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Wa(h)re Bildung

Darf Bildung kommerzielle Dienstleistung sein? An deutschen Universitäten ist darüber eine heftige Debatte entbrannt. Wohin der Trend geht, ist klar: Immer mehr private Ausbildungsstätten konkurrieren mit staatlichen Einrichtungen - doch sind die neuen wirklich besser?

Presseresonanz vom: 29.07.2002
Erschienen in: Der Spiegel

Nur der Hausmeister erfüllt an diesem Tag die Voraussetzungen für den Hochschulzugang. Ansonsten lassen die Studenten niemanden herein. Schulter an Schulter stehen sie vor dem Eingang zum Philosophenturm der Hamburger Universität und blockieren die Türen.

Sie protestieren gegen die "totale Durchökonomisierung der Uni", wie ein Streikposten ins Mikrofon brüllt. Gegen "die völlige Ausrichtung auf Verwertbarkeit". Und dagegen, dass Bildung zum "Privileg für Eliten" werde. "Bildung für alle, nicht nur für Siemens" fordert ein Demonstrant und verwehrt - seltsame Logik - Kommilitonen den Zutritt zur Vorlesung.

Ein paar Straßen weiter, eine andere Welt: In einer Gründerzeitvilla am vornehmen Rothenbaum beobachtet der Analyst Stephan Lipfert am Monitor, wie sich das Portfolio entwickelt hat: die Aktie der Apollo Group etwa, eines US-Bildungskonzerns mit rund 60 privaten Hochschulen und 130 000 Studenten. Kursverlauf seit den Terroranschlägen in den USA: plus 45 Prozent. "Ein tolles Produkt", schwärmt der Analyst.

Vor drei Jahren haben sich Lipfert und seine Kollegen von der Vereins- und Westbank gefragt, was wohl nach dem Internet kommt. Ihre Antwort: "Bildung wird ein Megathema." Also gründeten sie eine Firma und legten im vergangenen Jahr einen Fonds auf, der nur in Unternehmen der Wissensindustrie investiert: in Fortbildungsfirmen, Hochschulen, Kindergärten.

Börsennotierte Kindergärten? Allein die Vorstellung würde die Demonstranten vor dem Philosophenturm auf die Palme bringen, glaubt Lipfert. Er erinnert sich an eine Podiumsdiskussion kürzlich auf dem Campus: "Wer da von einem ,Bildungsmarkt' sprach, musste mit Farbbeuteln rechnen."

Unterschiedlicher könnten die Auffassungen über die wahre Bildung kaum sein: Für die einen ist sie eine öffentliche Aufgabe, die der Staat kostenlos zur Verfügung stellen muss, nur dann bleibe die Freiheit der Wissenschaft gewahrt. Meint jedenfalls René Schuijlenburg, Sprecher der studentischen Protestbewegung "Education is not for Sale". "Überlassen wir Bildung Konzernen, wird die demokratische Kontrolle außer Kraft gesetzt", sagt er.

Für die anderen ist Bildung eine Ware, ein normales Business im weltweiten Wettbewerb, erbracht von Dienstleistern, die Studenten wie Kunden behandeln und dafür Geld verlangen. "Für einen Italienischkurs zahle ich ja auch", argumentiert Banker Lipfert.

Wie viel Markt verträgt die Bildung? Derzeit berät die Welthandelsorganisation WTO darüber, wie weit die Mitgliedstaaten die Handelsschranken für Dienstleistungen senken sollen, auch für Bildungsangebote. Würden die Barrieren beseitigt, wie es die USA fordern, könnten kommerzielle Anbieter über alle Grenzen hinweg Filialen eröffnen und eigene Diplome und Zertifikate vergeben.

Der deutschen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn graut davor. "Wir dürfen Bildung nicht dem Handel überlassen", mahnt sie und weist auf die "erheblichen Wirtschaftsinteressen" hin, die mit der Internationalisierung verbunden seien. Sie warnt vor "Titel-Mühlen", die das Niveau untergraben: ",Degree mills' haben bei uns keinen Platz."

Das Misstrauen sitzt tief, sobald die Wissenschaft auch nur in den Ruch wirtschaftlicher Interessen gerät. Seit dem 19. Jahrhundert ist der Bildungsbetrieb in Deutschland fest in staatlicher Hand, mal abgesehen von ein paar Einrichtungen, die unter kirchlicher Aufsicht stehen.

Erst seit kurzem ist Bewegung in die Hochschullandschaft gekommen, ein regelrechter Gründerboom hat die akademische Welt erfasst. In Berlin und Hannover, in Stuttgart und Köln: Überall entstehen private Universitäten mit klangvollen Namen und dem Anspruch, vieles besser zu machen als ihre staatlichen Pendants.

"Privat" bedeutet allerdings nicht, dass alle Neugründungen auch nach Profit streben oder gar an der Börse gehandelt werden: Sie sind meist gemeinnützige GmbHs oder haben eine Stiftung als Träger und finanzieren sich durch Spenden und Studiengebühren - und vielerlei staatliche Zuschüsse. Auch die Bezeichnung "Universität" ist eher übertrieben, dafür ist das Fächerspektrum zu schmal.

Die meisten Hochschulen beschränken sich darauf, Abiturienten zu Betriebswirten auszubilden oder Erwerbstätigen berufsbegleitende Aufbauprogramme anzubieten, in deren Rahmen man unter anderem zum Master of Business Administration (MBA) avancieren kann. Ein Titel, der in vielen Firmen den Aufstieg in die Chefetagen erst ermöglicht. Andere haben sich auf Jura, Informatik oder Ingenieurwissenschaft spezialisiert, in Berlin ist sogar eine Hochschule nur für Geisteswissenschaftler an den Start gegangen. Gleichzeitig versuchen US-Colleges in Deutschland Fuß zu fassen; sie bieten Fernstudien über das Internet an.

Fast 50 private Hochschulen existieren inzwischen in Deutschland, dreimal mehr als noch vor zehn Jahren; sie bilden rund 30 000 Studenten aus. Gemessen an den insgesamt 1,8 Millionen Studierenden eine bescheidene Zahl, doch sie wächst ständig.

Immer mehr Abiturienten versprechen sich von den Privaten die bessere Ausbildung, vielleicht noch wichtiger: den Zugang zu einem exklusiven Netzwerk. Der Vorteil der Privatuni, so der Ökonom und Ex-US-Arbeitsminister Robert Reich, "liegt weniger in der Größe ihrer Bibliothek oder der Klugheit ihrer Professoren als in der hohen Güteklasse ihrer Kontakte".

Und in den besonderen Freiheiten, die sie genießt: Sie kann Professoren, ohne auf Dienst- oder Tarifrecht achten zu müssen, nach Leistung bezahlen, ihren Lehrplan straff und praxisnah organisieren. Vor allem: Sie kann sich ihre Studenten aussuchen, ohne dass sich eine Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen einmischt.

Auf diese Weise gewinnt sie Profil gegenüber den staatlichen Anstalten, deren Spielraum ohnehin begrenzt ist. "Die sind eingezwängt in ein öffentlich-rechtliches Paragrafenkorsett", klagt Manfred Erhardt, Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, und würden teilweise immer noch "wie Wasserwirtschaftsämter" behandelt.

Die Studentin Cornelia Haas, 24, hat beides erlebt. Erst die Universität in Jena, wo die Hörsäle über die ganze Stadt verstreut sind und die Vorlesungen derart überfüllt, dass der Dozent ein Mikrofon braucht: "Man verschwendete viel Zeit mit Organisieren", erinnert sie sich.

Lesen Sie im zweiten Teil:

Dann wechselte sie zur Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Vallendar bei Koblenz. Dort ist jeder Raum in zwei Minuten zu erreichen, zur Kommunikation reicht die Kraft der Stimme völlig aus: Auf 14 Professoren und mehr als 30 Dozenten kommen nur 420 Studenten. "Jeder kennt jeden", schwärmt Haas. Die WHU ist eine Art West Point für den Management-Nachwuchs: Wie in der berühmten amerikanischen Kadettenanstalt wird in Vallendar eine Elite trainiert. Sie soll später Firmen beraten oder Betriebe führen. Großunternehmen sind wichtigster Financier der Hochschule, ihr Einfluss ist allerorten zu besichtigen.

Hier gibt es einen A.T.-Kearney-Hörsaal und ein Herbert-Quandt-Haus. In dem hängt ein Porträt des Metro-Gründers Otto Beisheim, dessen Namen die Hochschule trägt - gegen eine Spende von 25 Millionen Euro. Am Büro zur Geschäftsführung steht "Investor Relations", und der Hausmeister nennt sich "Facility Manager".

Von morgens bis abends pauken sich die Studenten die Skripte in den Kopf, 12 bis 15 Klausuren schreiben sie pro Semester, dazwischen sind Praktika Pflicht. Meike Hartmann, 24, war in Paris in einer Knopffabrik, in Barcelona bei einem Autozulieferer und in Shanghai bei Bertelsmann. "Ich hatte nie richtig Urlaub", erzählt die Studentin, die gerade an ihrer Diplomarbeit feilt.

Dafür dürfte sie keine Schwierigkeiten haben, eine Stelle zu bekommen - auch wenn in diesem Jahr wohl nicht jeder Absolvent seinen Traumjob finden mag: Selbst an Vallendar zieht die Konjunkturflaute nicht spurlos vorbei.

Der Zustrom an Bewerbern ist gleichwohl ungebrochen. Rund 400 Abiturienten haben zuletzt wieder um 85 Studienplätze gekämpft. Dabei hat die Hochschule den Preis gerade von 3580 Euro pro Semester auf 5000 erhöht, und bis zum Diplom werden 40 000 Euro fällig.

"An Studiengebühren ist bei uns noch keiner gescheitert", verteidigt WHU-Rektor Klaus Brockhoff den happigen Aufschlag. Allein die Qualifikation des Bewerbers entscheide über die Aufnahme, erst danach werde über Geld geredet. Für ein Fünftel der Studenten stehen Freiplätze zur Verfügung, ein weiteres Viertel bekommt Stipendien. Der Rest zahlt aus eigener Tasche, manche besorgen sich ein Darlehen bei der örtlichen Sparkasse.

Auch andere Hochschulen haben solche Modelle zur Vorfinanzierung entwickelt. Wer sich die private Universität Witten-Herdecke zu Studienzeiten nicht leisten kann, zahlt einfach später, wenn er im Beruf steht - und finanziert so das Studium seiner Nachfolger: ein umgekehrter Generationenvertrag.

"In Deutschland subventioniert die Masse, die nicht studiert, die wenigen, die studieren. Das ist sozial unerträglich."

Bildung als eine Investition in die eigene Zukunft, für die der Einzelne selbst aufkommt - eine solche Denkweise ist in Deutschland noch ungewohnt, wenn auch nicht unbekannt. "Ergotherapeuten oder Piloten zahlen doch auch für ihre Ausbildung, nur Studenten bleiben unbehelligt", wundert sich Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Geht es um Gesundheit oder Rente, ist private Vorsorge in Deutschland fast schon selbstverständlich, Bausparen wird sogar staatlich gefördert - und Bildungssparen? Selbst Banken lassen diesen Zukunftsmarkt immer noch links liegen.

Studiengebühren sind das große Tabu, weil sie weniger Betuchte angeblich diskriminieren. Merkwürdig nur, dass ausgerechnet in Ländern mit einem ausgeprägten privaten Bildungswesen mehr Bürger eine Hochschule besuchen: In den USA und Großbritannien beginnen 45 Prozent eines Altersjahrgangs ein Studium, in der Bundesrepublik sind es nur 28 Prozent: Aus Arbeiterhaushalten in Deutschland nehmen gerade mal 12 Prozent ein Studium auf.

"In Deutschland subventioniert die Masse, die nicht studiert, die wenigen, die studieren", wettert Hans Weiler, emeritierter Politikprofessor der Stanford University und Mitbegründer der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder): "Das ist sozial unerträglich."

Ein Studium zum Preis eines Oberklassewagens bietet freilich noch keine Gewähr für außerordentliche Qualität - was teuer ist, muss nicht besser sein. Eine Jury des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hat unlängst 16 private Hochschulen durchleuchtet und bei einigen eklatante Schwächen zu Tage gefördert.

Da wurde die German International Graduate School of Management and Administration in Hannover als "unoriginelle Kopie eines amerikanischen Studienkonzeptes" abqualifiziert. Der Dortmunder International School of Management warf die Jury vor, sie betreibe "keine Kosten- und Leistungsrechnung". Und an der Kasseler International Management School kritisiert sie, die Auswahl der Studierenden liege "im Wesentlichen bei den Unternehmen".

Was die Jury oft vermisst hat, ist die Bereitschaft, in Forschung zu investieren. Private Hochschulen in Deutschland sind meist reine Ausbildungsstätten - und genau das führt sie in ein Dilemma: Sie umwerben Professoren, die einen Namen haben, den Namen aber machen sich die Wissenschaftler als Forscher. Also verbringen sie höchstens ein paar Jahre auf dem gut dotierten Posten und kehren dann wieder zurück ins Labor der staatlichen Universität.

Mehr noch macht den privaten Hochschulen aber ihre knappe finanzielle Ausstattung zu schaffen. Der Gründerboom fällt genau in eine Zeit, in der die Sponsorenfirmen jeden Euro zweimal umdrehen - zumal Konzerne wie DaimlerChrysler, Allianz und die Deutsche Bank ohnehin schon 100 Millionen Euro für eine eigene Privatschule verplant haben.

Kein Wunder, dass fast alle privaten Hochschulen auf finanziellen Beistand von staatlicher Seite hoffen - und sei es nur eine einmalige Anschubhilfe. Für die 1999 gegründete International University Bremen (IUB) ließ der Senat 117 Millionen Euro springen, gut noch einmal so viel muss sich IUB-Präsident Fritz Schaumann woanders besorgen, damit sein Finanzkonzept aufgeht. "Inzwischen ist meine Hemmschwelle deutlich gesunken", sagt er, nachdem er schon etwa 200 Konzernvorstände oder Stiftungschefs umworben hat.

Im letzten Teil:

Schaumann, Bildungsstaatssekretär a. D., verantwortet ein außergewöhnliches Projekt. Er hat eine Privat-Hochschule konzipiert, die natur- und geisteswissenschaftliche Disziplinen kombiniert, es wird "transdisziplinär" gearbeitet, so schwebt es jedenfalls Schaumann vor: Hier soll sich der Psychologe mit dem Neurologen über das Wesen des Gehirns austauschen und der Meeresbiologe mit dem Literaturwissenschaftler über Seeungeheuer diskutieren.

Wo früher Soldaten wie der junge Rekrut Helmut Schmidt gedrillt wurden, treffen sich heute Studenten aus der ganzen Welt. Nicht mehr viel auf dem 30-Hektar-Campus im Bremer Norden erinnert an die Kaserne von einst: Exerzierplätze wurden in Erholungsflächen umgewandelt, Truppenquartiere in Seminarräume.

124 Studenten haben sich im vergangenen Jahr erstmals auf das Bremer Konzept eingelassen. Sie kommen aus 42 Staaten - aus Lateinamerika, aus Osteuropa, sogar Nepalesen sind dabei. So viele Nationen kommen hier zusammen, dass die Studenten dem Koch ein "Food-Committee" zur Seite gestellt haben.

Ob das Bremer Experiment gelingt, wird sich erst in einigen Jahren zeigen, wenn die ersten Absolventen auf den Arbeitsmarkt kommen. Derzeit geht es allen Neugründungen einzig darum, sich Renommee zu verschaffen und den Kapitalstock auf eine solide Basis zu stellen - eine schwierige Mission.

Jahrelang plante der ehemalige VW-Vorstand Daniel Goeudevert eine Managementschule in Dortmund - es ist bislang bei der Idee geblieben, die Sponsoren zogen nicht mit. Der US-Bildungskonzern Apollo nahm Abstand davon, in Köln und Düsseldorf den Studienbetrieb aufzunehmen, auch wegen der "deutlich zurückhaltenderen Investitionsbereitschaft". Die University of Maryland hat Anfang des Jahres ihren Ableger in Schwäbisch Gmünd dichtgemacht.

So manche private Hochschule, erwartet Stifterverbandschef Erhardt, werde bald wieder vom Bildungsmarkt verschwunden sein: "Das wird sich herausmendeln."

Wie viele auch immer übrig bleiben: Fest steht, dass die privaten Hochschulen ihrer staatlichen Konkurrenz einen heilsamen Schock versetzt haben. Immer mehr Universitäten beginnen sich zu "entstaatlichen", so das Schlagwort, und erschließen sich neue Finanzquellen - Berührungsängste zur Wirtschaft sind passé.

Sie richten Verwertungsgesellschaften privaten Rechts ein, um Sponsorengelder einzusammeln, Unternehmen zu beraten oder sich an Betrieben zu beteiligen. Sie lagern Institute aus, um - befreit von öffentlich-rechtlichen Fesseln - ihr Know-how zu vermarkten. Oder sie lassen sich Lehrstühle von Unternehmen finanzieren. Seit Jahresbeginn gibt es an der Frankfurter Universität beispielsweise die T-Mobile Stiftungsprofessur für M-Commerce - das "T" natürlich in Magenta.

Besonders erfolgreich demonstriert die TU München, welche unternehmerische Freiheit sich eine Universität heute leisten kann. Als erste deutsche Hochschule hat sie Anfang des Jahres eine private Filiale in Singapur eröffnet; 15.000 Euro pro Jahr kostet dort das Studium.

Ebenso wenig scheut die TU den engen Kontakt zur Wirtschaft: BMW hat gut 15 Millionen Euro für ein neues Gebäude beigesteuert, das nach seinem ehemaligen Vorstandschef "Eberhardvon-Kuenheim-Bau" benannt wurde. Ein Team aus TU-Informatikern und BMW-Mitarbeitern hat kürzlich sogar die Gründung eines Unternehmens vorbereitet, das Software entwickelt.

Ausgründungen, Privatisierungen, Partnerschaften: Angesichts solcher Verbandelungen fürchten manche bereits die Entstehung eines akademisch-industriellen Komplexes, der nur noch fördert und erforscht, was verwertbar ist. "Wer zahlt, schafft an", laute das neue Gesetz, kritisiert der münstersche Philosophie-Professor Josef Früchtl. Der Einfluss der Geldgeber werde immer größer, warnt er und verweist auf die USA.

Dort hatte der Fall der Universität Berkeley Aufsehen erregt, die mit Novartis vertraglich vereinbart hatte, dass der Chemiekonzern die Abteilung Pflanzen- und Mikrobiologie mit 25 Millionen Dollar unterstützt. Dafür überließ die Hochschule Novartis das Privileg, einen Teil der Forschungsergebnisse exklusiv auszuwerten.

Mit solchen Deals droht die Universität in der Tat zur verlängerten Werkbank der Wirtschaft zu verkommen, abhängig von der Gunst des Finanziers und konjunkturellen Schwankungen ausgeliefert.

Welche Folgen eine allzu große Abhängigkeit haben kann, ist derzeit in Iserlohn zu beobachten. Dort hat Dietrich Walther, Chef des Emissionshauses Gold-Zack und Wegbereiter der New Economy, eine Managementschule für junge Unternehmer eröffnet - nicht ohne Hintergedanken: Hier erhoffte er sich einen ständigen Nachschub an Gründern und Ideengebern für die nächsten Börsengänge.

Daraus wird wohl nichts. Mit der Flaute an den Kapitalmärkten ist das Geschäftsmodell von Gold-Zack zusammengebrochen, das Unternehmen kämpft ums Überleben. Die Studenten in Iserlohn sind in Sorge um die Schule, auch wenn Walther ihnen versichert, sie könnten ihr Studium abschließen, egal, was passiere.

Offensichtlich gibt es also Grenzen, wie viel Markt das Bildungswesen verträgt, wie weit sich die Wissenschaft danach richten darf, was die Wirtschaft verlangt. Ist Bildung also am Ende doch eher öffentliches Gut als kommerzielle Dienstleistung?

Sie ist beides zugleich, meint der Stanford-Professor Weiler: "Wer für mehr Privatisierung ist, muss nicht gleichzeitig für den Rückzug des Staates eintreten."

Die Hochschulen laufen Gefahr, zur verlängerten Werkbank der Wirtschaft zu verkommen, abhängig von der Gunst des Finanziers.

Selbst in den USA hat die Wirtschaft den Staat nicht verdrängt, im Gegenteil: Der amerikanische Staat gibt für Hochschulen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, sogar mehr aus als der deutsche - und zusätzlich kommen in den USA, anders als in Deutschland, noch einmal in etwa gleicher Höhe private Mittel hinzu.

Ein weiterer Unterschied: Der Kapitalstock der US-Hochschulen stammt weniger von Unternehmen als vielmehr von reichen Privatleuten. "Diese Art der Philantropie ist in Deutschland noch unterentwickelt", bedauert Weiler, "obwohl auch hier ungeheuere Vermögenswerte übertragen werden."

Um welche Dimension es dabei gehen kann, hat Weiler zuletzt im vergangenen Jahr erlebt: Die Computerdynastie der Hewletts ließ der Universität mal eben 400 Millionen Dollar zukommen.

ALEXANDER JUNG


 
 
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