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Die Zielfahnder vom Campus

Amerikanische Hochschulen spähen nach den dicken Konten ihrer Ehemaligen. 60 Milliarden Mark private Spenden fließen jährlich in die Kassen der UniversitätenVon Martin Spiewak

Presseresonanz vom: 18.10.2001
Erschienen in: Die Zeit

Ob sie stolz auf ihre Universität sei? Valerie Smith schaut verwundert. Was für eine seltsame Frage,
die klingt, als habe sie in den vergangenen 90 Minuten irgendetwas falsch gemacht. Natürlich sei sie
stolz, sehr stolz sogar.

Die 23-jährige Studentin führt als Campus-Guide Besucher über das Gelände von Berkeley, vom
kunstvoll geschmiedeten Eingangstorbogen an der berühmten Campanile vorbei zur Hauptbibliothek
im Stil eines antiken Tempels. Sie trägt das Berkeley-Wappen auf dem Sweatshirt, und die Belege für
die Qualität der Ausbildung und die Weltklasse der Forschung an ihrer Universität hat sie auf der
Tour Schlag auf Schlag heruntergebetet. An keiner amerikanischen Universität gebe es so viele
Doktoranden. Sieben Nobelpreisträger und drei Pulitzerpreis-Gewinner würden hier unterrichten.
Und was das Schönste sei: Beim letzten Forschungsranking habe Berkeley den ewigen Konkurrenten
Stanford überflügelt.

John M. Cash mag Studenten wie Valerie Smith, denn er weiß: Aus zufriedenen Studenten werden
noble Spender. Cash, als Vizekanzler fürs Geldsammeln an der kalifornischen Elitehochschule
zuständig, hat die größte Spendenkampagne in deren Geschichte hinter sich. 1,44 Milliarden Dollar
haben die Fundraiser zusammenbekommen, das meiste Geld kam von den Alumni, den ehemaligen
Berkeley-Studenten.

Vorbei sind die Zeiten, als man sich hier auf öffentliche Zuschüsse verlassen konnte. Vor 25 Jahren
kamen noch rund 80 Prozent des Hochschuletats vom Staat, heute ist es nur noch gut jeder dritte
Dollar. Und so begann die staatliche Universität Berkeley Ende der achtziger Jahre mit dem, was die
private Konkurrenz aus Stanford und Harvard schon immer tat - und deutsche Universitäten gerade
erst entdecken (ZEIT Nr. 42/01): Sie verstärkte die Kontakte zu ihren Ehemaligen und
professionalisierte ihr Fundraising. Mittlerweile sind in Berkeley 250 Personen nur mit der
Absolventenbetreuung und dem Spendensammeln beschäftigt.

Wir-Gefühl verpflichtet ewig

Als Berkeley 1996 mit seiner Milliarden-Dollar-Kampagne begann, machten sich Cash und seine
Kollegen erst einmal daran, die 270 000 Namen in der Ehemaligendatei nach ihrem finanziellen
Potenzial aufzuteilen. Den ersten wichtigen Hinweis gibt dabei immer die Postleitzahl. Sie verweist auf
das Wohnviertel und damit auf die Finanzkraft des Alumnus: Upper East Side, New York -
potenzieller Großgönner, südliche Bronx - jeder Spendenbrief zwecklos. 70 000 Alumni wurden
angeschrieben und um eine Gabe gebeten; unter ihnen spähte man 7500 aus, die mehr als 10 000
Dollar geben könnten. Ihnen sollte eine besondere Fürsorge zukommen.

Allein 14 Rechercheure in Cashs Abteilung entwickeln die jeweils auf die Person zugeschnittene
Strategie, wie man einen besonders reichen Alumnus um eine Spende angehen könnte: Wie groß ist
sein Vermögen? Welche Hobbys pflegt er? Wo studieren seine Kinder und Kindeskinder? Für
welchen guten Zweck hat er bereits etwas gegeben? "Es ist fast furchterregend, wie viel wir über die
Leute rauskriegen", sagt Richard K. Naum, Cashs Kollege von der Columbia-Universität. Die
Datenschutzvorschriften in den USA sind locker, und kein Reicher wundert sich, wenn er irgendwann
einen Brief vom Präsidenten seiner ehemaligen Universität erhält mit dem Vorschlag, sich doch einmal
zu treffen und über alte Zeiten und neue Pläne zu plaudern.

Ein beliebter Umweg, sich dem Großspender zu nähern, sind ehemalige Klassenkameraden - am
besten solche, die bereits zu den Spendern gehören. Sie geben Auskunft über die Finanzverhältnisse
ihres Exkommilitonen, vielleicht besuchen sie ihn sogar selbst. Denn mit ihrem Abschlussjahrgang
fühlen sich Absolventen amerikanischer Hochschulen lebenslang eng verbunden. Schließlich hat man
mit seinen Studienkollegen lange Zeit in einem Klassenverband verbracht und die ersten beiden Jahre
auf dem Campus sogar unter einem Dach gewohnt. Viele Amerikaner erinnern sich an ihre Studienzeit
auf dem College mit Wehmut: das erste Mal von zu Hause weg, das erste kollektive Besäufnis, die
ersten erotischen Abenteuer. Das schweißt zusammen.

Wer möchte, braucht den Campus der Spitzenuniversitäten kaum zu verlassen: Fast jeden Tag stehen
Konzerte und Theateraufführungen auf dem Programm, für jede denkbare Sportart gibt es
erstklassige Schwimmbäder und Turnhallen. Die Studenten können auf dem Campus einkaufen und
zum Arzt gehen. Berater helfen ihnen bei der Zusammenstellung des Stundenplans, Finanzexperten
stehen bei Geldproblemen (Stichwort Studiengebühren) bereit, Psychologen bei seelischen Krisen.
Und im placement office findet man Hilfe bei der Jobsuche. Die Rundumversorgung soll den
Studienerfolg sichern; Abbrecher oder arbeitslose Absolventen trüben die Statistiken.

Anders als deutsche Hochschulen unternehmen amerikanische Universitäten und Colleges viel, damit
sich Studenten und Absolventen mit ihnen identifizieren. Von der feierlichen Begrüßung der freshmen
durch den Universitätspräsidenten, der jährlichen Wiedersehenszeremonie zu Semesterbeginn bis zur
pompösen graduation party mit Freunden, Eltern und Professoren: Die Lektionen im Studienfach
Wir-Gefühl sind fester Bestandteil des Curriculums. Große Universitäten füllen ganze Stadien, wenn
am Ende der Collegezeit bei feierlichen Gesängen und der pathetischen Rede eines berühmten
Alumnus die Diplome vergeben und die lebenslangen Bande mit der Universität beschworen werden.

Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, wenn zum Studienende ganze Jahrgänge geschlossen in die
Absolventenvereinigung eintreten. Dann heißt es: Einmal Princeton, immer Princeton. Doch nicht nur
die privaten Eliteinstitutionen betreiben Alumnipflege: Auch wer an der staatlichen Universität
Michigan oder am Colorado College studiert hat, bleibt auf ewig ein Kind seiner Hochschule.
Zeitlebens benutzen die Alumni die E-Mail-Adresse ihrer Universität, stecken sich die Nadeln ihrer
Hochschule ans Revers. Sie schreiben Briefe an Politiker, die der Hochschule die Mittel kürzen
wollen, und Leserbriefe an Zeitungen, wenn es an ihrer Uni nicht so läuft, wie sie es wünschen. Als
Gönner, Lobbyisten und Botschafter haben Alumni Einfluss - und sie mischen mitunter auch bei der
Forschung mit. So gehört das Patent auf die berühmten Stammzelllinien der University of Wisconsin
einer mit ihr verbundenen Stiftung, der Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF). Die von
Ehemaligen gegründete Vereinigung fördert besondere Forschungsaktivitäten.

In der Regel alle fünf Jahre treffen sich die Alumni zum homecoming, dem großen Wiedersehen ihres
Jahrgangs. Gleich mehrere Tage lang verbringen die ehemaligen Kommilitonen gemeinsam auf dem
Campus. In den Jahren dazwischen werden sie mit regionalen Treffen, Newslettern und journalistisch
anspruchsvollen Magazinen über ihre Universität auf dem Laufenden gehalten. Sie erfahren, dass John
Smith, '72 (die Zahl steht für das Abschlussjahr), gerade ein Buch geschrieben hat und Paul Miller,
'84, jetzt in der National Academy of Sciences sitzt.

Die Universität veranstaltet Reisen und Seminare für Alumni, bietet verbilligte Versicherungen und
lukrative Vermögensanlagen. Kunstprofessoren laden besonders verdiente Alumni zu
Museumsführungen ein, Nobelpreisträger informieren privatissime über neuste Erkenntnisse auf ihrem
Feld. Einigen Ehemaligen dient der Campus sogar zur letzten Ruhe: An der University of Virginia steht
eine Granitgruft bereit, am Mount St. Mary's College ein institutseigener Friedhof.

Wer erlebt hat, wie sich die Absolventenjahrgänge bei ihren Treffen gegenseitig in puncto
Großzügigkeit zu überbieten versuchen, weiß, dass sich die Alumnipflege für die Universität lohnt.
Unter dem Jubel der Menge werden die gesammelten Spendensummen ausgerufen. Zur
Berkeley-Kampagne trug jeder dritte Alumnus etwas bei. In Princeton geben sogar 70 Prozent
regelmäßig für ihre Hochschule - obwohl sie bereits während des Studiums über 20 000 Dollar im
Jahr an Gebühren zahlen mussten.

Insgesamt kamen im Jahr 2000 umgerechnet knapp 60 Milliarden Mark an privaten Spenden
zusammen, ein Drittel des Geldes stammte von Ehemaligen. Walter Hewlett, Sohn des verstorbenen
Computerunternehmers und Stanford-Absolventen William Hewlett, übergab der Hochschule seines
Vaters einen Scheck über 400 Millionen Dollar - als Erinnerung an "die lebenslange Verbindung"
seines Vaters mit der kalifornischen Universität. Diese bislang größte individuelle Spende in der
Geschichte der US-Universitäten war keineswegs für die Informatik-Fakultät bestimmt, sondern soll -
so will es der Gönner - in erster Linie der Verbesserung der Lehre zugute kommen.

Die Kunst der Spendeneintreiber besteht darin, die Bedürfnisse der Universität mit den Interessen des
Spenders abzustimmen, sagt Robert C. Pringle, Vizemarketingchef in Stanford. "Fundraising ist wie
Ehevermittlung." Statt in den großen Topf einzuzahlen, wollen die meisten Mäzene Konkretes fördern:
einen Lehrstuhl, eine bestimmte Fakultät, einen neuen Wissenschaftszweig. Manchmal aber kommen
beide Seiten nicht zusammen: Stanford, berichtet Pringle, lehnte einst eine Spende für Stipendien ab,
mit denen der Gönner nur weiße, christliche Studenten bedenken wollte. Ein texanischer Geldgeber
konnte eine Millionenspende in Yale nicht landen, weil sie an die Bedingung geknüpft war, wieder
mehr amerikanische Geschichte und weniger global history zu unterrichten.

In der Regel gelingt es den Fundraisern jedoch, ein geeignetes Projekt für jeden Gebewilligen zu
finden. Die Methoden der professionellen Geldsammler haben sich dabei in den vergangenen Jahren
ständig verfeinert. Wissenschaftssponsoring ist zu einer Wissenschaft für sich geworden, die man
mittlerweile sogar studieren kann. Die Stars der Branche verdienen mehr als Professoren und werden
von anderen Hochschulen abgeworben. "Ein guter Fundraiser kennt den Spender genau", sagt
Richard K. Naum von der Columbia University. Er weiß, dass ein junger Dotcom-Millionär eine
andere Pflege braucht als ein 70-jähriger Erdölbaron. Arbeitet der Alumnus im Biobusiness, muss der
Fundraiser sich über Gentechnik unterhalten können, schätzt der Gönner teure Weine, muss er einen
guten von einem schlechten Tropfen unterscheiden können.

Um einen Dollar zu verdienen, investiert Columbia fünf Cent, sagt Naum. Das ist eine
außergewöhnlich hohe Rendite, die nur durch lange Erfahrung, den Wirtschaftsboom der neunziger
Jahre sowie die Spendentradition der Amerikaner zu erklären ist. Dass in Europa eine andere
Mentalität herrscht, erfuhren amerikanische Universitäten, als sie vor ein paar Jahren begannen, ihre
Alumnikontakte außerhalb der USA zu stärken. Für Stanford blieb der Ertrag bislang bescheiden,
sagt Robert C. Pringle. "In Europa zahlen die Leute eher Steuern, als zu spenden." Außerdem fehlen
großzügige Steuererleichterungen wie in den USA.

Dennoch ändert sich etwas. CASE, die Dachorganisation der Fundraiser an amerikansischen
Hochschulen, bietet seit einigen Jahren auch in Europa Seminare über die neuesten Techniken der
Alumnipflege an. Unter den Mitgliedern von CASE Europe befinden sich zurzeit vor allem englische
und skandinavische Universitäten. Seit diesem Jahr stehen auch zwei deutsche Hochschulen auf dem
Verteiler: die TU München und die neue private International University of Bremen. Im nächsten Jahr
sollen weitere hinzukommen, hofft man bei der CASE-Europe-Zentrale in London. Der nächste
Europakongress findet in Berlin statt.

 
 
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