zum Gedankenspiel, wem wir im letzten Moment begegnen könnten – der Mutter, der Freundin, dem Dauer-Freund, oder aber dem seinerzeit aus der Erinnerung gefallenen Freund, dem Außenseiter. Die Nahtoderfahrung im Flieger gibt für Kara den Ausschlag, sich auf die Suche zu begeben. Deniz Utlu muss während der Lesung nicht den mahnenden Finger erheben, um Aufmerksamkeit zu erhalten. In der Aula des Lÿz herrscht konzentrierte Ruhe, während in den vorgetragenen Szenen verschiedene Momente gleichzeitig erzählt werden. Der Text setzt die Dehnung des Augenblicks in Szene.

„Gegen Morgen“ wurde im Sommer 2019 beendet. Begonnen zu schreiben hat Deniz Utlu 2015 „in einer gefühlten Atmosphäre der Gewalt“ nach Terroranschlägen vor allem in Frankreich, aber auch weltweit. Diese Atmosphäre der Gewalt spiele auch im Buch eine Rolle, so der Autor. Nicht zuletzt bei der Kreation von Ramón, einem eigentlichen Antipathieträger. „Ich musste in mir aber auch einen Platz für ihn finden, um ihn schreiben zu können – das war die Herausforderung.“ Gegen Morgen – ein Gegenwartsroman, der plastisch und pointiert zentrale Fragen der Identität, Zugehörigkeit, Solidarität verarbeitet und eine berechnende Gesellschaft zur Uneindeutigkeit führt. Ein Roman, der einer nach ökonomischen Prinzipien ausgerichteten Gesellschaft wahrlich Raum schafft für die Reflexion ihrer menschlichen Beziehungen.

Deniz Ultu war Mitbegründer des Kulturmagazins "freitext" und gehört zu den literarischen Nachwuchstalenten in Deutschland. Er wurde in Hannover geboren und studierte Volkswirtschaftslehre in Berlin und Paris. Utlu schreibt u. a. für den Tagesspiegel, die SZ und FAZ. Der Dramatiker, Kolumnist, Lyriker und Essayist sowie Herausgeber veranstaltet am Maxim Gorki Theater in Berlin die Literaturreihe "Prosa der Verhältnisse“.

Am 28. November um 19.30 Uhr ist Prof. Dr. Erhard Schüttpelz zu Gast bei Forum Siegen. Sein Thema lautet „Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit.“ Schüttpelz beschäftigt sich mit der Siegener Kontroverse über die Einladung rechtspopulistischer Politiker an die Universität Siegen.