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Siegener KlassikerInnen

Auf dieser Seite erfahren Sie mehr zu den "Siegener KlassikerInnen" in deren Tradition sich POLIS sieht.

 

Helge Pross

Helge Pross kann mit guten Gründen als eine der Pionierinnen der soziologischen Frauen- und Geschlechterforschung bezeichnet werden. Als eine der ersten in der bundesdeutschen Soziologie hat sie die Rolle der Frau als wesentlich für die Verortung der Subjekte im Ungleichheitsgefüge der Gesellschaft ausgewiesen. Ausgehend von den in ihren soziologischen Untersuchungen erhobenen Befunden trug sie maßgeblich dazu bei neben den sozialen Schichten das Geschlecht als zentrale sozialwissenschaftliche Analysedimension zu etablieren.

 

Schon bevor im Frühjahr 1965 ihre Ernennung zur Professorin für Soziologie an die Justus Liebig-Universität Gießen erfolgte, brachte Pross bereits in den späten 1950er Jahren als Assistentin von Max Horkheimer an der Universität Frankfurt Themen aus der Frauenforschung in die Lehre ein. Mit ihren Monografien zu den ungleichen Bildungschancen von Mädchen (1969), zur Abtreibung (1971) und zur beruflichen Lage von Frauen (1973) gehörte die junge Wissenschaftlerin zur kleinen Schar derjenigen, die innerhalb der Soziologie die Tür zu zentralen „Frauenfragen“ erstmals aufstoßen. Später waren es dann vor allem die Hausfrauen-Studie (1975), in der die soziale Lebenswirklichkeit einer „schweigenden Mehrheit“, die permanenter Geringschätzung ausgesetzt ist, untersucht wird, und Arbeiten zu Familie und Ehe und zur politischen Partizipation der Frau, mit denen sie ihren eingeschlagenen Weg fortsetzte. Pross war aber auch deshalb ihrer Zeit voraus, weil sie die Grenzen der traditionellen Frauenforschung bald überschreitet. Mit dem Buch „Die Männer“ (1978) legte sie als erste ihrer Zunft eine repräsentative Untersuchung zu den Selbstbildern von Männern und deren Bilder von der Frau vor. Damit leistete sie einer sich erst in den 1990er Jahren etablierenden Perspektive Vorschub, nach welcher nicht die Frauen, sondern die Geschlechterverhältnisse den eigentlich relevanten Untersuchungsgegenstand bilden. Ihr Motto lautete „Frauenfragen sind Männerfragen“ (Tegeler 2003). Aber es ist nicht nur das Themenspektrum, sondern das normative Streben nach mehr Gerechtigkeit und faktischer - nicht bloß juristischer - Gleichheit der Geschlechterchancen, welches Pross mit dem Anliegen der Frauenforschung verbindet. Nach dem von ihr postulierten Emanzipationsbegriff waren es jedoch keinesfalls nur Probleme der Geschlechtergerechtigkeit im Besonderen, sondern Probleme der gesellschaftlichen Demokratisierung im Allgemeinen, die sie umtrieben und sich in zahlreichen Publikationen zum Themenkomplex Demokratie und Wirtschaft niederschlugen.

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Es ist wichtig, nicht nur die Nähen, sondern auch die Differenzen des Ansatzes von Pross zur Frauenforschung hervorzuheben. So wandte sie sich als Wissenschaftlerin vehement gegen eine Verquickung sozialwissenschaftlicher Rationalität mit dem politisch-sozialen Engagement der Frauenbewegung. Ihr Interesse gilt einer „aufklärerischen Reformsoziologie“ (Theis 1989), was für sie bedeutet, ihre vorwiegend aus empirischen Studien gewonnenen Erkenntnisse auch journalistisch durch Beiträge in Rundfunk und Presse, nicht zuletzt in der Frauenzeitschrift „Brigitte“ einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Obschon sie die strikte Trennung von Wissenschaft und Politik postulierte, machte sie sich in ihrer Rolle als Journalistin gemäß der von ihr verfochtenen Politik der kleinen Schritte beispielsweise für den Ausbau der Kinderbetreuung oder die Ausweitung der Vaterrolle stark, um den Gleichheitsdefiziten zwischen den Geschlechtern zu begegnen.

Bei der Würdigung der Position von Pross fällt ihren Ursachenanalysen zur Geschlechterungleichheit in mehrfacher Hinsicht eine bemerkenswerte Rolle zu. Danach gilt es, die weiblichen Problemlagen in die historischen und gesellschaftlichen Bedingungszusammenhänge einzubetten. Im tradierten Geschlechterdualismus des kapitalistischen Industrialismus des 19. Jahrhunderts sah sie das eigentliche Hindernis bei der Herstellung der sozialen Geschlechtergleichheit. Denn in der historischen Trennung von öffentlicher und privater Sphäre, welche die Frauen auf die häusliche und die Männer auf die berufliche Sphäre festlegt, wird ein asymmetrisches Herrschaftsverhältnis hervorgebracht, welches bis in die Gegenwart fortlebt. Vor allem der Kultivierung und Stilisierung der strikt weiblich definierten Familiensphäre zur funktionalen Ausgleichs- und emotionalen Komplementärinstitution der industriellen Gesellschaft, so ihre Argumentation, ist es anzulasten, dass Zweifel an dieser Arbeitsteilung kaum aufkommen. In ihren Augen sind es die mit der Polarisierung der Sozialstruktur verbundenen geschlechtsspezifischen Wesensdoktrinen und Naturlehren, die die Arbeitsteilung legitimieren. Es geht hierbei um gleichsam vergegenständlichte Strukturen, die sich den Menschen einprägen und ihnen nicht bewusst sind und daher umso mehr Macht über sie ausüben. Folgerichtig definierte Pross Emanzipation als „das Recht und die faktische Möglichkeit, sich von restriktiven Wesensideologien zu befreien und Tätigkeiten nachzugehen, die den Stereotypen widersprechen. Das gilt für Frauen und für Männer. In einer emanzipierten Gesellschaft wären für beide die Normierungen beseitigt, die sich einzig auf die Geschlechtszugehörigkeit beziehen“ (1973, 69). Das in diesem Zitat zum Ausdruck gelangende Ideal liegt auf der Hand: Es ist das von gesellschaftlichen Zwängen und Ideologien befreite Individuum, das über ein hohes Maß an Chancengleichheit und selbstbestimmte Handlungsmöglichkeiten verfügt. Allerdings hielt sich der Optimismus bei Pross in Grenzen. Einige Seiten weiter schreibt sie nämlich: „…historisch gesehen, hat der Abschied von der bisherigen Geschichte weiblicher Unterordnung … gerade erst begonnen. Bei allen unbestreitbaren und wichtigen Fortschritten wurde noch nicht einmal die Vorstufe der Frauenemanzipation, die faktische Gleichstellung in Beruf, Familie und Politik erreicht. Von einem entschiedenen Bemühen des Gemeinwesens, Chancengleichheit für beide Geschlechter zu schaffen, kann keine Rede sein. Bis zur Herstellung von Demokratie auch für die Frauen ist es daher noch weit“ (1973, 85). Dieser Einschätzung ist auch rund dreißig Jahre nach dem Tod von Helge Pross wenig hinzuzufügen. Allen spürbaren Veränderungen der Geschlechterverhältnisse zum Trotz spricht wenig dafür, dass das Projekt der Geschlechterdemokratie seiner baldigen Vollendung zustrebt.

 

Meyer, Thomas: Helge Pross - eine Wegbereiterin der Frauenforschung., - abgerufen am 03. Juni 2014

Adolph Diesterweg

Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg prägte als Schulpädagoge zu Beginn des 19. Jahrhunderts maßgeblich das System der Ausbildung von Volksschullehrern in Seminaren im Rheinland.

Geboren am 29.10.1790 in Siegen als siebtes Kind des Justizamtmannes Karl Friedrich Diesterweg (1754-1812) und dessen Frau Catharina Charlotte (1759-1798) geborene Dresler, begann er 1808 ein mathematisch-naturwissenschaftlich orientiertes Studium in Herborn, Heidelberg und Tübingen. 1813 heiratete er Sabine Enslin (1794-1866). Aus der Ehe gingen neun Kinder hervor.

 

Durch die Wirren der napoleonischen Kriege verschlug es ihn eher zufällig in den Lehrerberuf. Über Stationen in Frankfurt/Main (1813-1818) und (Wuppertal-)Elberfeld (1818-1820) kam er 1820 auf die Direktorenstelle am neu geschaffenen Lehrerseminar in Moers. Vom Geist der Aufklärung und des 18., des „pädagogischen Jahrhunderts" sowie der preußischen Reformepoche geprägt, entfaltete er in Moers, und ab 1832 in Berlin, als Lehrer, Lehrerbildner, theoretischer Pädagoge und Essayist in kritischer Zeitgenossenschaft eine ungemein breitenwirksame praktisch-pädagogische und pädagogisch-publizistische Tätigkeit, die ihn innerhalb weniger Jahre zur bewunderten Leitfigur insbesondere der nach gesteigertem Sozialprestige strebenden Volksschullehrer werden ließ.

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Aber die Entwicklung der politischen Verhältnisse in Deutschland und speziell in Preußen erwies sich seinen progressiv-liberalen Ideen als nicht sehr günstig. Die ab 1840 mit der Übernahme der preußischen Regentschaft durch Friedrich Wilhelm IV. (Regierungszeit als König bis 1858, gestorben 1861) verstärkt einsetzende staatliche Restauration und schließlich Reaktion und ihr Zusammenspiel mit der protestantischen Neoorthodoxie ließen seine pädagogischen und politischen Vorstellungen mehr und mehr ins gesellschaftliche Abseits geraten. 1847 wurde er schließlich in den vorläufigen, 1850 in den endgültigen Ruhestand versetzt, nachdem es im Zuge der 1848er Revolution für kurze Zeit so ausgesehen hatte, als ob eine für Diesterweg und seine Ideen günstige Wendung zu liberalen, demokratischen und konstitutionell abgesicherten Staatsverhältnissen möglich wäre.

In den 1850er und 60er Jahren musste Diesterweg den für ihn bitteren Siegeszug konservativ-reaktionärer Politik in Staat und Schule erleben. Im Bereich der Schule verkörperten für ihn die drei „preußischen Regulative", nach ihrem Autor, dem preußischen Staatsrat Ferdinand Stiehl (1812-1878) auch die „Stiehlschen Regulative" (1854) genannt, den Geist beziehungsweise auch Ungeist der Zeit. Dem Kampf gegen diese Regulative und das sie prägende Weltbild galt seine ganze Kraft bis zu seinem Lebensende. Seit 1858 wirkte er als Abgeordneter im preußischen Landtag in diesem Sinne. Eine durchgreifende Änderung der Verhältnisse zu erleben war ihm aber bis zu seinem Tod am 7.7.1866 in Berlin nicht vergönnt.

Diesterweg hatte sich als junger Lehrer an der Musterschule in Frankfurt/Main intensiv auch mit der pädagogischen Theorie der Zeit auseinanderzusetzen. Er kam in Kontakt mit dem damals die pädagogische Szene in Deutschland beherrschenden Pestalozzianismus. Und in den wenigen Jahren in Elberfeld hatte er durch die Begegnung mit dem Rochow-Schüler Johann Friedrich Willberg (1766-1846) auch die Gelegenheit, das Denken der rousseauistisch beeinflussten Philanthropen in seine Pädagogik zu integrieren. So verstand er sich als ein auf naturalistischer Grundlage stehender Pädagoge, der dem Zögling Raum bieten wollte, sich in seinen Anlagen zu entfalten, ohne mit künstlichen Eingriffen diesen mehr organisch-biologisch gedachten Entwicklungsprozess der Erziehung und Bildung zu stark lenken und steuern zu wollen. Klar schälen sich in diesen Jahren auch schon einige weitere zentrale Bestandteile seiner Pädagogik heraus, wie etwa sein betont formaler Bildungsbegriff, das Prinzip der Selbsttätigkeit des Schülers/der Schülerin und des induktiven Lehrverfahrens, die Betonung der Individualität des Lehrers und seiner Methode sowie die Wertschätzung eines dialogischen Unterrichts.

Ab 1820 sah er sich als preußischer Seminardirektor der neu installierten seminaristischen Lehrerbildung in Moers verstärkt in der Pflicht, sein pädagogisches Denken auch publizistisch auszuweisen. In Büchern und Aufsätzen, in Entwürfen für die preußische Unterrichtsverwaltung und schließlich auch als Herausgeber und Autor der von ihm begründeten „Rheinischen Blätter für Erziehung und Unterricht" (ab 1827) entfaltete er eine in der Breite der deutschen Lehrerschaft ungemein wirkungsreiche und profilierte öffentliche Tätigkeit, die in dem von ihm 1835 erstmals einbändig, dann ab der zweiten Auflage 1838 zweibändig herausgegebenen Werk „Wegweiser zur Bildung für (deutsche) Lehrer" einen gewissen Höhepunkt fand.

Eine besondere Bedeutung kam in seinem pädagogischen Denken und seiner Biographie auch der christlichen Religion zu; sie benötigte er vor allem zur anthropologischen wie auch ethischen Fundierung seiner Pädagogik. Seine Religion ist dabei deutlich aufklärerisch geprägt: Vernunft und Moral stehen im Zentrum. Ursprünglich war seine Religion jedoch eher reformiert-konfessionalistisch, am Heidelberger Katechismus ausgerichtet. Spätere Einflüsse brachten ihn aber schließlich in eine aufgeklärt-rationalistische Glaubensrichtung, die dann in dem von ihm ab circa 1817 publizierten Schriften greifbar wird und die geprägt ist von einer Auseinandersetzung mit der rheinischen Erweckungsbewegung und ihrer Fixierung auf die Sünden- und Prädestinationsthematik. So schreibt er etwa in seinen Tagebuchaufzeichnungen in Elberfeld: „Der Fundamentalsatz biblischer Theologen: >Dass der Mensch von Natur aus nichts nütze und zu allem Bösen geneigt sei< - darf in der Erziehung nicht berücksichtigt werden. Er würde sehr verderblich wirken." Und die Haupttendenz des Christentums findet er „in der Erstrebung der höchsten Sittlichkeit, des moralischen Ideals". Christentum und Philosophie liefern ihm beide „dasselbe Resultat, dasselbe Gesetz, das dem Menschen ins Herz geschrieben ist".

Auf der Grundlage eines so ausgerichteten Religionsverständnisses formierte sich auch seine Konzeption des Faches Religionsunterricht, wobei zwei unterschiedliche Varianten festzustellen sind: In Veröffentlichungen bis 1820 hatte er die Anschauung vertreten, dass die Religion keinen separaten Fachunterricht benötige, sondern dass sie als eine Art Unterrichtsprinzip in allem übrigen Unterricht präsent sein könne. In der pädagogischen Skizze „August und Wilhelm" (vermutlich 1817 entstanden) lässt er den ideal geschilderten Lehrer seine eigene religionsdidaktische Theorie vertreten: „Auf den mündlichen, zu gewissen Stunden regelmäßig wiederkehrenden Religionsunterricht hielt er nicht viel … Er selbst hatte an sich die traurige Erfahrung machen müssen, dass durch zu genaue Zergliederung der Religionsbegriffe der echt religiöse Geist leicht verscheucht werde."

Mit seinem Eintritt in das preußische Schul- und Lehrerbildungssystem ab 1820 vollzog sich bei ihm jedoch eine Art realistische Wendung. Nun kann er ganz explizit ein Fach Religionsunterricht an der öffentlichen Schule vertreten: „… wer sollte es nicht erkennen, dass zur Religiosität auch ein bestimmter, klarer und ausführlicher Unterricht über Religion gehöre! … Die Erkenntnis Gottes (kommt) aus dem Unterricht über Gott." Beide Modelle von Religionsunterricht ruhen jedoch auf dem gleichen aufklärerisch geprägten Religionsbegriff.

Nach dem erzwungenen Ausscheiden aus dem Amt des Seminardirektors 1847 kehrte Diesterweg zu seiner ursprünglich vertretenen Konzeption der Eliminierung eines eigenen Faches Religion zurück. Religion wird erneut zum Unterrichtsprinzip erklärt, und „Jeder Lehrer (wird) – ein Religionslehrer". Daneben kann er aber auch die Konzeption eines „Allgemeinen Religionsunterrichts" vertreten, die kirchlich-konfessionelle Elemente aus dem Kanon der Unterrichtsinhalte verbannt hat. Die evangelische Kirche, die er von seiner religiösen Position her primär als eine Erziehungsinstanz verstanden wissen wollte, hatte durch ihr Bündnis mit dem reaktionär tendierenden Staat sich für eine dogmatisch-pietistisch ausgerichtete Form des Religionsunterrichts und der Schule insgesamt entschieden, wie Diesterweg dies in den Stiehlschen Regulativen zu erkennen meinte. Diese Gegenposition zu einem eng konfessionalistischen Religions- und Kirchenverständnis war nicht zuletzt auch die Ursache für seinen Konflikt mit dem reaktionären preußischen Staat, da das Bündnis von Thron und Altar Teil der preußischen Staatsdoktrin war.

 

Rupp, Horst F.: Adolph Diesterweg - http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/D/Seiten/Adolph%20Diesterweg.aspx. - abgerufen am 03. Juni 2014

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Johannes Althusius

Geburtsdatum und familiäre Herkunft des Johannes Althusius sind unsicher. So schwanken die Angaben zum Geburtsjahr zwischen 1557 und 1563, wobei letzteres als wahrscheinlicher anzusehen ist. Lediglich an dem Geburtsort Diedenshausen, einer östlich von der Residenzstadt Berleburg gelegenen kleinen Ortschaft, besteht kein Zweifel. Auch die Abkunft läßt sich nur aus einem 1572 erstellten Salbuch der Wittgensteiner Grafschaft erschließen.

Da in Diedenshausen nur der Müller Hans Althaus als einschlägiger Namensträger aufgeführt ist, darf er wohl als Vater angenommen werden. Ein im waldeckischen Korbach lebender Bruder des Vaters heiratete in den Niederadel, weshalb ein gewisser Wohlstand und eine besondere Bildungsbeflissenheit zu vermuten ist. Dies bestätigt sich auch durch das Theologiestudium eines gleichnamigen Bruders von Johannes Althusius.

Die wittgensteinische Herkunft des Althusius bedeutete für seine Erziehung, daß er früh schon mit der konfessionellen Problematik vertraut wurde. Denn der seinerzeitige Landesherr, Graf Ludwig von Wittgenstein, führte die Grafschaft nur wenige Jahre nach der Bartholomäusnacht vom Luthertum zum Calvinismus. Auch rechnete der Wittgensteiner trotz der von ihm regierten bescheidenen Landmasse bis zu seinem Tod im Jahre 1605 zu den herausragenden calvinistischen Politikern im Heiligen Römischen Reich. Zweimal fiel ihm die Großhofmeisterstelle in Heidelberg zu, und innerhalb des Wetterauer Grafenvereins hatte er eine führende Position inne. Auch war Ludwig wegen seiner großen Sprachkenntnisse und einem umfangreichen Briefverkehr mit zahlreichen calvinistischen Wissenschaftlern weithin in der europäischen Societas litteraria bekannt. Aus Buchwidmungen an Graf Ludwig und dessen Bruder Georg ist bekannt, daß Johannes Althusius nahe Beziehungen zum betont calvinistischen Wittgensteiner Grafenhaus besaß.

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Wohl nach einer Schulausbildung in Berleburg bezog Johannes Althusius 1577 das Pädagog der nächstgelegenen Universität in dem hessischen Marburg. Es ist wahrscheinlich, daß ihm ein gräfliches Stipendium das Studium ermöglichte. Nächst Marburg studierte Althusius nachweisbar seit 1581 in Köln und beendete das Rechtsstudium 1586 in Basel mit einer Dissertation "De successione ab intestato". Noch im gleichen Jahr erscheint in Basel seine erste Buchpublikation zum römischen Recht, die in ihren wissenschaftstheoretischen Grundlagen ganz dem Ramismus verpflichtet ist. Nach einem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Genf erhält Althusius gegen Weihnachten 1586 eine Anstellung als Professor der Jurisprudenz und der Philosophie an der nassauischen Hohen Schule, die 1584 von dem Bruder Wilhelms von Oranien, Johann VI. von Nassau-Dillenburg, in Herborn gegründet worden war. Den Ausschlag für die Berufung dürfte Caspar Olevian gegeben haben, der inzwischen von Berleburg nach Herborn gewechselt war und als die beherrschende Figur der "Johannea" anzusehen ist. Außer einem rund vierjährigen Zwischenspiel an dem bentheimischen Gymnasium Illustre, wo Johannes Althusius seit dem Sommer 1592 als Professor lehrte, blieb Althusius bis 1604 der nassauischen Hohen Schule erhalten. Die Vermutung, er habe 1597 noch einmal in Heildelberg Theologie studiert, hat sich dagegen als irrig erwiesen.

Nach seiner Rückkunft aus Bentheim befand sich die nassauische Hohe Schule nicht mehr in Herborn, sondern war inzwischen nach Siegen verlegt worden. Hier ging er nicht nur alsbald die Ehe mit Margarete Naurath (Neurath) ein, die einer alteingesessenen nassauischen Beamtenfamilie entstammte, sondern gewann auch zu dem in Siegen residierenden Sohn des Schulgründers, dem als Militärtheoretiker bekannt gewordenen Johann VII. von Nassau, ein besonders nahes Verhältnis. Mit seiner Unterstützung konnte Althusius auch durchsetzen, daß die nassauische Hohe Schule 1599 nicht vollends nach Herborn zurückverlegt wurde, sondern in Siegen ein juristisch dominierter Teil verblieb. Er wurde deutlich von Johannes Althusius beherrscht, der das Amt des Rektors versah und zugleich die wissenschaftliche Ausrichtung mit dem besonderen Akzent auf der Adelsbildung bestimmte. Die 1601 von einem Neffen des Althusius in Hanau herausgegebenen "Civilis conversationis libri duo", der zweiten großen Publikation, stehen ganz im Zusammenhang mit der Siegener Ausbildung. Sie dürften freilich auch auf Anregung Johanns VII. von Nassau beruhen, der nach dem Scheitern des Siegener Experiments 1601 später neuerlich durch die Gründung einer Kriegsschule hervortrat.

Nach der Rückkehr von Siegen nach Herborn publizierte Althusius mit der "Politica methodice digesta" 1603 jenes Werk, das ihn mehr noch als die inzwischen bereits mehrfach nachgedruckte "Jurisprudentia Romana" bekanntmachen sollte. Auch für die "Politica" sind die Anregungen aus der Umgebung der beiden nassauischen Grafen und ihrer politischen wie kirchlichen Ratgeber unübersehbar. Das Werk stellt nach außen hin eine auf ramistischer Grundlage verfaßte Politikwissenschaft dar, in der juristische Elemente durch ihre unmittelbare Anknüpfung an soziale Strukturen erst ihren rechten Bezug erfahren. Der Vertragsgedanke bildet dabei das alles durchwebende Grundmoment.

Ausgehend von der Souveränität des Volkes bildet die Rechtsbindung aller Herrschaftsträger in einem gestuften System von der Familie bis zum Staat das höchste vorwaltende Prinzip in der "Politica methodice digesta". Für den Fall, daß die überkommenen oder aber vereinbarten Rechte verletzt werden, ist Widerstand gegen die unrechtmäßig handelnde Herrschaft erlaubt und geboten. Sowohl durch das ramistische Muster, das ein hohes theoretisches Maß an Begriffsdefinitionen einschloß, wie auch die Übernahme des Foedus-Moments aus der Herborner Theologie Olevianscher Prägung bildet die "Politica methodice digesta" den ersten juritischen Höhepunkt eines auf Ganzheitlichkeit angelegten wissenschaftlichen Lehrprogramms der nassauischen Johannea.

Über ihre theoretische Grundlegung der Politik hinaus sollte die "Politica" mit ihren naturrechtlichen Bezugsfeldern und der besonderen Betonung von Rechtsbindung als vornehmstem staatlichem Strukturmerkmal auch das Leitbild für die aktuelle Politik der nassauischen und wetterauischen Landesherrn und zahlreicher Grafen innerhalb des Wetterauer Grafenvereins darstellen. Über dieses unmittelbar praktische Bezugsfeld hinaus konnte die "Politica methodice digesta" aber auch in Teilbereichen des deutschen Luthertums insoweit prägend wirken, als ihre theoretischen Prämissen und die inneren Strukturmerkmale des Werkes bis 1610 fast problemlos übernommen wurden. In der "Oratio panegyrica de utilitate et antiquitate scholarum", die nicht ohne tieferen Sinn der "Politica" beigefügt wurde, kommt der besondere Wert der Bildung zum Ausdruck, den Althusius seit seinen frühen Wittgensteiner Jahren kannte und der sich an der nassauischen Hohen Schule durch seine theoretische Überhöhung noch verstärkte.

 

Menk, Gerhard: Johannes Althusius - http://www.ostfriesischelandschaft.de/fileadmin/user_upload/BIBLIOTHEK/BLO/Althusius.pdf, - abgerufen am 23. Mai 2018

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