Promotionsstudiengang Erziehungswissenschaft: Türen stehen nicht nur in Brasilien offen
kk Siegen. Die Brasilianer nennen ihn heute noch den »Fürsten der Toleranz«. Die Rede ist von Fürst Johann Moritz zu Nassau-Siegen. Der war zwischen 1636 und 1644 Statthalter und Admiral der brasilianischen Besitzungen der Niederlande und ist im lateinamerikanischen Staat in guter Erinnerung geblieben.An diese traditionell guten Beziehun
Presseresonanz vom: 12.11.2002
Erschienen in: Siegener Zeitung
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutsche
Akademische Austauschdienst (DAAD) taten sich zusammen.
Resultat: Die Siegener Uni erhielt einen internationalen
Doktorandenstudiengang Erziehungswissenschaft. Der Name klingt
kompliziert: »Lernen von Personen und Organisationen im Kontext
von Globalisierung und Regionalisierung«. Die Forschungsinhalte
sind eher handfest und zudem zutiefst menschlicher Natur.
In erster Linie verantwortlich für diesen neue
Graduierten-Studiengang sind Prof. Dr. Bernd Fichtner und seine
Frau Maria Benites. Die gebürtige Argentinierin, die lange
Jahre in Brasilien lebte, fungiert als Koordinatorin. Fichtner:
»Siegen ist die erste Universität, die ein
erziehungswissenschaftliches Graduiertenkolleg erhält. Das hat
einen Grund. Die Pädagogik in Siegen hat ein Kriterium von
Exzellenz.«
35 Hochschulabsolventen sollen die Chance erhalten, im Rahmen
dieses neuen Studiengangs ihre Doktorarbeit zu schreiben. Etwa
15 davon werden ausländischer Herkunft sein. Vor allem aus
Brasilien werden sie kommen. Fichtner: »Aber auch aus Dänemark,
den Niederlanden, Italien und aus Großbritannien liegen
Bewerbungen vor.«
In Brasilien selbst ist das Interesse an einer Zusammenarbeit
mit der Uni Siegen groß. Maria Benites: »In Lateinamerika gibt
es keine sozialpädagogische Ausbildung.« Ein richtiges Manko.
Denn viele Schulen liegen in Armenvierteln. Benites: »Lehrer
mit einer ganz normalen Ausbildung werden vor Ort mit starken
sozialen Problemen konfrontiert.« Damit umzugehen, haben sie
nicht gelernt.
Und gerade dieses Spezialwissen ist eine der ganz großen
Siegener Stärken. Am Siegener Promotionsstudiengang beteiligt
sind dementsprechend auch die Fachrichtungen
Erziehungswissenschaft, Sozialpädagogik und Soziale Arbeit,
Heil- und Sonderpädagogik sowie Psychologie. Kurz, all die
Richtungen, die in Brasilien und anderen Ländern fehlen. Die
Siegener trafen daher auf offene Türen. Sowohl große Städte wie
Porto Alegre und Cuiabà wie auch renommierte Universitäten
schlossen mit den Siegenern Verträge ab. Weitere folgen im
nächsten Frühjahr.
Die Kooperation an sich ist schon seit Jahren zweigleisig.
Etliche deutsche Studenten absolvierten jenseits des Atlantiks
bereits Praktika. Portugiesisch, so die beiden Experten
unisono, werde dabei binnen kurzer Zeit beherrscht. Auch das
Lernen ist keine Einbahnstraße. Benites: »Wir sind
gleichberechtigte Partner.« Brasilien verfügt beispielsweise
über eine 400-jährige Tradition friedlichen interkulturellen
Zusammenlebens. Noch eines: In Porto Alegre wird seit 13 Jahren
die direkte Demokratie praktiziert. Fichtner: »Die Bürger
entscheiden über den Haushalt.« Der Etat ist stets im grünen
Bereich, Defizite gibt es nicht. Über den Tellerrand zu schauen
lohnt also.
Zurück nach Siegen: Auch die Doktoranden im neuen Studiengang
warten besondere Bedingungen. »Normalerweise ist die Betreuung
eines Doktoranden eine recht individuelle Sache zwischen ihm
und seinem Doktorvater«, so Fichtner. Nunmehr sind die
Doktoranden eine Gruppe. Die zur Verfügung stehenden Mittel
werden eingesetzt, damit qualifizierte Forschungsarbeiten
entstehen. Die Graduierten haben dabei recht freie Hand.
Fichtner: »Sie können beispielsweise Gastdozenten einladen oder
aber auch reisen.« So es der Sache dient. Denn: »Der
Informationsaustausch ist wichtig.« Und faszinierend. Letzteres
zeigt ein aktuelles Austauschprojekt. Kinder aus Siegen und
Cuiabà erstellen eine Internetzeitung.