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Panoramastudie Teil 1: Kindheit und Jugend in Deutschland

 

Panoramastudie

Kindheit und Jugend in Deutschland

 

Im folgenden Beitrag werden Befunde und Ergebnisse zweier sozialwissenschaftlicher Studien vorgestellt, die ein Panoramabild der Lebens- und Lernsituation der heutigen heranwachsenden Generation zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnen.

Für die im Auftrag des Jugendministeriums NRW durchgeführte Studie ‚NRW-Kids‘‚ wurden mehr als 6.000 zehn- bis 18-jährige Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen zu den unterschiedlichsten Themen befragt – wie sie sich in der Schule fühlen, wie es ihnen in der Familie geht, welche Musik sie gerne hören, was ihnen im Leben wichtig ist, was sie mit ihren Freunden unternehmen und vieles andere mehr. Dieses weit gefasst Befragungsfeld ermöglicht, die Lebenswelt der Heranwachsenden in einem Maß abzubilden, wie es seither in Deutschland so nicht (mehr) möglich war. Das breite Panorama gibt Gelegenheit, ein weit reichendes Generationenportrait der heranwachsenden Kinder und Jugendlichen zu skizzieren. Auf Basis der im Jahre 2001 erhobenen Daten wurde es erstmals möglich, eine Kindheits- und Jugendgeneration empirisch zu erfassen und in einen theoretischen Zusammenhang der Generationenabfolge im 20./21. Jahrhundert einzuordnen (siehe das nachfolgende Generationenportrait und den Generationenvergleich). Zwar sind mittlerweile aktuellere Studien zur Jugend – wie etwa die Shell-Jugendstudie – erschienen, gemeinsam ist diesen Studien jedoch, dass sie in der Regel auf ein relativ eng eingegrenztes Thema (wie etwa politische Beteiligung und Wertorientierungen) konzentriert sind und deshalb Kindheit und Jugend nur in einem verhältnismäßig kleinen Ausschnitt abzubilden in der Lage sind. Damit ist ‚NRW-Kids‘ nach wie vor die Studie, um einen Überblick über die heutige junge Generation in vielfältigen Lebensbereichen zu erhalten.
Auch die zweite Studie, auf die sich die nachfolgenden Ausführungen beziehen – die Studie ‚LernBild‘ –, ist gegenwärtig so aktuell wie zum Zeitpunkt ihrer Durchführung im Herbst 2003. Im Gegensatz zur Panoramastudie ‚NRW-Kids‘ hat sich ‚LernBild‘ ausschließlich mit einem spezifischen – spätestens seit PISA außerordentlich bedeutsamen – Thema auseinander gesetzt, das sich in dieser Tiefe in der bundesrepublikanischen Kindheits- und Jugendforschung bislang so nicht findet: die Frage, was Heranwachsende über Lernen, Schule und Bildung allgemein denken. Dabei zeichnet sich ‚LernBild‘ – wie im Übrigen auch ‚NRW-Kids‘ – dadurch aus, dass nicht nur quantitative Daten gesammelt wurden, sondern ebenso qualitative Daten (Aufsätze, Gruppendiskussionen).

Diese Verschränkung von quantitativen und qualitativen Erhebungsmethoden erlaubt tief gehende Einblicke in die Gedanken und Einstellungen der jungen Menschen. Viele Aspekte der ‚LernBild‘-Studie sind bislang noch nicht vollständig ausgewertet. Gegenwärtig ist die Studie unter anderem Grundlage für ein Gutachten, das von der Enquete-Kommission ‚Chancen für Kinder‘ des Landtags Nordrhein-Westfalen an MitarbeiterInnen des Siegener Zentrums für Kindheits-, Jugend- und Biografieforschung vergeben wurde, und das unter dem Titel ‚Die biografischen Folgen des Bildungssystems‘ in den kommenden Tagen veröffentlicht werden wird.
Weitere Publikationen – zu beiden Studien – werden folgen und sind in konkreter Vorbereitung (so wird nächstes Jahr ein Buch erscheinen, ‚In der Schule‘, das Befunde aus beiden Studien zusammenfasst).
Auch wenn die Datenerhebung nicht in diesem Jahr durchgeführt wurde, ist also zu unterstreichen, dass die Ergebnisse und Befunde nach wie vor Gültigkeit haben und als Basis für weitere Publikationen dienen werden. In diesem Sinne läßt sich ohne Übertreibung sagen, dass beide Studien so aktuell sind wie zum Zeitpunkt ihrer Durchführung. Der erste Teil der Auswertung beleuchtet die demografische Situation von Kindern und Jugendlichen und zeichnet ein Portrait dieser Generation. Im zweiten Teil werden Befunde zur Lernkultur von Kindern und Jugendlichen zusammengefasst; schließlich wird eine Deutung angeboten und ein Modell entwickelt, dass die Einzelergebnisse zu einem Gesamtbild verdichtet.


PD Dr. Imbke Behnken stellt nachfolgend stellvertretend für die Arbeitsgruppe die wichtigsten Ergebnisse vor:



Teil 1: Demografische Lage und Generationenportrait


Jungsein in einer alternden Gesellschaft


Erwachsene werden gebraucht, um Kinder vor Gefahren zu schützen, sie mit kulturellen Praktiken und Wissensbeständen vertraut zu machen und um ihnen persönliche Beziehungen mit reiferen Personen zu ermöglichen, in denen sie sich aufgehoben und geachtet fühlen.
(Diagramm: Junge Erwachsene und alte Bevölkerung in Deutschland)

Kinder und Jugendliche sind Ende des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal in der europäischen Geschichte eine demografische Minderheit. Die Erwachsenen und die Angehörigen der älteren Generation bilden die Mehrheitsgruppe. Dieser Fakt ist nicht allein in der Demografie festgehalten, sondern spiegelt sich ebenso in den alltäglichen Erfahrungen der heutigen Kinder und Jugendlichen wider. Auf die Frage „Was mich an meiner Wohnumgebung stört“, erreichte die Nennung: „Zu wenig Kinder/Leute in meinem Alter“, Rang eins.

Welche politischen und sozialen Risiken erwachsen aus der Position einer demografischen Minderheit für die Jüngeren? Drei Aspekte seien genannt: Die ‚demografische Balance‘ zwischen Jung und Alt ist gestört. Die ‚Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen‘ ist gefährdet. Es besteht die Gefahr einer politischen Diskriminierung der jüngeren Generation.
Zur Rolle der jüngeren Altersgruppen als Wähler: In repräsentativen Demokratien ist es bekanntlich nicht unwesentlich, wie viele Wähler die einzelnen Altersgruppen zu stellen vermögen. Je geringer der Anteil der Jüngeren an der Bevölkerung wird, um so weniger ‚zählen‘ sie und ihre Interessen in der und für die Politik. Die ‚demografische Balance‘ (Qvortrup 1994) zwischen der jüngeren und der älteren Generation droht so in den alternden Gesellschaften Europas verloren zu gehen, und damit steht die Sicherung der ‚Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen‘ auf dem Spiel. Die Unzufriedenheit mit der Berücksichtigung der Interessen junger Menschen durch die Politik – die eben aus der Verschiebung des demografischen Gleichgewichts resultiert – lässt sich im Zeitvergleich eindrücklich belegen:
(Diagramm: "Glaubst Du, dass die Regierung genug tut")


Der Zeitvergleich macht den dramatischen Vertrauensverlust der Regierung in der Einschätzung von Jugendlichen deutlich. 1950 glaubten die Hälfte der befragten Jugendlichen, die ‚Regierung‘ würde „genug für Kinder und Jugendliche“ tun; 1984 – die Jahre der hohen Arbeitslosigkeit – waren es ein Viertel, und 2001 sind es nicht einmal mehr ein Fünftel der Befragten, die der Regierung ihr Vertrauen aussprechen. Was jedoch sollte die Regierung mehr für junge Menschen tun. Was wünschen sich die Jugendlichen?
(Diagramm: "Was sollte die Regierung mehr tun?")

Es ist die Knappheit an Arbeits- und Ausbildungsplätzen, die die Jugendlichen vorrangig beschäftigt, aber auch die Forderung ist virulent, dass allgemein mehr für die jungen Menschen getan werden muss und mehr Freizeitangebote zur Verfügung gestellt werden müssen. Es ist möglich, dass diese Forderungen in den nächsten Jahren seitens der Jugendlichen noch drängender werden, da nicht auszuschließen ist, dass das demografische Übergewicht der älteren Generation(en) dazu führt, dass diese Generation(en) zunehmend die Nutzung des öffentlichen Raumes bestimmen und diesen für ihre eigenen Interessen in Anspruch nehmen. Überspitzt formuliert, könnte dies dazu führen, dass der öffentliche Raum, in dem sich Kinder und Jugendliche ihren Interessen gemäß bewegen können, immer enger wird.

Die Wissenslücke der erwachsenen Generation – Kindheits- und Jugendforschung als Ersatz?

Bei sonst gleichen Umständen haben demographische Minderheiten eine größere Chance, Mitglieder der demographischen Mehrheit kennen zu lernen und mit ihnen sozial zu verkehren. Und umgekehrt haben Angehörige einer Mehrheit geringere Chancen des Umgangs mit Angehörigen einer Minderheit. Ungleiche Kontaktmöglichkeiten entsprechen unterschiedliche, auf Erfahrungen aus erster Hand beruhende Wissensbestände über die jeweils andere Generation. Das Wissensdefizit unter der älteren Generation in Europa über die Verfasstheit der Kinder und Jugendlichen wächst, und die junge Minderheit erscheint der alternden Mehrheit wie eine Fremdgruppe. Der Wissensmangel wird verstärkt durch soziale Barrieren; die moderne Kindheit ist in private Familienwelten und in ein halböffentliches Bildungssystem eingeschlossen, jeweils von Eltern und LehrerInnen bewacht.

Gleichzeitig ...
- produzieren moderne Gesellschaften einen öffentlichen Diskurs über die Befindlichkeit der jüngeren Generation: mediale Diskurse und Konstrukte; Bilder werden für die ältere Mehrheit über die ‚unbekannte‘ junge Minderheit generiert.
- floriert die Kindheits- und Jugendforschung. Sie dient dazu, den öffentlichen Diskurs über die jüngere Generation mit aktuellen Wissensbeständen zu unterfüttern und zu legitimieren.
Schauen wir uns einmal die Haushalte in Deutschland in demograpfischer Perspektive an und stellen die Frage, wie steht es mit der Anzahl der Kinder?


Junge und alte Bevölkerung

Alle Haushalte der Erwachsenen:
über 50 % kinderfrei
Haushalte ökonomisch aktiver Erwachsener (bis 55. Lebensjahr):
37 % kinderfrei



Gerade in einer Zeit, in der das Erfahrungswissen über die jüngere Generation bei den Erwachsenen rar wird, das demographische Ungleichgewicht zwischen den Generationen die Gesellschaft zu Ungunsten der heranwachsenden Generation verändert, bedarf es in besonderem Maße einer Kindheits- und Jugendforschung, die die Perspektive der Kinder und Jugendlichen advokatorisch vertritt und in den Mittelpunkt ihrer Forschungsbemühungen rückt. Diese Perspektive war immer und ist nach wie vor das Markenzeichen des Siegener Zentrums für Kindheits-, Jugend- und Biografieforschung. In zahlreichen Studien standen immer wieder die Selbstbilder und Selbstwahrnehmungen der Heranwachsenden im Fokus. Aus zwei dieser Studien – der Studie ‚NRW-Kids‘ und der Studie ‚LernBild‘ – stammt das nachfolgende Portrait der ersten Generation des 21. Jahrhunderts.


Ein Portrait der jungen Generation.
Zur generationalen Lagerung von Kindern und Jugendlichen

Wir haben uns wohl angewöhnt, Jung und Alt mit öffentlichen Medienbildern zu belegen: Beiden Altersgruppen werden eindeutige Rollen zugeschrieben; diese Rollen repräsentieren polar einander entgegengesetzte soziale Charaktere. Der jungen Generation fällt dabei die Rolle zu, gegen die überlieferten Ordnungen der Väter und Mütter zu rebellieren. Die ältere Generation tritt, am anderen Pol, als Bewahrer dieser Ordnungen auf. Diese Rollenzuweisungen bestimmten unsere Vorstellung von Jugend in den Umbrüchen der Moderne im vergangenen Jahrhundert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stimmen die alten Zuschreibungen und die alten Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts jedoch nicht mehr. Gegenwärtig formiert sich in Deutschland eine junge Generation, deren Orientierung und deren Mentalität anders ist. Der radikale Wandel von Jugend wird, neben vielen anderen Hinweisen, nachdrücklich durch repräsentative Jugendstudien dokumentiert, welche die aktuellen Werte und Lebensweisen der jungen Generation zu Beginn des neuen Jahrhunderts rekonstruieren.

Einige Blitzlichter können die Grundstimmung in der neuen Generation charakterisieren:
- Jugendliche blicken optimistisch in die Zukunft und suchen private Lösungen für ihren Lebensweg. Ihr Credo lautet: „Man sollte sein Leben leben und froh sein, wenn man nicht von außen belästigt wird“. Der Anteil derer, die diesem Satz zustimmen, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt.
(Graph: "Man sollte sein Leben leben")

-Sie akzeptieren erwachsene Vorbilder, insbesondere Eltern und aktuelle Stars (besonders aus Musikbranche und Profi-Sport). Der Blick in die Vergangenheit verdeutlicht die Sonderstellung dieser Generation. Eine derart hohe Zustimmungsquote hat es seit Beginn der Jugend-Forschung in den 1950er Jahren noch nicht gegeben: heute akzeptiert über die Hälfte der Befragten ein erwachsenes Vorbild. Zum Vergleich: 1984 gaben nur 24 Prozent der 15- bis 17- jährigen an ein Vorbild zu haben, 1996 lag die Quote sogar nur bei 20 Prozent.
- Die Mutter nimmt in der Vorbild-Frage eine deutlich dominierende Stellung ein, während der Vater gegenüber dem Sportler als Vorbild eine untergeordnete Position einnimmt (dies gilt vor allem im Alter zwischen zehn und 16 Jahren).
(Graph: Vorbilder Jungen und Mädchen)

- Die Heranwachsenden finden die Erziehung im Elternhaus liberal, möchten ihre Kinder einmal so erziehen, wie die Eltern es ihnen vorgelebt haben, und engagieren sich im Besonderen für die Belange der eigenen Familie.
(Graph: Erziehen nach Beispiel der Eltern)

Der Anteil der Jugendlichen, die „wie ihre Eltern erziehen wollen“ erreicht in dieser Generation ihren Höhepunkt. Die Jahrzehnte des Aufbegehrens gegen die eigenen Eltern sind vorbei, die junge Altersgruppe honoriert mit ihrer Zustimmung die vergleichsweise liberale Erziehung (‚Verhandlungshaushalt‘) der heutigen Eltern-Generation.

Auf den Punkt gebracht: Die wahren Gewinner in der erwachsenen Generation sind die eigenen Eltern. Sie werden am häufigsten als persönliche Vorbilder genannt. Über die richtige Erziehung wird zwar öffentlichkeitswirksam und kontrovers diskutiert. Kinder werden als fordernde Tyrannen dargestellt, Bestsellerautoren kündigen das Ende der Erziehung an. Die überwiegende Mehrheit der heutigen Generation hingegen findet den Erziehungsstil ganz in Ordnung.
Das Einverständnis mit der Elterngeneration geht Hand in Hand mit einem allgemeinen Einverständnis mit der Institution der Familie. Dabei sieht der Großteil der Jugendlichen die Familie nicht als Kleinfamilien-Haushalt an, der auf Eltern und Kinder beschränkt ist, sondern als ein dichtes soziales Netzwerk, das über den eigenen Haushalt hinausweist. Dazu gehören in erster Linie die noch lebenden Großeltern und die eigenen Geschwister, ferner ältere und gleichaltrige Verwandte, die Freunde des Hauses – und nicht zuletzt die geliebten Haustiere, die besonders für die jüngeren Jugendlichen wichtig sind.

Zum Profil dieser Generation gehören allerdings auch Schattenseiten und Untiefen. Erst wenn wir diese, gleichfalls durch unsere Untersuchungen belegte Seite ausleuchten, gewinnt das Profil an Tiefenschärfe, und auch einige ungeklärte Paradoxien in Mentalität und Lebensentwurf dieser Generation werden sichtbar. So zeigen die Heranwachsenden zwar was ihre Einschätzung der gesellschaftlichen als auch der eigenen persönlichen Zukunft betrifft, eine optimistische Grundstimmung ....
(Diagramm: "Wie siehst Du die Zukunft"?)

... aber sie sehen tiefschwarz, wenn es um die globale Zukunft unserer Welt geht. Weder das Problem der Arbeit, noch das der Umwelt noch das des Friedens halten sie für lösbar. Insbesondere der Politik werfen sie Versagen vor, wobei die Politiker stellvertretend als Sündenböcke für die Gesellschaft der Erwachsenen herhalten müssen.
(Diagramm: Eine optimistische Generation sieht schwarz)

Zukunftswünsche und -vorstellungen

Die meisten Jugendlichen erträumen sich eine geglückte Standard-Biografie, in der neben einer guten Ausbildung Familie, Ehepartner, Kinder, eigenes Haus mit Garten, Auto, Urlaubsreisen und Geld eingeschlossen sind. Wünsche für das eigene Leben: „Schreib mal zwei Dinge auf, auf die Du stolz bist, wenn Du sie in deinem Leben erreichst. Denke bitte dabei an die Zeit, wenn Du erwachsen bist.“ Haben wir es mit einer Generation von Individualisten zu tun, die ihren Weg in Karriere und materiellem Reichtum suchen oder steht soziales Engagement für die Heranwachsenden auf dem Programm?
Die Antworten der zehn- bis 18-jährigen stehen den Werten und Zielen, die gerne in Alltagsgesprächen heraufbeschworen werden, diametral entgegen. Kinder und Jugendliche skizzieren das Bild einer Generation, die ihr Glück, ihre Zufriedenheit im privaten Bereich erhofft. Im „Berufsleben klar zu kommen, erfolgreich zu sein“ und „eine glückliche Familie zu gründen und zu haben“ sind die Dinge, die Kinder und Jugendliche erreichen möchten. Auch der 3. und 4. Rang beziehen sich mittelbar auf berufliche Leistungen und die (Gründung einer) Familie: Gute Schulleistungen als Voraussetzung für beruflichen Erfolg und das eigene Haus als Heim für die Familie dienen jeweils als Basis. Die Mehrheit der zehn- bis 18-Jährigen wählt den Berufsbereich als Bezugspunkt. Über die Hälfte von ihnen würde stolz sein, wenn sie den Eintritt in das Berufsleben und den beruflichen Erfolg bewältigen würden. Eine vergleichbare Rangordnung der beiden ersten Plätze finden wir in der Jugendstudie von 1984, also der Studie über die ‚grüne, No-Future-Jugend‘. Das heißt, die Zukunft entlang einer beruflichen und familiären Normalbiografie zu gestalten, wurde und wird – damals wie heute – nicht in Frage gestellt.
(Diagramm: Die vier Spitzenplätze - Mädchen und Jungen)

 


NRW-Kids

Im Rahmen der Studie ‚NRW-Kids‘, die vom Siegener Zentrum für Kindheits, Jugend- und Biografieforschung (SiZe) im Auftrag des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit durchgeführt wurde1, sind zwischen August und Oktober 2001 knapp 6.000 zehn- bis 18-Jährige schriftlich befragt worden. Beteiligt waren rund 350 Schulklassen an über 160 allgemein bildenden und beruflichen Schulen vom 4. bis zum 12. Jahrgang (mit Ausnahme der Sonderschulen). Die Studie ist für das größte Bundesland – Nordrhein-Westfalen – repräsentativ. Die Stichprobenziehung beruhte auf einer mehrstufigen Zufallsauswahl von Schulklassen – Strata: Region, Schulform, Klassenstufe – auf der Basis des amtlichen Schulverzeichnisses für NRW.
Die Untersuchung war als so genannte ‚Panoramastudie‘ konzipiert, das heißt sie versuchte, möglichst viele Themen und Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Zur Umsetzung der Themenvielfalt wurden verschiedene Fragebogen-Module eingesetzt: Einige Fragen – wie zum Beispiel nach dem Alter, dem Geschlecht oder der besuchten Schulform u. a. – waren dabei für alle Befragten gleich. Sie bildeten den Basisteil des Fragebogens. An den Basisteil schlossen sich jeweils Fragen an, die sich auf spezifische Themenbereiche bezogen und die jeweils nur von einem Teil der Jugendlichen ausgefüllt werden sollten. Ein Verfahren, das bereits in der ebenfalls vom Siegener Zentrum durchgeführten Schülerstudie 1990 (Behnken et al. 1990), mit Erfolg eingesetzt worden war. Die Kinder und die Jugendlichen erhielten dabei unterschiedliche, aufeinander bezogene Versionen der Fragebögen. Beide Fragebögen enthielten weitgehend identische Fragen. Der Fragebogen für die Kinder war allerdings kürzer und umfasste entsprechend weniger Fragen.
Die Verwendung von Fragebogen-Modulen ermöglichte eine – rechnerische – Befragungszeit von etwa sechs Stunden. Den – quantitativen – Hauptteil des Fragebogens bildeten geschlossene und offene Fragen. Diese Verengung auf Vorgegebenes kann aber in der Kinder- und Jugendforschung nicht befriedigen. In der Tradition der Shell Studien der 1980er-Jahre und der Schülerstudie 1990 wurden die Befragten deshalb in einem Modul aufgefordert, einen freien Aufsatz über ihre Zukunftspläne und -ängste zu schreiben (Thema: „Wie ich mir meine persönliche Zukunft vorstelle“). Hier bot sich den Heranwachsenden die Möglichkeit, unabhängig von den Schablonen standardisierter Fragen- und Antwortvorgaben über sich und ihre Zukunft zu reflektieren. Die systematische qualitative Analyse dieser Aufsätze eröffnete eine Vielzahl unerwarteter und ungewöhnlicher Einblicke in das Leben der zehn- bis 18-Jährigen.


 


LERNenBILDung

Im Mittelpunkt dieser Studie, die im Herbst 2003 mit knapp 2.000 zehn- bis 18-jährigen SchülerInnen – repräsentativ für das Bundesland Nordrhein-Westfalen ausgewählt – durchgeführt wurde, stand das Thema Bildung, Lernen und Schule aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen. Um die Perspektive der jungen Menschen zu erfahren, haben wir unterschiedliche methodische Wege gewählt. Einer dieser Wege war, den Kinder und Jugendlichen standardisierte Fragebögen vorzulegen, die sie während zweier Schulstunden ausfüllen sollten. Die Fragebögen waren in zwei Teile (Module) aufgegliedert – ein Verfahren, das so auch in der Studie ‚NRW-Kids‘ eingesetzt wurde (siehe oben). Einige Fragen richteten sich an alle Befragten (Basisfragen) – wie zum Beispiel die Fragen nach dem Alter, nach dem Geschlecht oder der besuchten Schulform. Während die Hälfte der Befragten am Ende der Basisfragen mit der Bearbeitung des zweiten Teils des Fragebogens begann, wurde die andere Hälfte der Kinder und Jugendlichen gebeten, einen Aufsatz zu ihren Hobbys zu schreiben. Neben der Übernahme erprobter Instrumente aus der Forschung – wie zum Beispiel die Fragen nach der Unterrichtsqualität oder den Fragen zur intrinsischen Lernmotivation – stand im Mittelpunkt die Konstruktion eigener Instrumente, um die Lebenswelt und die Perspektive der jungen Menschen so authentisch wie möglich einzufangen. Zu den eigenen Instrumenten gehören beispielsweise die Frage wie sich die Heranwachsenden beim Lernen in der Schule fühlen, was man tun muss, um in der Klasse beliebt zu sein und welche Fähigkeiten und Fertigkeiten die jungen Leute für sich selbst als wichtig erachten bzw. gerne besitzen würden. Neben der standardisierten Befragung wurden im Rahmen der Studie noch eine Reihe von Gruppendiskussionen mit Kindern und Jugendlichen geführt. So verknüpft die Studie LernBild – wie bereits die Studie ‚NRW-Kids‘ – quantitative mit qualitativen Datenerhebungsverfahren.





1 zusätzlich gefördert durch die Universität Siegen, den Kreis Siegen-Wittgenstein und die Stadt Siegen

 

Teil 2


Verfasser: Imbke Behnken/ Sabine Maschke/ Ludwig Stecher/ Jürgen Zinnecker

Text, Graphen und Diagramme sind frei zum Wiederabdruck

Ansprechpartner

PD Dr. Imbke Behnken
Universität Siegen
Siegener Zentrum für Kindheits-, Jugend-, und Biographieforschung (SiZe)
Adolf-Reichwein-Straße 2
57068 Siegen
Telefon: ++49 271 740 4951
Telefax: ++49 271 740 2139
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