Thomas Pütz
Thomas Pütz hat an der Universität Siegen Betriebswirtschaftslehre studiert und ist heute als Senior Consultant Network-Systems- and Security Management bei der Modular Computer Systems GmbH in Köln tätig. Datensicherheit und Wirtschaftsspionage - auf diesem Gebiet ist er ein gefragter Experte.
Mit ökonomischen Scharfsinn den Spionen auf der Spur
Big brother is watching you: Dicht hinter ihm fällt das
große Sicherheitstor ins Schloss. Geschafft! Selbst wer hier
zum ersten Mal, allein, auf leisen Sohlen und möglichst
schnellen Schrittes den Weg zur Pförtnerloge hinter sich
bringen will, weiß: Kameras beobachten jeden Schritt, jedes
Geräusch wird aufgezeichnet, rund um die Uhr. Hier bewegt sich
nichts und niemand, ohne Spuren zu hinterlassen und ohne für
entsprechende Aufmerksamkeit an den Monitoren zu sorgen. Es ist
das erste Mal, dass Thomas Pütz die ganze Macht einer deutschen
Sicherheitsbehörde zu spüren bekommt. Mehrere Mitarbeiter
empfangen ihn auf dem Gelände des Bundesamtes für
Verfassungsschutz (BfV) in Köln: „Ich bin damals sprichwörtlich
in die Welt von 007 abgetaucht“, erklärt der Siegener Alumnus,
„es war in jeder Beziehung Respekt einflößend."
Dieser erste Eindruck aus dem Jahr 2007 ist bei Pütz
hängengeblieben. Heute, sieben Jahre später, als ich ihn in
einem Siegener Café treffe, ist er nach wie vor dafür dankbar,
dass er als Diplomand die Unterstützung durch das BfV erfahren
hat. Gerade in einem Umfeld das seinem Wesen nach als
Staatsgeheimnis angesehen werden kann ist Kooperation und
Transparenz keine Selbstverständlichkeit. Diese Anekdoten
erzählt er gern, weitaus spärlicher ist der Fluss an
Informationen. Verständlicherweise, denn um den Schutz und
Austausch von Daten dreht sich ein großer Teil seines Lebens.
Schon mit seiner Diplomarbeit legte er den Grundstein für seine
berufliche Zukunft. Das Thema „Die Bedeutung des Problems der
Wirtschaftsspionage für den deutschen Mittelstand“ öffnete ihm
nicht nur das Tor zu den streng behüteten Hallen des
Verfassungsschutzes, es war auch der nahtlose Einstieg in seine
berufliche Karriere. „Die Abschlussarbeit ist die
Visitenkarte“, meint Pütz, „sie macht den Unterschied zwischen
den Absolventen aus." Heute berät er Unternehmen zu Fragen der
IT-Sicherheit und zu so genannten
Informationssicherheits-Management-Systemen und sieht sich
dabei hauptsächlich als Vermittler zwischen den
unterschiedlichen Denkweisen sicherheitsorientierter Techniker
und kostenorientierter Manager.
Erste Hilfe beim Abwägen
Dass der diplomierte Kaufmann dieser Berufung einmal folgen würde, war nicht immer klar. Nach dem Abitur auf einem Wirtschaftsgymnasium stand er vor der Wahl. Sollte er sich weiter in die kaufmännische Richtung entwickeln? Oder war die Informatik das Fach seiner Leidenschaft? Dass er sich damals für das Studium der Betriebswirtschaftslehre entschieden hat und über das Losverfahren in Siegen landete, hat der gebürtige Rheinländer nie bereut. Bis heute profitiere er stark von seiner Ausbildung im Siegerland, sagt der IT-Experte. Nicht nur beim Verfassen längerer Texte könne er auf die damals erworbenen analytischen Kompetenzen zurückgreifen. Besonders die Themen im Spektrum zwischen Bilanzierung, Kostenrechnung und Wirtschaftsinformatik seien das nötige Handwerkszeug, um bei der aktuellen Beratertätigkeit ein tieferes Verständnis für das eigene Schaffen zu bekommen: „Der reine Techniker kriegt nie genug Sicherheit. Der reine Manager sieht nur die Kosten. Ich helfe den Parteien beim Abwägen und kläre mit ihnen die Frage nach dem wirtschaftlich sinnvollen Sicherheitsniveau“, umreißt Pütz sein Tätigkeitsfeld. Sein aktueller Arbeitgeber liefert dem Kunden ein Komplettpaket von der technischen Schwachstellen- und kaufmännischen Risikoanalyse bis hin zur Optimierung von Prozessen und zur Implementierung neuer Systeme. Dabei runde besonders seine Erfahrung aus seiner früheren Tätigkeit beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die akademische Theorie mit exzellentem Praxiswissen ab: „In diesen Räumen kommt die geballte IT-Intelligenz Deutschlands zusammen. Heute, als Berater, sind die dort erworbenen Fähigkeiten von einem unschätzbaren Wert."
Datenschutz ist Privatsache
Nicht zuletzt die aktuelle Debatte um die Spionageangriffe und die breit angelegten Abhörmaßnahmen der National Security Agency (NSA), dem Nachrichtengeheimdienst der USA, machen den Spezialisten zu einem gefragten Mann. Dass dieses Thema irgendwann hochkochen musste, überrascht Pütz nicht: „Die Fach-Community kennt das Problem schon seit vielen Jahren“, erklärt er. "Das Ausmaß ist zwar beeindruckend, die technischen Möglichkeiten sind aber alle seit längerer Zeit bekannt." Gesetzgeberisch geebnet wurde der Weg zur Rundumüberwachung durch die USA von George W. Bush als Folge der Anschläge vom 11. September 2001. Im Zuge der Einrichtung des "Patriot Acts" wurde damals auch der so genannte "Foreign Intelligence Surveillance Act" aufgeweicht. Dieses Gesetz regelt die Befugnisse der amerikanischen Geheimdienste und lässt seither den uneingeschränkten Zugriff auf sämtliche Datentransfers auf bzw. über US-amerikanischen Boden zu: „Dadurch kann die National Security Agency (NSA) praktisch den größte Teil des internationalen Datentransfers mitschneiden“, erklärt der Security-Experte. Als Hauptgeschädigte sieht Pütz dabei innovative Unternehmen in allen Nationen, die der NSA bewusst oder unbewusst den Datenzugriff ermöglicht haben. Die Folge: Der internationale Wettbewerb wird durch diese Datensammlung verzerrt, was für viele Volkswirtschaften mit immensen Kosten verbunden ist. Dabei sind die Empfänger der gewonnenen Informationen nur in seltenen Fällen die Unternehmen direkt. Da es sich bei den geheim gesammelten Informationen dem Charakter nach um Staatsgeheimnisse handele, sei eine Weitergabe an die Privatwirtschaft mit hohen Risiken für alle Beteiligten verbunden. Auch für die Geheimdienste selbst, die damit auf Dauer ihre eigenen, geheimen Quellen preisgeben und trockenlegen würden. Die Rezipienten der Informationen seien somit in erster Linie die Regierungen verschiedener Länder, die laut Pütz aus umfassenden Analysen politische Maßnahmen zur Vorteilsgenerierung ableiten würden. „Datenschutz ist jedoch in erster Linie Privatsache. Daher müssen wir die Unternehmen für diese Problematik sensibilisieren“, erklärt der Fachmann. Diese Aufgabe nahm Pütz bereits während seiner Zeit beim BSI wahr, heute hat diese Vorgabe in der Unternehmensberatung höchste Priorität.
Aikido schärft den Blick
Seine Vita als Karrieremann wirke allerdings nur
rückblickend sehr geradlinig - sagt Pütz. „Die Karriere penibel
vorauszuplanen ist nur bedingt möglich." Pütz verweist dabei
auf Wahrnehmungsverzerrungen durch sich räumlich und zeitlich
ändernde Perspektiven und auf Nassim Talebs Buch „Der Schwarze
Schwan“. „Entscheidend ist, dass man weiß, wer man ist und was
man will. Dann triffst du an den Scheidepunkten die richtigen
Entscheidungen." Pütz selbst setzte sich schon während des
Studiums intensiv mit diesem Problem der Selbstfindung
auseinander. Auch in dieser Phase zeigte sein Siegener Umfeld
Wirkung. Besonders die Lehren von Professor Gustav Bergmann aus
der Siegener Fakultät für Wirtschaftswissenschaften halfen ihm,
innere Leitmotive zu suchen bzw. zu finden. „Das sind die
Motivatoren des Lebens“, unterstreicht der Unternehmensberater,
„sie machen dir bewusst, was du wirklich willst."
Zum Tragen komme dieser Aspekt besonders bei der Frage nach der
Work-Life-Balance. Sie ist für Menschen in Beraterberufen, in
denen ein beruflicher Aufwand von 60 bis 80 Wochenstunden
durchaus realistisch ist, ein oft diskutiertes Thema. „Wenn Sie
nicht genau wissen, was sie antreibt, werden sie hier schon in
den ersten Jahren verbrannt'“, macht der Berater klar. Er
selbst fand heraus, dass eines seiner wesentlichen Bedürfnisse
die körperliche Aktivität ist. Seit vielen Jahren sind die
Kampfkünste seine Leidenschaft: „Aikido ist für mich eine Form
der Meditation und durchaus eine Quelle spiritueller Energie."
Über die Jahre hat sich für den Karrieremann daraus ein
persönliches Frühwarnsystem entwickelt: „Ich spüre, dass es mir
nicht gut geht, wenn ich das Training schleifen lasse." Dieses
Bewusstsein bzw. Bewusstmachen des hohen persönlichen
Stellenwerts des Sportes ließ ihn sogar schon lukrative
Jobangebote ausschlagen. Im Nachhinein habe sich das stets als
die richtige Entscheidung erwiesen. Nur mit diesem Wissen über
sich selbst könne man auch dem Arbeit- oder Auftraggeber
gegenüber authentisch auftreten und ein für beide Seiten
akzeptables Arbeitsverhältnis aushandeln: „Nicht selten werden
junge Kollegen innerhalb kürzester Zeit vereinnahmt und von der
Branche geschluckt“, warnt der Unternehmensberater den
Nachwuchs.
Kontrolle in Balance
Nicht nur mit den eigenen beruflichen Zielen in der
IT-Sicherheitsbranche hat sich der Siegener Alumnus intensiv
beschäftigt. Oft werde er auch nach seiner Meinung zum privaten
Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger gefragt. Die Gefahr
eines Orwell'schen „1984“ sieht er – anders als viele Kritiker
– hier jedoch nicht. Mit seiner Basistheorie: „In kaum einem
Land kann man sich abends noch so sicher und frei auf der
Straße bewegen“, steige er meist in seine Überlegungen ein, um
"mit ökonomischer Nüchternheit die aktuell debattierte
Problematik aus der Perspektive des Normalbürgers zu
analysieren". Ziel sei, das Luxusgut „Innere Sicherheit“ mit
einem Mehr an staatlicher Kontrolle in Balance zu halten oder
zu bringen. Balance, Abwägen - das sind auch die Stichworte,
die Pütz einfallen, wenn die Rede auf den "Nutzen" von
Social-Media-Plattformen kommt, wo Menschen vieles über ihre
Person und Persönlichkeit preisgeben. "Daten preiszugeben,
Daten zu sammeln, Daten zu filtern, Daten weiterzugeben -
dieser Kreislauf funktioniert als wirtschaftlich geprägtes
Geschäftsmodell nur, wenn die Datenquellen sprudeln. Das sollte
jedem klar sein“, gibt der Sicherheitsexperte zu bedenken.
Dabei ist Pütz keineswegs unkritisch: „Natürlich können
Facebook-Profile und andere Internetaktivitäten auch negative
Auswirkungen auf die persönliche Zukunft haben“, räumt er ein,
„entscheidend ist allerdings nicht die Abschaffung, sondern der
gewissenhafte Umgang mit diesen Medien." Das sei Jung und Alt
zu vermitteln.
Thomas Pütz wird sein Scherflein dazu beitragen, den Blick fürs
Wesentliche zu schärfen. „Ich habe mein Thema gefunden, liebe,
was ich tue, und freue mich auf das, was noch kommt“. Ob sich
ihm wie vor sieben Jahre die Türen zu den
(Nachrichten-)Diensten dieser Republik noch einmal öffnen
werden, das weiß er nicht. Ganz sicher weiß er aber, dass er in
diesem Jahr seine Promotion nachschieben wird. Denn es gibt
Themen, die interessieren nicht nur ihn. Beispiel gefällig?
„Spionage – Eine wirtschaftswissenschaftliche Analyse" So der
Arbeitstitel seiner Doktorarbeit.
Dieser Artikel wurde verfasst von Christian Lenz und basiert auf einem Interview in einem Siegener Café.