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„Tanz mit dem Tiger“ – Wissenschaftskommunikation zu COVID 19

Prof. Dr. Nicole Zillien beschäftigte sich mit der Allgegenwärtigkeit von digitalen Technologien und Zahlen in der Coronagesellschaft

Reproduktionswert, 7-Tage-Inzidenz, Hospitalisierungsrate – alles Maßzahlen, die während der Corona-Pandemie in Medien, Talkshows und Pressekonferenzen allgegenwärtig sind. Diese Zahlen prägen ebenso wie digitale Technologien – wie das Corona Dashboard, die Corona-Warn-App oder die Corona-Datenspende-App – die öffentliche Diskussion in der Pandemie. „Wissenschaftskommunikation in der Coronagesellschaft, Zahlen, Graphen und Apps als Objektivitätsgeneratoren“ lautete das Thema der Mediensoziologin Prof. Dr. Nicole Zillien (Justus-Liebig-Universität Gießen) bei der Feierlichen Eröffnung des Sommersemesters der Mittwochsakademie der Universität Siegen im Lÿz.

Die Referentin nahm als Ausgangspunkt ihres Vortrags die öffentliche Auseinandersetzung mit der Spanischen Grippe vor gut einem Jahrhundert. Rund ein Drittel der Weltbevölkerung erkrankte. Heutige Schätzungen gehen davon aus, dass die Anzahl der Opfer bei zwischen 50 und 100 Millionen Menschen lag. Die Spanische Grippe wäre somit die größte demografische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen. Darüber berichtet wurde nur wenig, die Datenlage ist bis heute schlecht.

In der digitalen Welt hat sich die Kommunikation von Wissen und Wissenschaft verändert. Verwissenschaftlichung und Digitalisierung durchdringen die Gesellschaft. Dabei führt jedoch die Verwissenschaftlichung des Alltagslebens nicht zu konkreten Handlungsanweisungen. Viel mehr wird deutlich, dass das wissenschaftliche Wissen, das per Definition stets vorläufig und umstritten ist, unter dem Entscheidungs- und Handlungsdruck des Alltagslebens eine unsichere Ressource ist. Zillien: „Unsicherheit ist ein zentrales Merkmal der Coronakrise.“ Vor diesem Hintergrund spielen Zahlen, Graphen und Apps eine immer größere Rolle. Zahlen wirken neutral, exakt und objektiv. Aus diesem Grund machen sie die Zuschreibung von Gewissheit und Objektivität an Wissen wahrscheinlicher, weshalb Zahlen eine zentrale Bezugsgröße im Handeln der Coronagesellschaft darstellen. Zillien: „In der Coronakrise sind wir alle zu Zahlenjunkies geworden.“

Nicole Zillien veranschaulichte das an der Anfang 2020 bereits diskutierten Corona-Strategie „The Hammer and the Dance“. Diese Strategie im Umgang mit Corona orientiert sich fortlaufend am sogenannten Reproduktionswert, der die Ansteckungsrate abbildet und bei einem Wert von über 1 auf exponentielles Wachstum verweist. In einer als „Hammer“ bezeichneten Phase soll durch Lockdown-Maßnahmen die Pandemie unter Kontrolle, das heißt hier, die Reproduktionszahl wenigstens auf einen Wert um die 0,5 gebracht werden. Bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs sollte dann eine Phase der kontrollierten Lockerung – der Tanz - folgen. Auch diese von Christian Drosten als „Tanz mit dem Tiger“ bezeichnete Phase orientiert sich an einem permanent beobachteten R-Wert, der durch mit Augenmaß eingesetzte Infektionsschutzmaßnahmen möglichst niedrig bleiben soll, um ein exponentielles Wachstum zu vereiteln. Dabei ist die Reproduktionszahl keineswegs unstrittig, lässt sich unterschiedlich berechnen und bildet nicht zwingend „die Wahrheit“ ab: „Technologie und Zahlen stecken voller sozialer Entscheidungen und entsprechen somit nicht dem Objektivitätsideal.“

Dennoch verlieren Zahlen nicht ihre Attraktivität in der Kommunikation, da sie ein Geländer sind, an der sich die öffentliche Diskussion zu Corona vorsichtig entlang hangeln kann. Dass jedoch noch nicht einmal die so objektiv und sicher wirkenden Zahlen in der Coronapandemie absolute Geltung hätten, gehe die Wissenschaftskommunikation mit zahlreichen Fallstricken einher. So stelle die Fragilität und Konflikthaftigkeit ein Einfallstor für Beliebigkeit und Falschinformation dar. Weiterhin gehe die umfassende Digitalisierung fälschlicherweise vielfach mit dem als Solutionismus bezeichneten Glauben einher, dass Technik alle Probleme lösen könne. Aktuell sei weiterhin zu sehen, dass gesellschaftliches Handeln aus einer Wissenschaftslogik ausbreche: Dass die Beginn so zentralen Zahlen aktuell zwar teils massiv anstiegen, aber dennoch kaum noch recherchiert oder als Bezugsgröße genannt würden, sei ein Hinweis darauf.

Bereits einen Tag zuvor war die „Hanseakademie“ in Attendorn eröffnet worden. Der Osteuropa-Historiker Dr. Daniel Müller (Leiter des House of Young Talents der Universität Siegen) befasste sich mit dem ebenfalls topaktuellen Thema „Von Ivan dem Schrecklichen bis Vladimir Putin – Russlands Machtanspruch in Europa und der Welt“.