Theorie und Praxis gegenübergestellt
Eine Podiumsdiskussion bildete den Auftakt zum Alumni-Treffen an der Universität Siegen
Presseresonanz vom: 23.06.2002
Erschienen in: Siegener Zeitung
matz Siegen. Am Samstag hatte die Universität Siegen zum
zweiten Mal zum Jahrestreffen ihrer Alumni geladen. Zwar hatte
man sich nach dem großen Treffen im vergangenen Jahr dazu
entschlossen, in den geraden Jahren nur einen kleinen
Alumni-Tag zu veranstalten, doch auch dieser konnte mit einigen
interessanten Aktionen aufwarten.
Den Auftakt bildete eine Podiumsdiskussion. Drei Vertreter der
Hochschule und vier Absolventen diskutierten unter der
Moderation von SZ-Chefredakteur Dr. Eberhard Winterhager zum
Thema »Theorie und Praxis für die Karrieren von morgen - Wie
positioniert sich die Universität im 21. Jahrhundert?
Physiker sind nicht unbedingt die Praktiker«, stieg Winterhager
ein. »Ist der Studiengang für die Praxis geeignet?« Eher
weniger, lautete die Antwort von Dr. Rainer Baumgart,
Physik-Absolvent von 1984. »Er ist schon sehr
theorieorientiert.« Jedoch, gab der Vorstandsvorsitzende der
Firma secunet, Security Networks AG, zu bedenken, sei
Praxisorientierung von der Industrie auch nicht unbedingt
erwünscht. »In einer solch schnelllebigen Zeit hat die
Ausbildung von heute in zehn Jahren keine Relevanz mehr.«
Für Thorsten Rehling, Absolvent von 1997, war in seinem Fach
Internationale Projektierung (IP, Maschinenbau mit einem
Schwerpunkt auf Fremdsprachen) wichtig, dass er auch im Umgang
mit Menschen etwas lernen konnte. »Das ist viel wichtiger als
jede theoretische Komponente«, befand der Gründer des
Unternehmens »handy.de«.
Dr. Verena Volpert, Absolventin im Fachbereich
Wirtschaftswissenschaften (1984), sah das Studium als
Grundausbildung an - »wenn auch eine sehr theorielastige. Es
gab nur wenig Teamarbeit und wenige Praxisorientierung«,
bemängelte die Leiterin der Zentralen Finanzabteilung der
Bertelsmann AG.
Sabine Kneppe, Absolventin aus dem Jahr 1995 (Magister mit
Hauptfach Germanistik) und Redakteurin bei einer Tageszeitung,
schwor auf Praktika. Denn: »Mein Hochschulabschluss hat
niemanden interessiert, nur meine Praktika.« Sie habe die
Erfahrung gemacht, dass ein offeneres Studium größere
Anforderungen an den Einzelnen stelle. »Besonders im Hinblick
auf Selbstmotivation und -organisation.«
Prof. Dr. Arthur Woll, Wirtschaftswissenschaftler und
Gründungsrektor der Uni, neigte zur Vermittlung von Theorie:
»Man braucht mehrere Jahre, um ökonomisch zu denken, um
ökonomische Zusammenhänge zu begreifen.« Ökonomen sollten auf
ihren Beruf vorbereitet werden, daher sei die Theorie
unabdingbar.
Für den Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Richard Huisinga
ist ein Studium, das theorielastig ist, kein Studium. »Wir
dürfen jedoch Praxis und Praktika nicht verwechseln.« Man
brauche oft den Nutzen, der nicht sofort den Anwendungszweck
hervorbringe.
»Das Fach erfordert es selbst, wie man sich damit
auseinandersetzt«, warnte Uni-Rektorin Professorin Dr. Theodora
Hantos vor Allgemeinerungen. »Der Philosoph z.B. muss sich auch
mit unserer Welt auseinandersetzen.« Jedoch sei immer alles
auch auf andere Berufsbilder anwendbar. Und die Uni schaffe
dafür die Grundlage.
Stichwort: Umgang mit Menschen. »Was kann und sollte die Uni da
leisten?«, fragte Winterhager in die Runde. Das bekomme man
nebenher mit, hatte Dr. Rainer Baumgart erfahren, »das wird
nicht gelehrt.« Als kleine Hochschule habe man jedoch die
Möglichkeit, dies zu lehren, widersprach Rektorin Hantos. »Da
sind wir mit dem Bachelor-Master-Studiengang und seinen
Vermittlungsmodulen auf einem sehr guten Weg.«
In den USA holten sich die Bachelorabsolventen derlei
Erfahrungen nach dem Abschluss, ergänzte Gründungsrektor Woll.
»Aber viele kommen nach ein bis zwei Jahren Praxis zurück und
machen den Master.« Andere erwürben sich Praxis in ihren
Nebenjobs. Rehling nahm die Absolventen in die Pflicht. Damit
die Hochschulen wüssten, was sie zu leisten hätten, seien
Kontakte der Absolventen zu ihnen sehr wichtig. Rehling: »Da
ist eine Umkehr in der Denke der Studierenden notwendig, dass
sie auch eine Bringschuld haben.«