Henry Roßbach
Der Studiengang „Außerschulisches Erziehungs- und Sozialwesen“ und die nachfolgenden Studiengänge, die mit einem Abschluss als Sozialpädagoge oder Sozialarbeiter an der Universität abschließen, qualifizieren für die Arbeit mit Menschen in besonderen Lebenslagen. Das spätere berufliche Feld ist sehr breit und reicht klassisch vom Kindergarten, über Schule und Behindertenhilfe bis zur Arbeit im Hospiz. Der Arbeitsplatz des Siegener Alumnus Henry Roßbach als Dipl. Sozialarbeiter in der Autostadt der Volkswagen AG in Wolfsburg ist daher eher ungewöhnlich.
„Für mich zählt immer der Mensch.“ Pädagogische Arbeit in der AUTOSTADT
Das Motto der inszenierten Bildung der Autostadt lautet:
„erleben, erfahren, erinnern“. Entsprechend dieses Slogans ist
bei der Volkswagen AG in Wolfsburg der Umgang mit den Besuchern
aufgebaut. Henry Roßbach hat den Ausbau der Autostadt in den
zehn Jahren ihres Bestehens begleitet: „Am Anfang gab es die
Kinderwelt in der es darum ging, Kinder zu betreuen, wenn deren
Eltern ein Auto abholten. Das Konzept und die Arbeit haben aber
eine enorme Ausweitung erfahren, so dass die Autostadt mit dem
Konzept der inszenierten Bildung heute ein durch das
Niedersächsische Kultusministerium anerkannter außerschulischer
Lernort ist.“ In den zehn Jahren des Bestehens haben inzwischen
über 20 Millionen Gäste die Autostadt besucht und die Zahl der
Mitarbeiter liegt zu saisonalen Spitzenzeiten bei ca. 1.000
Personen. Dabei richtet sich das Angebot heute nicht mehr nur
an Kinder, sondern auch an Erwachsene und die Altersgruppe 55
+. Bei über 500 Schülerworkshops pro Jahr für Schulklassen
aller Schulformen bildet die Arbeit für Kinder aber weiterhin
den Löwenanteil der Tätigkeiten, wobei Themen wie Ökologie,
Statik, Materialkunde, aber auch Gestaltung von Filmen
behandelt werden.
Henry Roßbach kennt bei VW nicht nur die Arbeit in der
Autostadt, sondern kann bei der Vermittlung an die Gäste auch
auf eigene Arbeitserfahrungen in der Autoproduktion
zurückgreifen. So hatte er nach seinem Wehrdienst zwar auch die
Möglichkeit, an der Sporthochschule Köln ein Studium
aufzunehmen, entschied sich aber dafür, zunächst eine
Ausbildung als Kommunikationselektroniker bei Volkswagen in
seiner Heimatstadt zu absolvieren und anschließend dort zu
arbeiten. Bereits vor seiner eigentlichen Ausbildung machte er
ein Praktikum im Sozialdienst des Werkes, in dem er Mitarbeiter
begleitete, die aufgrund von Behinderungen oder
Suchterkrankungen bestimmte Einschränkungen hatten. „Diese
Arbeit hat mir unglaublich viel Spaß gemacht“. Auch während der
Arbeit in der Produktion erlebte er, dass „Kollegen die
irgendwelche Probleme hatten, damit immer zu mir kamen“.
Ein Studium mit Erfahrung
Als er sich dann beruflich weiterentwickeln wollte, erfuhr
er von seiner Schwester, die an der Universität Siegen ein
Sprachwissenschaftliches Studium absolvierte, von dem damals
neuen Studiengang im Bereich Außerschulisches Erziehungs- und
Sozialwesen (AES). In diesem Studiengang begann er dann zum
Wintersemester 1993 sein Studium in Siegen. „Nach der Arbeit in
der Produktion war das für mich alles ganz spannend. Ich habe,
so glaube ich, mehr Zeit in der Uni verbracht als jeder normale
Mensch.“Theoretische Themen in die er sich einarbeitete waren
Entwicklungspsychologie, Arbeit mit älteren Menschen und
Jungendhilfe. Dass ein so freies, interessengeleitetes Studium
in den Bachelor- und Masterstudiengängen heute noch möglich
ist, bezweifelt er. Besonders eindrucksvoll waren für ihn
Praxisprojekte zusammen mit der Psychiatrie in Warstein, bei
denen im Zuge der Gemeindepsychiatrie Personen, die zum Teil
Jahrzehnte in Anstalten gelebt hatten, über Wohngemeinschaften
wieder an ein Leben in der Gesellschaft gewöhnt werden sollten.
„Wenn ich dort gearbeitet habe war das für mich immer ein
tolles Wochenende“. Direkt nach dem Studium absolvierte Henry
Roßbach sein dann Anerkennungsjahr in einem Betreuten Wohnen
für Senioren und organisierte in dieser neuen Einrichtung
zusätzliche Gruppenangebote, Ausflüge und sportliche
Aktivitäten. Intensive Erfahrungen in der Arbeit mit
Jugendlichen sammelte er anschließend ebenfalls in einem
Betreuten Wohnen des Christlichen Jugenddorfs. Hier wurden die
Jugendlichen bei der Absolvierung von Lehrgängen begleitet und
beim Erlernen einer geregelten Tagesstruktur unterstützt, um
sie fit für eine reguläre Ausbildung zu machen. Als der Träger
dann ein Modellprojekt begann, in dem sechs so genannte
„schwersterziehbare Jugendliche“ bei einem Betreuungsschlüssel
von 1 zu1 gefördert wurden, arbeitete er dort für zwei Jahre.
Dann entschied er sich, bei der zum Teil noch im Bau
befindlichen Autostadt einzusteigen. „Im Sozialwesen habe ich
gemerkt, dass es mein Ding ist, Menschen zu helfen und mit
ihnen zu arbeiten. Der Mensch ist das Interessanteste. Als ich
die Philosophie der Autostadt verstanden habe, dachte ich, das
ist es!“ Zu Beginn seiner Tätigkeit bei der Autostadt war Henry
Roßbach mit der Entwicklung pädagogischer Konzepte betraut, in
die er seine Kreativität und die kennen gelernten Theoretischen
Ansätze, sowie sein Wissen aus er Automobilproduktion gute
einbringen konnte. Später übernahm er eine
Schnittstellenfunktion in der er die Gäste direkt betreute und
seine Kollegen bei der Umsetzung der Konzepte unterstützte.
Pädagogische Kompetenzen mit technischem Know-How
„Ich habe im Studium gelernt, mich in neue Dinge einzuarbeiten. Das selbstständige Auswählen und Bearbeiten von Themen im sehr praxisorientierten Studium war für mich sehr hilfreich.“ Die praktischen Erfahrungen und die Erfahrungen in der selbstständigen Wissensaneignung braucht der Vater von zwei Töchtern auch bei seinen aktuellen Aufgaben. Zurzeit betreut er die Startphase einer neuen Show Werkstatt, in der eine ganze Schulklasse die Technik aktueller Automobile praktisch vermittelt werden kann. Dabei ist die Ausstattung, sowohl an Montagewerkzeugen, mit Schweißkabinen, Analysegeräten und ähnlichem, als auch an Präsentationstechnik wie endoskopischen Kameras für den Blick in den Motor, Flachbildschirmen und neuester Computertechnik, nur vom Feinsten. Ziel dieser Werkstatt ist es, Begeisterung für die Technik und die dahinter stehende Wissenschaft zu vermitteln. Die Module sollen später von Mitarbeitern aus der Kfz-Technik durchgeführt werden. Da aber in solchen Klassen meist nicht alle Schüler Begeisterung für die behandelten Themen mitbringen und einige intensiver pädagogisch unterstützt werden müssen, ist eine seiner aktuellen Aufgaben den späteren Kursleitern für die Konzeptionierung der einzelnen Einheiten sein Fachwissen sowohl aus dem Bereich der Technik als auch der Pädagogik zu vermitteln.Darüber hinaus evaluiert er die Projekte der Autostadt in den letzten zehn Jahren. Die Arbeit an dieser Evaluation macht Henry Roßbach nicht nur deswegen viel Freude, weil er die Entwicklung der Autostadt von Beginn an miterlebt hat, sondern auch, weil zukünftige Angebote hiermit besser geplant werden können.
Von Beginn an lagen Henry Roßbach die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter der Autostadt am Herzen. Daher arbeitete er zuerst in Teilzeit und ab 2006 vollzeitlich im Betriebsrat des Unternehmens mit. „Als Sozialarbeiter hat man einen Blick für Dinge, die besser laufen können, und setzt man sich dann für bestimmte Interessen ein, entsteht auch immer Reibung. Trotzdem waren diese Erfahrungen für mich sehr wichtig, und ich möchte sie nicht missen.“
Waren früher Eishockey und Triathlon Sportarten, die er
intensiv betrieben hat, konzentriert er sich heute auf reine
Fitness, oder er arbeitet auf seinem zwei ha großen
Naturgrundstück mit Wiese und Teich. Die Tätigkeit für und mit
Menschen liegt ihm aber auch in der Freizeit am Herzen. So ist
er bei der Linkspartei Wolfsburg aktiv und hilft einigen
Personen bei der Bereinigung ihrer Schulden. Henry Roßbach ist
als Sozialarbeiter wieder ganz in der Nähe seiner ersten
Arbeitsstätte angekommen. Da VW in die Arbeit der Autostadt
viel Kapital investiert, kann hier sein eigentliches Bestreben
als Sozialarbeiter, Menschen sinnerfüllt weiterzubringen auf
besondere Weise umgesetzt werden.
„Zum einen wollte ich immer nah am Menschen arbeiten und
andererseits etwas machen, wo ich nachher weiß, ich hab
gesellschaftlich was bewegt, auch wenns nur kleine Steps sind.
Von daher ist das hier genau das Richtige.“
Der Artikel wurde verfasst von Matthias Kempf auf der Grundlage
eines Interviews mit Henry Roßbach.