Otto Neideck
Otto Neideck waltet seines Amtes
Otto Neidecks Erlebnisse seiner Amtszeit als erster Bürgermeister in Freiburg gespeist mit der ein oder anderen lustigen Anekdote lassen mich gespannt seinen Erzählungen lauschen. Beim Schwelgen in Erinnerungen an die Unizeit konnte ich nur erstaunt den Kopf schütteln, klar auch, denn heute als Studentin erlebe ich einen ganz anderen Studialltag an der Uni Siegen als Otto Neideck in den siebziger Jahren. Sein Leben sei geprägt von vielen Zufällen, erklärt er zu Beginn unseres Interviews. Außergewöhnliche Ereignisse, Personen und Orte haben seinen interessanten Lebensweg geprägt. Doch fangen wir vorne an.
Siegen die Familienuni
Es ist der 24.09.1974. Otto Neideck erinnert sich genau an den Tag als er in einem Bescheid der damaligen ZVS, der zentralen Vergabestelle für Studienplätze, einen Studienplatz an der Uni Siegen zugewiesen bekam. Einen Tag zuvor wurde er aus der Bundeswehr entlassen. Sofort setzte sich der in Krefeld geborene junge Mann in den Zug nach Siegen und trat zwei Tage später sein Studium der Volkswirtschaftslehre an. „Die Uni Siegen war damals, etwas salopp gesagt, eine Familienuni. Alle kannten sich untereinander, viele Dozenten sind ihm auch heute noch in lebhafter Erinnerung geblieben. „Ich erinnere mich gut daran, dass ich einmal ein Seminar geschwänzt habe und kurz darauf gefragt wurde ‚Neideck wo waren sie denn am Mittwoch?‘“, erzählt Otto Neideck heute schmunzelnd. Damals sei es gang und gebe gewesen von Weidenau aus, den Berg zur Uni hinauf zu trampen. „Jedes Auto nahm einen mit hoch“. Es gab eigentlich mehr Professoren als Studenten. 150 Studis in einem Raum glichen damals einer Massenveranstaltung, so Neideck. Und noch etwas aus Siegen hinterließ bleibenden Eindruck, oder sagen wir eher jemand. „In Siegen ist mir eine nette Siegenerin über den Weg gelaufen, mit der bin ich jetzt 38 Jahre verheiratet.“
Der Weg nach Freiburg- von Zufällen bis zum Ankommen als Bürgermeister
„Mein ganzes Leben ist ein reiner Zufall gewesen“, stellt Neideck auf die Frage nach seinem Weg in die Stadt Freiburg und in sein Amt dort fest. Nach seiner Studienzeit trat Otto Neideck 1980 zunächst eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bayreuth an. Als sein Vertrag dort auslief, bekam er zufälligerweise ein Angebot aus der Kreisverwaltung in Borken. 2,5 Jahre später wurde er Stadtdirektor im Nachbarort Rhede. Seine damalige Sekretärin dort kam zufällig aus Goslar und empfahl Neideck eine dort wiederum zufällig freiwerdende Stelle. In Goslar erreichte ihn dann der Anruf aus Freiburg mit der Frage, ob er nicht Interesse habe, dort Bürgermeister zu werden. So kam es, dass Otto Neideck seit 1993 - sozusagen zufällig - fast 25 Jahre lang erster Bürgermeister der Stadt Freiburg war, hier mit seiner Familie sesshaft wurde und inzwischen seinen Ruhestand genießt.
Im Land Badem-Württemberg sind die Strukturen der Kommunalpolitik etwas anders als in NRW. Der erste Bürgermeister ist der allgemeine Stellvertreter des Oberbürgermeisters. Der Oberbürgermeister wird vom Volk für 8 Jahre gewählt. Als Stadtdirektor ist er somit der Chef der Verwaltung, Vorsitzender des Gemeinderates und gleichzeitig Repräsentant nach außen. Der erste Bürgermeister wird vom Gemeinderat auf Dauer gewählt, nicht von den Bürgern, hat dann aber als Stellvertreter des Oberbürgermeisters die gleichen Aufgaben wie der Oberbürgermeister, wenn dieser nicht da ist. Einziger Unterschied: er hat kein Stimmrecht im Gemeinderat.
Als studierter VWL‘er in der Kommunalverwaltung
Inwiefern ist man als studierter VWL’er für die Aufgaben in der Kommunalverwaltung gerüstet, wollen wir von Otto Neideck wissen. Er gesteht, dass er in seinem beruflichen Leben kein einziges volkswirtschaftliches Modell habe anwenden müssen. Aber was er in dem Studiengang auf jeden Fall gelernt habe, sei logische Denkstrukturen und Abstraktionsvermögen zu entwickeln. „Und natürlich auch, was ganz wichtig ist, wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen“.
Otto Neideck war in seiner Funktion auf der Verwaltungsebene in Freiburg vor allem auch als Dezernent für Finanz-, Wirtschafts-, Wohnungswesen tätig. Von Vermessung bis Friedhofswesen, von Standesamt bis hin zu Sport und Feuerwehr. Als Finanzbürgermeister war er für einen bunten Blumenstrauß an verschiedenen Fachgebieten zuständig und gestaltete gerade aus dieser Funktion heraus viele Bereiche der grünen Vorzeigestadt mit. Ein großes Thema, welches ihm über seine Hauptverantwortungen und Funktionen hinaus besonders wichtig war und weiterhin ist, stellt das Erlebbarmachen Europas dar. „Gerade in Freiburg ist man durch die Nähe zu seinen europäischen Nachbarländern wie die Schweiz oder Frankreich geprägt“.
Höhepunkte und Herausforderungen des Bürgermeisters
Als einen der größten Höhepunkte in seiner Laufbahn beschreibt Otto Neideck den Papstbesuch 2011 in Freiburg, der erste in der Geschichte der Stadt, bei dem er sogar eine persönliche Begegnung mit Papst Benedikt XVI. hatte. „Das war ein riesiges Event mit unendlichen Sicherheitsvorkehrungen, ein Jahr Arbeit für diese zwei Tag.“ Ein weiteres unvergessliches Erlebnis seiner Amtszeit stellte für ihn die Tour de France in Freiburg dar, bei dem ein unvergleichliches Radsport-Fest in der Stadt gefeiert wurde.
Doch das Amt des Bürgermeisters birgt auch Schattenseiten. „Als Repräsentant ist man eigentlich sieben Tage die Woche immer unterwegs, das muss man mögen“. Außerdem war Neideck immer bewusst, dass man als Bürgermeister nicht nur Freunde hat. „Es hat Phasen gegeben, in denen wir unter Polizeischutz aufgetreten sind.“ Daher sei es in seinem Job auch besonders wichtig gewesen, die Familie abzuschirmen.
Kann man nach so langer Zeit überhaupt aufhören, Politiker zu sein?
„Ja das kann man, und zwar vergleichsweise gut“, meint Neideck. Neideck ist vor drei Jahren mit Einstieg in den Ruhestand quasi freiwillig aus dem Amt ausgestiegen und seit dem noch nicht einmal wieder im Rathaus gewesen. „Ich glaube, dass die, die jetzt die Verantwortung tragen das auch ohne mein Besserwissen problemlos können.“ Allerdings ist Neideck noch Vorsitzender des Regionalverbandes südlicher Oberrhein und damit doch noch ein kleinwenig für die Stadt und die damit verbundenen Belange auf eine gewisse Art aktiv. Der Rheinländer erkundet nun viel zu Fuß weiter die Stadt, die er lange mit geprägt hat, in ihren vielfältigen und teilweise noch unentdeckten kleinen Nischen und ist in seiner neuen Freizeit heute viel mit seiner Frau, der ehemaligen Bibliotheksmitarbeiterin der Uni Siegen in der naheliegenden Natur Freiburgs wie dem Schwarzwald und den Weinbergen unterwegs. Auch seinen großen Traum Saxophonspielen zu lernen, hat er sich erfüllt. Wenn er in den verschieden Ortsteilen Freiburgs unterwegs ist, wird er jedoch immer noch als Bürgermeister erkannt und in Gespräche mit den Bürgern verwickelt, die auf ihre Weise die entstandene Verwurzelung mit Freiburg beweisen. Für seine Zukunft, erklärt Neideck, habe er nur einen Wunsch, nämlich gesund zu bleiben und den Rest des Lebens in vollen Zügen zu genießen.
Nach diesem spannenden Gespräch mit Rückblicken und Einblicken in vielfältige Erfahrungen des angesehenen Kommunalpolitikers wäre es für uns eine Freude Otto Neideck und seiner Frau heute noch einmal auf einen Erkundungsspaziergang über und durch seine ehemalige Uni in Siegen zu begleiten. Gerade die neu renovierte Bibliothek dürfte Eindruck machen und wer weiß, vielleicht schmeckt das Essen in der Mensa heute immer noch so gut, wie er in seinen Erzählungen von damals schwärmte.
Dieses Porträt basiert auf einem Interview mit Otto Neideck, geführt von Janice Gust und Susanne Padberg, und wurde von Janice Gust verfasst.