»Retroflexe Geisteshaltung« beseitigt
Der emeritierte Prof. Hans Hoppe hat in 24 Jahren kabarettistische Spuren hinterlassen
Presseresonanz vom: 26.02.2003
Erschienen in: Siegener Zeitung
zel Siegen. Wer Prof. Dr. Hans Hoppe auf der Homepage der
Uni Siegen sucht, findet ihn im Fachbereich 3 in der Rubrik
»emeritierte Professoren«. Dabei ist seine Verabschiedung
gerade mal eine Woche her. Die universitären Verpflichtungen
werden weniger, dafür hat Hoppe (noch) mehr Zeit, sich
kulturell zu engagieren. »Ich werde mich aber nicht
vereinnahmen lassen«, wimmelt der Professor für Ästethik und
Kommunikation/Interaktion und Darstellendes Spiel mögliche
Interessenten ab, die ihn gerne für ihre Belange engagieren
würden.
Hoppe studierte Theaterwissenschaft, Germanistik, Romanistik
und Erziehungswissenschaft in Berlin und Paris. Die Affinität
zu Frankreich ist geblieben auf jeden Fall wird die Heimat
seiner Frau ein Reiseziel sein. Nach dem Studium ging es 1970
aber nicht nach Frankreich, sondern an die Uni Kiel, wo Hoppe
Kulturarbeit in Theorie und Praxis im Auftrag des
Studentenwerks optimal miteinander verbinden konnte. Hier
gründete er das Studentenkabarett »Die Karikieler«, eine Arbeit
und ein Auftrag, den der 1938 geborene Hoppe in Siegen mit der
Gründung des studentischen Kabaretts »Die Widerha(r)ken«
fortsetzte. Den Lehramts-, Magister- und Diplomstudenten
verschiedener Fachrichtungen (wie Germanistik, Medien,
Sozialpädagogik und Sozialarbeit) die Möglichkeiten der
Theaterpädagogik nahe zu bringen, ist seit 1979 Hoppes
Beruf(ung) in Siegen: Kommunikation und Spiel als Methode des
sozialen Lernens wie der Selbsterfahrung. Was in den 70er
Jahren mit aktionistischen Formen wie Workshops und »theatraler
Feldarbeit« begann, setzte Hoppe mit Laienarbeit in Siegen fort
aus seinem »Stall« stammt das Siegerländer Kabarettduo
(Christa) Weigand & (Bernd Michael) Genähr und die
Kabarettistin Katrin Mehlich alias »Daubs Melanie«. Als
»Widerha(r)ken« feierten die drei 1983/84 mit »Im Land des
Röchelns« große Erfolge.
Der damals bespielte »Lohkasten« schloss, es musste schnell ein
Ersatz-Spielort gefunden werden. Hoppe fragte bei Wolfgang
Suttner nach, und der Kulturdezernent des Kreises
Siegen-Wittgenstein ermöglichte dem Studentenkabarett, einen
Raum im damaligen Technologiezentrum im Alten Lyzeum für seine
Auftritte zu nutzen das Medien- und Kulturhaus Lÿz war
geboren.
Hier etablierten Hoppe und seine Mitstreiter das LÿzMixVarieté
und gründeten den 1. FCKV, den 1. Förder-Club für Kleinkunst
und Varieté, dessen Vorsitzender Hoppe ist und der sich als
Kooperationspartner an der Gestaltung des Lÿz-Programms
beteiligt. Heute hat der Verein etwa 180 Mitglieder, die sich
über ermäßigte Eintrittspreise fürs Lÿz freuen dürfen, die
kulturelle Vielfalt erweitern sowie regionale Künstler fördern.
Mit dem Lÿz wird alles gut? Noch lange nicht, fand 1985 Prof.
Hoppe, der erkannte, dass es an einem Probenort für die freie
Szene mangelte. Das ehemalige Brauhaus am Wildgehege, in dem
heute der Fachbereich Kunst beheimatet ist, hatte Hans Hoppe im
Visier. Das Projekt scheiterte an der Bereitschaft der Stadt,
100000 DM zu investieren. Hoppe ließ sich nicht entmutigen. Ein
Rock- und Reggaefestival in Deuz brachte den Reinerlös von
15000 DM, den Hoppe und ein Kulturarbeitsseminar als Starthilfe
nutzten, um das WUP, das Werkstatt- und Probenhaus in der
Marienborner Straße, zu realisieren. Ein Landeszuschuss von
500000 DM machte einen Umbau möglich. In dem Gebäude, von der
Stadt mietfrei überlassen, üben heute 18 (Musik-)Gruppen für
einen geringen monatlichen Beitrag. Und jetzt, im Ruhestand?
Erstmal will Prof. Hans Hoppe ein wissenschaftliches
Buchprojekt über Theater und Pädagogik abschließen, dann »wird
es eine Akzentverschiebung geben«. Er will fürs Theater
schreiben und selbst wieder auf der Bühne stehen. Er arbeite an
einem Konzept für ein satirisches
»Sozialtypen«-Stegreiftheater, angelehnt an die Comedia
dellArte, in dem zugespitzt dargestellte Prototypen unserer
Gesellschaft auftreten sollen, verriet Hoppe. Christa Weigands
»Ursel« ist z.B. so eine Type.
Lachen kann Hoppe über Loriot, den er für einen der größten
komischen Autoren Deutschlands hält. Er schwärmt für Volker
Pispers (»unheimlich scharf und spitz«) und Dieter Nuhr (»ein
tolles Parlando«). Außerdem gefallen ihm Kabarettisten, die
»die Oberfläche durchstoßen«, wie Dieter Hildebrandt, Bruno
Jonas oder Matthias Riechling. Comedians wie Tom Gerhard
allerdings seien ein Brechmittel. »Es ist lächerlich, wenn die
Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität zu groß ist«, findet
der Professor. Gut gewollt und nicht gekonnt das ist nichts
für ihn. Dann doch lieber eine kabarettistische Abhandlung über
das gerollte Siegerländer R, das durch »retroflexe
Zungenbiegung« zu Stande kommt und sich auch in »retroflexer
Geisteshaltung« äußert. Mit der hat Prof. Hans Hoppe in 24
Jahren umzugehen gelernt und trotzdem oder gerade deshalb
Spuren in der Siegerländer Kleinkunstszene hinterlassen. Freuen
wir uns auf den Reimeschmied Reimers aus Reimersdorf, auch so
ein Stegreif-Typ aus Hoppes Satire-Schatzkästlein. Ob es Zufall
ist, dass der jede Menge »retroflexe Zungenbiegungen« mit sich
bringt?