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Mathematikleherbildung neu denken


Das Jahr der Mathematik neigt sich seinem Ende entgegen. Journalisten und Wissenschaftler haben in mehr als 3000 Artikeln, 450 Fernsehbeiträgen und 400 Radiobeiträgen unter Beweis gestellt, was wohl nur wenige noch vor einem Jahr für möglich gehalten hätten: Mathematik kann faszinieren; nicht nur das Bildungsbürgertum, sondern breite Teile der Bevölkerung haben sich anstecken lassen. Wenn Mathematik aber Neugier wecken, vielleicht sogar Begeisterung hervorrufen kann, warum war bzw. ist dann der Leumund des Faches so schlecht, fragten mit Recht viele Kolumnisten. In ihren Analysen kamen sie häufig zu einem ähnlichen Ergebnis wie die internationalen Leistungsvergleichstests: Der deutsche Schulunterricht ist schematisch, formal und alltagsfern. Die Misere beginnt in den Hochschulen: Lehramtsstudierende erhalten bis heute kaum eine fachdidaktische Ausbildung, die mit der fachwissenschaftlichen erkennbar verbunden ist. Siegener und Gießener Forscher treten seit langem für eine Neuorientierung der universitären Gymnasial-Lehrerbildung ein. In einem Pilotprojekt haben sie aufgezeigt, wie guter Unterricht – jenseits des trockenen Vorrechnens von Musterlösungen – in Zukunft aussehen könnte.

Mathematik gehört zu den Schlüsseltechnologien unserer hochtechnisierten Welt: Ob es um die Optimierung von Transportsystemen, um Wahlprognosen, Modelle für den Klimawandel oder Fragen der Datensicherheit geht, überall ist – jenseits des bürgerlichen Rechnens – hochentwickelte Mathematik im Spiel. Und mehr noch, die Mathematik ist ein bedeutendes Kulturgut: Seit Jahrtausenden hat die Mathematik das Weltverstehen der Menschen begleitet, in besonderer Weise seit der Antike, weil sie die Perspektive der Anwendbarkeit weit überschritten und die Mathematik als argumentative Wissenschaft etabliert hat. Beide Wesenszüge – Mathematik als Schlüsseltechnologie und als Kulturgut – werden von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. Schlimmer noch: Sie können mit Beifall rechnen, wenn Sie öffentlich bekennen, von Mathematik nichts zu verstehen und in Mathe immer schlecht gewesen zu sein. Das würden Sie im Fach Deutsch so nicht wagen…

Hieraus entsteht eine doppelte Bildungsnotwendigkeit: Zum einen brauchen wir eine ausreichende Zahl mathematisch qualifizierter Fachkräfte, zum anderen braucht es den mündigen Bürger, der sich über die Rolle der Mathematik in unserer Gesellschaft ein Urteil bilden kann. Wenn man sich nun klarmacht, dass mathematische Bildung – im Unterschied zu anderen Fächern wie Sprachen, Musik, Kunst oder Sport – fast ausschließlich über schulischen Unterricht vermittelt wird, so bleibt schlicht festzustellen: Mathematiklehrerinnen und -lehrer sind wichtig!

Was weiß man über den (deutschen) Mathematikunterricht? Genaueres und Repräsentatives eigentlich erst, seit internationale Vergleichsstudien einen kritischen Blick auf unseren Mathematikunterricht geworfen haben. Das ging los mit der TIMSS-Studie vor gut zehn Jahren, die – noch vor PISA – einen ersten Schock ausgelöst hat: Deutschland konnte sich nur im unteren Mittelfeld platzieren, und in einer gemeinsamen Erklärung der einschlägigen Fachverbände hieß es zu den Stärken und Schwächen unseres Mathematikunterrichts in den Sekundarstufen: „Die Analyse der Ergebnisse zeigt, dass im Mathematikunterricht in Deutschland generell zu viel Wert gelegt wird auf das routinemäßige, manchmal gar schematische Lösen innermathematischer Standardaufgaben. Zu kurz kommen insbesondere das selbständige, aktive Problemlösen, das inhaltliche, nicht-standardisierte Argumentieren sowie das Herstellen von Verbindungen mathematischer Begriffe mit Situationen aus Alltag und Umwelt.“ Dieser Befund wurde durch die PISA-Ergebnisse im Kern bestätigt und ist bis heute aktuell. Unter Mathematikdidaktikern gibt es breiten Konsens, dass guter Mathematikunterricht sich insbesondere durch drei Merkmale auszeichnet: Er betont inhaltliche Grundvorstellungen (in Abgrenzung zur reinen Beherrschung von Rechenverfahren), er schärft den ‚mathematischen Blick‘ auf die Welt (in Abgrenzung zu einer rein innermathematischen Perspektive) und er schafft produktive Lernumgebungen zur eigenaktiven Konstruktion des Wissens (in Abgrenzung zur reinen Instruktion durch die wissende Lehrperson). Ein solcher Mathematikunterricht braucht geeignete Lehrerinnen und Lehrer. Und wir halten – wieder in Übereinstimmung mit dem Stand der mathematikdidaktischen Diskussion – fest: Gute Mathematiklehrer(-innen) haben eine positive, aktive Beziehung zur Mathematik und können:
• den Bildungswert der Mathematik ermessen,
• mit Schulmathematik kompetent umgehen und
• mathematische Lernprozesse unterstützen.
Eine gute Lehrerausbildung sollte dieses Kompetenzprofil im Blick haben und den Studierenden geeignete Angebote machen.

Mathematik Neu Denken‘ – Ein Projekt zur Innovation der Lehrerbildung

Ein neuralgischer Punkt der universitären Lehrerbildung im Fach Mathematik ist die Ausbildung der angehenden Gymnasiallehrer. Diese werden traditionell von Anfang an zusammen mit den BA/ MA – (früher Diplom-) Studierenden ausgebildet.

Änderungsbedarf: Es ist lange bekannt, dass das Selbstverständnis des Mathematiklehrers vorrangig durch sein Verhältnis zur Fachwissenschaft Mathematik bestimmt ist. In einer vielbeachteten empirischen Studie über Lehramtsstudierende und ihr Verhältnis zur Mathematik aus dem Jahre 2002 konnte belegt werden, was viele einschlägig Beteiligte schon lange wussten und beobachtet haben: Lehramtsstudierende für die Sekundarstufe II haben im Vergleich zu Diplomstudierenden in nur geringem Umfang eine ‚belastbare, affektiv unterstützte Beziehung zur Mathematik‘. Sie erleben, so die Studie, ihr Studium deutlich weniger als Chance für vielseitige Lernerfahrungen und empfinden den Studienaufbau und die Lehrenden als viel weniger hilfreich. Lehramtskandidaten fühlen sich vielfach als Studierende zweiter Klasse. Kurz: Im gymnasialen Lehramtsstudiengang für das Fach Mathematik mangelt es an sinn- und identitätsstiftenden Erfahrungen.

Diese Sinnkrise hat vor allem inhaltliche und methodische Ursachen: Durch den klassischen axiomatisch-deduktiven Aufbau der Fachveranstaltungen an der Universität wird den Studierenden die Wissenschaft Mathematik in der Regel als fertiges, in sich geschlossenes System vermittelt. Die ursprünglichen Problemstellungen sowie die Prozesse der Begriffsbildung und der Theorieentwicklung in den jeweiligen Gebieten (einschließlich philosophischer Aspekte) spielen höchstens eine untergeordnete Rolle. Zudem wird unzureichend thematisiert, wie die Inhalte der Hochschulmathematik mit der später zu unterrichtenden Schulmathematik in Verbindung gebracht werden können. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts beklagte der für die gymnasiale Schulreform einflussreiche Mathematiker Felix Klein die Defizite der Lehrerausbildung und beschrieb die inzwischen berühmte ‚doppelte Diskontinuität‘: „Der junge Student sieht sich am Beginn seines Studiums vor Probleme gestellt, die ihn in keinem Punkte mehr an die Dinge erinnern, mit denen er sich auf der Schule beschäftigt hat; tritt er aber nach Absolvierung des Studiums ins Lehramt über, so soll er plötzlich eben diese herkömmliche Elementarmathematik schulmäßig unterrichten; da er diese Aufgabe kaum selbständig mit der Hochschulmathematik in Zusammenhang bringen kann, so wird er in den meisten Fällen recht bald die althergebrachte Unterrichtstradition aufnehmen.“ Der Befund ist unverändert aktuell. Erschwerend kommt hinzu: Die Methoden der Vermittlung an der Universität sind einseitig fixiert auf die reine Instruktion durch die klassische Vorlesung, und die ‚Übungen‘ folgen in der Regel noch immer dem selben Instruktionsmuster, nicht selten sind sie reduziert auf ritualisiertes Vorrechnen von ‚perfekten‘ Musterlösungen.
Die so akzentuierte, traditionelle Fachausbildung ist eher produkt- und weniger prozessorientiert, und sie setzt eher auf die Instruktion durch die Lehrenden als auf die aktive Konstruktion des Wissens durch die Lernenden.
 

Balance von Instruktion und Konstruktion

In der Balance von Produkt und Prozess sowie von Instruktion und Konstruktion liegt der Schlüssel für eine Verbesserung der fachbezogenen Lehrerausbildung. In einer neueren Denkschrift zur Lehrerbildung haben sich die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV) und die Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM) gemeinschaftlich für Reformen der universitären Lehrerausbildung ausgesprochen. Der fachmathematische Teil der Ausbildung angehender Gymnasiallehrer hat hier eine Schlüsselrolle, weil man sich zunehmend bewusst wird, wie stark die eigenen Lernerfahrungen im Studium auch die Vorstellungen vom schulischen Mathematiklernen und -lehren prägen. Darüber hinaus wird seit langem beklagt, dass die ohnehin nicht gerade üppig verankerte fachdidaktische Ausbildungskomponente oft isoliert neben den fachwissenschaftlichen Anteilen steht. In der Denkschrift heißt es hierzu: „Eine enge Verzahnung von fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ausbildung erscheint uns essenziell. Gegenwärtig ist der Abstand zwischen der konkreten fachinhaltlichen Ausbildung und der fachdidaktischen Umsetzung oft zu groß. Es sollte angestrebt werden, dass Fachwissenschaft und Fachdidaktik möglichst stark miteinander verzahnt werden und in Teilen sogar parallel laufen.“
Aktuell wird diese Einschätzung von der Lehrerstudie der OECD unterstützt: „Das deutsche System der Lehrerbildung ist stark fachwissenschaftlich orientiert, und wenngleich es empfehlenswert und notwendig ist, dass Lehrkräfte über eine solide fachbezogene Wissensbasis verfügen, fehlt es doch häufig an einer Verbindung zum didaktischen Repertoire eines Lehrers.“ Fazit: Die Defizite der gymnasialen Lehrerbildung im Fach Mathematik sind alt, gut beschrieben und unverändert aktuell.

Zielsetzung: Die von den einschlägigen Verbänden und der OECD angemahnte Verbindung zwischen fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ausbildungskomponente setzt eine passende Sicht auf die Fachwissenschaft Mathematik voraus. So wie angehende Industriemathematiker oder Forschungsmathematiker spezifische Sichtweisen auf das Fach haben müssen und in ihrem Studium auch entwickeln, braucht der angehende Gymnasiallehrer diese Möglichkeit ebenso. Nur dann kann er eine positiv besetzte Haltung gegenüber seinem Fach gewinnen, und diese ist entscheidend für seinen beruflichen Erfolg als Fachlehrer. Ziel ist es, dem berechtigten Anspruch von Lehramtsstudierenden nach fachbezogener Professionalität Rechnung zu tragen und die Verbindung zwischen Fach- und Berufsfeldbezug deutlicher werden zu lassen. Dies hat inhaltliche und methodische Konsequenzen: Für die Entstehung eines gültigen, prozessorientierten Bildes von Mathematik sollen historisch-genetische und philosophische Sichtweisen durchgängig einbezogen werden. Darüber hinaus kommt es darauf an, einer elementarmathematisch orientierten ‚Schulmathematik vom höheren Standpunkt‘ entsprechendes Gewicht zu geben und zugleich die fachdidaktische Ausbildungskomponente früh zu integrieren. Methodisch gilt es, zu einer Balance zwischen Instruktion (durch die Lehrenden) und aktiver Konstruktion des Wissens (durch die Lernenden) zu kommen sowie heuristischen Aktivitäten genügend Raum zu geben. Insgesamt geht es um einen Paradigmenwechsel im Umgang mit der Mathematik: Nicht nur die fertige Disziplin Mathematik, sondern gleichgewichtig die Beziehung Mensch-Mathematik soll im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Umsetzung: Realisiert wurde diese programmatische Idee als Tandemprojekt der Universitäten Gießen (verantwortlich: Prof. Dr. Albrecht Beutelspacher) und Siegen (Prof. Dr. Rainer Danckwerts zusammen mit Prof. Dr. Wolfgang Hein bzw. Prof. Dr. Gregor Nickel) und der Deutschen Telekom Stiftung. Die klassischen Anfängerveranstaltungen eines Mathematikstudiums für das gymnasiale Lehramt sind ‚Analysis‘ und ‚Lineare Algebra‘. Gießen nahm sich die Neuorientierung der Linearen Algebra vor und Siegen die Analysis. Die Reformbemühungen konzentrierten sich auf das erste Studienjahr. Das Programm wurde im zweiten Projektjahr mit der neuen Anfängerpopulation wiederholt und jeweils semesterbegleitend evaluiert (Laufzeit des Projekts: 2005 – 2007). Hier soll vom Siegener Teilprojekt berichtet werden.

Den eigenen Vorstellungen Raum geben

Ein neues Element im ersten Semester war die Auseinandersetzung mit der ‚Schulanalysis vom höheren Standpunkt‘. Hier ging es um eine Standpunktverlagerung: weg von der vertrauten Beherrschung analytischer Rechenverfahren in der Schule hin zu einem verstehens- und vorstellungsorientierten Umgang mit elementarer Analysis. In enger Abstimmung damit wurde die klassische Analysis I so entfaltet, dass die ideengeschichtliche und philosophische Sicht der Analysis durchgängig integriert war. Das zweite Semester beinhaltete neben der genauso strukturierten Analysis II eine fachlich akzentuierte Erstbegegnung mit einer Didaktik der Analysis, die seminaristisch angelegt war. In dieser fachdidaktischen Veranstaltung wurden die Erfahrungen aus dem ersten Semester zur Schulanalysis vom höheren Standpunkt systematisch aufgenommen. Die Übungsgruppen neuer Art hatten jeweils eine eigenständige und für das Gelingen des Projekts zentrale Funktion: In ihnen fand die freie sowie die gelenkte Erkundung passender inhaltlicher Angebote und heuristisches Denken und Arbeiten statt, unter der Anleitung und Begleitung geeignet vorbereiteter studentischer und wissenschaftlicher Hilfskräfte. Erst durch diese Gelenkstelle zwischen bündelnder Vorlesung und individueller Arbeit waren die Ziele des Projekts erreichbar.

Ergebnisse: Die Erfolge, die das Projekt bereits im ersten Jahr hatte, konnten im zweiten Jahr bestätigt bzw. durch kleine Veränderungen in der Organisation noch übertroffen werden. Gerade die inhaltliche Komponente hat sich für die Studierenden als wesentlicher Kristallisationspunkt der Identitätsstiftung erwiesen. Die anspruchsvolle Thematisierung schulanalytischer Inhalte in der ‚Schulanalysis vom höheren Standpunkt‘ und das Spannungsfeld von Schulanalysis und Didaktik der Analysis wurden hinsichtlich der Verbindung von Fach- und Berufsfeldbezug als zentrale Elemente der Sinnstiftung empfunden und den dort verhandelten Inhalten wurde ein großes Maß an Relevanz für den späteren Beruf zugeschrieben. Die hohe Akzeptanz der Analysis I/II-Veranstaltung beruhte zum einen darauf, dass es gelungen ist, die historisch-genetische und philosophische Sicht auf die Wissenschaft explizit zu integrieren und damit zu einem prozessorientierten Bild von Mathematik beizutragen (‚Analysis als Kulturleistung‘). Zum anderen war der neu strukturierte Übungsbetrieb konsequent darauf angelegt, die eigenaktive und kooperative Auseinandersetzung der Studierenden mit dem Gegenstand zu stärken. Die intendierte Balance von Instruktion und Konstruktion wurde damit umfassend realisiert: In der ‚Analysis I/II‘ vor allem über das Zusammenspiel von Vorlesung und Übungen, in der ‚Schulanalysis vom höheren Standpunkt‘/ ‚Didaktik der Analysis‘ in den Veranstaltungen selbst. Hervorzuheben ist die soziale Dimension des Projekts. Wie sämtliche Erhebungen und Befragungen ergaben und wie auch spontanen Äußerungen einzelner Projektteilnehmer zu entnehmen war, fühlten sich die Studierenden gut aufgehoben und waren von der angenehmen Atmosphäre, dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen und der Aufmerksamkeit sehr angetan – oft sogar überrascht. Sie spürten, dass sie als Lehramtsstudierende mit eigenen Bedürfnissen und eigenen Anforderungen an das Studium ernst genommen wurden. Auch der soziale Zusammenhalt der Projektgruppen entwickelte sich positiv, wozu u.a. die Wochenendseminare (zusammen mit den Gießener Studierenden) beigetragen haben. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Erfolg leistete die in Umfragen immer wieder hervorgehobene exzellente Betreuung durch die Dozenten, Mitarbeiter und Tutoren. Das Ergebnis in Zahlen: Am Ende des ersten Semesters haben 80 % beide Klausuren bestanden, die Abbrecherquote war mit ca. 20 % deutlich niedriger als üblich, und 80 % der Teilnehmer erwarteten, dass sie durch dieses Studium gut auf den Beruf des Mathematiklehrers vorbereitet werden.

Perspektiven: Ein besonderes Kennzeichen der zweijährigen Projektarbeit war, dass alle Veranstaltungen exklusiv für Studierende des gymnasialen Lehramtes zugänglich waren. Dabei konnte unter ‚Laborbedingungen‘ auf die Zielgruppe des Projekts eingegangen werden. Im dritten Projektjahr (2007/2008) ist nun das Experiment unternommen worden, die ‚Analysis I‘ wie üblich für alle Studierenden zu öffnen. Dabei sollte sich zeigen, ob die positiven Ergebnisse bei der Identifikation der Lehramtsstudierenden mit ihrem Studium der exklusiven Bedingungen bedürfen oder auch in einem integrativen Modell erreicht werden können. Erste Ergebnisse stimmen optimistisch. Als entscheidend scheint sich zu erweisen, dass die parallele ‚Schulanalysis vom höheren Standpunkt‘ sowie der neuorientierte Übungsbetrieb beibehalten wurden.

Programmarbeit: Bisher wurde die Neuorientierung der universitären Lehrerausbildung im Fach Mathematik (gymnasiales Lehramt) für das erste Studienjahr konzipiert und als Pilotprojekt realisiert. Nach dem Erfolg des Projekts ist – auch über die beiden Projektstandorte hinaus – zunehmend die Frage drängender geworden, wie die konsequente Ausdehnung der Projektidee auf ein volles Mathematikstudium für das gymnasiale Lehramt aussehen kann.
Dies ist eine herausfordernde Entwicklungsaufgabe, bei der die traditionell gelehrte Hochschulmathematik unter dem Aspekt der Professionalisierung auf die Zielgruppe hin tatsächlich ‚neu gedacht‘ werden muss. Zentrale Punkte sind der fachmathematische Kanon, die Stellung der Didaktik der Mathematik sowie die Lehr- und Lernformen. Hierzu müssen konkrete Empfehlungen erarbeitet und konzeptionell begründet werden. Geplant ist, um der Arbeit die nötige bundesweite Akzeptanz zu sichern, eine überregionale Expertengruppe zu berufen, die neben den bisher an beiden Standorten verantwortlichen Hochschullehrern weitere einschlägig ausgewiesene Fachmathematiker und Mathematikdidaktiker umfassen wird. Zunehmend wird verstanden, dass für die Überwindung der Akzeptanzprobleme der Mathematik in der Gesellschaft den Mathematiklehrerinnen und –lehrern eine Schlüsselrolle zukommt. Ihre fachbezogene Sozialisation an der Universität beeinflusst entscheidend ihr Bild von der Mathematik und vom Mathematikunterricht. Hier liegt ein großes Potenzial für fruchtbare Entwicklungen.

 

Mathematik neu denken

Mit ‚Mathematik Neu Denken‘ fördert die Deutsche Telekom Stiftung, die Universität Siegen und die Universität Gießen ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Neuorientierung der universitären Gymnasiallehrer-Ausbildung im Fach Mathematik. Ziel ist es, die Qualifikation der angehenden Pädagogen und damit langfristig auch die Qualität des Mathematikunterrichts zu verbessern. Die wissenschaftliche Leitung des Pilotprojekts liegt bei Prof. Albrecht Beutelspacher (Gießen) und Prof. Rainer Danckwerts zusammen mit Prof. Gregor Nickel (Siegen). Alle drei engagieren sich seit langem für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit der Mathematik. Nach ihrer Auffassung werden die Studierenden traditionell so mit der Mathematik konfrontiert, dass für viele der Zusammenhang mit dem Berufsziel Lehrer nicht sichtbar ist. Um dieses Defizit zu beseitigen, befürworten sie eine grundsätzlich neue Vorbereitung künftiger Lehrerinnen und Lehrer, die sie mit dem Stiftungsprojekt umsetzen.

Projektbuch

Zu dem erklärten Ziel, die Projekt-idee breit zu kommunizieren und die ermutigenden Erfahrungen bundesweit zugänglich zu machen, soll ein Projektbuch beitragen. Es wird neben einem programmatischen Teil einen Erfahrungsbericht aus der dreijährigen Projektarbeit in Gießen und Siegen sowie ausgewählte kommentierte Materialien enthalten. Ein weiteres Element sind – mit Bezug auf die vorangegangene Programmarbeit – die Perspektiven der Weiterentwicklung der Projektidee.


Verfasser: Rainer Danckwerts

 

Ansprechpartner

Prof. Dr. Rainer Danckwerts
Universität Siegen
Didaktik der Mathematik
Walter-Flex-Str. 3
57068 Siegen
Telefon: +49 271 740 3579
Telefax: +49 271 740 3583
danckwerts@mathematik.uni-siegen.de

 

Prof. Dr. Albrecht Beutelspacher
Universität Gießen
Diskrete Mathematik und Geometrie
Telefon: +49 (0)641 99 32080
Telefax: +49 (0)641 99 32029
albrecht.beutelspacher@math.uni-giessen.de