Orientierung oder Manipulation - Metaphern in der politischen Kommunikation
Im trüben Biotop der Finanzkrise sinken die Aktienkurse. Ein nachgerade üppig wucherndes Wachstum beschert die Krise dagegen der politischen Metaphorik.
Der Staat schnürt ‚Rettungspakete‘, spannt ‚Schutzschirme‘, gibt ‚Finanzspritzen‘, während die ‚Kernschmelze‘ im Bankensystem weitergeht, der finanzielle ‚Kreislauf‘ ein über das andere Mal ‚zusammenbricht‘. Vom ‚11. September‘ der Finanzmärkte ist die Rede, von massenhaft ‚toxischen‘ Wertpapieren, die im Keller der Banken lagern, und in vielen Karikaturen sieht man den Turm von Babel, versehen mit einem Bankenlogo. Zusammenpassen müssen die sprachlichen Bilder nicht, aber in ihrer Gesamtheit bilden sie so etwas wie eine Brille, durch die der Mediennutzer Ereignisse konturiert, die ansonsten schwer verständlich wären. Es handelt sich um Bilder der Denormalisierung, die auch höchst ungewöhnliche Handlungen der Staaten als geboten und ohne Alternative dastehen lassen, während das Publikum bloß abwarten, zusehen und das Beste hoffen kann. Wofür steht solchermaßen wuchernde Metaphorik in der politischen Kommunikation?
Alles oder nichts?
Von Leonard Bloomfield, dem Begründer der US-amerikanischen Sprachwissenschaft, stammt der provozierende Satz, in natürlichen Sprachen sei entweder alles metaphorisch – oder nichts. Was ist damit gemeint? Jedes Mal wenn wir über etwas sprechen, betrachten wir dieses Etwas im Lichte der kumulierten Sinngehalte von situativ vielfach erprobten und angereicherten sprachlichen Zeichen. Das, worüber wir sprechen, tauchen wir ein in das Licht der Gesamterfahrungen, die Tradition und Gebrauch mit unseren Sprachzeichen verknüpft haben. Solche Fusionen zwischen außersprachlichem Bezug und kumuliertem Zeichensinn finden beim Sprechen ständig statt. Sie sind das Sprechen. Es ist dabei ganz gleich, ob wir etwa ein Haus als ‚Haus‘ bezeichnen (und damit nach herkömmlichem Verständnis eine deckende, nicht-metaphorische Bezeichnung verwenden) oder aber zum Beispiel den Kontinent Europa als ‚unser gemeinsames Haus‘ – was nach herkömmlichem Verständnis eine politische Metapher wäre. Mag sein, dass dieser letztere Fall ein interessanteres Untersuchungsobjekt bildet, aber die Notwendigkeit, ‚alte‘ Zeichen mit ‚neuen‘ Objekten zu verbinden, geht viel weiter als es das traditionelle Verständnis von Metaphern wahr haben möchte. Das ist die Pointe von Leonard Bloomfields rätselhafter Behauptung. Wir werden sie später noch brauchen.
Viel verbreiteter ist dem gegenüber die Ansicht, mit der Erfindung und dem Gebrauch von Metaphern sei entweder kognitiver Zwang oder aber kognitive Freiheit verbunden. Das sei in der Politik ebenso wie etwa auch in der Wissenschaft, in der Entdeckungen und Neuerungen – so die Annahme – vor allem durch kühne und unerwartete Projektionen zwischen bild- und strukturspendender Quelle und jeweiliger Ziel- und Übertragungssphäre zustande kommen. Sprachliche Metaphern – so das kognitive Verständnis – ermöglichen einen neuen und anderen Blick auf die Zielsphäre – oder sie zwingen uns einen solchen Blick auf. Im einen Falle gelten sie als kreativ, im anderen als manipulativ. Es bleibt naturgemäß Ansichtssache, welche Metapher als kreativ und welche als manipulativ gilt. Bis heute halten es viele christliche Fundamentalisten für Zumutung und Manipulation, dass sie die Entstehung und Differenzierung der Arten im Lichte genetischer Variation, Selektion, Bewährung und Verstärkung sehen sollen (und nicht als ‚intelligent design‘ eines Schöpfers). Dass Darwin umgekehrt auch die zügellose Konkurrenz des britischen Kapitalismus vor Augen hatte, als er ‚Die Entstehung der Arten‘ schrieb, gilt inzwischen als Gemeinplatz. Ebenso auch, dass die trivialisierten und auf die menschliche Gesellschaft zurückgebogenen Figuren des Evolutionsdenkens (Konkurrenz der Völker und Nationen, Survival of the Fittest etc.) lange Zeit mächtige politische Blick- und Deutungsfilter (eben: Metaphern im kognitiven Sinne) gewesen sind. Natürlich geht es nicht an, einfach wissenschaftliche Metaphern als kreativ und politische als manipulativ zu werten. Schon gar nicht, seitdem politische Programme gleich welcher Couleur wissenschaftliche Notwendigkeit für sich in Anspruch nehmen. Was also macht sprachliche Orientierungsfilter politisch?
Politische Metaphern
Dass Politik kein wohl umgrenztes Sachgebiet ist, versteht sich. Vielmehr wird ein Thema dadurch politisch, dass es sachgebietsübergreifend und in der allgemeinen Öffentlichkeit ein hohes Maß an Zustimmung (oder Ablehnung) kommandiert. Ökologie war früher eine Marotte von Naturfreaks. Seitdem es ein allgemeines Gefühl der Bedrohung durch menschlich verursachte Umweltkatastrophen gibt, ist Ökologie ein zentrales politisches Thema. Mit der wirklichen Bedeutung eines Themas muss der politische Status nicht unbedingt zusammenhängen. Selbst die Rechtschreibreform hat einige Jahre lang so viel öffentliche Aufregung und Ablehnung mitgeführt, dass sie als zeitweise politisches Thema gelten kann.
Zweifellos ist die Wirtschaft politisches Zentralgebiet. Wir dürfen daher erwarten, dass die Ökonomie einerseits besonders bildbedürftig, andererseits aber auch eine populäre Spendersphäre für andere, nichtökonomische Bereiche der Gesellschaft ist. Die Invasion ökonomischer Sprachbilder und Deutungsmuster in der Hochschulpolitik dürfte niemandem entgangen sein. Sie wird uns gleich noch beschäftigen.
Die Macht politisch erfolgreicher Metaphern liegt in der Bündelung und Verstärkung von Erfahrungen und Modellen, die über die ganze Gesellschaft verbreitet sind und ein nahezu unbegrenztes, offenes Zielfeld haben, das an sich völlig unverständlich ist (wie z.B. die wirtschaftlichen Konjunkturzyklen), das aber mit Hilfe einfacher Bilder gleichfalls plausibel gemacht werden kann, weil in der bildspendenden Sphäre einfache, ad nauseam plausible Verhältnisse herrschen: Die Konjunktur ist wie der Straßenverkehr. Bis zu einer bestimmten Grenze fließt er, dann überhitzt er sich und staut, nach einer gewissen Zeit löst sich der Stau auf und der Verkehr beginnt wieder zu fließen. Manchmal, wenn einige zu schnell gefahren sind, gibt es einen Crash. Dabei bleiben, mehr oder weniger zahlreich, Akteure auf der Strecke. Das klingt hübsch und sieht fast aus wie eine ökonomische Theorie. Es ist aber nur eine sich selbst plausibilisierende Metapher, die jeder zu verstehen glaubt, weil er mit der Bildspendersphäre nur zu gut vertraut ist: ein Kollektivsymbol (Link 2006). Kollektivsymbole verbinden allgemein bekannte Spendersphären mit nahezu beliebigen Zielsphären. Längst nicht immer sind sie sprachlich. Statistiken, Kurvenlandschaften, Tortengrafiken sind ebenfalls umfassend verwendbar, gängig in allen Zielsphären, von denen ein orientierungsrelevantes Bild vermittelt werden soll. Die steil nach unten oder nach oben weisende Kurve ist ebenso ein Kollektivsymbol wie das beruhigend ‚normale‘ Auf und Ab einer statistischen Zickzacklinie. Wir beschränken uns auf das Sprachliche und fragen nach den metaphorischen ‚Master Terms‘, den Leitwörtern und grundlegenden Orientierungsmustern der politischen Gegenwart. Wo auch immer wir hinschauen, einer sprachlichen Figur können wir nicht entgehen: der Globalisierung.
Globalisierung
Nicht nur die Wirtschaft ist, wie wir alle wissen (müssen), längst globalisiert. Auch der Terrorismus ist es, und die Populärkultur, und die Musik, und die Migration, und die Universität, und die Klimakatastrophe und, und, und. Die Militärstrategen der NATO sehen die Welt bedroht durch Länder und Regionen mit ‚Globalisierungsdefiziten‘. So allgegenwärtig ist das Sprachbild, dass man den Werbestrategen empfehlen möchte, es einmal mit der Parole ‚nicht globalisiert‘ zu versuchen. Der Aufmerksamkeitswert wäre enorm, der Witz beträchtlich.
Globalisierung ist eine Passe-partout-Metapher mit hoher Alltagsplausibilität. Auf ihren Ferienreisen erfahren die Bewohner der Metropolen, dass, ganz gleich wo sie hinkommen, McDonald, Beneton, Shell und das Internet immer schon da sind. Die Bewohner der Dritten Welt erfahren das gleiche bei sich zu Hause. Die Welt ist kleiner geworden, die Kommunikationsdichte höher. Was in diesem Maße plausibel und erfahrungsgesättigt ist, das taugt dazu, alles andere im Lichte dieser Vertrautheit zu betrachten. Es wird so etwas wie ein letztes, selbst nicht mehr hinterfragbares Orientierungsmuster. Die Globalisierung erklärt alles – aber wer erklärt die Globalisierung? Nun, seit das Wort durch die Medien schwirrt (etwa seit Mitte der 90er Jahre), fehlt es nicht an Sachbuchautoren, die dem geneigten Publikum zu erklären versuchen, was es wirklich auf sich hat mit diesem ‚Phänomen‘. Zu jeder politischen Leitmetapher gehört der öffentliche Streit um ihre autoritative Auslegung. Es ist ein Leichtes, zwanzig Ansichten zur Globalisierung zusammenzutragen, die mit mehr oder minder guten Argumenten um öffentliche Anerkennung streiten – einschließlich derer, die (als ‚Globalisierungsgegner‘ auftretend) der vorherrschenden Variante des Deutungsmusters die Gefolgschaft verweigern und in der Leitmetapher lediglich die beschönigende Formel für etwas ganz anderes sehen: für die aggressive und weltweite Expansion kleiner finanzkapitalistischer Machtgruppen auf Kosten solidarischer, demokratischer und ökologischer Wirtschaftsweisen. Wichtig ist, dass auch die Globalisierungsgegner das metaphorische Muster verwenden. Sie geben ihm zwar einen anderen, einen entgegen gesetzten Wertakzent und einen kritischen analytischen Inhalt, aber sie bewegen sich gleichfalls auf dem Terrain, das durch die Leitmetapher abgesteckt ist.
Globalisierung ist ein Beispiel für das, was Begriffhistoriker einen Bewegungsbegriff nennen. Was ist darunter zu verstehen? Ähnlich wie Demokratie oder Fortschritt erlaubt uns ein Bewegungsbegriff, Verhältnisse, die im temporalen Sinne gleichzeitig sind, als ungleichzeitig wahrzunehmen und einzuordnen. Wir leben zwar ganz pauschal in einer globalisierten Welt, aber die Ökonomien oder die gesellschaftlichen Bereiche z.B. sind mehr oder weniger globalisiert, manche noch nicht sehr, manche schon sehr. Bewegungsbegriffe geben eine Richtung an und vor allem: vor. Ein ebenso banales wie alltägliches Beispiel: Wer sagt, die deutschen Universitäten seien auf die heutigen globalen Konkurrenzen gar nicht eingerichtet, der mobilisiert unweigerlich politischen Reform- und Anpassungsdruck. Obwohl natürlich gilt: Wer will das mit welchen Mitteln überprüfen? Könnte sie nicht gerade ihre andere Organisationsform besonders fit für den globalen Wettbewerb machen? Bewegungsbegriffe taugen dazu, ein ‚Noch‘ zu konstatieren, wo ein ‚Schon‘ sein sollte.
Damit sind wir schon beim ganz alltäglichen Geschäft der umfassenden, alle Themen und Bereiche übergreifenden Verwendung solcher Master Terms. Bei Globalisierung ist augenfällig, dass dieser Ausdruck allenthalben Einsatz findet, wo politischer Veränderungsdruck möglichst einwandsimmun aufgebaut wird. Weil ‚wir‘, im Unterschied zu den Generationen vor uns, im Zeitalter der Globalisierung leben, müssen wir uns an die neuen Verhältnisse anpassen, die der Ausdruck indiziert. Im politischen Alltag markiert das Wort so eine Epochengrenze. Es gibt eine alte Zeit, vor der Globalisierung. An sie darf man nostalgisch zurückdenken, man darf sie auch als Vorbild beschwören, aber sie gehört endgültig der Vergangenheit an. Heute kann sich keine Gesellschaft, kein Bereich der Globalisierung entziehen. Sie konstituiert in der politischen Kommunikation einen umfassenden Sachzwang. Die Entwicklungsrichtung, die der Ausdruck angibt, ist unumkehrbar und unentrinnbar. Sich ihr entziehen zu wollen, wäre der blanke Wahnsinn. Was als nationaler Sonderweg (gar als Protektionismus) kodiert werden kann, hat eine schlechte Presse. Die Globalisierung ist ein universaler semantischer Gleichrichter.
Sicher, man muss sie nicht lieben, die Globalisierung (anders als frühere programmatische Leitmetaphern wie die Demokratie oder den Fortschritt), aber man kann sie auch keinesfalls ignorieren. Und hat sie, bei aller ökonomischen und ökologischen Bedrohlichkeit, nicht auch einen anheimelnden konnotativen Hof? Schließt sie uns nicht zusammen, unterstreicht, dass wir alle in einer Welt leben und die gleichen Probleme haben? Man kann es ja sogar als Zuwachs an globaler Gerechtigkeit verkaufen, wenn das einheimische, aber stets heimatlose Kapital in Billiglohnländer hüpft, damit die dort auch mal Geld verdienen können, wenn es daheim Industrie- und Sozialruinen zurücklässt oder sich nur zum Bleiben erweichen lässt, wenn vorher ordentlich Lohnverzicht oder Steuersubvention gewährt wird – im Dienste des Wirtschaftsstandorts, versteht sich.
In der Tat ist auch Globalisierung ein Beispiel dafür, dass politisch-diskursive Macht sich auf ‚umgedrehte‘ Gegenmacht stützen kann. War doch die Figur, mit der uns heute die Alternativlosigkeit weltweit expansiver Wachstumsökonomie eingebläut wird, in ihren Ursprüngen eine Figur, mit der eben dieser vermeintliche Sachzwang gestoppt und ausgehebelt werden sollte. ‚Global 2000‘ war der Titel einer mahnenden Studie des Club of Rome, der die Weltöffentlichkeit 1972 auf die ‚Grenzen des Wachstums‘ ressourcenverbrauchender Ökonomie hinweisen wollte. Und die Parole der frühen Umweltbewegung lautete nicht zufällig: „Global denken – lokal handeln“. Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Pioniere des globalen Denkens heute bei Attac sind, während die kapitalistische Wachstumsökonomie sich die Parole „Global denken – lokal handeln“ erfolgreich zu eigen gemacht hat, wenn sie Nationalstaaten, Regionen, Städte (‚Standorte‘ eben) gegen einander ausspielt und in einen ruinösen Subventionswettbewerb treibt.
Konsensfiktionen
Konsens ist – das wissen wir von den Soziologen – in der Realität schwer zu beschaffen. In einer Demokratie ist er noch nicht einmal wünschenswert. Umso wichtiger ist, dass er in der politischen Kommunikation erfolgreich unterstellt werden kann. Unter den politischen Metaphern, welche die Hochschulpolitik neuerdings fluten, befinden sich zahlreiche Beispiele für das, was man als Konsensfiktionen oder auch als performativ immune Ausdrücke bezeichnen kann. Trotz der etwas umständlichen Terminologie ist rasch erklärt, was damit gemeint ist. Stellen Sie sich vor, ein Politiker stellt sich hin und fordert, die Universitäten müssten autonom, effizient und global wettbewerbsfähig sein. Wäre es möglich, dass ein anderer Politiker von all dem das Gegenteil fordert? Wenn nicht, dann handelt es sich bei den jeweiligen Programmwörtern um Konsensfiktionen (vgl. Habscheid und Knobloch 2009). Das mit ihnen verbundene Programm ist öffentlich nicht negierbar. Autonomie, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit muss man wollen. Und zwar gleich, ob es sich bei der Zielsphäre um Schulen, Krankenhäuser oder Stadtverwaltungen handelt. Selbst Gefängnisse und Arbeitsvermittlungen sind vor diesen Fahnenwörtern nicht sicher. Eben das macht solche Ausdrücke zu besonders dummen und besonders tückischen Metaphern. Wer sich öffentlich gegen etwas ausspricht, was im Namen einer solchen Konsensfiktion artikuliert wird, der stellt sich außerhalb jeder vernünftigen Debatte. Konsensfiktionen verhindern die demokratische Artikulation von Alternativen, sie enteignen den politischen Gegner schon im semantischen Vorfeld: „Es kann nicht sein, dass Sie gegen mehr Autonomie für die Hochschulen sind! Wollen Sie etwa Fremdbestimmung?“ Konsensfiktionen infizieren beliebige Zielsphären mit ihren aufgehäuften Wertigkeiten und Konnotationen. Ihre programmatische Unbedingtheit steht in deutlichem Kontrast zu ihrer nominativen Unterbestimmtheit. Eben darum können sie überall andocken und mit einiger Aussicht auf öffentliche Zustimmung großflächig eingesetzt werden. Wer Schulen selbstverantwortlich machen, Arbeitslose aktivieren, Universitäten von staatlicher Detailsteuerung befreien und exzellent machen möchte, der ist diskursiv schon auf der sicheren Seite. Dem Publikum suggeriert er, dass Einigkeit bereits hergestellt und Dissens zwecklos ist. Mit ihren Zielsphären stehen solche einwandsimmunen politischen Metaphern in durchaus interessanten und paradoxen Wechselbeziehungen. Dass sie fast überall eingesetzt werden, schützt sie in gewissem Maße davor, in bestimmten Ziel- und Anwendungssphären widerlegt (und vielleicht sogar lächerlich gemacht) zu werden. Namentlich paradoxe Selbstverstärkungen sind häufig zu beobachten. Dafür bietet die ‚neuakademische‘ Sprache der Hochschulreform reiches Anschauungsmaterial:
Im Zangengriff von Hochschulrat, Ranking, Staatsaufsicht und Akkreditierungsagentur geht jeder Handlungsspielraum der Hochschule in der Reform verloren? Umso besser klingt die Forderung nach Autonomie und Hochschulfreiheit! Der bürokratische Aufwand in der Organisation eines Studiums hat sich vervielfacht? Eben darum ist Bürokratieabbau und Deregulierung an den Hochschulen das plausibelste aller Programme. Um den allfälligen Oktrois vielleicht doch zu entgehen, schmieden die Hochschulen einträchtig die Ketten, an denen sie künftig liegen?
Desto betörender tönt die Melodie der entfesselten Hochschule, die von Bertelsmanns Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) intoniert wird. Künftige Akademiker sollen flexibel, kreativ und selbständig sein? Diese Forderung wird erst dann wirklich Resonanz finden, wenn das modularisierte und verschulte Studium ihnen den letzten Rest dieser Tugenden ausgetrieben hat. Politische Programmmetaphern, die für unbedingte Werte stehen, sind nicht nur gegen Dissens und gegen Einwände geschützt. Sie können auch durch widersprechende Erfahrungen nicht eigentlich widerlegt werden. Im Gegenteil, die schlechte Wirklichkeit unterstreicht noch zusätzlich ihre Berechtigung (Knobloch 2008).
Die Sprache der Hochschulreform
Die Sprache der Hochschulreform sticht auch insofern ins Auge, als es sich um einen Bereich handelt, in dem während der letzten fünfzehn Jahre ein vollständiger semantischer Tapetenwechsel stattgefunden hat. Alle Metaphern und Leitbegriffe wurden ausgetauscht, so dass ein Beobachter aus den 80er Jahren gegenwärtig kaum davon zu überzeugen wäre, dass es sich noch um ein und dasselbe Gebiet handelt. Durchlässigkeit, Öffnung, Bildungschancen, Demokratie, gesellschaftliche Relevanz – all das klingt inzwischen ziemlich fremd. Fast so fremd wie Gesamthochschule im Zeitalter der Eliteuniversität. Fünfzehn Jahre nach dem Beginn der Markt- und Managerrevolution haben wir uns daran gewöhnt, dass Exzellenz, Wettbewerb, Flexibilität, Kundenorientierung, Evaluation, Qualitätsmanagement, Standort nicht nur zum ökonomischen, sondern auch zum hochschulpolitischen Vokabular gehören. Das ökonomische Zentralgebiet hat die Gesellschaft auch metaphorisch kolonialisiert.
Erstaunlich kontinuierlich präsentiert sich dagegen die Geschichte einer anderen politischen Leitmetapher, innerhalb wie außerhalb der Hochschulpolitik. Es handelt sich um die Reform, die immer und überall nötig zu sein scheint und fast ohne einen Kratzer aus den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf uns gekommen ist. Allerdings sind leichte konnotative Verschiebungen nicht zu übersehen. Das ehemalige Hoffnungswort hat an der Öffentlichkeit einen unverhohlen drohenden Unterton angenommen. Wer seinen Verstand halbwegs beisammen hat, der weiß, dass er sich warm anziehen muss, wenn sich in seinem Umfeld eine Reform zu entladen droht. Dennoch: Allgemeine politisch-ökonomische Verunsicherung und grassierende Denormalisierungsängste haben ein Ausmaß erreicht, dass die permanente Notwendigkeit von Reformen nach wie vor keiner eigenen Begründung bedarf. Sie versteht sich gewissermaßen von selbst wie alle Konsensfiktionen. Wer angesichts der völlig chaotischen Realität an den Hochschulen ein „Ende der Reformen“ fordern wollte, der würde in der medialen Öffentlichkeit im günstigen Falle Verständnislosigkeit hervorrufen.
Damit freilich schließt sich der Kreis und wir haben Anlass, auf Leonard Bloomfields merkwürdige These zurückzukommen, in natürlichen Sprachen sei entweder alles metaphorisch oder nichts. Wer würde es heute wagen, zwischen dem eigentlichen und dem metaphorischen Gebrauch des Fahnenwortes Reform begrifflich zu unterscheiden? War die Reform der 60er Jahre metaphorisch oder ist es die der Gegenwart? Die konnotative Aufladung, die Sprachzeichen im aktuellen Gebrauch mit sich führen, ist stets eine Mélange aus kumulierten alten Sinnbeständen, die sich gewissermaßen fest angelagert haben, und neuen Zielbezügen, die sich damit aktuell mehr oder weniger fest verbinden. Im Bereich der politischen Programmwörter jedenfalls gibt es keine Grenze zwischen eigentlicher und metaphorischer Bedeutung. Die Übergänge sind fließend. Vor unseren Augen verändert sich die konnotative Ladung von Reform. Was einen Ausdruck als metaphorisch erscheinen lässt, ist stets nur seine perspektivische Abweichung von einem bereits etablierten und insofern unauffällig gewordenen Gebrauchsmuster.
Macht macht Metaphern
Immer geht es nämlich in letzter Instanz um das Verhältnis zwischen ‚alter‘ Bedeutung und ‚neuer‘ Bezeichnung. An sich ist das Wort Enteignung ganz klar und unmetaphorisch. Zu einer witzigen Metapher wird es allerdings, wenn es in diesen Tagen für die staatliche Übernahme der Hypo Real Estate – Bank (HRE) gebraucht wird. Die nämlich kostet an der Börse noch gerade 300 Millionen Euro, nachdem der Staat bereits 100 Milliarden aus der Steuerkasse zu ihrer Rettung aufgeboten hat. Nun schreien alle Enteignung!, wenn der Staat auch mitreden will in der Geschäftspolitik, während noch der Inhaber der wertlosen Aktien erklärt, er sei der eigentliche Besitzer - und von Enteignung bedroht. Und dabei hat bereits die Bank den Steuerzahler um den mehr als dreißigfachen Betrag enteignet. Oder, anders kodiert: der Staat hat die Bank bereits für das Dreißigfache ihres Marktwertes gekauft. Was allerdings nicht als Aktion der Bank, sondern als deren Stützung durch den Staat kodiert worden ist. Auch eine Metapher! Und wenn dann der Staat sich gegen den Enteignungsvorwurf dadurch zu schützen versucht, dass er das HRE-Sondergesetz als Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz verkauft, in welchem das Wort Enteignung peinlichst vermieden wird, dann hat der Sprachwissenschaftler dazu nichts mehr zu sagen. Außer eben, dass der Einsatz von Metaphern für den Kundigen die realen Machtverhältnisse enthüllt.
Mit der Frage, was denn die eigentliche Bedeutung sprachlicher Ausdrücke sei, wenden wir uns abschließend an den bedeutenden Sprachlogiker Lewis Carrol. Der, besser bekannt als Autor eigenwilliger Kinderbücher, erfreut uns mit dem folgenden Dialog (aus ‚Alice hinter den Spiegeln‘):
„Aber ‚Glocke‘ heißt doch gar nicht ein >einmalig schlagender Beweis<“, wandte Alice ein. „Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, „dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger“. „Es fragt sich nur“, sagte Alice, „ob man ein Wort einfach etwas anderes heißen lassen kann“. “Es fragt sich nur“, sagte Goggelmoggel, „wer der Stärkere ist, weiter nichts“.
Verfasser: Clemens Knobloch
Prof. Dr. Clemens Knobloch
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