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Was Sie schon immer über Medien wissen wollten, aber … zur Ausdifferenzierung kommunikativen Handelns

 


apl. Prof Dr. Gebhard Rusch

Mittwoch, 14-16 Uhr, AR-P 205



... aber bisher nicht zu fragen wagten. Der Veranstaltungstitel spielt auf einen Film von Woody Allen an, der sich in sieben Episoden satirisch mit der herrschenden Lehre in der Sexualkunde in den USA der 1960-er Jahre auseinandersetzt. Allen nimmt nicht nur nichts (sich selbst eingeschlossen) ernst, sondern lässt auch abwegig erscheinende Antworten zu, die er rigoros, gelegentlich sogar rücksichtslos durchspielt. In dem Film „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ geht es um so etwas wie Tabus. Die sind eigentlich immer, fast möchte man sagen: natürlich, ein ergiebiges Thema.

Um Sex geht es in diesem Seminar - kultürlich - nicht. (Sollte ich im nächsten Semester ein Woody Allen Seminar anbieten?). Es geht darum, in welcher Weise, wie oder als was wir Medien und Kommunikation denken, und warum. Und dabei geht es durchaus auch um Tabus, Dunkelzonen und blinde Flecke des medientheoretischen Diskurses, um politisch womöglich unkorrekte Fragestellungen, um der Forschung bislang vorenthaltene Gegenstände, um Fragen also, die selbst in Universitätsseminaren selten oder gar nicht gestellt werden. Vielleicht werden sie vom Mainstream oder den Moden des Forschungsbusiness´ verdrängt, vielleicht sind sie schädlich für die Karriere, vielleicht dürfen sie aber auch aus kulturellen, moralischen oder politischen Gründen gar nicht erst gestellt werden – unter Androhung von Strafen oder Maßnahmen wie z.B. der Zensur. Hier sind sieben Fragen, die dafür exemplarisch stehen können:

  1. Muss man sich mit Medientheorien begnügen oder kann man aus der Medienpraxis besser wissen, was Medien sind? (Nicht nur für Praktikanten)
  2. Stehen Medien am Anfang der Schöpfung, und wenn ja, alle? (Rüstzeug für Medien-Epistemologen und Letztbegründer)
  3. Warum (und wie) kann man mit Medien Geld verdienen/verlieren? (Medienökonomie für Startup-Manager)
  4. Geht es in der Kommunikation überhaupt um Verständigung oder nicht vielmehr um Verführung und Anpassung, Distanzierung und Abgrenzung? (Was niemand über Social Media wissen möchte.)
  5. Wie erfolgt die Regulation von Content, wenn eine Zensur nicht stattfindet? (Einführung in medienwissenschaftliche Verschwörungstheorien)
  6. Welche Bedeutung haben verbotene, politisch, religiös oder moralisch bedenkliche Inhalte für Medien und Gesellschaft? (Keine Negative Medientheorie)
  7. Gibt es in den Kommunikations- und Medienwissenschaften so etwas wie Erkenntnisfortschritt? (Im Planquadrat zwischen Akkumulation, Approximation, Drittmitteln und Feuilleton)

Aber warum sollte man solche Fragen angesichts der erwartbar geringen Gratifikationen überhaupt stellen? Die erste Antwort, die mir einfällt, ist eine weitere Frage: Sollten wir unser Denken etwa ohne Not an Mythen, Propaganda oder fragwürdigen herrschenden Lehren ausrichten? Wenn die Medienbegriffe, die wir aneignen und benutzen, nicht nur Denk- und Handlungsmöglichkeiten eröffnen, sondern in jeweils spezifischer Weise unser Denken und Handeln zugleich auch beschränken und engführen, dann hilft dagegen nur vergleichende und radikale Kritik, und natürlich (man denke an Kant) der Mut, vom eigenen Verstand möglichst regen Gebrauch zu machen: eigene Theorie gegen fremde Theorie ins diskursive Feld zu führen. Fleisch- und lustloses Zeugs? Unsexy und langweilig? Verhirnt und sinnesfern?

Keineswegs! Wer sich für die Medienwissenschaften entschieden hat, darf auch - und sollte sogar - Lust daran haben. Es darf doch die Klarheit des Denkens und Sprechens auch leidenschaftlich hergestellt werden. Medientheorie zu treiben, Texte von Theoriepäpsten zu kritisieren, eigene Ideen dagegen zu setzen und in der Diskussion weiter zu entwickeln, darf doch Spaß machen.Für Ideen oder Theorien darf man nicht nur engagiert sein, sondern sogar mit „Feuer und Flamme“ brennen. Oder gönnen wir uns hier nur eine "Motivation", ein gelehrtes "Interesse"?

Wenn Ihnen nicht gleichgültig ist, was Sie essen, kann es Ihnen eigentlich auch nicht egal sein, welche Begriffe Sie sich für Ihr Denken (und das dadurch geleitete Handeln) aneignen. Deshalb haben Sie auch für Ihre medienbegrifflichen Präferenzen bestimmt ganz gute Gründe. Und mehr als das: Sie haben dafür bestimmt auch Gefühle, z.B. der Konsistenz oder inneren Stimmigkeit eines Ansatzes oder der Kompatibilität eines Theoriemodells mit Ihren Erfahrungen , vielleicht ein Gefühl dafür, welcher Medienbegriff zu Ihnen passt, zu Ihrer Denkweise, zu Ihrer Sicht auf die Welt und zu ihren eigenen Überzeugungen und Anliegen. Bestimmt finden Sie manch eines der Theorieangebote attraktiver, interessanter, überzeugender oder plausibler als all die anderen. Und wenn Sie sehr kritisch mit der Möblierung Ihres Denkens sind, hat Sie vielleicht überhaupt noch keine Medientheorie überzeugt.

Wenn eine dieser Voraussetzungen auf Sie zutrifft, sollten Sie in diesem Seminar Hilfe suchen. Hier ist Gelegenheit, Alles was Sie über Medien und Kommunikation gehört, gelesen und gelernt haben, was Sie darüber wissen oder zu wissen glauben, radikal in Frage zu stellen. Wenn Sie gegenüber der medienbegrifflichen Ausstattung Ihres intellektuellen Werkzeugkastens, kritisch sind, bietet dieses Seminar Gelegenheit, diese Kritik zu formulieren, eigene Intuitionen, Ideen und Überlegungen ins Spiel zu bringen.

Das wäre dann auch der Moment, in dem es gewissermaßen und am Ende doch noch erotisch wird. Das Denken und das Argumentieren zeigen ihre affektiven, ihre ästhetischen Qualitäten. Welchen Sinn hätte es sonst zu sagen, dass man eine Idee „mag“ oder ein Argument „gut“ findet? Was meinen Mathematiker, wenn sie von der „Schönheit“ eines Beweises sprechen? Warum betonte Kepler die „Schönheit“ des heliozentrischen Weltbildes?

Welche Medientheorie finden Sie schön? Welches Gefühl stellt sich ein, wenn Sie Medien z.B. als Extensionen von Körper und Geist (wie McLuhan vorgeschlagen hat) denken. Es drängt sich doch nicht nur die Frage auf, wie diese Sichtweise rational begründet und gerechtfertigt wird? Wir fragen doch auch: Wie stelle ich mir meinen Körper mit diesen Extensionen vor? Wie weit reiche ich? Wie fühlt sich das an? Wie verändert diese Sicht mein Selbstbild? Was kann ich als MediOrg (vielleicht noch besser in Anlehnung an Platon: als Mediurg) tun? Wozu befähigt mich dieses Denken? Wie erscheint mir mein Handeln in diesem Lichte? Welche Assoziationen stellen sich ein? Wohin gelange ich, wenn ich das weiter- oder zu einem Ende denke? Sind die Sichtweisen und Folgerungen dieses Ansatzes produktiv? Lässt es mich spüren, dass mit diesem Denken etwas Aufregendes oder Neues beginnt?

Setzen Sie Ihre Fragezeichen einmal eine (oder mehrere) Etage(n) tiefer an. Lassen Sie uns nach Medientheorien suchen, über sie streiten, sie neu erfinden.