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Langzeitstudie Teil 1: Wie Kinder in Alltag und Schule lernen


Vergleiche dienen der Erhöhung des Selbstwertgefühls, im besten Fall aber der Selbsterkenntnis. Vergleichen ist eine reflexive Tätigkeit; das Ergebnis wird daher mit Vorliebe auf die erste Person, entweder im Singular oder im Plural bezogen. Das gilt für den Einzelnen ebenso wie für das Kollektiv: Ich bin größer als Du, wir sind Exportweltmeister, wir haben im Fußball gewonnen. Ländervergleiche, die seit einigen Jahren mit einer gewissen Regelmäßigkeit Emotionen hervorrufen, die denen im Fußball mindestens ebenbürtig sind, sind die TIMSS-, PISA- und IGLU-Tests.

Wie beim Sport provozieren auch diese internationalen Schulleistungs-Rankings eine Vielzahl von politischen „Wir(r)“-Reden, in denen – je nach gegenwärtigem parlamentarischen Status, Opposition oder Regierung – entweder der Erfolg der Mannschaft gefeiert oder aber ein höherer Tabellenplatz eingefordert wird. Während im Fußball der Vergleich auf Basis von Quantitäten durchaus gerechtfertigt, zumindest im Ergebnis für das kollektive Selbstwertgefühl aber unhintergehbar erscheint, ist dies für das PISA-Ranking jedoch fragwürdig.

Wurde der PISA-Test in der Vergangenheit einer kritischen Prüfung unterzogen, so richtete sich die Aufmerksamkeit zumeist auf die Art der Datenerhebung. Selten hingegen wurde gefragt ob der PISA-Test überhaupt als hinreichendes Instrument der Selbsterkenntnis geeignet ist. Denn: PISA, TIMSS, IGLU und all die anderen Leistungsstudien betrachten die Kinder nur als Schülerinnen und Schüler. Kinder lernen aber nicht nur in der Schule; sie verbringen viel mehr Zeit außerhalb. Auch dort lernen sie viel – manche Forscher meinen sogar: mehr als in der Schule. Will man also verstehen, wie Kinder und Jugendliche das Wissen und Können erwerben, mit dem sie ins Leben gehen, dann muss man mehr über ihren Alltag und ihre Freizeit wissen.

Dazu gibt es zwar einige Befragungen, aber kaum direkte Beobachtungen. Zudem sind die Antwortmöglichkeiten in Befragungen meist standardisiert und nur selten offen für persönliche Aussagen. Die Ergebnisse solcher Erhebungen zeigen, was Kinder und Jugendliche meinen, aber nicht, was sie tatsächlich tun, oder gar, was sie dabei denken und empfinden. Wenn die meisten zehn- bis 12-Jährigen sagen, dass ihre Großeltern sehr wichtig für sie sind, dann kann das Vielerlei bedeuten (vgl.: Panoramastudie). Was das ‚Wichtigsein‘ konkret bezeichnen soll und ob es für verschiedene Kinder Dasselbe oder Unterschiedliches bedeutet, das wird erst zugänglich, wenn man ein Stück des Alltags der Befragten miterlebt, wenn man die Person in unterschiedlichen Situationen beobachten kann und wenn man mit verschiedenen Beteiligten über diese Beobachtungen spricht.

Für ein vollständiges Bild der Lernsitutation der Kinder in Deutschland reicht es demnach nicht aus, stichtagsbezogen Leistungstests durchzuführen. All diese durchaus wichtigen quantitativen Erhebungen bedürfen eines qualitativen Korrektivs. Die Reduktion der reichen Lebenswelt auf standardisierte Kennwerte zeigt sich beispielsweise in den Versuchen der Großstudien, die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen über Indikatoren wie den sozio-ökonomischen Status der Eltern zu erfassen. Dabei wird übersehen, wie unterschiedlich die Alltagswelt für Kinder in derselben sozialen Schicht aussehen kann.


„Was heißt soziale Schicht?“

Schon die Querauswertung einzelner Stichproben zeigt, dass die soziale Herkunft in der Mehrzahl der Fälle Auswirkungen auf den Schulerfolg im Anfangsunterricht hat, aber auch, dass sie nur als eine Kraft neben anderen wirkt.
Bei der Analyse der Fallstudien fiel als erstes auf, dass allein das materielle Umfeld von Kindern nur wenig Einfluss auf deren Schulerfolg hat. Ein Kind kann Zugang zu Tausenden von Büchern und Lernspielen haben, doch wenn es in seiner Entwicklung nicht lernt, damit umzugehen, können ihm diese Besitztümer für seinen Erfolg im Anfangsunterricht nicht viel bringen. Viel wichtiger ist daher, wie die Eltern das Lernumfeld eines Kindes gestalten. Diese Gestaltung des Lernumfeldes wird beeinflusst durch die berufliche Situation der Eltern und deren Einstellungen zu Schule und Bildung. Eltern, die sich Zeit für ihre Kinder nehmen und denen der schulische Erfolg der Kinder wichtig ist, schaffen meistens ein Lernumfeld, in dem die Kinder Freude am Lernen haben und somit auch im Anfangsunterricht häufig Begeisterung für schulische Inhalte zeigen. So war es in unserer Studie im Fall von Jonas. Ein Lernumfeld, das sich nur auf wenige Impulse beschränkt, wie es bei Jasmin der Fall ist, kann aufgrund mangelnder Förderung und Unterstützung dagegen zu Problemen im Anfangsunterricht führen. Allerdings hat Benedikt gezeigt, dass auch eine reichhaltige Förderung von Seiten der Eltern keine Garantie für schulische Erfolge ist.


Die Studie ‚Lernbiografien im schulischen und außerschulischen Kontext‘, kurz LISA & KO, zeigt, wie die Lücke zu schließen ist, die PISA durch seine Akzentuierung von quanitativen Daten hinterlässt. In dem Forschungsprojekt der Universität Siegen begleiten unter Leitung der Professoren Dr. Hans Brügelmann und Dr. Hans Werner Heymann einzelne Studierende ein Kind jeweils über drei bis vier Monate, um in ihrer Abschlussarbeit ein umfangreiches Portrait ‚ihres‘ Kindes zu erstellen. Die langfristig angelegten Detailbeobachtungen ergänzen Daten, die aus repräsentativen Befragungen wie z. B. aus den Siegener Studien ‚NRW-Kids‘ und ‚LERNenBILDung‘, gewonnen worden sind.

Eine weitere Besonderheit von LISA & KO: Die Kinder werden nach zwei Jahren erneut besucht, so dass es möglich wird ihre Entwicklung zu beobachten und darauf aufmerksam zu werden, was konstant bleibt und wo es Veränderungen oder Brüche gibt. Einige Kinder sind schon drei- oder viermal in diesem Zweijahresrhythmus in die Studie einbezogen worden. Die zurzeit insgesamt 193 Fallberichte über solche Kurzstudien von drei bis vier Monaten beziehen sich insofern auf eine im Vergleich zu den Schulleistungsstudien kleinere Gruppe von Kindern (120).

Noch eine Anmerkung zur Stichprobe: Diese ist nicht repräsentativ. Aber sie stellt ein wichtiges Gegengewicht zu den meist in Großstädten erhobenen Teilkindheiten dar, deren weithin übliche Verallgemeinerung unzulässig ist, lebt dort doch weniger als ein Drittel der Kinder. Auch wenn – selbst auf die Region Siegerland bezogen – die Häufigkeitsverteilung verschiedener Lebensbedingungen nicht genau abgebildet wird: Gesichert ist, dass das Spektrum voll abgedeckt wird. Es wurde darauf geachtet, dass die Kinder in ihrer Herkunft sehr breit streuen: Kinder von Alleinerziehenden, Kinder mit und ohne Geschwister, Kinder aus Migrantenfamilien und aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Somit ist die Bandbreite möglicher Fälle abgedeckt, auch wenn ihre Verteilung nicht der Grundgesamtheit entspricht.

Schließlich ist noch zu erwähnen, dass sich die Studie nicht nur inhaltlich mit Lernenden beschäftigt, sondern selbst auch im Dienste von Lernprozessen steht: Studierende erwerben Kenntnisse über Forschungsmethoden, die sie später in ihrer praktischen Arbeit gebrauchen können – und erfahren deren Grenzen. Das ist gerade für einen kompetenten Umgang mit den Befunden aus den Großstudien wichtig.


Prof. Dr. Hans Brügelmann fasst stellvertretend für die Arbeitsgruppe nachfolgend die zentralen Ergebnisse zusammen


Das Kaleidoskop des Kinderalltags

Derzeit stecken wir noch mitten in den Erhebungen; insofern können wir gegenwärtig nur erste Trends berichten. Aber auch die sind bereits sehr aufschlussreich.

1) Heutige Kindheit ist sehr unterschiedlich. Es gibt keine ‚Normalkindheit‘ und es gibt auch keine durchgängigen Muster. Wahrscheinlich hat es sie nie gegeben. Wahrscheinlich haben wir immer, vor allem im Rückblick, stark stereotypisiert, wenn wir von ‚Straßenkindern‘, von ‚Kriegskindern‘ oder ‚Konsumkindern‘ usw. gesprochen haben.

2) Das bedeutet: Jedes Kind lebt ein eigenes Leben und die ‚Diversifikation‘ von Kindheiten, also die breite Palette der individuell sehr unterschiedlichen Lebensläufe ist das, was heutige Kindheit am besten kennzeichnet.

3) Auch wenn heutige Kindheit recht unterschiedlich ist: Die Lebensthemen der Kinder sind sich sehr ähnlich – und sie gleichen auch denen früherer Generationen. Wichtig sind den Kindern:

• soziale Zugehörigkeit (positive Beziehungen in Familie, mit Freunden)
• Anerkennung des eigenen Könnens (Familie, Schule, Vereine)
• Freiraum für eigene Entscheidungen (Freizeit, Kleidung, Geld).

4) Zwischen Mädchen und Jungen gibt es in den Haupttrends (Interessen, Aktivitäten, Kompetenzen) deutliche Unterschiede, aber im Einzelfall auch wieder vielfältige Überlappungen. Obwohl beide Gruppen eher geschlechtsgruppeninterne Kontakte pflegen, finden sich immer wieder auch Beziehungen zwischen Mädchen und Jungen – teilweise durchaus sehr enger Art.

5) Heutige Kinder sind auch Medienkinder. Aber Art und Umfang des Mediengebrauchs streuen breit – zwischen den Kindern, meist aber auch beim einzelnen Kind in unterschiedlichen Phasen. Vor allem: Bücher und Lesen sind keineswegs aus dem Leben der Kinder verschwunden, neue Medien dominieren den Alltag in der Regel nicht.


Fernsehen, Computer, Comics –
und trotzdem ein sehr guter Leser

Der achtjährige Christian ist ein großer Fan von Computerspielen. Mehrere Stunden verbringt er täglich damit, an seinem Computer oder seiner Spielkonsole zu spielen. Ein weiteres Hobby der Drittklässlers ist das Fernsehen. Er liebt Zeichentrickserien und schaut diese mit seiner Mutter bereits während des Mittag-essens. Das Lesen gehört ebenfalls zu den Tätigkeiten, die Christians Alltag bestimmen. Er beschränkt sich dabei allerdings ausschließlich auf Comics, die er jeden Abend vor dem Einschlafen und sonst nur bei Langeweile liest. Neben diesen medialen Hobbys geht Christian keinen weiteren regelmäßigen Aktivitäten nach. Betrachtet man seine schriftsprachlichen Leistungen, fällt auf, dass Christian ein sehr guter Schüler ist, er gehört zu den Klassenbesten. Bei allen im Rahmen der Erhebung durchgeführten Lese- und Schreibtests schneidet er ebenfalls überdurchschnittlich gut ab, beispielsweise ist sein Lesetempo mit dem eines guten erwachsenen Lesers vergleichbar.


6) Die Kinder unserer Studie sind nicht sozial isoliert. Die meisten haben viele und vielfältig differenzierte Kontakte zu Gleichaltrigen.

7) Unsere Kinder leben nicht verhäuslicht: Sie spielen draußen, viele sind sportlich engagiert und eine ganze Reihe hat eine enge Beziehung zur Natur (s. dazu auch den Beitrag ‚Wider die These der Verhäuslichung‘)

8) Handarbeit wird nicht durch die neuen Medien verdrängt: Viele Kinder basteln, bauen, konstruieren, malen, gestalten – oft mit Eltern bzw. Groß-
eltern und als Helfer bei Alltagsaktivitäten.

9) Die wenigsten Familien bestehen nur aus Mutter, Vater, Kind. Auch wenn fast jede Kleinfamilie eine eigene Wohnung oder gar ein eigenes Haus hat – es bestehen meist enge und häufige Kontakte zu Verwandten, vor allem zu den Großeltern, die in einer anderen Wohnung in demselben Haus wohnen, im Nachbarhaus, im Viertel oder in demselben Ort (‚multilokale Großfamilie‘). Eine Großmutter und/ oder ein Großvater gehören meist zu den wichtigsten Bezugspersonen – nicht nur als Betreuer, sondern auch als Vorbild und als emotionale Stütze. Besuchsbeziehungen zu verwandten bzw. befreundeten Familien können ebenfalls die soziale Entwicklung der Kinder prägen. Nur wenige Kinder wachsen mit nur einem Elternteil auf.

10) (Haus-)Tiere spielen quantitativ in unserer Stichprobe und qualitativ in ihrer Bedeutung für viele einzelne Kinder eine herausragende Rolle. Oftmals zählen sie für die Kinder ebenfalls zur Familie.

11) Zwar nehmen viele Kinder institutionalisierte Freizeit- oder Förderangebote wahr. Von Verplanung kann man in der Regel aber erst auf der Sekundarstufe sprechen. Dies gilt insbesondere beim Besuch von Ganztagsschulen, hängt aber auch mit kirchlichen Verpflichtungen und wachsender Intensität von Musik- bzw. Sportübungen zusammen.

12) Die meisten Kinder können spielen und sie spielen gerne. Viele von ihnen spielen Gesellschaftsspiele, Rollenspiele, Spiele am PC oder auf Konsolen – und meist nicht allein, sondern mit Geschwistern, mit Eltern, mit FreundInnen.

13) Viele Kinder haben eine Beziehung zur Musik. Ihre Vorlieben streuen breit, von Pop bis Klassik. Oft sind sie auch selbst aktiv – mit eigenen Instrumenten, im Musikunterricht, Chor oder Orchester.

14) Wenige Kinder haben feste Verpflichtungen in der Familie. Sie sind zu Hause meist frei (z. B. von der Beaufsichtigung kleinerer Geschwister oder Beiträgen zu den alltäglichen Haushaltspflichten), dafür oft in Vereinen oder anderen regelmäßigen Aktivitäten außer Haus engagiert.

Fazit: Viele in den Medien und im Alltagsgespräch gängige Urteile über ‚Kinder heute‘ sind in ihrer Verallgemeinerung Zerrbilder, die für die meisten Kinder nicht zutreffen.

Facetten heutiger Kindheit, die für uns Erwachsene ungewohnt sind, wie die häufige Mediennutzung, dominieren unsere Wahrnehmung, so dass andere wichtige Aspekte ausgeblendet oder in der Bewertung untergewichtet werden. Beobachtungen an einzelnen Kindern oder Kindergruppen werden oft unzulässig verallgemeinert, so dass die Vielfalt heutiger Kindheit aus dem Blick gerät.

Erfahrungen in der Schule

Auch hierzu einige Thesen als kurze Schlaglichter:

1) Verhaltensweisen und Leistungen einzelner Kinder streuen oft stark: zwischen Fächern, innerhalb von Fächern in verschiedenen Bereichen, in demselben Fach über die Zeit hinweg. Schulleistung ist keine Eigenschaft, sondern abhängig von äußeren Bedingungen. Besonders augenfällig, manchmal dramatisch ist dies beim Wechsel der Lehrperson oder der Schule.

2) Schulische und außerschulische Leistungen stehen oft unverbunden nebeneinander. Viele Kinder entwickeln außerschulisch Kompetenzen (‚Domänen‘), die weit über schulische Anforderungen hinausgehen, im Unterricht aber keine Rolle spielen.


Mal so, mal so: Leistungen und Verhalten
variieren von Situation zu Situation

Sophie erweckte zunächst den Eindruck eines unauffälligen Kindes, dessen Charakterzüge auf den ersten Blick erkennbar waren: brav, unkompliziert, gehorsam. Die vielfältigen und teilweise sogar widersprüchlichen Facetten ihrer Persönlichkeit, deren Hervortreten sowohl von äußeren Faktoren als auch von ihrem Befinden abhingen, zeigten sich erst im Laufe der Erhebung und erforderten genaues, intensives Beobachten. Während in der Schule sich das Bild einer zurückhaltenden und stillen Sophie ergab, zeigte die Achtjährige in Gesellschaft ihrer Freunde ihre dominante und impulsive Seite. Nachdenklich und ernst, fröhlich und ausgelassen - das zu Beginn der Erhebung so unscheinbare Kind überraschte immer wieder aufs Neue und zeigte dem Beobachter in liebenswerter Art und Weise seine eigenen Grenzen auf [...]
Im Gegensatz zur Bearbeitung der Hausaufgaben, bei der Sophie das Bild einer kompetenten und selbstsicheren Rechnerin abgibt, deren Auftreten ein großes Maß an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten vermittelt, zeigt sich die Achtjährige bei der Durchführung des Mathematiktests sehr verunsichert, was sich sowohl durch ständiges Nachfragen zu den einzelnen Aufgabentypen als auch durch resignierte Bemerkungen von Seiten der Achtjährigen äußert. Besonders auffällig ist, dass sich die gestellten Hausaufgaben in den Bereichen Multiplikation und Addition nur minimal von den Aufgabenteilen des Tests unterscheiden, die die gleichen Strategien und Rechenoperationen erfordern. Trotzdem klaffen Sophies Vorgehensweise und ihre Leistungen in beiden Situationen gravierend auseinander.


3) Persönliche Interessen und schulische Leistungen stehen meist in einem engen Wechselverhältnis: Kinder mögen Fächer, deren Inhalte/ Aufgaben in ihren Interessensbereich gehören – aber nur, wenn der Unterricht auch Raum gibt, die eigenen Interessen, Erfahrungen, Fähigkeiten einzubringen


Schule oder Familie:
Wo lernen Kinder eigentlich, was sie lernen?

In der Schule sowie in Testsituationen ist Benedikt oft sehr unmotiviert. Nur wenn ihn Themen sehr interessieren, wirkt er motivierter. Seine Leistungen im mathematischen und schriftsprachlichen Bereich sind in den Tests, die im Laufe der Erhebungen durchgeführt wurden, weitestgehend durchschnittlich. [...] Im Gegensatz zum schulischen Arbeitsverhalten interessiert sich Benedikt im außerschulischen Bereich sehr für Mathematik und Naturwissenschaften und hat sich über Bücher und CD-Roms ein detailliertes Sachwissen angeeignet. [...]
Benedikts Eltern legen viel Wert auf eine gute Bildung. Sie visieren bereits im zweiten Schuljahr für die Zukunft ihres Sohnes eine ‚höhere Schule‘ an, zählen sich selbst aber nicht zu den Leuten, die gegenüber ihren Kindern übermäßig ehrgeizig sind. Benedikts Mutter arbeitet intensiv mit der Schule zusammen und ist Vorsitzende des Fördervereins. Im alltäglichen Leben achten die Eltern sehr auf einen bildungsorientierten Umgang und sind häufig ‚lesende Vorbilder‘ für Benedikt. Sie stellen ihrem Sohn ein reichhaltiges Angebot an Büchern und Lern-Software zur Verfügung, welches er nach eigenem Belieben nutzen kann. Die Eltern achten sehr darauf, dass Benedikt nur inhaltlich gehaltvolle Kindersendungen schaut. Zudem wird Benedikt durch gemeinsame Aktivitäten wie Museumsbesuche, all­abendliches Vorlesen und direkte Hilfe seiner Eltern bei schulischen Problemen gefördert und unterstützt.


4) Neben den Sachinteressen spielt die Anerkennung durch Personen (vor allem durch die Lehrperson) eine große Rolle – auch negativ als Sorge, sich zu blamieren (vor allem vor den MitschülerInnen).

5) Für viele Kinder ist darüber hinaus Autonomie, d. h. die Möglichkeit, Themen oder Aufgaben selbst bestimmen zu können, wichtig. Sie erleben Fremdbestimmtheit des Unterrichts als Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit und Leistungsmöglichkeiten. Umgekehrt blühen selbst ‚Schulversager‘ oft auf, wenn sie Freiräume erhalten, wenn ihre Kompetenzen anerkannt werden und sie sich sozial eingebunden fühlen1 .

Forscher schätzen, dass wir rund drei Viertel unseres Wissens und Könnens außerhalb von Schule und anderen formellen Bildungseinrichtungen lernen. LISA & KO zeigt, dass Erfahrungen im Alltag und Lernen im Unterricht in einem komplexen Wechselverhältnis stehen. Dieses verstehen wir noch wenig. Ohne eine Brücke zu schlagen zu den außerschulischen Interessen und Kompetenzen der Kinder bzw. Jugendlichen wird Schule nicht erfolgreich sein.

1 Für ausführlichere Informationen vgl.: Dissertationen aus unserer Arbeitsgruppe: Peschel, Falko: Offener Unterricht - Idee, Realität, Perspektive und ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion. Hohengehren 2006 so wie: Heinzel, Horst: Empirische Fallstudie und vergleichender Sachstandsbericht zur Offenheit in Unterricht, Schule und deren Umfeld. Deutsche Nationalbibliothek 2000, online verfügbar unter: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=982671822.

 

Verfasser: Hans Brügelmann/ Hans Werner Heymann/ Michael Hellermann


Text ist frei zum Wiederabdruck

 

Ansprechpartner

Prof. Dr. Hans Brügelmann
Universität Siegen
Telefon: +49 (0)271 740 4470
Telefax: +49 (0)271 740 2509
oase@paedagogik.uni-siegen.de
Forschungsprojekte u.a.: ‚LISA & KO‘, ‚SCHLAU‘
LISA & KO: www.agprim.uni-siegen.de/lisa