
Pornotopie
Über den Blick werden Objekte der Begierde aufgenommen, erotische, visuelle Reizte lenken, wie selbstverständlich die Augen des Betrachters auf sich. Aber durch den Akt des Sehens selbst, ist es bereits möglich zusätzliche visuelle Anreize zu kreieren.
Blicke lassen uns durch Räume schweifen,
Blicke
können streicheln, der Augenblick als Zeiteinheit, Einblicke
gewähren Erkenntnisse.
Die Bedeutung eines Blickes ist ebenso vielfältig, wie das was
er wahrzunehmen vermag. Nach unserem klassischen
Verständnis ermöglicht er visuell zwischen sich selbst
und anderen, männlich und weiblich, innen und außen zu
unterscheiden. Gezielt wählen wir mit den Augen aus, was wir
wahrnehmen möchten. Mit welcher
Technik wir das Gesehene verarbeiten und welche
Bedeutung das Erfasste zugeteilt bekommt, unterliegt der
Ordnung der visuellen Kultur, die uns umgibt.
Visuelle Kulturen spiegeln auch wieder,
dass die Wahrnehmung
nicht lediglich auf Funktionalität beschränkt ist, sondern
ebenso Begierde in uns weckt.
Die Begeisterung für visuelle Sinneseindrücke motivierte, dass
die Geschichte der optischen Apparate entstehen
konnte und Techniken des Sehens kultiviert wurden. Die Lust am
Blick ist zentraler Bestandteil unserer bilddominierten
Gesellschaft. Nicht nur die Schaulust
, sondern Lust prinzipiell geht einher
als essentieller Bestandteil des sexuellen Erlebens. Sie ist
eine als intensiv, angenehm empfundene Weise zur Stimulation
der Sinne.
Raum und Frau
Über den Blick werden Objekte der Begierde aufgenommen,
erotische, visuelle Reize lenken, wie selbstverständlich die
Augen des Betrachters auf sich. Aber durch den Akt des Sehens
selbst, ist es bereits möglich zusätzliche, visuelle Anreize zu
kreieren, in dem räumliche Settings in Metaphern des weiblichen
Körpers erlebt werden. „Im Allgemeinen wird die Überlagerung
von Weiblichkeit und dem visuellen Raum wie folgt begründet: Da
dem Auge, was es ursprünglich sehen möchte verwehrt ist, wählt
es zum Ersatz einen Gegegenstand, ja unter bestimmten Umständen
die Gegenstandlosigkeit, um dem Schautrieb in der Form des
Begehrens unverfänglich Genüge zu tun.“ (Hentschel 2001: S 8-7)
Die Fähigkeit den weiblichen Körper mit dem Bildraum zu
überblenden ist das Resultat einer aktiven Erziehung zur
Schaulust. Das es sich bei dieser, um die Überblendung von Raum
und Frau handelt, lässt sich auf die historisch bedingten
Geschlechterkonstruktionen zurück führen. Da der Betrachter vor
dem Bild-Raum gegenüber positioniert wird, als stünde er wie
ein Mann vor einer Frau. Ihren Höhepunkt findet die aktive
Erziehung zur Schaulust in visuellen Geräten. Diese stellen die
Überlagerung aktiv her und verleihen dem räumlichen somit einen
Geschlechtsstatus.
Visuelle Penetration
Linda Hentschel beschreibt dies als „Pornotopischen Techniken
des Betrachtens“. Hierunter „ist zu verstehen, dass die
Interaktion zwischen Betrachter, seinem Körper und dem Bildraum
analog der Sextechnik der Penetration strukturiert werden kann.
Es geht in diesen Techniken um ein visuelles Hineingehen in
einem medialen Ort und um den Wunsch dort drin zu sein wie in
einem anderen weiblichen Körper.“ (Hentschel 2001: 12) Hinter
dem Begriff Pornotopie versteht sich folglich keine sexuelle
Handlung, sondern die Absicht der Schaulust Befriedigung zu
verschaffen. Das Sehen selbst, wird an dieser Stelle zum Akt
sexualisiert.
Kunst oder Pornographie?
Das Profil der Pornographie determinieren sich erst,
nachdem die Kunst die Faszination an der perspektivischen
Raumillusion für sich entdeckte . Vorher bestand keine
feststellbare Grenzziehung zwischen beiden Bereichen. Hingegen
herrschte als traditionelle Leinwandöffnung in der westlichen
Kunst bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein, die
zentralperspektivische Bildgestaltung vor. Die Perspektive
galt als einfach angewandte
Optik und Geometrie. Ziel war es, gleich einem Abdruck des
Netzhautbildes und damit analog des Auges zu sein. Der
Fluchtpunkt des Bildes sollte dem Augenpunkt entsprechen.
- "L'Origine du monde" auf dem Portal europeana
Der Ursprung der Welt („L’origine
du monde“)
Als einer der ersten Maler bediente sich Gustave Courbet (1819–1877) der Technik der
Zentralperspektive, zur Darstellung eines nackten, weiblichen
Torsos in seinem Gemälde „L’origine du monde“
aus dem Jahr 1866.
Womit er die pornographischen Mechanismen der Kunst maßgeblich
mitbestimmte. Kennzeichnet für die pornographische Darstellung
ist optische Fragmentierung des weibliches Körpers, welche
diesen wie aus dem Bildraum ausgeschnitten wirken lässt, oder
das optische Fokussieren auf Körperöffnungen durch das bewusste
einsetzten der Zentralperspektive.
In „L’origine du monde“ offenbart sich dem
Betrachter die Nahsicht der behaarten Vagina einer nackten
Frau, die mit geöffneten Schenkeln auf einem Möbel liegt. Der
Ausschnitt ist so gewählt, dass der Rest des Körpers, ebenso
das Gesicht der Frau, nicht zu erkennen sind, ausschließlich
der nackte Torso erstrecket sich über die Leinwand. „Seit
seiner Anfertigung sorgte das Bild für Aufregung und
Verwirrung. Das Interesse und die Aufmerksamkeit, die ihm bis
heute entgegen gebracht werden, finden ihren Ausgangspunkt
jedoch weniger in der direkten Zurschaustellung einer
weiblichen Körperöffnung, sondern in der Spannung, die
entsteht, wenn das vermeintlich Enthüllte verhüllt ist.“
(Hentschel 2001: 19)
Die von Courbet gezeigte Weiblichkeit war zuvor die
meiste Zeit quasi unsichtbar, und exakt dies machte es
berüchtigt. Die Aufregung, um das Bild spitze sich nicht
zuletzt zu, weil es bis 1995 als verschollen galt und bis dato
seine Existenz als Reproduktion führen musste.
Das „L’Origine du monde“ bis heute unverändert eine hohe
Faszination auf den Betrachter ausübt, verdeutlicht sich am
Beispiel von Europeana .
Europeana ist eine digitale Bücherei der EU. Sie gibt dem
Internetuser kostenlos die Möglichkeit eines mehrsprachigen
Zugangs zu über 2 Millionen digitalisierten Objekten
(u.a. Bildern, Texten, Tonaufnahmen und Videos). Diese Objekte
zeichnen sich durch eine kulturelle und historische Wertigkeit
aus und befinden sich in Obhut von über 1.000 Institutionen in
27. Ländern der EU. Kurz nach dem die Webseite zum Jahresende
2008 an den Start ging, brach der Server wegen Überbelastung
zusammen, da er einer Klickrate von über 10 Millionen Hits in
der Stunde nicht gewachsen war. Eine Ursache für die großen
Resonanz auf den Launch des Portals Europeana ist Courbets
„L’Origine du monde“. Die sich auf der Startseite offenbarte
und ausschließlich millionenfach angeklickt wurde.
Leinwandöffnung
In der Kunstgeschichte positioniert das Bildmotiv von „L’Origine du monde“ einen gewissen
Endpunkt des Realismus
. Die realitätsnahe Darstellung und der
Bildausschnitt widersprechen einander. Das Zeigen des
weiblichen Torso von den Oberschenkeln bis zur Brust und das
Weglassen der Füße, der Beine und des Kopfes. Die Perspektive
des ausklammern des Kopfes ist dabei genau diejenige, die der
Feminismus hundert Jahre später als charakteristisch für die
Pornographie bezeichnen sollte. Die Frau wird zum Objekt, zum
reinen Körper ohne Gesicht und Persönlichkeit. „Da Courbet nun
diesen weiten Öffnungswinkel wählte, verstieß er, gegen das
Gebot der geschlossenen Umrisslinie und der undurchdringlichen
Oberfläche des akademischen Aktes, die traditionell bis ins 20.
Jahrhundert hinein die Grenze zwischen den Bereichen Kunst und
Pornographie markieren sollte.
Die einstigen Ideale des zentralperspektivischen Tiefenraums
werden hier mit einer anderen Form der Leinwandöffnung
kommentiert.“ (Hentschel 2001: S. 21)
Wahrnehmungsinstrumente
Trotzdem transportiert die Zentralperspektive
die Überblendung von Raum und Frau bis in die Camera
obscura
. Da sie sowohl eine Vorbedingung für jene
darstellt, aber auch selbst in ihr aufgehoben ist. Die
bestimmende Ungleichheit zwischen der Zentralperspektive und
der Camera obscura ist die Rolle
des Betrachters
. Dieser ist nicht mehr länger Teil der
Sehmaschine, sondern der Abbildungsprozess vollzieht sich ohne
sein zu tun, aus dem Betrachter wird der
Beobachter.
Sexploitation
Im Englischen hat die Kommerzialisierung des Sex mit dem
Begriff Sexploitation ein eigenes Wort zugeschrieben bekommen
und längst ist die Vermarktung der Lust am Blick, für uns zur
Selbstverständlichkeit geworden. Unsere bestehenden
Sehbedürfnisse als Beobachter können wir durch den Blick der
Kamera mannigfaltig und jederzeit erfüllen. Die
Pornographisierung des Alltags hat solche Ausmaße angenommen,
dass sie kaum noch auffällt oder Anstoß erregt. Die Tradition
der Schaulust bleibt aufrecht erhalten und entwickelt sich mit
den Aspekten der aktuellen Technik weiter. Was allgegenwärtiger
Bestandteil bleibt einerseits die Scham, denn als Voyeur möchte der Beobachter im Allgemeinen nicht
bezeichnet werden und andererseits sind nach wie vor meist
Frauen die betrachteten Objekte und Männer ihre Zuschauer.
Kim Wagener