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Barrierefreie Partizipation Entwicklungen, Herausforderungen und Lösungsansätze auf dem Weg zu einer neuen Kultur der Beteiligung

cover_barrierefreie_partizipationIm Rahmen des Projektes „Politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen in den Kommunen stärken!“ ist die folgende Publikation entstanden.

Düber, Miriam; Rohrmann, Albrecht; Windisch, Marcus (Hg.) (2015): Barrierefreie Partizipation. Entwicklungen, Herausforderungen und Lösungsansätze auf dem Weg zu einer neuen Kultur der Beteiligung. Weinheim: Juventa.

 Aus dem Vorwort der Herausgeber

Partizipation – im Sinne des Teilhabens, Teilnehmens und Beteiligtseins – an Prozessen der Entscheidung und Willensbildung, gewinnt in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten an Bedeutung. Es handelt sich dabei um einen komplexen Prozess, dessen Gelingen von sehr verschiedenen Faktoren abhängt – sowohl auf der Ebene der institutionellen, der sozialen und der politischen Rahmenbedingungen, als auch im Hinblick auf die Kompetenzen und Einstellungen der Partizipierenden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den  Herausforderungen und Lösungsansätzen einer neuen, barrierefreien Kultur der Beteiligung – nach einer „Partizipation für alle“, der wir im Rahmen dieser Publikation nachgehen möchten.
Der Entstehungshintergrund des Buches verknüpft sich mit dem Forschungsprojekt „Politische Partizipation für Menschen mit Behinderungen in den Kommunen stärken!“, welches das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen zusammen mit der LAG SELBSTHILFE von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen Nordrhein-Westfalen e.V. durchführte (vgl. hierzu den Beitrag von Eschkotte/Schlatholt in diesem Band). Im Rahmen des Vorhabens wurde analysiert, welche Partizipationsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen auf kommunaler Ebene in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind und wie sie gestärkt werden können. Als Teil dieses Projektes wurde in Siegen durch das ZPE eine Fachtagung mit dem Titel „Partizipation im Spannungsverhältnis zwischen Inklusionsversprechen und exkludierender Wirklichkeit“ veranstaltet, die zum disziplinübergreifenden Austausch über Modelle, Herausforderungen und Handlungsstrategien politischer Partizipation – insbesondere vor dem Hintergrund menschenrechtlicher Vorgaben – diente. Durch diese Veranstaltung wurde der Wunsch geweckt, den Diskurs zum Thema zu intensivieren und es entstand die Idee zu dieser Publikation.
Ziel des Buches ist es, einen interdisziplinären Diskurs über die Idee der barrierefreien Partizipation im Kontext der Menschenrechte, als politische Maxime und soziale Ressource zu initiieren. Die damit im Zusammenhang stehenden relevanten Fragen werden im Rahmen dieser Publikation im Hinblick auf unterschiedliche soziale Gruppen und verschiedene Handlungsfelder skizziert. Der Focus liegt dabei auf dem Personenkreis der Menschen mit Behinderungen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die  Betrachtung von Beteiligung auf kommunaler Ebene. Es werden sowohl Einblicke in theoretische Fragestellungen als auch Hinweise für gelingende Praxis vermittelt, wobei es unser Anliegen ist, beide Dimensionen sinnvoll in Beziehung zu setzen.
Im einleitenden Beitrag führen die Herausgeber/innen zunächst in den Begriff der „barrierefreien Partizipation“ ein und skizzieren die damit verbundenen Spannungsfelder und Herausforderungen für Theorie und Praxis.
Der erste Teil dieses Bandes widmet sich der barrierefreien Partizipation im Kontext der Menschenrechte. Das Recht auf Partizipation ist in verschiedenen menschenrechtlichen Dokumenten verankert und wurde zum Schutz bestimmter Personengruppen – im Rahmen gesonderter Konventionen – konkretisiert. In seinem Beitrag verdeutlicht Michael Westerholt in diesem Zusammenhang die zentrale Rolle des Grundsatzes der Beteiligung im Rahmen der UN-Kinderrechtskonvention, welche 1992 von Deutschland ratifiziert wurde und weltweite Standards zum Schutz von Kindern festlegt. In der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe ist das Recht auf Partizipation grundlegend und verbindet sich mit zahlreichen Herausforderungen, wie Margareta Müller auf der Grundlage ihrer Erfahrungen im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Ombudschaft Jugendhilfe NRW – einer unabhängigen Beratungs- und Beschwerdestelle für Nutzer/innen von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe – schildert. Marianne Hirschberg geht in ihrem Beitrag auf ein weiteres Menschenrechtsabkommen ein, durch das sich die Maxime der Partizipation wie einen roter Faden zieht: die UN-Behindertenrechtskonvention. Insbesondere der beteiligungsorientierte Entstehungsprozess der Konvention, die Forderung nach Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in den Umsetzungsprozess und das Monitoring zeugen dabei von der zentralen Bedeutung der Partizipation. Maßnahmen zur Förderung der Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben von Menschen mit Behinderung, die den Gestaltungsauftrag eines „partizipationsfördernden“ Umfeldes berücksichtigen (UN-BRK Art. 29), wurden von vielen europäischen Vertragsstaaten allerdings bisher kaum umfassend oder strukturiert ergriffen, wie Eva Konieczny im Rahmen ihres Beitrages feststellt. Auch in Deutschland werden große Herausforderungen und Schwierigkeiten in Bezug auf die inhaltliche Umsetzung der Konvention deutlich. Günther Heiden skizziert diese – als Koordinator der Parallelberichterstattung der Zivilgesellschaft – im Rahmen seines Beitrages. Eine wichtige Voraussetzung, um partizipative Prozesse in der Bevölkerung zu initiieren und weiterzuentwickeln, sind jedoch nicht nur die Anpassung vorhandener Strukturen, sondern auch ein entsprechendes Bewusstsein und eine Beteiligungsmotivation der Bürger/innen. Daher geht Sandra Reitz in ihrem Beitrag auf den Ansatz der Menschenrechtsbildung ein, der das Ziel verfolgt, Menschen dazu zu befähigen ihre eigenen Rechte und die Rechte anderer zu schützen und Einstellungen und Werte im Sinne der Menschenrechte zu entwickeln. Meike Günther verdeutlicht in diesem Zusammenhang konkret die praktische Dimension von Menschenrechtsbildung im Rahmen barrierefreier Seminar- und Materialgestaltung.

Im zweiten Teil des Buches steht die Idee der barrierefreien Partizipation als politische Maxime im Vordergrund. Den Mitgliedern der Gesellschaft stehen formal die gleichen Möglichkeiten der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen – beispielsweise durch Wahlen, durch die Kandidatur für politische Ämter oder durch die Artikulation ihrer Interessen im öffentlichen Raum – offen. Die Realität zeigt jedoch, dass bestimmte Gruppen in den Entscheidungsgremien unterrepräsentiert sind und ihre spezifischen Bedürfnisse nicht hinreichend berücksichtigt werden. Genauer zu analysieren ist, wie eine politische Beteiligung sichergestellt werden kann, ohne dass diese Form der Partizipation neue Ansatzpunkte zur Ausgrenzung bietet. Zunächst geben Götz Frommholz und Jan Eichhorn im Rahmen ihres Beitrages einen umfassenden Einblick in den aktuellen Forschungsstand hinsichtlich der Entwicklung und den Zusammenhang zwischen politischer Teilhabe und politischer Ungleichheit. Norbert Kersting verschafft dem Leser einen Überblick über die bestehenden Instrumente zur politischen Beteiligung und geht dabei explizit auf die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen ein. Eine wichtige gesetzliche Grundlage ist dabei die Gleichstellungsgesetzgebung, die Tamara Sergeev auf Landesebene vergleichend analysiert. Aufschluss über erste Erkenntnisse und Hintergründe einer landesweiten Studie zur Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen auf kommunaler Ebene gibt der Beitrag von Daniela Eschkotte und Anette Schlatholt (LAG SELBSTHILFE NRW e.V.). Edwin Behrens schildert in diesem Zusammenhang die Entwicklungen der Arbeit von kommunalen Behindertenbeiräten, -beauftragten und -koordinatoren. Dass sich die politische Interessenvertretung bei bestimmten Personengruppen dabei durchaus mit komplexen Herausforderungen verbindet, verdeutlicht der Beitrag von Miriam Düber, die Möglichkeiten der Stärkung politischer Partizipation von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Behindertenbeiräten aufzeigt. Frank Pinner stellt beispielhaft ein alternatives Modell im Hinblick auf die Ermöglichung von Partizipation dieses Personenkreises vor: die lokalen Teilhabekreise.
Durch den politischen Gestaltungsauftrag, der sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt ist  kommunale Politik – neben der konkreten Förderung der Interessenvertretung –gefordert, Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen im Gemeinwesen zu realisieren. Matthias Kempf beschreibt, wie dies im Rahmen eines partizipativen kommunalen Planungsprozesses gelingen kann und welche Herausforderungen sich hiermit verbinden. Axel Fiedler und Margot Wiese geben dabei ein gelungenes Beispiel für einen umfassenden kommunalen Teilhabeplanungsprozess in der Stadt Wetter/Ruhr.
Neben gesetzlichen Grundlagen, Planungsprozessen und formalen Strukturen spielen  Empowerment-Prozesse der Betroffenen eine entscheidende Rolle hinsichtlich der politischen Partizipation von Gruppen mit „schwachen“ Interessen. Hans Dietrich Engelhardt beschreibt die Rolle der Selbsthilfe bei Prozessen der Demokratisierung und Partizipation. Friedhelm Hoffmann konkretisiert und verdeutlicht Mitwirkungsprozesse der Selbsthilfe im politischen Raum am Beispiel der Entwicklungen im Kreis Olpe.
Das Ideal des/r aktiven, politisch partizipierenden Bürgers/in ist ein voraussetzungsvolles, vor allem im Hinblick auf das notwendige Qualifikationsprofil. Jens Korfkamp und Tim Tjettmers verdeutlichen im Rahmen ihrer jeweiligen Beiträge den Zusammenhang zwischen Literalität und politischer Partizipation, indem sie beschreiben, wie Schriftsprachlichkeit zur Barriere werden kann, die politische Ungleichheit verschärft.

Im letzten Teil der Publikation geht es um  die barrierefreie Partizipation im Sinne einer sozialen Ressource. Die Forderung nach Selbstbestimmung, die beispielsweise Menschen mit Behinderungen als Anspruch auf die Kontrolle über die benötigten Hilfen erheben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass bestimmte Personengruppen in höherem Maße als andere Menschen von der Verfügbarkeit von Unterstützungsleistungen und einer barrierefreien Infrastruktur in ihrem Lebensumfeld abhängig sind. Daher muss auch an die Ausgestaltung von individuellen Hilfen und an die Entwicklung von Angeboten der Anspruch der Partizipation gestellt werden. Birgit Papke geht in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Einrichtungen im Bereich der frühkindlichen Bildung ein und Elias Nolde beschreibt die Entwicklungen durch „EX-IN“, einem Beispiel für die Realisierung von Peer Support im Kontext psychiatrischer Hilfen. Werner Schlummer gibt einen Einblick in die Interessenvertretung der Beschäftigten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Achim Etzkorn und Petra Schürmann (LAG Werkstatträte in RLP e.V.) veranschaulichen diese Ausführungen am Beispiel der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte in Rheinland-Pfalz.
Prozesse der Hilfeplanung stellen ein wichtiges und grundlegendes Element der Koproduktion sozialer Leistungen dar, bei dem die Partizipation der Nutzer/innen von essentieller Bedeutung ist. Stefan Doose beschreibt die Potentiale partizipativer Hilfe- und Zukunftsplanungsprozesse. Stephan Göthling spiegelt in diesem Zusammenhang viele Eindrücke aus seiner praktischen Erfahrung als Moderator für persönliche Zukunftsplanungen wider.
Konzepte und Settings zur Förderung von Selbstbestimmung und Partizipation knüpfen stark an intellektuellen Fähigkeiten an und schließen in Folge dessen Menschen mit schweren und komplexen Behinderungen aus. Monika Seifert schildert daher in ihrem Beitrag Möglichkeiten der Partizipation dieser Personengruppe im Rahmen professioneller Dienstleistungen. Siegfried Schröder setzt sich auf kommunaler Ebene als Ombudsmann für Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen ein und berichtet von seinen Erfahrungen.
Benjamin Freese und Michael Mayerle gehen abschließend in ihrem Beitrag auf die Rolle der „digitalen Teilhabe“ als Teil einer barrierefreien (e)Partizipationskultur ein und verdeutlichen diese am Beispiel des „PIKSL-Labors“, einem Projekt, in dem moderne Informations- und Kommunikationstechnologien für Menschen mit und ohne Behinderungen zugänglich gemacht werden.
Das Fazit der Herausgeber stellt schließlich eine Quintessenz aller Beiträge der vorliegenden Publikation dar, welche die Spannungsfelder, Entwicklungstendenzen, Herausforderungen und Lösungsansätze der unterschiedlichen theoretischen Perspektiven, praktischen Erfahrungen und Diskursstränge zusammenführt.