Dr. Alexandra Geisler
Menschenhandel und Gewalt an Frauen
Dr. Alexandra Geisler kämpft schon seit über fünfzehn Jahren für die Rechte der Frauen
„Ich habe das Studium in Siegen geliebt.“ So schwärmt die heutige Berlinerin Dr. Alexandra Geisler über ihre Zeit an der Universität Siegen, wo sie ihr Diplomstudium der Sozialen Arbeit im Zeitraum von 1995 bis 2000 absolvierte. Sie denkt auch gerne an ihre Auslandsaufenthalte in den USA, der Tschechischen Republik und der Slowakei zurück, in denen sie viel gelernt hat und sich selbst weiterentwickeln konnte. Heute ist sie als Einrichtungsleiterin beim Paul Gerhardt Werk -Diakonische Dienste gGmbH für Betreutes Mädchenwohnen mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Berlin tätig.
Mit Herz und Seele für die Soziale Arbeit
Alexander Geisler absolvierte zunächst im Alter von sechzehn Jahren eine Ausbildung zur Justizbeamtin, bemerkte jedoch recht schnell, dass sie studieren möchte. Im Anschluss an ihre Kündigung holte sie ihr Abitur nach. Da sie während ihrer Ausbildung Kontakt mit dem Familiengericht, der Schuldnerberatung und der Vormundschaftsstelle hatte, entschied sie sich für den Studiengang der Sozialen Arbeit an der Universität Siegen. Siegen war ihre Wunschuniversität und sie war sehr glücklich darüber, dass sie an einer Universität studieren konnte, an der Soziale Arbeit angeboten wurde. Zu Beginn war es ihr Wunsch in die Gerichtsvollziehung einzusteigen. Jedoch merkte sie bereits nach dem ersten Semester, dass es in eine komplett andere Richtung gehen sollte. Mehrere Jahre nach ihrem Studium entschied sie sich, zusätzlich den Master in Sozialwissenschaften- Internationale Soziale Arbeit und Menschenrechte am Zentrum für Postgraduale Studien Sozialer Arbeit in Berlin zu absolvieren. Ihre Masterthese zum Thema „Gehandelte Frauen- Menschenhandel mit Frauen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aus Osteuropa“ führte letztendlich zu ihrer Promotion an der Humboldt Universität zu Berlin, wo sie sich dem Forschungsschwerpunkt des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit Frauen der ethnischen Rromagemeinschaften in Mittel- und Osteuropa widmete.
Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt in Amerika und Europa
Ihren ersten Auslandsaufenthalt verbrachte Alexandra Geisler während ihres Studiums an der Universität Siegen im Rahmen eines Praxissemesters in Detroit, USA. Dort arbeitete und lebte sie in Downtown, in einem Dayhouse, das als Notunterkunft für wohnungslose und von Gewalt betroffene Frauen und Kinder zur Verfügung stand. Darüber hinaus arbeitete sie in einer angegliederten Suppenküche sowie der Community Organization ACORN. Die Verteidigung ihrer Diplomarbeit führte sie letztendlich wieder zurück nach Deutschland, wo sie sich dann gegen ein Jobangebot in den USA entschied. Anschließend verschlug es sie nach Prag. Drei Jahre lange lebte und arbeitete sie dort gemeinsam mit Rromnia am Aufbau eines Rromastadtteilzentrums. „Es war eine tolle Zeit“, berichtet die heutige Berlinerin über ihren damaligen Aufenthalt. Obwohl sie lieber in Prag studiert und gelebt hätte, kam sie für ihren Master am Zentrum für Postgraduale Studien Sozialer Arbeit in Berlin doch zurück nach Deutschland. Während ihrer Masterthese fielen ihr die kollektiv geteilten Bilder zur Betroffenheit und Täterschaft der Ethnie Rroma im internationalen Menschenhandelsdiskurs auf. Diese auf ihre Selbstverständlichkeit hin kritisch zu betrachten sowie mögliche Strategien des „Otherings“ offenzulegen und Rromnia selbst zu Wort kommen zu lassen, wurden die Forschungsschwerpunkte für ihre Promotion. Die Forschung untersucht diskriminierende Tendenzen und gesellschaftlich (re)produzierte Stereotype in Bezug auf die Ethnie Rroma im Menschenhandelsdiskurs und bei denen im Bereich der Bekämpfung des Menschenhandels professionell Tätigen. Zum anderen werden die tatsächlichen Dimensionen der Betroffenheit von Rroma und deren Verwobenheit untersucht. Im Sinne der Partizipation richtet sich der Fokus auf die von Menschenhandel betroffenen Personen der Ethnie Rroma selbst. Durch wiederholte Forschungsaufenthalte in der Tschechischen Republik, der Slowakei, in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Serbien und Bosnien Herzegowina konnte sie ebenfalls eine Vielzahl an Interviews mit Betroffenen des Menschenhandels sowie in der Bekämpfung des Menschenhandels professionell Tätigen machen.
Engagement für geflüchtete und gewaltbetroffene minderjährige Mädchen
Von Community Organizing in Detroit und Prag über die Projektleitung bei Klik- dem Kontaktladen für junge Menschen auf der Straße, bis hin zur Geschäftsführung bei der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, hat Alexandra Geisler schon in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit gearbeitet. Sie findet es für sich als relevant, in verschiedenen Bereichen Erfahrungen gesammelt zu haben, wenn auch alle Arbeitsstellen eine Gemeinsamkeit haben: Die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Differenzierungen und Kategorisierungen in Bezug auf Geschlecht und Ethnie sowie die damit einhergehenden Grenzziehungen, Stereotypisierungen, Diskriminierungen und Ausgrenzungen.
Bei ihrer heutigen Tätigkeit hat sie ebenfalls mit von Gewalt betroffenen Frauen zu tun. Dieses Mal jedoch mit geflohenen Mädchen und jungen Frauen. Sie ist als Einrichtungsleiterin im Rahmen der Jugendhilfe für Betreutes Mädchenwohnen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge beim Paul Gerhardt Werk -Diakonischer Dienste gGmbH- tätig. Als Leiterin der Einrichtung und des Projekts trägt sie viel Verantwortung für das Team und die Mädchen, die durch das Projekt betreut werden. Das Projekt bezeichnet die Diplom-Sozialarbeiterin als ein „kleines Projekt“, da nur zwölf Mädchen in den in Berlin verstreuten Wohnungen untergebracht sind. Für sie ist die Qualität ihrer Arbeit wichtiger, deshalb müssen für sie auch die quantitativen Belegungszahlen im Projektaufbau schrittweise der sich entwickelnden Qualität angepasst werden. Ihr Berufsalltag als Einrichtungsleitung besteht in der Vertretung des Bereichs in der fachlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit, die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Ämtern, Verbänden, Organisationen und Einzelpersonen, konzeptionelle und strukturelle Verantwortung, Dienst- und Fachaufsicht des Teams, Verwirklichung der pädagogischen Ziele sowie Planung, Koordination und Durchführung von Betreuungsplanverfahren und Fachgesprächen. Des Weiteren gehört zu ihrer Tätigkeit aber auch die Drittmittelakquise zur Durchführung von Projekten, wie bspw. einem vier monatigen Anti-Bias Training für die jungen Frauen sowie die Organisation einer gemeinsamen Ferienfahrt und Selbstverteidigungskurse. Besonders spannend an ihrer Tätigkeit empfindet sie das stetige Dazulernen und Reflektieren ihrer Arbeit. Die Verantwortung und der Entwicklungsprozess ihres Teams und ihrer Klientinnen sind für sie sehr wichtig. Ebenso wie die Möglichkeit des strategischen Nutzens eigener gesellschaftlicher Privilegien, um neue Handlungsmöglichkeiten für ihre Klientinnen zu erschließen, zu denen ihnen anderweitig der Zugang nicht möglich gewesen wäre.
Als größte Herausforderung in ihrem Beruf sieht sie sich selbst. Denn eine innere Balance zu finden ist der wichtigste Baustein, um gute Arbeit leisten zu können. Ihre Arbeit geht sie stets professionell an und erwartet keine Anerkennung dafür: „Ich mache das, weil ich Sozialarbeiterin bin und weil ich gerne Sozialarbeiterin bin. Ich bin nicht auf der Arbeit, um daraus meinen Selbstwert zu ziehen und nicht wegen Anerkennung, sondern um meine professionelle Arbeit zu machen“, erklärt Alexandra Geisler ihre Motivation für ihren Job.
Neben diversen Tätigkeiten als Sozialarbeiterin war sie auch als Lehrbeauftragte tätig. Ihr macht das Dozieren an Universitäten viel Freude, weil sie es als sehr bereichernd empfindet. Neben Lehraufträgen an der Alice-Salomon-Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin, an der sie Vorlesungen zum Thema Menschenhandel gehalten hat, war sie auch an der Wesley János Lelkészképzo Foiskola Hochschule für Soziale Arbeit in Budapest tätig. Die Frage, ob sie weiterhin in der Lehre tätig sein möchte, beantwortete Alexandra Geisler mit einem klaren Ja. Sie braucht den Austausch mit Kollegen/innen aber auch Studierenden, um sich weiterentwickeln zu können. „Ich suche noch meinen weiteren Weg, irgendwas wird noch kommen“, sagt die Sozialarbeiterin. Sie hat diese berufliche Entwicklung bisher nie bereut, möchte jedoch nicht für immer in der Praxis der Sozialen Arbeit tätig sein. Deshalb sieht sie eine mögliche Zukunft in der Weiterentwicklung der Profession sowie in Lehre und Forschung.
Gärtnerei, Siebdruck und Kampfsport als Ausgleich
Um ihre innere Balance aufrechterhalten zu können, versucht sie einen Ausgleich in ihrer Freizeit zu finden. „Ich liebe es in der Erde zu wühlen“, so schwärmt Alexandra Geisler über ihre Vorliebe für Gärtnerei. Auch gemeinsam mit ihrem Hund zu wandern und die Natur zu genießen gehören zu ihren Lieblings -Freizeitbeschäftigungen. Außerdem bereitet es ihr viel Freude Siebdruck und graphische Layouts zu erstellen, um daraus dann Plakate oder Broschüren zu drucken. Als weiteren Ausgleich treibt sie Kampfsport. Auch sie selbst hat bereits Frauen in Kampfsport und Selbstverteidigung unterrichtet.
Neben ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiterin absolviert sie derzeit eine Weiterbildung an der Alice Salomon Hochschule zur Mediatorin, die sie als berufliche und persönliche Bereicherung ansieht.
Ihr Wunsch für die Zukunft
Für die Alumna hat lebenslanges Lernen einen hohen Stellenwert. Austausch und Reflektion sind ihr ein großes Anliegen genauso wie das Sensibilisieren als auch Transportieren von Wissen, um sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu einer selbstbewussten Abgrenzung zu gelangen. Ob Alexandra Geisler in der Lehre, Forschung oder der Sozialen Arbeit künftig tätig sein wird- fest steht, dass die Thematiken der gesellschaftlich vorherrschenden Kategorisierungen und Machtgefälle sowie Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse immer ihr Interessengebiet bleiben.
Dieses Porträt basiert auf einem Interview mit Alexandra Geisler und wurde von Göksu Cam verfasst.