Linguistik im Beruf
Öffentliche Vortragsreihe
Sommersemester 2011
,,SISIB Encounter"
"Social Learning" in der Mensch-Roboter-Interaktion
von Dr. Karola Pitsch (Uni Bielefeld)
am 7.6.2011
in Raum H-C-3303
Zum Vortrag: In jüngerer Zeit zielen Forschungsprojekte darauf ab, technische Systeme (wie z.B. humanoide Roboter) mit der Fähigkeit auszustatten, sich flexibel an veränderte Umweltbedingungen anzupassen und mit dem Benutzer auf möglichst natürliche - d.h. dem menschlichen Kommunikationsverhalten nachempfundene - Weise zu kommunizieren. Ein zentrales Thema ist dabei das „Social Learning”, d.h. technische Systeme sollen ihre Fähigkeiten und kognitiven Repräsentationen nicht fest einprogrammiert bekommen, sondern in und durch Interaktion mit einem menschlichen Tutor erlernen und dadurch dynamisch anpassbar sein. Mit dieser Zielsetzung wird Roboter-Lernen zu einem Forschungsthema an der Nahtstelle von Robotik und Konversationsanalyse.
Betrachtet man „Social Learning“ aus konversationsanalytischer Perspektive, so müssen einerseits Systeme in die Lage versetzt werden, menschliche Interaktion zu beobachten, zu strukturieren und daraus kognitive Repräsentationen von Handlungs- und Sprachwissen zu generieren. Andererseits kommt die Interaktion zwischen den Beteiligten in den Fokus: Durch sein eigenes multimodal-zeitliches Verhalten („Feedback“) signalisiert der Roboter lokal sein Verständnis der präsentierten Handlung und kann dadurch pro-aktiv die Präsentation des Tutors beeinflussen. Es geht also auch um Signalisierung und interaktive Zuschreibung von Wissen.
Im Vortrag wird dieses neuartige Forschungsfeld der Mensch-Roboter-Interaktion anhand von Beispielen aus dem EU-Projekt „iTalk“ vorgestellt und insbesondere auf den Aspekt der Signalisierung und Zuschreibung von Wissen fokussiert. Basierend auf der Parallelität von limitierten kognitiven Kompetenzen bei Robotersystemen und Kleinkindern (8 bis 24 Monate) wird anhand eines Video-Corpus zur Eltern-Kind-Interaktion das „Tutoring“ in Lehr-Lern-Situationen untersucht. Wie gestalten Eltern ihre multimodalen Handlungen, wenn sie ihren Kindern z.B. zeigen, wie man verschieden große Becher ineinander stapelt? Wie reagieren die Kinder Zug um Zug auf diese kommunikativen Angebote und gestalten damit die Präsentation des Tutors lokal mit? Konkret wird dabei mit KA-Methoden das dynamisch interaktive Wechselspiel von manuellen Handlungen des Tutors und der wechselnden Aufmerksamkeitsorientierung des Lerners herausgearbeitet. Darauf basierend wird gezeigt, wie solche KA-Ergebnisse (a) anschließbar werden für Quantifizierung, (b) für das Design von Mensch-Roboter-Interaktion nutzbar werden und (c) als Hypothesen über kommunikative Zusammenhänge in einem Mensch-Roboter-Experiment systematisch modellierbar und experimentell überprüfbar werden.
Wintersemester 2010
,,SISIB Encounter"
Innovation durch wissenschaftliche Mehrsprachigkeit
von Prof. Dr. Winfried Thielmann (TU Chemnitz)
am 6.12.2010, um 18:15 Uhr
in Raum AR-UB 032 (Senatssaal), Adolf-Reichwein-Straße 2, 57076 Siegen
Zum Vortrag: Wissenschaft gilt vielen als eine Unternehmung, die weitgehend unabhängig von der Spezifik einer Einzelsprache ist. Denn, so könnte man fragen, wie wissenschaftlich wäre eine Wissenschaft, deren Erkenntnisse davon abhingen, ob sie auf Deutsch, Italienisch, Englisch oder Französisch produziert und kommuniziert würden. Es sind solche Auffassungen von Wissenschaft und ihrer Sprachlichkeit, die wesentlich dazu beigetragen haben, das Englische in der Rolle einer sogenannten lingua franca in den Wissenschaften zu etablieren.
Ausgehend von einer exemplarischen Nachzeichnung der Entwicklung der europäischen Wissenschaftssprachen versucht der Vortrag die These zu begründen, dass gerade die Entdeckung der Einzelsprachenabhängigkeit von Wissenschaft die europäische Wissenschaftsentwicklung maßgeblich befördert hat und dass Europa gut daran täte, im Interesse der wissenschaftlichen Innovation eine Situation wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit zu erhalten.
Sommersemester 2010
,,SISIB Encounter"
Kommunikative Autarkie zwischen kommunikativer Selbstgenügsamkeit und medialer Unerreichbarkeit/Abschottung
von Prof. Dr. Gerd Antos (Universität Halle)
am 21.06.2010, um 18:15 Uhr
in Raum AR-UB 032 (Senatssaal), Adolf-Reichwein-Straße 2, 57076 Siegen
Zum Vortrag: Wahrgenommen wird nur noch derjenige, der kommuniziert! Daher wird hemmungslos ,,zugetextet, zugemailt, zugemüllt"! Kommunikation ist - so scheint es - zur öffentlichen Droge geworden! Aber es formiert sich auch die Abwehr: Mailfreie Tage in Unternehmen, Warnungen vor digitaler Abhängigkeit (FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in ,,"Payback") oder ,,Wege aus der Kommunikationsfalle" im Sinne Miriam Meckels ,,Glück der Unerreichbarkeit."
Weitgehend unbeachtet geblieben sind jedoch die vielfältigen Formen ,,kommunikativer Autarkie: Sie umfassen sowohl Formen kommunikativer Selbstgenügsamkeit (Tagebuch, Jargons, Fach- und Sondersprachen, Chats) als auch Formen des religiös, sozial oder (sub-)kulturell motivierten Rückzugs/Abschottens (Beten, Abtauchen in ,,Parallelwelten", Computerspiele, Geheimsprachen). Der Vortrag beleuchtet an vielfältigen Beispielen aus linguistischer Sicht Alternativen zur neuen Droge ,,Kommunikation" - aber auch Gefahren ,,kommunikativer Autarkie".
Wintersemester 2009/2010
,,SISIB Encounter"
Anderes Wissen: Ein Dokumentarfilm über ein Experiment an der Naturschule Ettenheim
von Prof. Dr. Wolf-Andreas Liebert (Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz)
am 26.01.2010, 18:15 Uhr
im Artur-Woll-Haus, Am Eichenhang 50, 57076 Siegen
Zum Vortrag: In der Naturschule Ettenheim gibt es weder Schulgebäude noch Noten. Dennoch wird hier effektiv Wissen vermittelt, gerade auch in den Naturwissenschaften. Im Mai 2009 reist eine Gruppe Chemiker an, um dort zu forschen - ein naturwissenschaftliches und soziales Experiment beginnt. Das Experiment wird von Sprach-/ Kommunikationswissenschaftlern beobachtet, die ihrerseits - angeregt von der Visuellen Anthropologie - eine neue Form der wissenschaftlichen Arbeit und Kommunikation erproben: den Dokumentarfilm als wissenschaftliches Ausdrucksmedium.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen medialen Kommunikationsformen (verbale Interaktion, Film ...) einerseits, der Produktion bzw. Vermittlung von (wissenschaftlichem) Wissen andererseits. Dazu werden Filmausschnitte gezeigt.
Sommersemester 2009
,,SISIB Encounter"
Wie gehen europäische Unternehmen mit der sprachlichen Vielfalt um?
von Prof. Dr. Georges Lüdi (Universität Basel)
am 22.06.2009, 18:15 Uhr
in Raum AR-UB 032 (Senatssaal), Adolf-Reichwein-Straße 2, 57076 Siegen
Zum Vortrag: Nach dem Unternehmenskulturkonzept des ‚Diversity management’ soll der Einbezug unterschiedlicher Kernkompetenzen und Perspektiven und deren laufende Nutzung zu einem Gewinn an Human- und Wissenspotenzial, zu einer Steigerung der Arbeitszufriedenheit und zu Stabilität in Arbeitsteams führen. Andererseits gibt es – oft in denselben Unternehmen – das Bestreben, dem Unternehmen und seinen Produkten neben einem Gesicht (Corporate Design) auch eine typische und unverwechselbare Sprache (Corporate Language) zu geben. Dies führt in der Praxis oft zur Bevorzugung der ‚lingua franca’ Englisch als (einziger) „Unternehmenssprache“. Aber sind englische Einsprachigkeit und Nutzung von kultureller Vielfalt in gemischten Teams überhaupt miteinander kompatibel? Welches ist der Preis für den Verzicht auf sprachliche Vielfalt? Lassen sich eindimensionale Konzepte der Unternehmenskommunikation juristisch und personalpolitisch überhaupt durchsetzen (vgl. Gerichturteile in Frankreich)? – Der Vortrag greift auf Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt DYLAN zurück (http://www.dylan-project.org). Anhand von Audioaufnahmen an Arbeitsplätzen wird einerseits der Gebrauch von (oft approximativem) Englisch dokumentiert; andererseits werden mehrsprachige Alternativen zum Gebrauch der allgegenwärtigen ‚lingua franca’ vorgestellt. Im Anschluss daran wird die Frage aufgeworfen, welche Sprachstrategien Unternehmen bei der Rekrutierung und Schulung ihres Personals verfolgen und welche Konsequenzen sich daraus für den Fremdsprachenunterricht im Rahmen der europäischen Bildungssysteme ableiten lassen.
Wintersemester 2008/2009
,,SISIB Encounter"
Mitarbeiterkommunikation - der "dänische Weg"
von Associate Prof. Dr. Martin Nielsen (University of Aarhus, ASB Centre for Corporate Communication, Dänemark)
am 21.01.2009, 18:15 Uhr
in Raum AR-B 2205, Adolf-Reichwein-Straße 2, 57076 Siegen
Zum Vortrag: Mitarbeiterzeitungen, noch immer Leitmedium der internen Kommunikation, dienen einerseits den strategischen Zielen der Unternehmensführung, lehnen sich aber andererseits an ihr mediengeschichtliches Vorbild, die Zeitung, und deren Ideale der kritischen Berichterstattung, Pressefreiheit, Publikumsorientierung und Meinungsvielfalt an. Speziell im dänischen Kontext legt die normativ geprägte Literatur zum Thema nahe, in den Redaktionen von Mitarbeiterzeitschriften eher Pressefreiheit walten zu lassen als der Kontrolle durch die Unternehmensführung den Vorrang zu geben. In dem Vortrag wird diese Einstellung empirischen Befunden gegenübergestellt: Zwar wird in manchen Fällen eine unabhängige, kritische und kontroverse Berichterstattung zugelassen, auch werden in dänischen Mitarbeiterzeitungen aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie z.B. Klimawandel, Gesundheitsförderung oder etwa kulturelle Vielfalt der Belegschaft unter Bezug auf allgemeine gesellschaftlicher Leitbilder erörtert. Die Thematisierung solcher Entwicklungen lässt sich sowohl als Ausdruck sozialer Verantwortlichkeit des Unternehmens begreifen, die MitarbeiterInnen ein Identifikationspotenzial bieten sollen, als auch als Versuch der direkten Verhaltensbeeinflussung. Insgesamt orientieren sich die Texte bis zu einem gewissen Grad am öffentlichen Leitbild einer pluralen Gesellschaft, zugleich herrscht eine Ausrichtung an strategischen Unternehmenszielen vor. Inwieweit dies zu Spannungsfeldern führt und wie diese bearbeitet werden, steht im Mittelpunkt des Vortrags.
,,SISIB Encounter"
Was ist richtiges Deutsch? Sprachnorm und Sprachgebrauch
von Prof. Dr. Peter Eisenberg (Universität Potsdam)
am 11.11.2008
Zum Vortrag: Nach Ansicht vieler Sprachbeobachter, zu denen Sprachfreunde ebenso wie Sprachwissenschaftler gehören, verändert sich die deutsche Sprache gegenwärtig schnell und wahrscheinlich schneller, als wir es aus der Vergangenheit gewohnt sind. Die Frage, was unter diesen Umständen als richtiges Deutsch anzusehen sei, was man im öffentlichen Sprachgebrauch und im Sprachunterricht als verbindlich ansehen sollte, stellt sich damit neu. Der Vortrag geht dieser Frage nach. Anhand zahlreicher Beispiele wird gezeigt, welche Antworten über einen sprachwissenschaftlich fundierten Normbegriff entwickelt und vertreten werden können.
Sommersemester 2008
,,SISIB Encounter"
Wissenstransfer und Wissenstransformationen in der Hochschulkommunikation
von Prof. Dr. Angelika Redder (Universität Hamburg)
am 03.07.2008
Zum Vortrag: Die Universität hat den gesellschaftlichen Auftrag, wissenschaftliches Wissen weiterzuentwickeln (Forschung) und zu tradieren (Lehre). In der Wechselbeziehung von Forschung und Lehre gewährleistet sie einen Wissenstransfer an die nachwachsende, akademisch zu schulende Generation. Den Ausgangspunkt für neue fachwissenschaftliche Inhalte, Kategorien und Methoden stellen im universitären Studium schulisches und außerschulisches Wissen dar. Die Aneignung von Wissenschaft geschieht aber nicht einfach im Zuge eines Wissensaufbaus oder Wissensausbaus, also nicht allein additiv, sondern vor allem durch einen Umbau des Wissens, d.h. durch eine Wissenstransformation. Gefordert ist eine qualitative Veränderung in ein wissenschaftliches Wissen. Insofern dieses Wissen – in allen Disziplinen und allen Studiengängen – sprachlich vermittelt wird, kann die Angewandte Sprachwissenschaft relevante Erkenntnisse zur Gestaltung dieser Prozesse beisteuern.
Wintersemester 2007/2008
,,SISIB Encounter"
Mehrsprachige Wissenschaft - transnationale Perspektiven für Europa
von Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Ehlich
am 23.01.2008
Zum Vortrag: Wissenschaft, die in deutschsprachigen Ländern betrieben wird, sieht sich gegenwärtig vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Hierzu gehört auch die mehr oder minder laut vorgetragene Forderung, auf das Deutsche als Wissenschaftssprache zunehmend zu verzichten und sich stattdessen des Englischen als der Sprache eines „internationalen Wettbewerbs“ im Rahmen „der Globalisierung“ zu bedienen. Diese Forderung findet innerwissenschaftlich ihre Unterstützung besonders bei den Naturwissenschaften, greift aber immer stärker auch auf die Sozial- und Geistes- oder Kulturwissenschaften aus. Ganz ähnliche Prozesse sind in anderen großen europäischen Wissenschaftskulturen wie der französischen und der italienischen zu beobachten. Hier stoßen sie zum Teil auf einen stärkeren Widerstand als etwa in Deutschland. Gerade dem Kontinent Europa kommt für die weitere Entwicklung in diesem Zusammenhang eine Schlüsselstellung zu. Die Propagierung monolingual englischsprachiger Wissenschaftsstrukturen bedient sich einer Reihe von Argumenten, die ebenso geschichtsvergessen wie kurzsichtig sind, die ihre Wirkungskraft aber aus ihrer Konformität zum Globalisierungsdiskurs insgesamt beziehen. Der Beitrag wird einige jener landläufigen Argumente näher analysieren. Er wird zugleich eine Kritik der nationalen Selbstbeschränkung von Wissenschaft am Beispiel Deutschlands vortragen, und er wird der Frage nachgehen, wie Perspektiven für eine mehrsprachige Wissenschaftspraxis gewonnen werden können jenseits der Rahmenbedingungen von Nationalstaaten, seien sie solche Europas, seien es die USA, seien es die neuen außereuropäischen Wissenschaftskulturen der so genannten „Schwellenländer“.