Freiheit für die Unis!
Sparen ohne Verstand: Der Staat ruiniert die Hochschulen
Presseresonanz vom: 04.12.2003
Erschienen in: Die Zeit
Die Zeit 50/2003
Von Gero von Randow
Heinrich sagt zur Liese, sie solle einen Topf Wasser holen.
Wenn der Topf aber ein Loch hat?, fragt sie, und das
Kinderlied nimmt seinen Lauf. Stopfs zu! Womit denn,
lieber Heinrich? Mit Stroh. Doch das ist zu lang, das
Messer ist stumpf und der Schleifstein zu trocken. Mach ihn
nass! Womit?, fragt die Liese. Nun ja, mit Wasser. Ist
bloß keins da. Jemand muss einen Topf Wasser holen. Aber der
hat ja ein Loch
Willkommen in der deutschen Hochschulpolitik. Leer sind die
Geldtöpfe, ratlos sind die Kultusminister, empört die
Studierenden, auf der Kippe steht das ganze Bildungssystem.
Zwei Millionen Studenten meldet das statistische Bundesamt für
dieses Wintersemester. Ein Rekord, wenngleich die
Arbeitslosigkeit nachgeholfen hat; besser an der Uni
herumhängen als auf dem Arbeitsamt, heißt es unter
Abiturienten. Jedenfalls liegen Deutschlands Studentenzahlen
immer noch unter dem europäischen Durchschnitt. Eine
Gesellschaft mit sinkendem Anteil der Erwerbstätigen an der
Bevölkerungszahl kann ihren Lebensstandard nur mit steigender
Produktivität halten. Dazu braucht sie mehr Wissen, also mehr
Akademiker und vor allem: bessere Universitäten. Sie werden
aber schlechter.
Professoren in sonnigen Gefilden
Seminare mit 150 Teilnehmern und mehr; Institutsbibliotheken,
in denen die Standardwerke fehlen; Sparauflagen wie in Bayern,
Berlin oder Niedersachsen, die manche Universität nur dadurch
erfüllen kann, dass sie drei Jahre lang keine freien
Planstellen besetzt: Gegen solche Übelstände demonstrieren in
diesen Tagen die Studenten, begleitet von der Sympathie ihrer
Professoren.
Doch die Universität leidet nicht nur unter den Spar Wars.
Das ganze System hängt schief. Es beherbergt Dozenten, die ihre
Vorlesungen auf Freitag um 16 Uhr legen, damit auch ja kein
Student vorbeischaut; Professoren, die ihre Sprechstunden
schwänzen, und Studenten, die nie eine Sprechstunde aufsuchen;
Dekane, die pausenlos Gremien-Sitzungen einberufen, aber nicht
gelernt haben, eine zu leiten; Hochschullehrer, die nicht durch
Lehre auffallen, sondern vielmehr als Geschäftsleute,
Romanautoren oder Freizeitmusiker. Manche leben in sonnigen
Gefilden und kommen ihren Pflichten in so genannten
Blockseminaren nach. Vor ihnen sitzen Studenten, die sich
weigern, Fachliteratur zu lesen, und in aller Unschuld fragen,
ob sie schon für Anwesenheit einen Seminarschein erhalten (und
wenn ja: Ab wie viel Prozent der Stunden ist es
Anwesenheit?). Da gibt es Sekretärinnen, die ungnädig werden,
wenn man sie beim Patience-Spiel stört; Personalräte, die man
darauf besser nicht ansprechen sollte;
Universitätsverwaltungen, deren selbst gestrickte Software
zusätzliche Arbeit schafft, die nach und nach erledigt wird
oder auch nicht; Berufungsverfahren, die nur pro forma
durchgeführt werden, weil das Votum für einen beliebten
Kollegen in Wahrheit schon feststeht. In den
Gelehrtenrepubliken ist manches beim Alten geblieben, obwohl
die Systemfehler bekannt sind: Endlose Semesterferien, noch
längere Studienzeiten voller überflüssiger Prüfungen, das ewige
Studium wird zur Zweitbeschäftigung. Wer studiert, jobbt
nebenher.
Die Hochschulen brauchen Reformen. Sie müssen neu anfangen,
doch aller Anfang ist teuer und kostet Geld. Lieber Heinrich,
was tun? Zweierlei. Erstens müssen die vorhandenen Ressourcen
besser verteilt werden. Wenn die Bundesregierung, wie
verkündet, den Anteil der Studienanfänger pro Altersgruppe von
35 auf den europäischen Durchschnitt von über 40 Prozent
steigern will, dann darf sie die Mittel für den Hochschulbau
eben nicht um 135 Millionen Euro kürzen. Solange zum Beispiel
Landwirte Geld vom Staat kassieren, weil der Sommer recht heiß
oder der Herbst recht herbstlich war, so lange bleiben die
Klagen der Politik über leere Kassen unglaubwürdig.
Zweitens aber: Lasst die Unis frei!
Die Geschichte ihrer Unfreiheit begann mit den besten
Absichten. Vor vierzig Jahren erschütterte schon einmal die
Rede vom Bildungsnotstand die Bundesrepublik. Reform und mehr
Geld, so lauteten auch damals die Forderungen. Und weil die
Bundesländer den Ausbau der Universitäten und Fachhochschulen
nicht aus eigener Kraft bewältigen konnten, wurde das
Grundgesetz geändert. Seither ist der Hochschulbau eine
Gemeinschaftsaufgabe, und für jeden Euro, den ein Land dafür
investiert, zahlt der Bund einen dazu. Doch unglücklicherweise
wurde zugleich vereinbart, alles Mögliche einheitlich zu
regeln. Man glich Studien- und Prüfungsordnungen einander an,
traf kartellähnliche Abreden für das Besoldungsrecht, und der
Bundesgesetzgeber erhielt die Rahmenkompetenz, die er
weidlich ausnutzte. Der planierraupenhafte Staatszentralismus
verhindert seitdem den Wettbewerb um Professoren, Studenten und
Geldgeber. Er verhindert den Anreiz, exzellent und effizient zu
sein.
Die wichtigste Reform wäre daher, das Hochschulrahmengesetz
samt Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen wieder
abzuschaffen, ohne den Bund aus seiner finanziellen
Verpflichtung zu entlassen. Die Länder müssen das Recht
erhalten, untereinander per Staatsvertrag das Nötigste zu
vereinbaren, etwa die gegenseitige Anerkennung von Prüfungen.
Man erlaube den Hochschulen nur, miteinander zu wetteifern und
sich nach Gutdünken zu organisieren und das Interesse an
Reformen wird obsiegen.
Bis Heinrich das Wasser holt
Eine Universität, die gegen andere antritt, wird nicht länger
solche Forschungsprojekte mitschleppen, mit denen sie nicht
brillieren kann. Sie hätte ein Interesse daran, die
rufschädigende Inflation der Examensnoten zu beenden. Sie würde
den Institutsdirektoren gelernte Geschäftsführer zur Seite
stellen, die öffentlichdienstlichgemütlichen Stuben auslüften
und ihre Studenten sorgfältiger auswählen.
Entließe die Politik die Hochschulen in den Wettbewerb, würden
sich schnell universitäre Spitzengruppen bilden. Studenten,
Professoren und Geldgeber hätten die Wahl und nutzten die
Vorteile der Arbeitsteilung. Studiengebühren täten ein Übriges.
Nicht bloß, weil die Unis das Geld brauchen. Vielmehr würden
Studenten als zahlende Kunden den Wert des Lehrangebots
kritischer bewerten als jetzt. Überdies wäre mit der
Ungerechtigkeit aufgeräumt, dass beispielsweise eine
Krankenschwester Hunderte Euro für den Krippenplatz ihres
Kindes zahlen muss und das kostenlose Studium der Kinder des
Chefarztes über die Steuern mitfinanziert. Wer studiert,
empfängt eine Dienstleistung, die ihm ein höheres Einkommen
sichert. Mit Krediten, deren Rückzahlung einkommensabhängig
ist, lässt sich die Bezahlung dieses Vorteils so gestalten,
dass mittellose Studenten nicht benachteiligt werden.
Die Gelegenheit für Reformen ist günstig. Globalisierung und
Bevölkerungsentwicklung zwingen dazu, überdies nötigen auch die
zeitgenössischen Wissenschaften manch alteingesessene Disziplin
dazu, sich anderen Fächern zu öffnen. Immerhin die
Innovatoren sammeln sich, nicht nur in der Politik, sondern
auch an den Hochschulen, wo sie die Umgestaltung der
Studienabschlüsse für echte Studienreformen nutzen. Gut möglich
also, dass die alte Logik bröckelt, nach der nichts geht, weil
die jeweils anderen alles unmöglich machen. Das Kinderlied vom
Loch im Topf endet damit, dass Heinrich die Geduld verliert und
selbst loszieht, um Wasser zu holen.
(c) DIE ZEIT 04.12.2003 Nr.50