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Uni zum Wohlfühlen

Die deutschen Massenuniversitäten haben schon lange den Anschluss an die Weltspitze verloren. Nur mühsam kommen Reformen in Gang: mehr Freiheiten für die einzelnen Hochschulen, aber auch stärkerer Wettbewerb - und sogar die Bewertung der Professoren durch Studenten. Sie sind überfüllt und unterfinanziert, ineffektiv und unb

Presseresonanz vom: 22.07.2002
Erschienen in: Der Spiegel

DER SPIEGEL 30/2002 22. Juli 2002 URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,206124,00.html

Von den sagenhaften Eigenschaften der Hochschule, die Wilhelm von Humboldt im Jahr 1809 entwarf, ist an den Unis von heute nichts mehr zu finden. Die inspirierende Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden? Kaum möglich, wenn in Massenfächern wie Jura oder Betriebswirtschaft 1000 Studenten in Hörsaalbänken und auf dem Fußboden sitzen, um einer Einführungsvorlesung zu lauschen.

Einheit von Forschung und Lehre? Bis ein Student sich durch die Wirren des Grundstudiums gekämpft hat und erstmals mit der Forschung in Berührung kommt, vergehen zumeist Jahre. Und für viele Professoren sind die Studenten lediglich eine lästige Randerscheinung der Universität, nur an der Hochschule, um sie von ihrer eigentlichen Aufgabe, der Forschung, abzuhalten.

Ganze 256 Studenten zählte die Berliner Universität bei ihrer Eröffnung Anfang des 19. Jahrhunderts, da Humboldt als preußischer Direktor für Kultus und Unterricht amtierte. Heute drängen sich an der Humboldt-Universität rund 38 000 Studierende.

"Das war schon ein tolles Prinzip", sagt Detlef Müller-Böling, Leiter des Gütersloher Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), "zu Humboldts Zeiten saßen fünf Studenten mit ihrem Professor unter einem Baum, hörten zu, diskutierten mit ihm und entwickelten sich dabei."

Das Prinzip funktioniert nicht mehr - zum einen, weil die kritische Masse für diese Art von Lehrveranstaltung fast überall überschritten ist, vor allem aber, weil es heute nicht mehr der Anspruch der Hochschule sein kann, einer exklusiven Klientel von Bürgerkindern fachübergreifende Bildung zu vermitteln. Dass Deutschland nicht weniger, sondern noch mehr gut ausgebildete Akademiker braucht, ist in Zeiten der globalisierten Wissensgesellschaft längst anerkannt. Im Vergleich zum OECD-Schnitt hinkt die Nation mit rund 16 Prozent eines Altersjahrgangs, die ein Hochschulstudium zu Ende bringen, weit hinterher.

An Reformideen fehlt es nicht, beinahe jede Universität experimentiert mit neuen, gestuften Studiengängen, die schneller und strukturierter zum Abschluss führen sollen, mit Globalhaushalten und neuen Finanzierungsmodellen. Doch die mühsamen Umwälzungen kommen schleppend in Gang, vor allem, weil die Kultusbürokratie ihre Zügel nur allmählich lockert.

Politisch verordnen lässt sich der Erneuerungsprozess der Universitäten nur sehr begrenzt. Was die Hochschulen mit dem bisschen an neuer Freiheit anfangen, das ihnen reformierte Hochschulgesetze und Experimentierklauseln lassen, müssen sie selbst entscheiden.

Eines scheint dabei sicher: Die Einheitsuniversität mit dem überall gleichen Fächerzuschnitt wird es nicht mehr geben.


Universität Mainz- der Student als Kunde

Den Präsidenten sieht jeder Mainzer Student jetzt mindestens zweimal in seiner Hochschulkarriere. Einmal zu Beginn des Studiums, wenn der Medizinprofessor Jörg Michaelis, 62, die Erstsemester an der Johannes-Gutenberg-Universität begrüßt, und einmal am Ende, wenn in feierlichem Rahmen die Examensurkunden überreicht werden. "Die Studenten sollen sich hier zu Hause fühlen", sagt Michaelis.

Dass die Studenten künftig als Kunden betrachtet werden, ist eines der Ergebnisse einer umfänglichen Reform des Hochschulbetriebs. Deswegen gibt es neuerdings auch das Callcenter für Studenten und Immatrikulationswillige. Wer Fragen zu Bewerbungsfristen, Studienangebot oder Auslandsaufenthalten hat, muss sich nicht mehr von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter durchfragen - ein Anruf im Callcenter genügt.

Da sitzen eigens geschulte studentische Hilfskräfte, beantworten freundlich jede Frage oder verbinden mit dem zuständigen Experten. Und: "In der Warteschleife spielen wir nicht einfach nur Rockmusik", berichtet Präsident Michaelis stolz, "da werden schon mal die Fragen beantwortet, die erfahrungsgemäß am häufigsten gestellt werden." Wenn einer nur wissen wollte, wann er sich zum neuen Semester rückmelden muss, kann er nach wenigen Sekunden auflegen.

Viele der Veränderungen, welche die Mainzer Reformer in ihrem "Neuen Steuerungsmodell" festgeschrieben haben, werden den Studenten weniger schnell auffallen als die Beratungs-Hotline. Die Alma Mater aber werden sie so grundlegend umkrempeln, dass das CHE die Gutenberg-Universität vor kurzem als "Best-practice-Hochschule 2002" auszeichnete. "Dass Hochschulen gezielt Managementinstrumente einsetzen, ist heute nicht mehr selten. Dass eine klassische Volluniversität dies tut, schon eher", heißt es in der Begründung der Jury.

Drei Jahre lang haben verschiedene Projektgruppen den Umsturz vorbereitet - jetzt ist er beschlossen: Aus bislang 19 Fachbereichen werden 9, weil die größeren Einheiten flexibler haushalten und zusammenarbeiten sollen. Sämtliche Naturwissenschaften etwa werden mit der Mathematik zu einem Riesen-Fachbereich verschmelzen.

Außerdem regiert an der Mainzer Universität künftig der Wettbewerb. Die Fachbereiche konkurrieren um Geld, dürfen es dafür aber selbstbestimmter einsetzen - das Zauberwort heißt Dezentralisierung. Selbst Räume, die einer Fakultät jahrelang selbstverständlich zur Verfügung standen, können nun an andere Fächer vermietet werden - gegen Geld, mit dem die Vermieter wirtschaften können.


Greifswald - klein, aber fein

Schon die Planung der Reformen spiegelte den Abschied von mancher schwerfälligen Entscheidungsstruktur an den Hochschulen wider. In mehr als 20 Teilprojekten von "Lehrevaluation" über die "Erarbeitung eines Leitbilds" bis zur "Internationalisierung" wurden neue Konzepte ersonnen. Die Projektform haben die Organisatoren bewusst gewählt: "Universitäre Gremien wie der Senat haben den Nachteil, dass sie nur im Semester tagen", erklärt Uni-Kanzler Götz Scholz, "da dauert es einfach zu lange, bis man zu einer Entscheidung kommt, und alle, die etwas verändern wollen, haben nach spätestens einem Jahr keine Lust mehr." Die Projektgruppen konnten arbeiten, wann sie wollten, und dem Senat dann abstimmungsreife Konzepte vorlegen.

Schlecht waren die Studienbedingungen in Mainz auch bislang nicht. Mit rund 30 000 Studenten gehört die Gutenberg-Universität zwar zu den mittelgroßen Hochschulen, doch die Stressfaktoren einer Großstadt-Massen-Uni fallen weitgehend weg. Fast alle Fachbereiche und zwei Max-Planck-Institute sind auf dem Campus angesiedelt, so dass kaum jemand zwischen zwei Seminaren durch die halbe Stadt fahren muss. Viele Studenten haben direkt auf dem Universitätsgelände ein Wohnheimzimmer.

So wie Christian Goldschmitt, 22, der im vierten Semester Mathematik und Evangelische Theologie für das Lehramt an Gymnasien studiert. "Die Uni ist richtig schön kompakt", lobt Goldschmitt, "gerade für Lehramt-Studenten ist es toll, dass alles auf dem Campus liegt."


Lesen Sie im zweiten Teil:

Die Reformen beurteilt der Juso-Aktivist und Asta-Vorsitzende eher kritisch. Die Zusammenlegung der Fachbereiche hält er beispielsweise für keine gute Idee: "Es gibt jetzt schon genügend Grabenkämpfe zwischen den Fachbereichen", glaubt er und fürchtet außerdem, dass weniger Fachbereichsräte auch weniger studentische Mitbestimmung bedeuten könnten.

Vera Büch, 28, hat es, und Ulrich Biewener, 26, hat es auch. Und sie tragen es nicht nur, wenn sie niemand sieht. T-Shirts der Universität Greifswald mit Wappen und Schriftzug gehören zur Garderobe vieler Studenten in der 58 000-Einwohner-Stadt nahe der Ostsee. Sie sind stolz, hier zu sein, auch wenn viele bei ihrer Ankunft nur einen Gedanken im Kopf hatten: nichts wie weg.

Doch die Universität Greifswald begeistert über kurz oder lang fast alle. Weil es eine Erstsemesterwoche gibt, sagen die Studenten, in der jeden Abend woanders gefeiert wird, weil hier niemand lange allein in die Mensa geht. Aber nicht nur deswegen. Wie in Greifswald herrscht an vielen Unis in der ehemaligen DDR eine Aufbruchstimmung. Die alten Strukturen waren zerbrochen, und die Offenheit für Neues ist noch immer größer als im Westen, der akademische Betrieb zudem von überschaubarer Größe.

"Wir vermitteln den Studenten das Gefühl, in einen Club aufgenommen worden zu sein, in den nicht jeder kommt, und dieser Club ist auch noch ein halbes Jahrtausend alt", sagt Rektor Hans-Robert Metelmann. Die Universität Greifswald auf den Spuren der amerikanischen Elite-Universitäten?

Da ist viel gute Hoffnung und heftiges Wunschdenken. Schwierig ist es allein schon, qualifizierte Wissenschaftler in eine Stadt ohne renommiertes Theater und ohne Autobahnanschluss zu locken. Es entscheiden sich eben nur wenige Lehrende für Greifswald und gegen Münster oder Bonn - wie Heyo Kroemer, 42, der hier nun seit vier Jahren Pharmakologie lehrt: "Diese Universität auf Bundesniveau zu bringen hat mich gereizt. In Münster hätte ich das hohe Niveau nur halten können."

Zum allgegenwärtigen Pioniergeist kommt eine exklusive Beziehung zwischen Studenten und Professoren. Für rund 7500 Studenten waren im vergangenen Jahr 218 Professoren da. Zum Vergleich: An der Universität Köln studierten 63 900 Studenten, ihnen standen rund 500 Professoren gegenüber. Von intensiver Betreuung kann da nicht mehr die Rede sein.

In Greifswald kennen viele Dozenten nach einem Vierteljahr die Namen aller ihrer Studenten, manche gehen mit ihnen nach der Vorlesung noch ein Bier trinken. Die Professoren sind in Greifswald weit jünger als im Bundesdurchschnitt. Das erleichtert die Kommunikation. "In den Musikwissenschaften freuen sich die Professoren, wenn man sie etwas außerhalb der Seminare fragt", erzählt Robert Tremmel, 22, begeistert.

Diese paradiesischen Zustände haben sich unter anderem durch das SPIEGEL-Ranking vor drei Jahren, in dem Greifswald bei der Betreuung zusammen mit der TU Chemnitz auf Platz zwei gekommen ist, unter Studienanfängern herumgesprochen. "Ich kenne viele Studenten, die wegen des SPIEGEL-Rankings hier sind", sagt Tanja Kaan, 29, die gerade ihre Doktorarbeit in Molekularbiologie schreibt.

Und nicht nur die guten Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden machen die Universität für immer mehr Studenten attraktiv. Auch die neuen Studiengänge nach dem "Greifswalder Modell" gelten als Standortvorteil. Als erste Universität hat Greifswald in der Philosophischen Fakultät fast flächendeckend den neuen, dreijährigen Bachelor-Studiengang eingeführt und akkreditiert - während andere sich noch in Grabenkämpfen verzetteln. "Das Argument, das immer zog, war die Randlage Greifswalds und die schwierige Situation im Lande", sagt Stefanie Hofmann, die als Projektmanagerin die Bachelor-Studiengänge an der Philosophischen Fakultät etabliert hat.

Das Argument zog - die Studierenden aus dem Westen kamen tatsächlich. So wie Vera mit dem Greifswald-T-Shirt aus Konstanz oder Christoph Affeld, 22, aus Osnabrück. "Meine Angst war immer, dass ich mich nach einem langen Studium zwar in der Wissenschaft auskenne, aber keinen Job finde", sagt Christoph. Deswegen der Bachelor. Und deswegen Greifswald. Nur in Lüneburg hatte er sich noch beworben. Aber dort, ein paar Kilometer westlich der alten DDR-Grenze, bekam er keinen Platz.


Mannheim, Ansturm auf die Betriebswirtschaft

Das Schwarze Brett in der BWL-Fakultät wirbt für eine Jobbörse. Unter den Anschlägen über Prüfungstermine und Seminarangebote prangt das Logo der Firma jobfair24, dafür hat der Sponsor den beleuchteten Glaskasten bezahlt. Der Seminarraum mit dem roten Streifen an der Wand wurde mit dem Geld eines Energieunternehmens renoviert, ein Hörsaal mit Spenden einer Unternehmensberatung, und den Seminarraum mit den denkmalgeschützten Bildern an den Wänden hat sich eine Textilfirma gesichert.

Nach und nach soll das Barockschloss im Mannheimer Zentrum, das heute die Universität beherbergt, mit Hilfe von Spendengeldern saniert werden. Wer Renovierung und neue Einrichtung eines Hörsaals oder Seminarraums bezahlt, kriegt ein dezentes Schild neben die Tür und darf zusammen mit einem Architekten bestimmen, wie der Raum gestaltet wird. In den Fluren des Schlosses streichen die Studenten selbst.

"Ich finde die Vorstellung auch schön, dass wir alle gleich gut und gleich bedeutend sind, aber diese Träume haben wir in Deutschland zu lage geträumt."

"Fundraising gehört heute zu den Aufgaben einer Hochschulleitung", sagt Hans-Wolfgang Arndt, seit acht Monaten Rektor der Uni Mannheim. "Wir haben leider kein Football-Team, zu dem ich die Sponsoren einladen könnte", erklärt er. Deshalb die Tafeln an den Hörsaaltüren.

Ursprung der Mannheimer Universität ist die 1907 gegründete Handelshochschule, auch heute noch dominieren die Wirtschaftswissenschaften das Lehrangebot. "Was den Amerikanern ihr Harvard, ist den Deutschen ihr Mannheim", schrieb vor kurzem die "Zeit" mit Blick auf die renommierte BWL-Fakultät, und auch wenn sie in Mannheim wissen, dass das so ganz noch nicht stimmt - Rektor Arndt will genau da hin, wo die amerikanischen Elite-Hochschulen heute schon sind.

Hochschulreformen? Schön und gut, aber ein bisschen schneller könnte das alles schon gehen, findet der gelernte Jurist. Zwar haben die gelockerten Hochschulgesetze der Uni-Leitung mehr Spielraum gegeben: "Früher war die Macht eines Rektors vergleichbar mit der des Kapitäns auf einem Riesentanker - der kann steuern, wie er will, das Schiff läuft immer geradeaus." Doch trotz Finanzautonomie und Hochschulrat sieht sich Arndt noch immer am Gängelband der Politik.


Lesen Sie im letzten Teil:

Die Universität der Zukunft, glaubt Arndt, muss ein unverwechselbares Profil entwickeln, das sie von den Konkurrenzhochschulen im In- und Ausland unterscheidet. "Im Wettbewerb kann sich nur durchsetzen, wer sich ganz gezielt auf seine Stärken besinnt", sagt Arndt. Mannheims Stärke liegt in den ökonomischen Wissenschaften, und so hat der neue Rektor gerade die Schließung des Fachs Geografie durchgesetzt. Das Geld, das dadurch gespart wird, fließt im Wesentlichen in die Wirtschaftsfakultät.

Dass alle Universitäten das gleiche Fächerspektrum anbieten, hält Arndt für nicht mehr zeitgemäß. "Ich finde die Vorstellung auch schön, dass wir alle gleich sind, gleich gemütlich, gleich gut und gleich bedeutend, aber diese Träume haben wir in Deutschland zu lange geträumt."

Seit die BWL-Fakultät die Akkreditierung für die "Association to Advance Collegiate Schools of Business" (AACSB) schaffte, einen erlesenen Kreis von Wirtschafts-Unis, dem Harvard, Berkeley, Duke und außer Mannheim keine deutsche Universität angehören, bewerben sich sieben Studenten für einen BWL-Studienplatz in Mannheim.

Im Grundstudium ist denn auch das Betreuungsverhältnis bei den Wirtschaftswissenschaftlern eher mies. "Mit den Professoren hatte ich bis jetzt null Kontakt", sagt Iris Ricker, 20, die seit Beginn des Sommersemesters für "BWL mit interkultureller Qualifikation" eingeschrieben ist. Das heißt, neben Betriebswirtschaft studiert Iris auch noch Chinesisch. Auf ihre "Kultur-BWL" sind die Mannheimer besonders stolz. Für das Spezialstudium darf die Hochschule ihre Bewerber selbst auswählen, nur 30 Plätze stehen zur Verfügung.

"Der Druck ist ziemlich groß", resümiert Iris, die als Einzige in ihrem Semester die Chinesisch-Kombination gewählt hat. Für das Vordiplom muss sie 16 Scheine in BWL machen, dazu kommen 6 Prüfungen in Sinologie - und das in höchstens 6 Semestern. Im Hauptstudium wird es dann leerer am Fachbereich, rund 50 Prozent aller BWL-Anfänger schaffen es nicht bis zum Vordiplom.

Um dem Ansturm gerecht zu werden, erproben die BWL-Dozenten immer wieder neue Lehrmethoden. Walter Oechsler, Wirtschaftsprofessor und Prorektor der Universität, hat in seiner Einführungsvorlesung demnächst als einzigen Zuschauer eine Videokamera. Im nächsten Semester gibt es die Vorlesung dann komplett auf dem Bildschirm, und die Studenten können sie sich auf ihrem PC anschauen, bevor sie die dazugehörige Übung besuchen.

Ob sich das Konzept durchsetzt, werden die Studenten bestimmen. In Mannheim bewerten sie regelmäßig die Lehrleistungen ihrer Professoren. Oechsler kommt gerade von der Abschlussbesprechung mit seiner Hörerschaft. "Diesmal bin ich nicht ganz so gut bewertet worden", erzählt der Experte für Personalwesen, "die Studenten fanden, dass die Anforderungen für die Klausur nicht klar genug wurden."


Konstanz- die permanente Reform

"Ein großer Tag", begrüßt der Rektor der Universität Konstanz, Seine Magnifizenz Professor Gerhart von Graevenitz, die feierliche Runde im Senatsraum, "heute werden hier zweieinhalb Jahre Forschung evaluiert. Mir ist genau so bange wie Ihnen." Elf grau melierte Professoren, Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), entscheiden über die Vergabe von mehr als fünf Millionen Euro für vier kulturwissenschaftliche Forschungsprojekte.

Natalia Borissova, 28, eine Russin, die in Konstanz ihr Slawistikstudium abschloss, trägt mit anfangs zitternder Stimme das Ergebnis ihrer bisherigen Forschungen vor. "Mediale Repräsentation und Transformation der Liebessemantik in der sowjetischen und russischen Kultur zwischen 1960 und 1990" - passt das wirklich zum DFG-Forschungsprojekt "Norm und Symbol", fragen die Gutachter.

Was am vergangenen Dienstag Historiker, Literatur- und Medienwissenschaftler vorstellten, ist typisch für die Hochschule mit dem idyllischen Blick auf Bodensee und Schweizer Alpen: interdisziplinäre Forschung. 1966, noch im Vorfeld der Studentenrebellion der 68er, war Konstanz als Reform-Modell gegründet worden. CDU-Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger wollte zwar nicht gerade die traditionelle Ordinarien-Universität abschaffen, aber doch das alte Humboldt-Ideal der Einheit von Forschung und Lehre mit neuem Leben erfüllen. "Lehre aus Forschung" hieß das Motto. Statt großer Hörsäle kleine Seminarräume, statt Frontalvorlesungen Kurssysteme, statt der professoral geführten Institute Fachbereiche.

Das Reformmodell von Konstanz ist sicherlich kein Allheilmittel gegen die Leiden der Massenuniversität. Mit ihren 7500 Studierenden können die Konstanzer auch heute noch leichter dem Ideal einer Forschungsuniversität nahe kommen als akademische Großveranstaltungen wie Köln oder Berlin.

Die Erfolgsliste ist lang. Da gelingt Konstanzer Physikern in einem Langzeit-Experiment die bislang genaueste Bestätigung der Speziellen Relativitätstheorie von Albert Einstein. Da erzielen Forscher vom Bodensee erstaunliche Ergebnisse bei der Untersuchung der heimtückischen Zecken-Borreliose, gehen den Geheimnissen der Netzwerkanalyse nach oder Linguisten, klinische Psychologen und Physiker erkunden gemeinsam, wie Sprache im Gehirn abgebildet wird.

"Die Verbindung von Theorie und Praxis stimmt in Konstanz schon im Grundstudim, Lehre und Forschung sind von Anfang an miteinander verknüpft."

Die Verzahnung von Forschung und Lehre kommt auch den gewöhnlichen Studenten zugute. In einer Untersuchung der Stiftung Warentest erreichte die Uni Platz vier für Zufriedenheit unter den Studierenden, Platz zwei für die Lehrtätigkeit aktiver Forscher. Die DFG listete die Hochschule auf dem Gießberg auf Platz drei für eingeworbene Drittmittel pro Wissenschaftler.

Die Alexander von Humboldt-Stiftung stellte jüngst in einem Ranking fest, dass die Universität Konstanz in der Beliebtheitsskala der Humboldt-Gastwissenschaftler in der Spitzengruppe liegt. "Die Verbindung von Theorie und Praxis stimmt hier schon im Grundstudium, Lehre und Forschung sind von Anfang an miteinander verknüpft", lobt Jesko Splittgerber, Student der Physik im vierten Semester.

Die alte Reform-Uni liefert immer mal wieder einen Beweis, dass sie an der Spitze der Modernisierer steht. In der Bibliothek etwa gehen seit vergangenem Jahr die Lichter nicht mehr aus - von Montag morgens um 8 bis Freitag 23 Uhr ist sie durchgehend geöffnet, am Wochenende nur bis 23 Uhr.

Die Resonanz unter den Studenten auf die 24-Stunden-Bibliothek mit Verpflegungsautomaten und Pizza-Bestell-Telefon hält sich bis jetzt allerdings noch in Grenzen: Durchschnittlich nur 67 Besucher verlassen die Buchhallen erst nach Mitternacht.

ALMUT HIELSCHER, JULIA KOCH, CAROLINE SCHMIDT


 
 
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