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Politikmaßnahmen zum Waldschutz global notwendig
Eröffnung der Mittwochsakademie zum Thema „Bioökonomie“: Prof. Dr. Jan Börner Festredner
Nach zwei Jahren wurde die Mittwochsakademie der Universität Siegen erstmals wieder in Präsenz eröffnet. Das Thema der Veranstaltung lehnte ans Wissenschaftsjahr 2020/21 „Bioökonomie“ an. Als Festredner wurde Prof. Dr. Jan Börner vom Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn gewonnen. Das Thema des Experten für die Ökonomik nachhaltiger Landnutzung und Bioökonomie lautete „Vision und Realität eines nachhaltigen Wandels durch Bioökonomie“.
Unter Bioökonomie zu verstehen sind gemäß Definition des Deutschen Bioökonomierats Erzeugung und Nutzung biologischer Ressourcen, um Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in allen wirtschaftlichen Sektoren im Rahmen eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems bereitzustellen.
Eröffnet wurde das Wintersemester von Prorektorin Prof.in Dr. Petra Vogel (Internationales und Lebenslanges Lernen) und Prof. Dr. Stephan Habscheid als wissenschaftlichem Leiter der Mittwochsakademie. Für den musikalischen Rahmen sorgten Marco Hoffmann (E-Piano) und Gerrit Schwan (Gesang).
Börners erster Blick galt der Entwicklung der Weltbevölkerung zwischen 1800 und 2100 von seinerzeit rund 1 Milliarde Menschen auf prognostizierte 16,6 Milliarden Menschen. Börner: „Benötigt wird Land für den Anbau von Nahrungsmitteln.“ Dieser Landbedarf gehe nur bedingt mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen konform. Es komme zu Nutzungskonflikten. Diese, so der Referent, könnten zumindest teilweise durch die Bioökonomie entschärft werden. Die „Borlaug Hypothese“ der „Grünen Revolution“ postuliert, dass eine Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft natürliche Wälder schützen kann. Das „Jevons Paradox“ setzt dagegen, dass eine effektivere Produktion auch zu mehr Verbrauch führen kann. So könnten günstiger produzierte Agrarprodukte beispielsweise dazu führen, dass neben der Ernährung andere Nutzungsformen, wie Bioenergie oder bio-basierte Plattformchemikalien attraktiver werden. Fernerkundungsdaten widerlegen dann auch den Eindruck, der Landverbrauch sei rückläufig. Zwischen 2000 und 2012 belief sich der globale Waldverlust auf 230 Millionen Hektar, der Waldzuwachs aber nur auf 80 Millionen Hektar. Börner: „Wir wachsen, und selbst wenn die Agrarfläche insgesamt langsamer steigt, breitet sich v.a. in tropischen Regionen die Landwirtschaft zu Ungunsten des Waldes aus. Landnutzungswandel geschieht immer dort, wo es sich gerade lohnt.“
Die Produktion von Biokraftstoff steigt und fällt global je nach Wirtschaftslage und Ölpreis. Wird er auf Agrarflächen erzeugt, für die Tropenwald gerodet wurde, ist er nicht nachhaltig. Der Schutz vor allem der tropischen Wälder ist eine Herausforderung für die Transformations-Governance. Als Treiber des Landnutzungswandels sieht Börner den internationalen Agrarhandel. Die Produktion von Agrarhandelsgütern zeichne verantwortlich für 27 Prozent des globalen Waldverlustes. Schaue man auf den Landfußabdruck der EU außerhalb des Nahrungsmittelanbaus, sei dieser zwischen 1995 und 2010 um 18 Prozent gestiegen. Ein Grund liege im Import von Energie- und Ölpflanzen vor allem aus dem Amazonasgebiet in Brasilien. Die Ausweitung des Sojaanbaus in der Amazonasregion werde aber auch durch Infrastrukturinvestitionen des öffentlichen und privaten Sektors in den Produktionsländern angetrieben. So könnten in Brasilien geplante Straßenbauprojekte zur Reduktion von bis zu 13 Prozent der Primärwaldfläche zugunsten des Sojaanbaus führen.
Auch Bioplastik als biobasierter Kunststoff weise negative Seiten auf. Biokunststoff könne, müsse aber nicht biologisch abbaubar sein. Der Landbedarf für die Bioplastikproduktion belaufe sich zwar heute noch auf nur etwa 1 Million Hektar. Steige der Bedarf an Bioplastik um realistische 5 Prozent, ginge das mit dem Verlust einer globalen Waldfläche von 0,17 Prozent einher. Das käme einer Neutralisierung der durch den Umstieg auf Bioplastik erzielten CO2-Einsparung über einen Zeitraum von 22 Jahren gleich. Börner: „Das ist teuer eingespartes CO2.“
Mit Blick auf die Biomassenproduktion sei eine Auslagerung der Produktionsflächen in Länder mit schwacher Umwelt-Governance zu verzeichnen. Dort zögen Infrastrukturinvestitionen und technologischer Wandel neue Agrargrenzen. Das liege nicht zuletzt an der finanziellen Ausstattung der verantwortlichen Ministerien. Der Etat für das Umweltministerium lag in Deutschland im Jahr 2017 bei 5,6 Milliarden Euro, in Brasilien bei 0,28 Milliarden Euro. Für Deutschland bedeute das eine Pro-Kopf-Investition von 67 Euro, in Brasilien von 1 Euro. Benötigt würden also effektivere Strukturen zur Umsetzung von Politikmaßnahmen zum Schutz der Tropenwälder. Denn der Waldschutz stelle die günstigste Form des Klimaschutzes dar. Er scheitere häufig an unzureichenden Ressourcen. Jedes eröffnete Strafverfahren wegen illegaler Waldrodung vermeide im Folgejahr etwa 6 Hektar Entwaldung. Entlegene Rodungen blieben aber zumeist unentdeckt und würden daher häufiger. Insgesamt, so Börner, fehlten oft umfassende Konzepte für Governance-Strategien, denn Tropenwaldschutz sei nicht nur Aufgabe der Umweltministerien.