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Thematik

Während in der jüngeren Literatur- und Kulturtheorie zunehmend die Handlungsfähigkeit und Autonomie des Subjekts in den Mittelpunkt gestellt wird (Stichpunkte wären agency und ethical turn), wurde das aktive, kreative Potential von Kind und Jugendlichem als kulturellem Handlungsträger in der Kinder- und Jugendliteraturforschung bislang nur ansatzweise berücksichtigt. Charakteristischer für die aktuelle KJL-Forschung ist vielmehr eine Argumentation innerhalb des literarischen Feldes. Das Innovationspotential von KJL wird dabei zum Beispiel im Bezug zu anderen literarischen Genres analysiert, nicht aber im Bezug auf kulturelle Praktiken (siehe Reynolds 2007). Ein weiteres Charakteristikum der KJL-Forschung ist eine individualisierende Sichtweise, die Handlungspotentiale bzw. "agency" im Blick auf das private Handeln eines Individuums (in der Regel repräsentiert durch Charaktere) beschreibt anstatt sie auch als kollektive Ordnungen oder gemeinsame soziale Praktiken zu begreifen.

Diese innerliterarische Ausrichtung (oft verknüpft mit dem Versuch der Aufwertung von KJL im literarischen Feld) kennzeichnet auch Diskussionen zu kinder- und jugendliterarischer Kanonbildung. Obwohl im Zuge der Kanonkritik der 1990er Kanonizität in Verbindung mit ihrer kulturellen Funktionalisierung diskutiert wurde, lässt sich eine derartige Verknüpfung in der KJL-Forschung bislang nicht feststellen. Dabei bietet es sich an, das Konzept des Imaginären als sozialer Praxis, die gleichzeitig der Konstruktion kollektiver Identitäten dient (siehe Castoriadis, Anderson, Appadurai oder Taylor), auf Fragen der Kanonbildung anzuwenden: Texte, die als konstitutiv für einen nationalen oder transnationalen Kanon gelten, verfügen über gemeinsame Vorstellungen nicht nur bezüglich ästhetischer Werte sondern auch bezüglich eines kollektiven kulturellen Selbstverständnisses. Misst man der KJL eine zentrale Rolle innerhalb des Enkulturationsprozesses zu, liegt es nahe, als kanonisch erachtete KJL-Texte (oder so genannten Klassiker) auf die Repräsentation gemeinsamer sozialer Ordnungen zu untersuchen, die soziales Handeln bestimmen sollen. Entsprechend ließe sich ein historischer Wandel des Kanons durch die historische Kontingenz des sozialen Imaginären erklären, an dem ein literarischer Kanon partizipiert. Diese Untersuchungsperspektive ginge über die von Hans Heino Ewers vorgeschlagene Unterscheidung zwischen zeitlosen „Traditionstexten“, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und ein überzeitliches Kindheitsbild repräsentieren, und zeitbedingten „Schlüsseltexten“, welche eine bestimmte Epoche charakterisieren und zum Verständnis von Kindheit in dieser Zeit dienen (vgl. Ewers 2007), eindeutig hinaus. Zum einen werden die Texte nicht allein durch ihre Referenz auf Kindheitskonzepte bestimmt, zum anderen wird die in Ewers’ Begriffspaar implizierte Koinzidenz von Epoche und Idee/Konzept aufgebrochen, indem ein multidimensionales Konzept sozialer Ordnungen an die Stelle einer rein zeitlichen Orientierung tritt.

Aus dem bislang skizzierten Forschungsstand ergeben sich folgende Desiderate in der KJL-Forschung, denen das geplante Projekt zu begegnen sucht: Erforderlich ist eine Ausweitung des theoretischen Spektrums in der KJL-Forschung, insbesondere im Bezug auf politisch orientierte Ansätze. Die weitgehende Fokussierung auf das Handeln des privaten Individuums und die nur zögerliche Einbeziehung öffentlicher und vor allem politischer Fragestellungen und Theorien in der KJL-Forschung lässt sich durch eine fehlender Dissoziation der theoretisch-kritischen Reflexion über KJL von intendierten Kindheitskonzepten erklären. Die KJL-Forschung scheint hier Muster des Kindheitskonzeptes moderner Gesellschaften (Trennung Familie – Öffentlichkeit; Verortung des Kindes im nichtöffentlichen Raum der Familie; Individualisierung; Kriterium der ‚Kindgerechtheit’) zu reproduzieren, obgleich sie als kritischer Metadiskurs nicht notwendigerweise die Mechanismen ihres Gegenstandes übernehmen sondern sich davon abgrenzen sollte.

Im Blick auf die Frage der Kanonbildung ist eine kulturelle Funktionalisierung des Kanonbegriffs ein Desiderat, dem das vorliegende Projekt begegnen will. Durch diese Situierung von KJL in einem weiteren kulturellen Feld wird gleichzeitig der Beschränkung von KJL auf einen rein ästhetisch-literarischen Raum entgegengewirkt. Wird KJL im Rahmen erziehungswissenschaftlicher Überlegungen ein maßgeblicher Anteil an Enkulturationsprozessen zugestanden, ist folgerichtig die kritische Analyse von KJL in umfassenderen kulturellen Kontexten und unter Zuhilfenahme kulturwissenschaftlicher Methoden erforderlich.

 
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