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Call for Papers „Zur Aktualität der Bohème nach 1968“

 In Henri Murgers "Scènes de la vie de bohème" findet die historische Bohème ihre exemplarische Charakteristik; sie sind in ihrer Anti-Bürgerlichkeit und emphatischen Absage an konsensfähige Werte und Moral programmatisch und dienen als Anknüpfungspunkt und explizite Referenz in Selbstbeschreibungen, wie gegenwärtig der 'digitalen Bohème' um die Berliner Zentrale Intelligenz Agentur. Ihre Attraktivität gewinnt die Bohème aus ihrer Eigenschaft als heterogenes Milieu, in dem sich Bürgersöhne mit künstlerischen Ambitionen ebenso tummeln wie gescheiterte Schriftsteller, Journalisten wie Projektemacher. Als "gegenbürgerliche Subkultur des künstlerisch-intellektuellen Lebens" (Kreuzer) stellt sie konventionelle Lebensentwürfe zur Disposition und Alternativen zur Verfügung; ihr Auftreten ist dabei weniger Zeichen einer besonderen Krisenhaftigkeit des Bürgertums als vielmehr dessen ständiger Begleiter. Sie stellt klassische Dichotomien wie Bohème/Philister bzw. Bohème/Bürgertum insofern in Frage, als sich in ihr gerade auch moderne bürgerliche Werte entfalten, nämlich Erfindungsgeist, Innovation, Ausfindig- und Nutzbarmachen lukrativer Nischen. Als Auffangbecken für wenig massentaugliche sub- oder gegenkulturelle Entwürfe pflegt die Bohème ein ambivalentes Verhältnis zur Massenkultur, wenn ihre Protagonisten gleichzeitig maßgebliche Lieferanten des Boulevards darstellen und als Medienakteure und -kritiker fungieren.

Die geplante Tagung nimmt bohemistische Phänomene nach 1968 in den Blick und fragt nach der Aktualität der Bohème und ihren Transformationen: In welcher Form finden nach 1968 Anknüpfungen an historische Bohèmeformationen statt? Die These vom Ende der Bohème ist beinahe so alt wie diese selbst: "Gibt es denn überhaupt noch eine Bohême und in ihr lebende Bohêmes?", fragt Karl Eugen Schmidt 1909 in "Pariser Typen": "Aber freilich! Die wird es geben, solang es Menschen gibt." Dem gegenüber steht der postulierte "Wiederaustritt aus dem ästhetischen Diskurs des 20. Jahrhunderts" (Joachimides): Geht die Bohème schlicht in Jugendkulturen auf, die als Abweichung im Übergangsstadium gesellschaftlich toleriert werden? Oder machen die '68er' und die von ihnen angestoßene "Auflösung einer im Moralischen und Sozialen fixierten bürgerlichen Welt" (Martini) die Bohème als Opposition insofern überflüssig, als Marginalität und Abweichung ins Zentrum gelangen (siehe 'Massenbohème', Bobos, 'creative class' – bzw. auch Jürgen Kaubes These vom "Aufstieg der Minderheiten")?

Es bleibt gleichwohl festzuhalten, dass etwa die 1968 und in den Folgejahren florierende Kritik der Bild-Zeitung als 'klassische' bohemistische Medienkritik auftritt – während das intrikate Verhältnis von Bohème und Boulevard, von Literatur und Massenmedien erhalten bleibt. Der Fokus wäre also insbesondere auf das mediale, literarische und künstlerische Leben der 1970er und 1980er Jahre zu richten, auf die Entstehung von alternativen Verlagen (z.B. März, Edition Nautilus, Zweitausendeins) und Alternativzeitschriften, auf die Landkommune-Bewegung, auf die Kunstszene (Sigmar Polke, "Wir Kleinbürger – Zeitgenossen und Zeitgenossinnen") wie auf Musik- und Jugendkultur (z.B. Punk). Die Frage nach dem Zusammenspiel zwischen journalistischem und literarischem Schreiben stellt sich neu angesichts einer im Wandel begriffenen Öffentlichkeit, die auf veränderte Lese- und Rezeptionsbedingungen reagieren muss. Das plakative Schlagwort von der 'digitalen Bohème' wäre insofern hinsichtlich einer sich verändernden Öffentlichkeit und eines neuen Marktes auf ihren Bohème-Charakter zu befragen.

Mögliche weitere Themen:
- Stadtbohème/Provinzbohème
- Bohème und Dandyismus
- Kann es eine Bohème im Netz geben?
- Urbanitätsphänomene, creative class, Gentrifizierung, Stadtgeographie
- Medien und Medienkritik der Bohème
- Frauen und Feminismus in der Bohème
- Verhältnis von Bohème und Jugendkultur, Massenkultur, ästhetischen Sub- bzw. politischen Gegenkulturen, Avantgarde

Für die interdisziplinäre Tagung (Sprachen: Deutsch und Englisch) werden Vorschläge aus den Literatur-, Geschichts-, Kultur-, Sozial-, Kunst- und Medienwissenschaften erbeten.

Prof. Dr. Walburga Hülk-Althoff (Romanistik)
Prof. Dr. Georg Stanitzek (Germanistik)
Universität Siegen, Fakultät I

Ein kurzes Abstract (ca. eine Seite) für einen 30-minütigen Vortrag bitte bis zum 15. Juli 2011 an:
Dr. des. Catrin Kersten (catrin.kersten@uni-siegen.de)
und Nicole Pöppel, M.A. (poeppel@romanistik.uni-siegen.de)

 
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