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Panoramastudie Teil 2: Pragmatische Ordnungssucher und effiziente Gelegenheitsjäger


Wie, wo und mit wem lernt die junge Generation am besten? Die Erwachsenen - Bildungsreformer u.a. - haben dazu meistens konkrete Vorstellungen - Kinder und Jugendliche aber nicht minder. Mit dem Unterschied, dass diese kaum gefragt werden. Die Bildungsdebatte droht ohne die Betroffenen geführt zu werden. Nachfolgend kommen die Heranwachsenden selbst zu Wort: Lernen aus der Sicht der SchülerInnen.

Mit der Studie ‚LERNenBILDung‘ war die Idee verknüpft, SchülerInnen zu bitten, als Experten in eigener Sache Stellung zu nehmen. Es galt, ein bildungspolitisches Versäumnis zu korrigieren: Die bildungspolitische Debatte der vorangegangenen Jahre, die durch nationale und internationale Vergleichsstudien (IGLU/PISA/ TIMSS) in Deutschland ausgelöst worden war
– die sogenannte ‚PISA-Debatte‘ –, hatte weithin die Lern- und Bildungserfahrungen der jüngeren Generation, der Kinder und Jugendlichen ausgeklammert. Über deren Köpfe hinweg debattierten Bildungspolitiker, Bildungsverwaltungen, Bildungslobbyisten und Bildungsjournalisten über die Schwächen des nationalen Bildungssystems; assistiert allenfalls noch durch Lehrer und Eltern als direkt betroffene Gruppen. Es braucht wohl nicht eigens betont zu werden, dass die ‚PISA-Debatte‘ ein eklatantes Beispiel dafür liefert, wie wenig der erstmals 1989 in der Kinderrechtskonvention international kodifizierte Anspruch der jüngeren Generation, in Fragen, die sie betreffen, politisch gehört zu werden, bislang auf nationaler Ebene eingelöst worden ist. Auch in dieser Hinsicht dürfen wir von einem ‚internationalen Standard‘ – in politischer Bildung und Partizipation – sprechen, den Deutschland noch nicht erreicht.
Wie sind wir vorgegangen? Zunächst verständigten wir uns darauf, dass wir nicht nur Lern- und Bildungsprozesse, die innerhalb von Bildungseinrichtungen stattfinden, in die Recherche einbeziehen wollten. Ebenso wichtig war es dem Ministerium für Schule und Jugend des Landes Nordrhein-Westfalen (Abteilung Jugend) und uns, die ‚informellen‘ Lern- und Bildungserfahrungen der heutigen Kinder und Jugendlichen anzusprechen, also Medienlernen, Lernen von und unter Gleichaltrigen, individuelle und private Interessenentwicklung und ‚Bildungsprogramme‘.

Positive und negative Erfahrungen im Schulleben

Die beiden Seiten der Schulerfahrungen wurden in einer weiteren, offen gestellten Doppelfrage vertieft, bei der die SchülerInnen mehrere Angaben machen konnten: „Was gefällt dir am Schulleben besonders?“ – „Gibt es etwas, was dich am Schulleben besonders stört?“ Den SchülerInnen fielen im Schnitt knapp drei positive Aspekte des Schullebens und zwei negativ zu bewertende Erfahrungen ein – ein kleines Plus also für die Schule. Die Vielfalt der Nennungen wurde von uns zu einigen Hauptkategorien zusammengefasst.
Was gut ist an der Schule? Positive Erlebnisse an der Schule sind für die befragten SchülerInnen vor allem sozialer Natur. Aber auch bestimmte Schulfächer und gute Lernmöglichkeiten werden geschätzt. Beide Seiten von Schule – Schule als soziales Ereignis und Schule als Lernereignis – halten sich in etwa die Waage. Das belegen die vier am häufigsten genannten übergeordneten Kategorien: (Diagramm: "Was ist gut an der Schule?")

Die Schattenseiten der Schule:
Die Kritik an der Schule bezieht sich zunächst auch auf die soziale Seite des Schullebens. Die Befragten bemängeln dabei vor allem die Lehrpersonen (58 %), aber auch MitschülerInnen (42 %), wenn sie durch störende Eigenschaften verhindern, dass Schule als positives soziales Ereignis unter Gleichaltrigen erlebt werden kann. Erst dann kommt der Leistungsaspekt zum Tragen, wenn Schule Konkurrenz und Stress erzeugt (41 %). Eine vierte große Kategorie fasst bestimmte Begleiterscheinungen und Regelungen des Schullebens zusammen, die negativ bewertet werden (34 %); beispielsweise die Situation auf den Schulwegen, die Zeitvorgaben des Unterrichts und ähnliches: Aufs Ganze gesehen bestätigen die Antworten der SchülerInnen frühere Untersuchungen, wonach Schule in erster Linie als sozialer Erlebnisraum und als Lebenswelt von Gleichaltrigen wahrgenommen und entsprechend bewertet wird. Mehr Mädchen (generell häufiger Lob von Lehrern) verweisen darauf, dass sie gute soziale Erfahrungen in der Schule gemacht haben. Sie loben aber auch öfter die Qualität des Unterrichts und die Lernmöglichkeiten in der Schule, während Jungen meistens nur auf einzelne Schulfächer positiv eingehen. Allerdings sind Mädchen auch eher bereit, kritisch zum Schulleben Stellung zu nehmen, etwa wenn das soziale Klima untereinander nicht stimmt. Das lässt auf eine stärkere Aufmerksamkeit bzw. Sensibilität der Mädchen für schulische Angelegenheiten schließen.

Die Schulfächer. Das Curriculum der SchülerInnen

Jenseits der Schülerpartizipation:
Das Curriculum der Schule gehört zu den Bereichen, auf die SchülerInnen praktisch keinen Einfluss haben. Auch die Wahl bestimmter Schulfächer beginnt erst relativ spät, im Wesentlichen in der Sekundarstufe II. Gleichwohl entwickeln SchülerInnen im Laufe der Schuljahre zum Teil heftige persönliche Vorlieben für und Ablehnungen gegen bestimmte schulische Fächer. Es erschien uns bedeutsam, diesen Bereich geringer Partizipation – aber heftiger Gefühle – einmal näher auszuleuchten und die Stellungnahmen zum Curriculum der Schule einzuholen. Auch die SchülerInnen akzeptieren demnach das ökonomisch relevante ‚Kerncurriculum‘ der Schule. Die internationalen Vergleichsstudien und die daran anschließenden Bildungsdebatten haben der Nation noch einmal verdeutlicht, welche ökonomisch relevanten Leistungsfächer den Kern der Schulcurricula bilden: Deutsch – Mathematik – Englisch. Unsere Befragung kann belegen, dass dieses Kerncurriculum der Schule auch für die SchülerInnen außer Frage steht. Wenn sie angeben sollen, welche Fächer „für das jetzige Leben“ oder „für den späteren Beruf“ wichtig seien, so wählen sie in ihrer Mehrheit diese Trias: Deutsch – Mathematik – Englisch.
Die Wunschliste der SchülerInnen für eine stressfreie, freizeitorientierte Schule sieht jedoch anders aus. Wenn nach einem ‚Stundenplan nach Wunsch‘ gefragt wird, dann stehen andere – auch nicht gelehrte – Fächer an der Spitze: Kochen, Sport treiben, Tiere pflegen, entspannen. Ein Gegenprogramm zum PISA-Leistungsdruck? Zumindest lässt sich diese Auswahl als ein Plädoyer für ein weniger leistungsbezogenes, sozialeres Schulcurriculum lesen.
Fächer in der Kritik: Drei für die meisten SchülerInnen problematische Fächer sind Physik, Evangelische Religion und Katholische Religion. Diese Fächer machen in ihren Augen weder Spaß noch möchten sie ihnen größere Relevanz zusprechen, weder für das gegenwärtige noch für das zukünftige Leben. Kirchliche wie naturwissenschaftliche Curriculum-Lobbyisten haben Anlass, sich nach Gründen für das schlechte Abschneiden gerade dieser Fächer zu fragen.

Bildungszeiten. Das wöchentliche Zeitbudget fürs Lernen

Zeit als Maßstab für die ‚Investition in Bildung‘: Wir interessierten uns für die Stunden, welche die Befragten bei Aktivitäten – außerhalb des Unterrichts im engeren Sinn – verbringen, die einen gewissen bildenden Charakter haben und die über den Besuch des Unterrichts hinaus gehen. Es geht also um extracurriculare Bildungszeiten. Einige stehen der Schule nahe und ergänzen sie, wie die Hausaufgaben am Nachmittag; andere sind eher privater Natur, wie ‚seine Hobbys pflegen‘. Wer nimmt an bestimmten Aktivitäten überhaupt teil? Wie viele Stunden in der Woche verbringen diese SchülerInnen mit solchen Tätigkeiten? Wir fragten nach neun Aktivitäten in der letzten (typischen) Schulwoche. Die Rangreihe der ‚Bildungsinvestitionen‘ in der letzten Schulwoche:
(Diagramm: Nur begrenzte Zeit für das Lernen in der Schule)

Wie man sieht, stehen die Zuarbeiten für den schulischen Unterricht obenan. Fast alle (89 %) beteiligen sich daran, und dies im Schnitt vier Wochenstunden – bei einigen gehen diese Stundenzahlen stark in die Höhe. Zeitlich noch mehr fallen allerdings die privaten Hobbys ins Gewicht. Auch hier sind fast alle SchülerInnen tätig, aber im Durchschnitt mit viel mehr Wochenstunden. Zum Vergnügen lesen immerhin drei Viertel der Befragten – dies allerdings im Schnitt nur zwei Stunden. Ein anderes Bild zeigt das Training von Sportarten. Hier sind nur noch knapp die Hälfte der SchülerInnen aktiv, aber sie benötigen deutlich mehr Wochenzeit dafür.

Eltern und Peers: Soziale Ressourcen für das Lernen

Können die SchülerInnen auf soziale Unterstützung bauen, wenn es um Fragen des Lernens geht? Wie stark ist die Hilfe durch das Elternhaus? Welche Rolle spielen Gleichaltrige als Lernhelfer? Wir haben dieses Thema, insbesondere auch die Balance von familialer und peerbezogener Unterstützung, in verschiedenen Fragen angeschnitten.

„Mit wem lernst du öfter mal für die Schule?“ Hier konnten die Befragten Angaben zu sechs unterschiedlichen Personengruppen machen, familialen und nicht-familialen. Es ist vor allem die Mutter, die von den Befragten als Person angegeben wird, mit der sie öfter einmal lernen (34 % stimmen dem zu). An zweiter Stelle steht allerdings nicht der Vater (24 %), sondern der beste Freund bzw. die beste Freundin (mit 28 % Zustimmung). Fast ebenso bedeutsam sind die Geschwister (19 %) und – für die Jugendlichen – Partner und Partnerin (16 %). Nur die Großeltern fallen als Lernhilfen fast aus (9 %), obwohl sie in anderen, emotionalen Hilfestellungen, eine große Bedeutung haben. Wir können also festhalten, dass sich eine gewisse Balance zwischen Hilfen durch die Elterngeneration und Hilfen durch Gleichaltrige herstellt. In jedem Fall spielen Gleichaltrige für das Lernen eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Dabei zeigen sich deutliche Veränderungen in Abhängigkeit des Alters der Kinder und Jugendlichen. Während es für die Gr undschülerInnen und die Kinder der 5. und 6. Jahrgangsstufe noch mehrheitlich üblich ist, öfter mit der Mutter zu lernen (64 % der 4.-Klässler stimmen zu, dass sie häufiger mit ihrer Mutter lernen, 68 % der 5.-/ 6.-Klässler), sinkt die Häufigkeit dieser schulbezogenen Aktivität rapide mit zunehmendem Alter der Heranwachsenden ab.
(Graph: Im Jugendalter wenig soziale Unterstützung fürs Lernen)

Bei den 7.-/ 8.-Klässlern sind es nur noch knapp 40 Prozent, die öfter mal mit ihrer Mutter lernen, bei den 9.-/ 10.-Klässlern sinkt dieser Anteil unter 15, bei den 11.-/ 12.-Klässlern unter zehn Prozent ab. Ähnlich entwickeln sich die Lernbeziehungen auch zu den Vätern – wenngleich von Anfang an auf niedrigerem Niveau. Insgesamt drängt sich die Einsicht auf, dass ab etwa der 7./ 8. Klasse das Lernen etwas ist, das die Heranwachsenden immer öfter allein erledigen, hierbei weder Unterstützung bei den Eltern, den (besten) Freunden noch anderen Personen finden bzw. anders herum gedacht: vielleicht auch nicht mehr suchen. Wie auch immer: Den Kindern und Jugendlichen geht zunehmend das soziale Kapital aus, dass sie zum Lernen bräuchten.

Lernen außerhalb der Schule

In mehreren Fragen versuchten wir zu erkunden, wie die SchülerInnen die Möglichkeiten einschätzen, außerhalb des Schulunterrichts etwas zu lernen. Wir fragten in einem Dreischritt zunächst nach den Tätigkeiten, bei denen man nach Meinung der Befragten etwas lernen könne. In einem zweiten Schritt fragten wir nach der Qualität unterschiedlicher Orte; und schließlich ging es um mögliche Bezugspersonen des Lernens in ihrem sozialen Umfeld.
Tätigkeiten, bei denen man etwas lernen kann: Hier legten wir den Heranwachsenden eine mehr als 30 Tätigkeiten umfassende, zuvor in einem Pretest erprobte Liste vor. Sie sollten zu jeder Tätigkeit einschätzen, ob man dabei als Kind oder Jugendlicher auch etwas lernen könne.

Die Spitzenreiter informellen Lernens:
Bei folgenden Tätigkeiten sind sich die SchülerInnen nahezu einig. Jeweils zwei Drittel waren überzeugt, dass man dabei etwas lernen könne2:

• Nachrichten im Fernsehen ansehen
• Sich in einer Fremdsprache unterhalten
• In einem Sachbuch lesen
• Eine Reise ins Ausland machen
• Mit Freunden etwas besprechen
• Mit einer/m Freund/in zusammen sein
• Sich einem Hobby widmen
• Sich von den Großeltern von früher erzählen lassen
• In einer Gruppe arbeiten
• Einen neuen Menschen kennen lernen

Die Schlusslichter – ohne Lerneffekt: Auf der Gegenseite finden wir einige wenige Tätigkeiten, denen nur etwa jede(r) fünfte SchülerInnen ein Lernpotential zuerkennen möchte. Unter ihnen:

• Eine Talkshow ansehen
• Eltern beim Streiten beobachten
• An einem Casting teilnehmen, z. B. ‚Superstar‘
• Tagebuch schreiben

Die Antworten der SchülerInnen ließen sich zu fünf Dimensionen bündeln. Lernbereiche mit hoher Zustimmung waren:

• ‚Informelles Freizeitlernen‘ (Lernen durch Freunde, Reisen, Hobby)
• ‚Intergenerationelles Lernen‘ (Lernen mit Eltern, Großeltern, Familiengruppe)
• ‚Lernen durch Medieninformation‘ (TV-Nachrichten, Tageszeitung, Bücher lesen)

Dieses Lernen zeichnet sich durch seinen hohen sozialen Gehalt aus, ist verbunden entweder mit Gleichaltrigen oder mit der älteren Generation in der Familie. Hohe Zustimmung findet auch die seriöse Nutzung von Informationsangeboten verschiedener Medien.

Das Ranking der Lernorte: Neben den Tätigkeiten fragten wir die SchülerInnen auch nach einer Auswahl von Orten. Wir gaben zehn mögliche Lernorte vor. Gefragt war: „Manche Leute meinen, an den folgenden Orten könnten Kinder/Jugendliche sehr viele wichtige Dinge lernen. Stimmst du zu?“ Zu Vergleichszwecken wurde auch die Schule als Lernort mit einbezogen. Sie liegt sehr deutlich an der Spitze der Lernräume, gleichsam außer Konkurrenz (88 %); dicht gefolgt von dem anderen ‚klassischen‘ pädagogischen Lernort, der Familie (65 %). Eine gewisse Konsensfähigkeit unter der Mehrheit der SchülerInnen besitzen dann noch das Reisen (53 %) und die Freundesgruppe (47 %). Den übrigen Orten wird nur noch von jeweils rund einem Drittel Lernpotential attestiert. Im einzelnen: Internet: 37 %, Sportverein 36 %, Verein (nicht Sport) 32 %, Jugendzentrum 32 %, Kirche (bzw. Moschee) 32 %, Computer 30 %.

„Personen, von denen man lernen kann“

Bei den Personen, von denen man lernen kann, dominieren die Eltern und Großeltern. Wiederum schneidet die Kontrastgruppe der ‚LieblingslehrerInnen‘ sehr gut ab. Zwei Drittel der SchülerInnen erkennen sie als Personen mit Lerneffekt an. Aber auch von Freunden und Freundinnen wollen viele SchülerInnen lernen. An dieser Stelle endet der Mehrheitskonsens. Während Geschwister und MitschülerInnen noch knapp 40 Prozent Zustimmung erhalten, nimmt der Anteil bei TrainerInnen, Pädagogischen MitarbeiterInnen im Jugendtreff und QuizmasterInnen im TV kontinuierlich ab. Am Ende rangieren, abgeschlagen, LieblingssängerInnen. Das Ranking der Personen mit Lerneffekt im Einzelnen: (Tabelle: Personen mit Lerneffekten)

Die persönliche Ordnung der Fähigkeiten und Kompetenzen

Wie stark bestimmte Kompetenzen Konsens sind, zeigen die Prozentzahlen der Zustimmung zur Frage, welche Fertigkeiten und Fähigkeiten die Kinder und Jugendlichen für sich als persönlich wichtig erachten. Insgesamt wurde eine – pregetestete – Liste von 41 Fähigkeiten und Fertigkeiten vorgelegt. Die meistgenannten sind in der nachfolgenden Tabelle abgebildet.
(Tabelle: Wichtige Fähigkeiten und Fertigkeiten)

Die 41 Kompetenzen lassen sich in fünf inhaltliche Dimensionen bzw. Bereiche unterteilen wie ‚Bildungskompetenzen‘, ‚biografische Kompetenzen‘ (auf diese beiden Dimensionen beziehen sich die meisten in der vorausgegangenen Tabelle abgebildeten Einzelkompetenzen), oder ‚Bürgerkompetenzen‘.
Bürgerkompetenzen: Nicht ganz so hohen Zuspruch wie die bildungsbezogenen und biografischen Kompetenzen erhalten Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im weiteren Sinne mit politischer Bildung bzw. politischer Teilhabe zu tun haben – wir nennen sie Bürgerkompetenzen. Kern dieser Bürgerkompetenzen ist es, über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation informiert zu sein. Mehr als die Hälfte der Befragten, hält es für wichtig, dass man eine Tageszeitung (lesen und) verstehen kann (53 %), dass man politische Zusammenhänge versteht (42 %) und dass man über grundlegende geopolitische Kenntnisse – wie die Kenntnis über die jeweiligen Hauptstädte der Länder (44 %) – verfügt. Etwas weniger SchülerInnen ist es wichtig, über historische Daten informiert zu sein, wie zum Beispiel über die Jahreszahlen historischer Ereignisse. Dies hält nur etwa ein Viertel der 4.- bis 12.-KlässlerInnen in diesem Zusammenhang für wichtig. Auf den Punkt gebracht:


Eine Generation voller Bildungsambitionen

- Zwei Drittel der Jugendlichen wollen einmal das Abitur erwerben (auch HauptschülerInnen).
- Lernen in der Schule bedeutet für viele vor allem „Erfolg haben“ (72%) und „etwas leisten“ (70 %).
- Einen „Guten Schulabschluss machen“ nennen 91 % als wichtige Kompetenz für Kinder/Jugendliche.
- Wodurch hat man später Erfolg im Leben? 86 % nennen: „Einen guten Schulabschluss erwerben“. (Erster Rangplatz)
- Die Mehrheit glaubt, dass wir in einer gerechten Leistungs- und Bildungsgesellschaft leben.


Eines ist zunächst sicher, wenn wir über die heutige Jugend sprechen. Auf der Ebene von Lebenszielen haben wir es bei den Heranwachsenden mit Menschen zu tun, für die (berufliche) Bildung und Ausbildung einen hohen Stellenwert einnimmt. Zumindest auf dieser (abstrakten) Ebene können wir durchaus von einer existierenden Kultur der Bildung sprechen. Ihre Lernkultur und Lernfreude hingegen ist wenig entwickelt. Vielfach fehlen die Kenntnisse und Fähigkeiten, wie man zum gewünschten Bildungsziel gelangt. Das zeigt sich beispielsweise am Zeitbudget, das Kinder und Jugendliche innerhalb einer Woche für schulisches Lernen und außerschulische Bildung aufbringen (siehe oben). Lernen – als Voraussetzung zur Erlangung der gesetzten Berufs- und Bildungsziele – steht nur gering im Kurs. Auf der konkreten Handlungsebene finden die gesteckten Lebensziele häufig keine Übersetzung. Das folgende Zitat eines 18-jährigen Berufsschülers beschreibt die Ausnahme: „Lernen ist bei mir an der Tagesordnung, weil ich mir einiges für mein Leben vorgenommen habe.“

Bildung ja, Lernen nein – soweit die (zugegeben verkürzte) Beschreibung. Was aber sind die Hintergründe? Ist es die Schuld der Schulen, dass die Kinder und Jugendlichen dem Lernen so wenig abgewinnen können? Müssen wir uns über neue Wege Gedanken machen, das Lernen (innerhalb wie außerhalb der Schule) attraktiver zu gestalten? Oder liegt das Problem tiefer? Etwa darin, dass Lernen im Allgemeinen als eine Aktivität organisiert ist, die man allein ausübt und diese Tatsache an sich schon dem Kommunikations- und Geselligkeitsbedürfnis der Heranwachsenden widerspricht? Dafür ein Indiz: Auf die Frage nach der Aktivität, die die zehn- bis 18-Jährigen meistens ausführen, wenn sie alleine sind, geben neun Prozent an, „zu lesen, um etwas zu lernen“ und fünf Prozent „für sich zu lernen – außerhalb der Schule“. Auf die Frage nach Aktivitäten, die sie mit ihren besten Freunden unternehmen, landet Lernen unter den ‚exotischen Tätigkeiten‘. Hier deutet sich ein struktureller Widerspruch zwischen der Tätigkeit des Lernens und der sozialen Lebenswelt der Heranwachsenden an, der grundsätzlich weder von der Schule noch von den Eltern – am allerwenigsten vielleicht von den Kindern und Jugendlichen selbst – aufgelöst werden kann.

Ein Lernhemmnis kommt hinzu: Es handelt sich um die Sprachkompetenz von ‚multikulturellen‘ Jugendlichen. (Diagramm: Skeptische Einschätzung der eigenen Sprachkompetenz)

Jugendliche, die in der ersten Generation in Deutschland aufgewachsen sind, unterscheiden sich in ihrer Selbsteinschätzung – Sprachkompetenz: Sprechen und Lesen – nicht von jenen Jugendlichen, die zugewandert sind. Hingegen erweist sich als förderlicher Faktor, wenn ein Elternteil deutscher Herkunft ist.

Deutungen - Ein janusköpfiges Profil:
‚Pragmatische Ordnungssucher und effiziente Gelegenheitssucher‘


Die eine Seite:
Die heutige Generation blickt optimistisch in die Zukunft und sucht private Lösungen für ihren Lebensweg. Ihr Credo lautet: „Man sollte sein Leben leben und froh sein, wenn man nicht von außen gestört wird“. Sie setzen auf einen guten Abschluss; dieser wird als Eintrittskarte in den beruflichen Erfolg gesehen. Sie akzeptieren erwachsene Vorbilder. Sie finden die Erziehung in ihrem Elternhaus liberal und wollen später genauso erziehen.

Die Kehrseite: Zwar sind sie in ihrer Grundstimmung optimistisch, aber sie sehen tief schwarz, wenn es um die globale Zukunft geht. Sie wollen zwar eine gute Ausbildung erreichen und höhere Bildungsabschlüsse, sie wissen aber nicht, wie sie dahin gelangen. Sie vertrauen zwar erwachsenen Vorbildern, insgesamt jedoch meinen sie, erwachsenen Autoritäten kann man nicht trauen. Sie setzen ganz und gar auf die heile Welt des Familiennetzwerkes, wissen aber, wie zerbrechlich diese Ordnung ist. Sie genießen das Jungsein, berichten aber von ihrem Stress und von Gefährdungen ihres Körpers und ihrer sozialen Situation.


Die junge Generation des 21. Jahrhunderts

- optimistisch
- familienorientiert
- bildungsambitioniert
- pragmatisch
- neo-traditional
- konsumfreudig
- medienkompetent



Ordnungssucher:
Die jüngste Generation dieses neuen Jahrhunderts ist daran interessiert, verlässliche soziale und kulturelle Ordnungen zu schaffen und zu finden – für diese Generation in der gegenwärtigen verunsichernden Welt eine Mangelware. Sie leiden nicht unter einer starren, einengenden Ordnung, aus der sie sich befreien müssen, sondern geradezu unter der Auflösung dieser Ordnungen. Sie suchen daher die Nähe zu den Personen, die ihnen verlässlich und ordnungssichernd erscheinen, die funktionieren.

Unter dem Eindruck, dass immer weniger Erwachsene wissen, wie die Zukunft werden wird, dass immer mehr Erwachsene ratlos und unsicher gegenüber den Problemen sind, sieht sich die neue Generation nun ihrerseits dazu aufgerufen, nicht zu rebellieren, nicht Unordnung herzustellen, sondern für sich in ihrem Lebenslauf Ordnungen zu schaffen. Das gelingt natürlich am ehesten in der privaten Welt, in der die Kinder und Jugendlichen zu Hause sind, bei der Familie, den Freunden, in der persönlich erlebten Nahwelt. Diese Generation ist bemüht, die vorhandenen Angebote, die bestehende Ordnung optimal für sich zu nutzen.

Gelegenheitsjäger: Sich langfristig festzulegen, die Zukunft in jungen Jahren bereits einseitig zu planen und darauf zu trauen, dass alles nach Fahrplan verläuft, diese Idee ist brüchig geworden. Die Kinder und Jugendlichen haben gelernt, dass die Moderne ein großer Markt von Möglichkeiten ist, der immer und in rascher Abfolge, neue Angebote präsentiert. Niemand weiß, wann genau und wo sich die Möglichkeitsräume eröffnen – aber, damit, dass sie sich eröffnen werden, rechnen sie. Es kommt darauf an, zur rechten Zeit zur Stelle zu sein und zuzugreifen. So finden wir sie immer dort, wo sich Neues ankündigt: sie sind Träger der aktuellen Trends und Moden in der Bekleidungs- und Musikindustrie, sie sind die ersten, die den explodierenden Markt der Kommunikations-, Spiel- und Sportgeräte nutzen, die sich neu entwickelten Fächerkombinationen und Studienrichtungen zuwenden.
Der sprichwörtliche Optimismus der jungen Gelegenheitsjäger, was die Zukunft des eigenen Lebens angeht, basiert darauf, dass sie – durch Erfahrung gewitzt – sich sicher fühlen, insofern sich solche neuartigen Gelegenheitsmärkte auftun. Sie sind zudem sicher, dass sie für diese Jagd besser gerüstet sind, als die vorangehenden und mittlerweile unbeweglich gewordenen Generationen. Hier und da zu experimentieren, vieles einmal anzufassen, auszuprobieren und wieder fallen zu lassen, das erscheint ihnen die bessere Vorbereitung auf die Gelegenheitsjagd als eine langfristig angelegte einseitige Zukunftsplanung. Gemäß der Philosophie der Moderne: Alles ist möglich, doch nichts ist gewiss.


1 D.h. zwischen 60 und 72 Prozent wählten die Antworten: „stimmt völlig/stimmt ziemlich“ in einer fünfstufigen Skalierung


Verfasser: Imbke Behnken/ Sabine Maschke/ Ludwig Stecher/ Jürgen Zinnecker


Der Text ist frei zum Wiederabdruck

 

Ansprechpartner

PD Dr. Imbke Behnken
Universität Siegen
Siegener Zentrum für Kindheits-, Jugend-, und Biographieforschung (SiZe)
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