Juri Andruchowytsch
Ein europäisches Panorama von Liebe, Mord und Verrat
InternationalPoetry@Rubens startet digital: Der ukrainische Autor Juri Andruchowtsch liest aus seinem Roman „Lieblinge der Justiz“
Was hätte Rubens wohl in Corona-Zeiten getan?
Vermutlich malen – in den eigenen vier Wänden. Heute
bietet die digitale Technik Möglichkeiten der
internationalen Begegnung und des Austauschs aus weit
entfernten Räumen heraus. Sie eröffnet in Zeiten der
vorsichtigen Öffnung in der Corona-Pandemie
Möglichkeiten, kulturelle Ereignisse zu erleben.
Am 27. Mai 2020 sollte eigentlich
InternationalPoetry@Rubens, das neue
Veranstaltungsformat des Hauses der Wissenschaft der
Uni Siegen mit einem Gespräch und Lesung des
ukrainischen Autors Juri Andruchowytsch als
Auftaktveranstaltung stattfinden. Doch leider machte
die Pandemie einen Strich durch die Planungs-Rechnung.
Not macht bekanntlich (manchmal) erfinderisch. Kultur
und Literatur haben es in diesen Tagen besonders
schwer, leben doch die Künstler vom direkten Kontakt
mit dem Publikum, mit den Lesern und den
Autorengesprächen. Viele Honorare und Buchverkäufe
fallen weg, die Existenz ist oft bedroht, vor allem in
Ländern, in denen es keine umfangreichen
Corona-Maßnahmen zur Rettung der Kultur gibt. Daher
entscheiden sich Schriftsteller, ihr Werk in
alternativen Formaten zu zeigen, um im Kontakt mit den
Lesern zu bleiben, was überraschend gut und gern
angenommen wird. Wenige erhalten dafür ihr Honorar.
Doch es gibt auch Möglichkeiten, die ausgefallenen
Veranstaltungen vor Ort in ein Online-Format
umzuwandeln und dem Autor derart doch die Möglichkeit
anzubieten, vor Publikum – wenn auch via Bildschirm –
zu sprechen und den Künstler dabei in der existenziell
schwierigen Zeit zu unterstützen.
Die Veranstalter und Unterstützer von
InternationalPoetry@Rubens haben sich dazu
entschlossen, diesen Schritt zu wagen und selbst auch
Neuland zu betreten. InternationatPoetry@Rubens
ist Teil der Formate, zu denen auch das bewährte
Poetry@Rubens mit deutschen Autoren und Autorinnen wie
auch das ebenfalls neue Format YoungPoetry@Rubens, das
an junges Publikum gerichtet, ist gehören. Veranstalter
ist das Haus der Wissenschaft der Uni Siegen, das als
Dilog- und Veranstaltungsplattform Brücken zwischen der
Universität, der Stadt und Region baut. Die beiden
neuen Formate, die vor allem durch Bilingualität und
Internationalität gekennzeichnet sind, können dank der
unschätzbaren Förderung der heimischen
Christa-und-Dieter-Lange-Stiftung angeboten werden. Das
Haus der Wissenschaft ist dem Prorektorat für
Internationales und Lebenslanges Lernen der Universität
Siegen zugeordnet.
Am 27. Mai stellt Juri Andruchowytsch (geb. 1960)
seinen neuen Erzählband „Die Lieblinge der Justiz“ in
einem online-Gespräch vor. Der Lyriker und Romancier,
Essayist und Musiker ist eine gewichtige literarische
Stimme seines Landes und gilt in der Ukraine bereits
jetzt als Klassiker der modernen Literatur. Zugleich
aber kann man ihn als europäischen Autor vorstellen, da
sein Thema eben auch Europa ist, vorwiegend eben der
Teil Europas, den er in seinem aktuellen Buch
„Dazwischen“ nennt. Tatsächlich ist es eine Region, die
auch heute immer noch aus westeuropäischer Sicht kaum
oder unscharf gesehen wird. Autoren wie Andruchowytsch
sind Stimmen dieser Landschaft, der dort lebenden
Menschen und Geschichten –, denn er zeichnet längst
vergessene oder von der Vergessenheit bedrohte
Ereignisse in seinem Werk neu. Diesmal spricht er von
Europa und „Dazwischen“ mit Porträts von echten und
vermeintlichen Verbrechern, die zu „Lieblingen der
Justiz“ oder auch der Gesellschaft geworden sind, dies
aber oft nicht verdient haben. In ironischer, der
Nostalgie beraubten Sprache macht der Autor auf die
Absurditäten dieser Welt aufmerksam. So zeichnet er
menschliche Abgründe, um den Leser vor Selbstliebe,
falscher Liebe, Verrat und Geltungszwang und ihren
Konsequenzen zu retten, aber so, dass man sich von
seiner Erzählweise mitreißen lässt. Die Literarische
Welt bestätigt: „Juri Andruchowytsch ist ein Autor, mit
dem man gern auf Abwege gerät“.
In den verschiedenen Episoden der „Die Lieblinge der
Justiz“ treffen wir auf Verbrecher der vergangenen
Jahrhunderte genauso wie auf Gräueltaten uns zeitlich
viel näherer Zeiträume wie der Zweite Weltkrieg und
das, was damals in der heutigen Ukraine passierte. Oft
haben sich die Täter ihre Namen bewahrt. Wir kennen
sie, beziehungsweise werden von dem Erzähler an sie
erinnert – die Namen der Opfer (von denen es in manchen
Fällen Tausende gab) sind zumeist in den Abgründen der
Archive und eventuell des (schwindenden) Gedächtnisses
verbleiben.
Juri Andruchowytsch entfaltet, so der Verleger, in
seinem neuen Buch, ein die Jahrhunderte umspannendes
Panorama von Mord, Liebe und Verrat, von der
Monstrosität des Verbrechens und der Justiz, in dem
doch nicht alles ist, wie es scheint... Was möchte der
Autor damit dem modernen Leser vermitteln, was steckt
zwischen den Zeilen? Darüber sprechen wir im Rahmen
dieses ersten virtuellen Autorentreffens. Das Gespräch
moderiert Dr. Natasza Stelmaszyk.