Workshop Krisen- und Katastrophentheorie
Ziel des zweitägigen Workshops war der Austausch und die Diskussion zum heutigen Stand der Krisentheorie und Sicherheitskommunikation.
Nach der Begrüßung durch den stellv. Direktor des Instituts und
Projektleiters Prof. Dr. Gebhard Rusch, eröffnete der Lehrbereichsleiter
für das „Ressort- und länderübergreifende Krisenmanagementübungen:
LÜKEX“ an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und
Zivilschutz der Bundesbehörde für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz
(BBK), Norbert Reez den Workshop mit seinem Auftaktvortrag „Zum
Verhältnis von Krisen-/Katastrophentheorien und Praxis: Unterwegs zu
einer Theorie des Bevölkerungsschutzes“. Im Rahmen seines Vortrages nahm
Norbert Reez zum einen Stellung zu der begrifflichen Eingrenzung von
Begriffen wie Krise und Katastrophe und stellte dabei pointiert heraus,
dass es trotz langjähriger Forschung in diesen Bereichen immer noch
dunkle Flächen gibt, die weiterer Erforschung und begrifflicher
Präzisierung bedürfen. In dem zweiten Teil seines Vortrags nahm Norbert
Reez Stellung zu Fragen des effektiven und gelingenden
Bevölkerungsschutz. Hierbei ist eine Trennung von Theorie und Praxis aus
seiner Sicht nicht möglich, da beide Dinge nur zusammen
Bevölkerungsschutz gelingen lassen können. Der aktuelle Stand der
Krisentheorie kann nicht mehr nur durch Phasenmodelle und
Handlungsempfehlungen dargestellt werden, sondern ist vielschichtiger
und multidimensionaler. Krisen- und Katastrophentheorie darf sich nicht
nur mehr singulär mit der Frage nach Ursachen und deren Folgen befassen,
sondern muss sich vor allem auch mit den unterschiedlichen Bedürfnissen
der Beteiligtem und den damit verbundenen Krisendimensionen befassen.
Die anschließende Diskussion zeigte, dass diese Positionen von allen
Anwesenden geteilt wurde.
Der zweite Tag des Workshops begann mit
Gebhard Rusch‘s Vortrag „Skizze einer operationalen Krisen- und
Katastrophentheorie“, in dem er die ersten Ansätze und Ergebnisse des
Forschungsprojektes SiKomm vorstellte. Hierbei stellte er ein
Fünf-Phasenmodell auf, dass sich im Gegensatz zu den betrieblichen
Phasenmodellen viel stärker an den Dimensionen von Stakeholdern und
Systemen orientiert. Zudem skizzierte er erste kommunikative
Empfehlungen und Anregungen aus dem Forschungsprojekt.
In seinem
Vortrag „Genese, Diskurse und Theorien der Disaster- und
Katastrophentheorie“ stellte Martin Voss von der
Katastrophenforschungsstelle der Universität Kiel einleitend das
makrosoziologische Prozessmodell FAKKEL von Lars Clausen (auch
Katastrophenforschungsstelle Kiel) vor. Voss stellte dann die Frage, ob
sich die heutige Forschung aktuell auf dem Weg zu einem
epistemologischen Katastrophenverständnis befindet. Dies sieht er zum
einen in der einseitigen Wahrnehmung durch die Negation von Transzendenz
in der Neuzeit, i.S. der Reduktion auf die Substanz, sowie der
Ermöglichung fundamentaler Kategorien der Neuzeit. Voss forderte in
seinem Vortrag eine phänomenologische Protosoziologie im Sinne einer
Prolegomena zur sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlichen
Katastrophenform. Ausgehend von einer historischen Betrachtung der
Katastrophenforschung, skizziert Voss in einer Genese der
Disasterforschung die Entwicklung der letzten Forschung in den letzten
drei Jahrhunderten und stellt die Frage nach dem heutigen Stand der
Forschung und deren Schwerpunkthemen. In seinem daraus resultierenden
Diskurs zur Ursachenbezogenen Disasterforschung stellte Voss am Ende die
Frage, ob nach 1994 wirklich der viel beschworene Paradigmenwechsel
eingetreten ist. Aus seiner Sicht rückte in den letzten Jahren die
Vulnerabilität in den Fokus. Für die Katastrophenforschung drückt er
seinen Wunsch aus, dass dem Aspekt der Katastrophenforschung in der
heutigen Sicherheitsforschung wieder mehr Beachtung geschenkt werden
sollte.
In seinem Vortrag „Dynamiken der Risikowahrnehmung:
Issue, Risiko, Krise“ begann Peter Wiedemann vom Forschungszentrum
Jülich, Zentrum für Neurowissenschaften und Medizin, Programmgruppe
Risikowahrnehmung und Risikokommunikation, mit dem Begriff der
erwartbaren Überraschungen (Bsp. Finanzkrise 2009, Eurokrise 2010,
Bohrinselkatastrophe im Golf von Mexiko 2010, Missbrauchsdebate der
katholischen Kirche) und plädiert vor diesem Hintergrund für eine
präventive, vorgelagerte Auseinandersetzung mit Krisen. Diese Überlegung
unterstreicht Wiedemann in seinem Vortrag zu den Punkten Issue
Management, Risikomanagement und Krisenmanagement mit unterschiedlichen
Versuchsbeispielen. Peter Wiedemann´s Vortrag zeigte, dass Fragen des
menschlichen Handelns und somit auch Fragen der Krisentheorie durch
methodisch angelegte Untersuchungsanordnungen, i.S.v. Experimenten
beantwortet werden können.
In seinem Vortrag „Hermes -
Erforschung eines Evakuierungsassistenten für den Krisenfall bei
Großveranstaltungen“ versucht Stefan Holl vom Jülich Supercomputing
Center, Forschungszentrum Jülich, den Aspekt der Krisentheorie aus Sicht
der Ingenieurswissenschaft am Beispiel des „Hermes“-Projektes zu
beleuchten. Hierbei nahm er Stellung zu Fragen der Motivation, des
Konzeptes, von Simulationsmodellen und Experimenten und letztendlich die
Frage der Akzeptanz und Nutzen solcher Projekten. Bezogen auf das
Projekt liegt die Motivation, aus Stefan Holls Sicht, in dem Trend zu
größeren Bauwerken und größeren Veranstaltungen. Stadien und Konzertsäle
werden kurzzeitig ein Mikrokosmos des gesellschaftlichen Lebens, mit
all seinen Ausprägungen und Risiken. Holl zeigt an den Beispielen von
realen Schadenfällen (Bsp.: Luschnikistadion 1982, Akashi 2001 (Japan)
oder Mihong Park China 2004), dass nicht äußere Bedrohung, sondern
Faktoren wie hohe Personendichte, fehlende Rettungswege und schlechte
Organisation ausschlaggebend. Er plädiert diesbezüglich für ein
angepasstes Sicherheitskonzept. Ziele des bei Hermes zu entwickelnden
Evakuierungsassistenten sind dementsprechend die bessere Darstellung der
aktuellen Lage und die schnellere Simulation und Prognose von
Bewegungen. Um das Innovationspotential von Hermes herauszustellen
demonstrierte Holl an verschiedenen klassischen Simulationsmodellen,
dass in der Praxis diese Modelle und Simulationen nur bedingt
aussagekräftig sind. Ziel von Hermes sei es dementsprechend, die
Werkzeuge zur Planung zu verbessern. Dies soll vor allem durch den
Aufbau einer experimentellen Datenbasis, der automatischen Auswertung
von Videodaten und der systematischen Entwicklung von Makromodellen
geschehen. Stefan Holls Vortrag zeigte eindrucksvoll, dass die
Aussagefähigkeit von bestehenden Modellen für die heutige
Katastrophenforschung in Teilen zu hinterfragen ist und dass der Aspekt
der Simulation und Vorhersage von Verhalten in der Diskussion
berücksichtigt werden muss.
Die Diskussionen und die Teilnehmer
aus ganz Deutschland zeigten, dass es einen hohen Bedarf für die weitere
theoretische Auseinandersetzung mit Krisen und Katastrophen in
Deutschland gibt. Aus diesem Grund versprach der Projektleiter Gebhard
Rusch, dass das Institut für Medienforschung auch in den kommenden
Jahren ähnliche Workshops durchführen wird. Die Ergebnisse des
Theorie-Workshops sollen zudem in einem gemeinsamen Band zu publiziert
werden.
Teilnehmende waren:
Stefan Holl: Jülich Supercomputing Centre - Forschungszentrum Jülich
Norbert Reez: Lehrbereichsleiter für „Ressort- und länderübergreifende Krisenmanagementübungen; LÜKEX“ an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz, BBK, Bonn
Gebhard Rusch: Universität Siegen, Institut für Medienforschung
Martin Voss: Katastrophenforschungsstelle der Universität Kiel
Peter Wiedemann: Forschungszentrum Jülich, Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Programmgruppe Risikowahrnehmung und Risikokommunikation
>> Programm des Workshhops als PDF ansehen
Ansprechpartner:Institut für Medienforschung
Dipl.-Medienwirt Christian Neuhaus
Mail: neuhaus@ifm.uni-siegen.de
Tel. 0271-740-4440