Eneida Maria Ramos de Macedo
Eneida Maria Ramos de Macedo ist gebürtige
Brasilianerin, heute lebt und arbeitet sie als
Grundschullehrerin in ihrem Heimatland. Auf ihrem
beruflichen Weg hat sie zwischenzeitlich einen Abstecher
nach Deutschland an die Universität Siegen gemacht, um hier
ihren Doktortitel zu erwerben. Die Thematik ihrer
Dissertation bezieht sich auf ein Projekt, welches in ihrem
Wohnort in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung und der
Bezirksregierung durchgeführt wurde. Es geht hierbei um die
Einführung der direkten Demokratie am Beispiel der Schule
des Citoyen.
Eneida hat ihre Zeit in Deutschland genossen und dadurch
ihren kulturellen Horizont erweitert. Neben dem Erwerb der
deutschen Sprache hat sie weitere Erfahrungen für ihr
tägliches Leben gewonnen, die sie als vielseitig engagierte
Lehrerin umsetzen kann.
Eneida denkt gerne an ihre Zeit in Siegen zurück und hält
immer noch Kontakt zur Siegener Universität. Der
Alumniverbund der Siegener Universität hat Sie im November
2007 für die Veranstaltung „Interkultureller Dialog“ zurück
an die Siegener Uni geführt, um uns von ihrer Kultur zu
berichten und sie uns näher zu bringen. So findet mit der
Hilfe ehemaliger Studenten aktiver Interkultureller
Austausch statt.
Sie haben an der Universität Siegen Ihre Promotion in Sozialpädagogik begonnen und für zwei Jahre in Siegen gelebt. Wie sind Sie von Brasilien nach Deutschland gekommen? – Vor allem weil Sie in Ihrem Heimatland bereits fertige Grundschullehrerin waren.
Für mich ist es immer wichtig nicht stehen zu bleiben,
sondern bereit zu sein neues zu lernen und zu entdecken. Im
Vordergrund meines Auslandsaufenthaltes stand, dass ich
mich als Lehrerin weiterentwickeln wollte um einen noch
qualitativ hochwertigen Unterricht anbieten zu können. Ich
glaube, dass es gerade als Lehrerin wichtig ist zu wissen
was in der Welt passiert, um auf die Probleme und Ängste
der Kinder eingehen zu können. Das Ziel von Schule ist es,
den Kindern Wissen zu vermitteln und ihnen bei ihren
Ängsten und Problemen zu helfen.
Außerdem bot mir der Aufenthalt in Deutschland die Chance
den Doktortitel zu erwerben und mir dadurch neue berufliche
Möglichkeiten offen zu legen. Ich möchte jedoch weiterhin
für die Grundschulen Brasiliens arbeiten, entweder als
Lehrerin oder als Lehrperson für auszubildende Lehrer an
der Universität als Professorin.
Skizzieren Sie uns kurz Ihren Ausbildungsweg. Sie haben viele berufliche Stationen durchlaufen. Wie sieht Ihr beruflicher Alltag als Grundschullehrerin in Brasilien aus- Welche Aufgaben haben Sie?
Direkt nach meiner Ausbildung als Grundschullehrerin
1976 begann ich meine Arbeit als Lehrerin. Ich habe jedoch
parallel zusätzliche Qualifikationen erworben, in
Sportpädagogik, Psychomotorik und Verwaltungsaufgaben.
Zudem habe ich den Magister in Erziehungswissenschaften
abgeschlossen. Immer wieder belege ich Fortbildungsseminare
zu den unterschiedlichsten Themen. Bisher habe ich an
privaten Schulen, als auch an staatlichen Schulen
unterrichtet.
Mein Alltag ist strikt geregelt. Ich bin von morgens bis
Abends in der Schule, neben dem Unterricht betreue ich die
Kinder in den Pausen, esse mit ihnen zusammen und mache mit
ihnen die Hausaufgaben und nehme nebenbei noch an
Versammlungen des Lehrerkollegiums teil.
Sie schreiben Ihre Dissertation über das Thema: „ Die Spuren der Schule des Citoyen im Leben Ihrer ehemaligen Schüler – Die neue Funktion der Schule im Kontext der Direkten Demokratie“. Können Sie uns kurz die Thematik Ihrer Dissertation erläutern? - Warum haben Sie sich dieses Thema ausgesucht?
Porto Alegre hat ca. drei Millionen Einwohner, im Zuge
der Einführung der direkten Demokratie, gab es die
Möglichkeit für uns Bürger den Einsatz der Gelder des
öffentlichen Haushaltes mit zu bestimmen. Diese Erfahrung
hat sowohl das Bewusstsein der Einwohner Porto Alegres für
öffentliche Institutionen und Organisationen, als auch das
Gefühl für die Demokratie verändert.
Mit dieser neuen Form der Partizipation entstand auch das
Projekt der „Schule des Citoyen“. In diesem Projekt müssen
sich alle Lehrer, Schüler, Eltern und Angestellte
gleichermaßen einbringen. Die Schuldirektion und die
Mitglieder des Rates der Schule werden direkt gewählt. Auch
der Schulhaushalt wird partizipativ aufgestellt. Es wurde
ein neues Kurrikulum entworfen, welches sich an das
Alltagsleben der Kinder anpasst und im Kollektiv entstanden
ist. Zusätzlich hatten die Bürger die Möglichkeit über den
Einsatz der Gelder für die Infrastruktur der Stadt mit zu
entscheiden.
Die Erfahrung über die direkte Demokratie gemeinsam vieles
entscheiden zu können hat mich als Bürgerin Porto Alegres
sehr berührt und erfreut. Ich habe es daraufhin als meine
Pflicht gesehen dieses Projekt zum Thema meiner
Dissertation zu machen.
Außerdem glaube ich, dass die soziale Gerechtigkeit nur
eine Chance hat wenn die Menschen aktiv bei der Gestaltung
und Umsetzung demokratischer Ziele mithelfen.
Wie erleben Sie die Armut und die damit zusammenhängenden Kriminalität in Ihrem Heimatland ein? Mit welchen Mitteln kann geholfen werden?
Als Lehrerin in einer staatlichen Schule werde ich
täglich mit dem Problem der Armut und Kriminalität
konfrontiert. Es ist wichtig diese sozialen Probleme in den
Griff zu bekommen. Hierfür müsste die Regierung bereit sein
noch mehr Gelder für den Bildungs-, Gesundheits- und
Erziehungssektor zu investieren. Außerdem bietet die
Infrastruktur zu wenig Möglichkeiten, gerade in den
Randbezirken der Stadt die größtenteils aus Slums bestehen
muss etwas passieren.
Einige NGOs und auch ansässige Unternehmen, Schulen,
Mütterinitiativen, Sportgruppen engagieren sich und
versuchen zu helfen. Sie holen die Kinder von der Straße
und machen ihnen Angebote, damit sie ihren Alltag aktiv und
sinnvoll gestalten können.
Können Sie schon jetzt durch die Einführung der Direkten Demokratie sozial-kulturelle Veränderungen feststellen? Skizzieren Sie kurz Vor- und Nachteile
Porto Alegre ist eine Stadt mit starker demokratischer
Tradition und einer zivilen gut organisierten Gesellschaft.
Deshalb gelang es auch die Einführung der direkten
Demokratie auch nachhaltig gut um zu setzen. Die
Lebensqualität hat sich für fast alle Bewohner gesteigert.
Die Stadt wird immer mehr zu einem sozialen Raum mit einer
guten Infrastruktur, in der Bürger und Verwaltung positiv
zusammen arbeiten.
Das wichtigste hierbei ist, das das Volk entschieden hat in
welchen Bereichen die Gelder eingesetzt werden sollen und
somit auch Brennpunkte erreicht und verbessert werden.
Welche kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Brasilien sind Ihnen besonders aufgefallen? (z. B. Mentalität, Menschen, Universität)
Die Brasilianer sind offener, sie drücken und küssen
sich viel schneller und sprechen offener über ihre
Probleme. Im Gegensatz dazu habe ich die deutschen eher
verschlossen und zurückhaltend erlebt. Ich führe dies auf
die Unterschiede der Beiden Kulturen zurück, es ist eben
eine Frage der Mentalität, des Habitus mit dem man
aufwächst.
Auch die Familienanbindung ist in Brasilien viel enger. Es
ist nicht üblich nach dem Schulabschluss zum Studium in ein
anderes Land zu gehen, nicht nur weil es oft finanziell
nicht möglich ist, sondern auch aus traditionellen
Hintergründen.
Mit meinem Auslandsstudium bin ich eine Ausnahme, nicht
vielen Brasilianern gelingt es im Ausland zu studieren,
aber in Deutschland ist das umgekehrt, fast jeder den ich
kennengelernt habe war schon mal im Ausland.
Im Zuge der Globalisierung, sprechen viele Globalisierungsgegner, von einer zunehmenden Kluft zwischen den Reichen Industrieländern und den Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie vertreten die These: Dass nicht jedes Land von der Globalisierung profitieren werde. Wie schätzen Sie die Situation Ihres Landes ein?
Ich bin keine Expertin in Sachen Politik und Wirtschaft.
Jedoch denke ich, dass die Globalisierung sowohl positive
als auch negative Aspekte mit sich bringt. Als Vorteil
betrachte ich die Möglichkeit der weltweiten Vernetzung und
der damit zusammenhängenden Kommunikationsformen. Wir
können in jeder Minute wissen was gerade auf der anderen
Seite der Welt passiert, es bleibt uns nichts mehr
verwehrt.
Auf der anderen Seite führt die Öffnung der Märkte oft dazu
das nur die großen Industriestaaten von der globalen
Vernetzung des Weltmarktes profitieren. Die
Entwicklungsländer haben hier leider oft das Nachsehen. Mit
der Öffnung des brasilianischen Marktes, haben sich die
Industrieländer einige Produkte die wir vorher selbst
anbieten konnten erobert, indem sie ihre subventionierten
Güter zu einem viel niedrigeren Preis anbieten konnten als
unsere eigenen. Dadurch sind einige Sektoren zerstört
worden und wieder kämpfen die Menschen mit Arbeits- und
Perspektivlosigkeit.
Das führt auch dazu, dass die Entwicklungsländer zunehmend
aus dem Prozess der globalen Vernetzung rausgedrängt werden
und keine Möglichkeit haben sich anders zu integrieren.
Wie haben Sie Deutschland bei Ihrem zweijährigen Aufenthalt erlebt? Was haben Sie von Ihrem Heimatland am meisten vermisst?
Die Zeit in Siegen war für mich etwas ganz besonderes.
Fast alles war vollkommen neu für mich, die Menschen, die
Sprache, das Land, das Essen, die Kultur.
An der Uni habe ich auch viele andere Austauchstudenten
kennengelernt, somit habe ich mich wie in einer
multikulturellen Gesellschaft gefühlt das war eine ganz
spannende und einmalige Erfahrung.
Leider hatte ich nicht die Möglichkeit die deutsche Sprache
richtig zu lernen da mein Aufenthalt mehrere
Unterbrechungen hatte. Am meisten vermisst habe ich meine
Töchter, Familie und auch den Kontakt zu den Schülern habe
ich vermisst Außerdem hat mir ein bisschen der Lärm
gefehlt, den es in Brasilien immer gibt: Menschen die sich
laut auf der Straße unterhalten, lachen und singen.
Beim Essen hat mir vor allem das Rindfleisch gefehlt, es
ist Hauptbestandteil fast aller brasilianischen Gerichte,
aber dafür habe ich neue leckere und interessante Gerichte
und Essgewohnheiten kennen lernen dürfen.
Haben Sie den Eindruck, sich durch den Aufenthalt in Deutschland verändert zu haben? (Ansichten, Verhalten) Gibt es etwas deutsches, was Sie gerne in Brasilien einführen würden? (z.B. eine deutsche Tugend wie Pünktlichkeit oder so?)
Dazu muss ich zunächst sagen, dass ich nicht mit Anfang
zwanzig nach Deutschland gekommen bin um meinen Doktor zu
machen, sondern ich hatte bereits erwachsene Töchter.
Ich habe von vielen anderen Austauschstudenten gehört, dass
sie in Deutschland die Pünktlichkeit gelernt hätten, das
kann ich nicht bestätigen da sie mir schon immer zu eigen
war. Meine Eltern haben es mir mitgegeben.
Während meines Aufenthaltes in Siegen hatte ich die
Gelegenheit mit Abstand meinen Alltag in Brasilien zu
reflektieren und auch die Zeit mich etwas zu erholen, da
mein Alltag in Brasilien dies nicht zulässt.
In Siegen habe ich viel Ruhe erfahren und das hat mir für
heute geholfen alles gelassener und geduldiger zu
sehen.
Wie bewerten Sie die Stellung von Mann und Frau in Deutschland und Brasilien - im Vergleich?
In der Gegend wo ich wohne ist die Stellung der Frau ziemlich fortschrittlich. Die Männer sind zwar von ihrer Mentalität noch immer kleine Machos, aber die Frauen setzen sich zunehmend durch und wollen von den Männern unabhängig werden, auf eigenen Beinen stehen und arbeiten.
Haben Sie noch Kontakte nach Deutschland?
Ja, ich habe immer noch guten Kontakt zur Universität Siegen. Mit einigen Menschen die ich in Siegen kennengelernt habe schreibe ich per e-mail. Mit der Rosa Luxemburg Stiftung habe ich auch noch Kontakt.