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Abstracts

Abstracts der Vorträge zum

VI. Forschungstag Frankreich und Frankophonie

12.-13. April 2013, Universität Siegen


Maria Bartholomäus (Eichstätt-Ingolstadt):

Maisons de verre: Gläserne Architekturen und architektonisches Erzählen im modernen französischen Roman.

Zahlreiche realistische und naturalistische Erzähltexte arbeiten – in Analogie zu einer im 19. Jahrhundert primordial werdenden Architektur der Sichtbarmachung – mit Verfahren der Exposition, Enthüllung und Aufklärung. Der dabei augenfällige Rekurs auf optisch-architektonische Dispositive lässt vermuten, dass diese bei der räumlich-praktischen Umsetzung des realistisch-naturalistischen Programms eine Schlüsselrolle spielen. Primär aber verweist er auf einen weitgehend unerforschten Konnex zwischen der Poetologie dieser Literatur und der Konzeption moderner gläserner Architekturen. Literatur und Architektur lassen als Facetten eines gleichen Reflexionszusammenhanges ein epistemologisches Feld in Erscheinung treten, in dessen Zentrum ein Nachdenken über Wissen und Sehen, Sichtbarkeit und Lesbarkeit steht, welches kulturgeschichtlich bis in das 20. Jahrhundert nachwirkt.
Der skizzierte Zusammenhang wird fassbar, wenn einerseits auf der histoire-Ebene gläserne Architekturen als Erzählgegenstand untersucht werden und andererseits Transparenz als erzählerisches Verfahren auf der discours-Ebene in den Blick genommen wird. Neben der Auseinandersetzung mit architekturtheoretischen Problemen, die die Glasarchitektur als Bauform aufwirft, wird das Projekt durch die Besprechung kulturwissenschaftlicher Positionen zur Raumproblematik, das Nachdenken über einen die Visualität in der Moderne betreffenden Paradigmenwechsel und schließlich die Hereinnahme von architekturtheoretischen Transparenzkonzepten konturiert.  
Im Rahmen des Forschungstages soll am Beispiel Emile Zola vorgeführt werden, inwiefern aus dieser Annäherung an Prosa ein fruchtbares Instrumentarium der Textanalyse erwachsen kann, das selbst bei gut erforschten Texten einen hohen Erkenntnisgewinn verspricht.

Hartmut Duppel (Regensburg):

Schreiben in KZ-Haft – Französische Texte aus der Zeit 1940-1945

Der Vortrag hat das Ziel, ein soeben begonnenes Dissertationsprojekt vorzustellen, dessen Textkorpus französischsprachige Gedichte, Notizen, Kurztexte, Briefe und einen dramatischen Text umfasst, die zwischen 1940 und 1945 in deutschen nationalsozialistischen Konzentrationslagern verfasst wurden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, welche poetologischen Konstanten sich in den analysierten Texten ausmachen lassen, wie sich also die Erfahrungen der unmittelbaren Lagerhaft sowie literarischer Widerstand strukturell in den Texten niederschlagen. Anhand von Texten, die bisher keine oder nur unzureichende Beachtung in der literaturwissenschaftlichen Forschung gefunden haben, soll eine Gattung an Texten beschrieben werden, deren besonderes Signum ist, unter strengsten Haft- und unwürdigsten Lebensbedingungen und in ständiger Gegenwart von Gewalt und Tod entstanden zu sein. Zu dem Zwecke der gattungspoetologischen Untersuchung müssen die Texte zunächst unter makrostrukturellen Gesichtspunkten klassifiziert werden. Hier stehen die Fragen danach im Zentrum der Betrachtungen, welche äußere Form die Texte haben, auf welche literarischen Traditionen die Autoren in ihren Zeugnissen Bezug nehmen, welche Motivkomplexe angesprochen werden und welche Isotopien in den Texten ausgemacht werden können und schließlich die Frage danach, ob und wie die Texte auf den Lageralltag referieren.
In einem nächsten Schritt werden die Texte im Projekt einer mikrostrukturellen Betrachtung unterzogen. Große Teile betreffen daher die Untersuchung der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten erfahrener Gewalt. Ausgangspunkt ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem im aktuellen kultur- und literaturwissenschaftlichen Diskurs benutzten, teilweise instrumentalisierten Topos der „Unsagbarkeit“. Eingedenk der Tatsache, dass Gewalt und Schmerz in der Forschung als Größen verstanden werden, deren Kommunizierbarkeit als äußerst schwergilt, soll in der Dissertation ein besonderes Augenmerk auf die Vielfalt der „Schmerzrede“ gelegt werden.

François Ousmane Dupuy (Dakar):

Interkulturelle Vermittlung zwischen dem gegenwärtigen Afrika und Europa. Schwerpunkt: Literarische Übersetzung

Im Unterschied zu dem frankophonen und anglophonen Räumen, ist afrikanische Literatur südlich der Sahara im deutschsprachigen Raum fast ausschließlich als Übersetzung zu finden.  Es bietet sich an, die Wahrnehmung afrikanischer Literaturen in Europa bzw. im deutschen Kulturraum, ihre ästhetische Qualität im deutschsprachigen literarischen Feld und ihren möglichen Beitrag zu interkultureller Kommunikation zu analysieren.
Am Paradigma der heutigen interkulturellen Beziehungen zwischen Afrika und Europa (speziell Afrika südlich der Sahara und dem deutschen Kulturraum) möchte das angestrebte Forschungsprojekt die Bedeutung der interkulturellen Vermittlung im Zusammenhang mit der literarischen Übersetzung von Werken über Afrika untersuchen. Dies soll anhand von folgenden Werken analysiert werden: AMINATA SOW FALL: Die Rückkehr der Trommeln (2001), übers. von Cornelia Panzacchi, Originalausgabe: L´appel des arènes; FATOU DIOME: Der Bauch des Ozeans (2006), übers. von Brigitte Große, Originalausgabe: Le ventre de l'Atlantique; CHEIKH HAMIDOU KANE: Der Zwiespalt des Samba Diallo (1961), dt. Ausgabe  von János Riesz und Alfred Prédhumeau (1980).

Michaela Fischer (Graz):

Marginalphänomene des siècle de lumières: Die Spectateurs.

Untersuchungen zur Leserfigur

Das Zeitalter der französischen Aufklärung ist geprägt von ideologischen, politischen und sozialen Umbrüchen. Die mannigfaltigen Entwicklungen des Jahrhunderts auf dem Weg zur Revolution reifen unter Miteinbeziehung englischer Einflüsse hinsichtlich Gesellschafts- und Staatskonstitution. Diese Vorbildfunktion nimmt der Inselstaat auch im literarischen sowie journalistischen Bereich ein. Die Spectateurs sind als spezifische Zeitschriftenart zwischen diesen beiden Disziplinen anzusiedeln und beruhen auf dem englischen Modell, dem Spectator von Joseph Addison und Richard Steele. Das Promotionsprojekt beschreibt die französischsprachigen Übersetzungen und Nachahmungen des Vorbildes und fokussiert die Bedeutung der Leserrolle für die Charakteristik der Texte. Die Spectateurs fungieren nicht nur als Medium zur Verbreitung aufklärerischen Gedankengutes, sondern auch zur Reformierung der menschlichen Sitten und Verhaltensweisen im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Durch Verknüpfung verschiedener Erzählformen – wie Brief, Utopie, Traum, Allegorie, Fabel, Satire – wenden sich die Schriften an den lesebegeisterten, aufgeklärten Menschen der Zeit, nicht ohne auch explizit die Leserin mit einzubeziehen. Die Spectateurs operieren mittels eines Kommunikationssystems, welches neben der Leserfigur besonders die Autorinstanz inszeniert und auf spielerische Art und Weise die Inhalte darbringt. Die Auseinandersetzung mit der Autor- beziehungsweise Erzählerfigur schreibt sich in die Tradition des Authentizitätstopos des 18. Jahrhunderts ein, weshalb die bedeutende Stellung der Rezeptionsseite als Adressat der Verfassungsinstanz vordergründig erörtert wird. Zu diesem Zweck werden Strategien analysiert, die einerseits die Rezeption vorwegzunehmen scheinen und als lektüreleitend interpretiert werden können, die sich andererseits als Erzähltaktiken erweisen, die kennzeichnend für die Poetik der Spectateurs sind.

Stefanie Fritzenkötter (Trier):

„Moitié français, moitié anglais?“

Aspekte englisch-französischen Sprachkontaktes in der akadischen Jugendsprache an der Baie Sainte-Marie, Neuschottland/Kanada

In der kanadischen Provinz Neuschottland wurde 1605 die erste französische Kolonie in der Neuen Welt gegründet. Heute nutzen in dieser „Wiege der Akadie“ nur noch 1,9 %1 der Bevölkerung das Französische als Heimsprache. Die Baie-Sainte-Marie befindet sich im Südwesten der Provinz und ist in zweierlei Hinsicht das wichtigste akadische Gebiet Neuschottlands: Erstens nutzen noch immerhin 5545 Personen der 8650 Einwohner das Französische als Heimsprache und zweitens ist es auch hier, wo sich die einzige frankophone Universität Neuschottlands, die Université Sainte-Anne, befindet. Trotz dieser auf den ersten Blick stabilen Situation gehen die Sprecherzahlen auch in dieser Region mehr und mehr zurück: Das Französische ist zwar die dominante Heimsprache und auch Schulsprache, doch außerhalb des schmalen Küstenstreifens dominiert das Englische,. So verwundert es nicht, dass nur 2,8 % der Bevölkerung der Baie Sainte-Marie angeben, kein Englisch zu sprechen.
Es überrascht vor diesem Gesichtspunkt ebenfalls nicht, dass das Englische vor allem in der akadischen Jugendsprache in allen grammatikalischen Kategorien deutliche Spuren hinterlassen hat, ist es doch diese Generation, die am meisten von der angloamerikanischen Welt um sie herum beeinflusst wird.
In meinem Vortrag sollen ausgewählte englische Einflüsse auf die akadische Matrix vorgestellt werden. Anhand eines neunstündigen Gesprächskorpus, der im März 2011 von mir selbst unter Jugendlichen im Alter von 14 bis 26 Jahren in der Region aufgenommen wurde, soll der Frage nachgegangen werden, welche englischen Worte aus welchen Wortklassen und welche Strukturen von den Jugendlichen übernommen werden und wie diese im Bereich der Morphosyntax in die akadische Matrix integriert werden.

Theresa Hiergeist (Erlangen-Nürnberg):

Erlesene Erlebnisse. Zur Partizipation des Rezipienten an Romanen am Beispiel der Voyeurismus-Szenen aus A la recherche du temps perdu

Die Lektüre ist ein Abenteuer. Jeder Leser kennt sie aus seiner eigenen Erfahrung, die Momente, in denen er vom Roman mitgerissen wird, sich auf Figuren oder Handlung einlässt, als wären sie real. Wenn eine gruslige Atmosphäre einen so in Angst und Schrecken versetzt, dass man nach der Lektüre nicht einzuschlafen vermag; wenn man eine Verabredung verschwitzt, weil ein spannender Krimi einen die Zeit vergessen lassen hat; wenn man Mme Bovarys Ehebruch befürwortet und herbeiwünscht, obwohl man im Alltagsleben radikaler Verfechter der Treue ist; wenn man in der ästhetischen Erfahrung für einen Moment lang Intensität erfährt – dann lebt man den Roman und beteiligt sich an ihm.  Obschon der Erlebnischarakter einen maßgeblichen Grund für die Popularität der Kulturtechnik ‚Lektüre‘ darstellt, wird ihm in den Literaturwissenschaften verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit zuteil. Die Forschung verschreibt sich schwerpunktmäßig der Extraktion von Bedeutungen und Diskursen aus Werken und vernachlässigt darüber die konkrete Interaktion zwischen Text und Rezipient. Dies ist umso erstaunlicher, als Forderungen zur Integration der Präsenzdimension von Literatur eine Konstante vieler theoretischer Diskussionen darstellen. So stellt etwa Susan Sontag in ihrem Essay „Against Interpretation“ 1964 fest: „In place of a hermeneutics we need an erotics of art“ (Sontag, 1966: 8). Dieselbe Idee, wenngleich weniger plakativ formuliert, taucht 40 Jahre später in Hans Ulrich Gumbrechts Diesseits der Hermeneutik auf, wo die Geisteswissenschaften dazu aufgefordert werden, „zur Welt in ein Verhältnis zu treten, das komplexer ist als die Interpretation allein“ (Gumbrecht, 2004: 71). Nichtsdestotrotz wurden hieraus bislang kaum Konsequenzen für eine praktische Umsetzung der Beteiligung des Lesers an Romanen gezogen.
Mein Dissertationsprojekt setzt es sich zum Ziel, die unterschiedlichen Formen der Partizipation des Rezipienten an narrativen Texten herauszuarbeiten und zu systematisieren. Es beobachtet, wie sich die Wechselbeziehung von Werk und Leser im Einzelfall gestaltet, welche Funktionsmechanismen ihr zugrunde liegen und wie sich über das Zusammenspiel unterschiedlicher Beteiligungsoptionen die Romanwirkung konstituiert. Darauf gründend möchte es eine operable Klassifikation für das Spektrum der Beteiligungsformen an narrativen Texten entwickeln. Dieses Konzept oszilliert zwischen zwei Polen: den textuellen Vorgaben einerseits und deren Verarbeitung durch den Leser andererseits. Es ergibt sich folglich in methodologischer Hinsicht eine Kombination aus narratologischer Analyse und Erkenntnissen zur Textverarbeitung aus den Kognitionswissenschaften und der Psychologie.
Der Vortrag möchte anhand der Voyeurismusszenen aus A la recherche du temps perdu exemplarisch die Möglichkeiten des Lesers aufzeigen, sich emotional, motivational, kognitiv, evaluativ und ästhetisch an Romane zu binden. Er legt dar, inwiefern der Erzählrhythmus, die Reliefgebung sowie die partielle Unglaubwürdigkeit der Vermittlungsinstanz in diesen Passagen dazu beitragen können, ihn zu einer Auseinandersetzung mit der pervertierten sexuellen Identität nicht nur der Figuren, sondern auch des Erzählers zu bewegen. Dabei handelt es sich um eine Beteiligungskonstellation, die an der Grenze zwischen Werk und Leser nicht Halt macht, sondern letztendlich auch die Integrität des Rezipienten infrage stellt.


Susanne Kaiser (Berlin):

Körper erzählen. Geschichten, Sprache und Gesellschaft in Körperkonzepten von Assia Djebar und Tahar Ben Jelloun

In den Werken der aus Algerien und Marokko stammenden Autoren Assia Djebar und Tahar Ben Jelloun ist der Körper das zentrale Medium des Erzählens. Ihre Literatur stellen sie explizit in die Tradition der mündlichen Volkskultur des Maghreb, in welcher mit Stimme, Gesten, Blicken, Händen und Füßen erzählt wird. Als Ergebnis des Paradigmenwechsel von der mündlichen Erzählweise zum postkolonialen Roman durch die kolonialen Einflüsse reflektieren die Texte ihre eigene Genealogie und dabei auch die spezifische Rolle des Körpers. Im metanarrativen Kommentar werden mediale Aspekte des Körpers diskutiert und verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, die Beziehung zwischen Körper und zu erzählender Geschichte zu begreifen. Die zugrunde liegenden Konzepte reichen von einem in der sufischen Tradition Nordafrikas verankerten monistischen Verständnis von Geschichten als Essenz im Körper, die nicht nur durch Erzählen, sondern – so bei Djebar – auch über körperliche Sekrete wie Speichel übermittelbar ist, bis hin zu performativen Vorstellungen, welche die Entstehung einer Geschichte im Akt des Erzählens verorten. In Ben Jellouns Erzählwerk finden sich auch Konzeptionen von Geschichten als selbstständig existierenden Wesen, die den Körper des Erzählers bewohnen, sowie das Motiv des besessenen Dichters, in dessen Körper ein Dschinn haust, der seinem Wirt Geschichten einflüstert. Beide Autoren entwickeln in ihrem jeweiligen erzähltheoretischen Ansatz spezifische Konzepte einer „Verkörperung“ des Erzählens.
Besonderes Augenmerk der Romane liegt auf der Wechselwirkung zwischen Körper und Kolonialsprache. So wird die französische Sprache in einer dezidiert körperlichen Metaphorik und Metonymik als Fremdkörper dargestellt, als Gefühlsaphasie, Nessusgewand, Schleier oder besetztes Haus. Sie wird mit Materialisierungs- und Transformationsprozessen in Zusammenhang gebracht wie Geburt, Diebstahl oder somatischen Wirkungsweisen. Mit Merleau-Pontys phänomenologischem Theorieansatz kann gezeigt werden, dass beide Autoren Sprache als etwas verstehen, das zur Sphäre des Körpers gehört und daher in das Körperschema integriert wird. Dies ist vor dem Hintergrund des Status des Französischen als Fremd- und Kolonialsprache mit besonderen Implikationen für den Körper verbunden.  Einen weiteren wichtigen Komplex bildet das Thema der (post-)kolonialen Gesellschaft, die anhand des Körpers dargestellt wird. An Blicken, Händen, Gesten, Habitus, Körperpraktiken oder Disziplinartechniken wird die Narration entfaltet und Gesellschaft inszeniert und verhandelt. Sozialordnungen, Machtverhältnisse, Hierarchien, Werte und Normen werden in ihrer Verkörperung beschrieben und gezeigt: in Unterwerfungsgesten, sezierenden und fragmentierenden Blicken, Zwangshandlungen und Ticks oder verräterischen Körperäußerungen. Genauso werden Akte der Transgression als Trancen, Maskeraden oder strategische Androgynie aufgezeigt. Die Sprache des Körpers wird so zur Sprache der Romane von Assia Djebar und Tahar Ben Jelloun.

Alexandra Preitschopf (Salzburg):

„Antisemitismus der Exklusion“? Zur Frage muslimischer Identitätsbildungen im zeitgenössischen Frankreich zwischen Integration, Desillusion und antijüdischen Ressentiments

Insbesondere seit dem Jahr 2000 (bzw. seit dem Ausbruch der Zweiten Intifada) ist in Frankreich die Rede von einem „neuen“ Antisemitismus, der sich zum einen in einer deutlichen Zunahme antisemitischer Vorfalle, Beschimpfungen und tätlicher Übergriffe auf jüdische Personen oder Einrichtungen manifestierte, zum anderen in einem offenbaren Anstieg „neuer“ antisemitischer bzw. insbesondere israelfeindlicher Ressentiments und Denkmuster. Diese Problematik bildet den Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen und medialen Debatte um einen Antisemitismus, der in Frankreich u. a. auch von muslimischen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen mit maghrebinischem oder schwarzafrikanischem Migrationshintergrund bzw. von (zumeist muslimischen) Jugendlichen in sozial problematischen Vororten französischer Großstädte, den Banlieues ausgeht. Gerade im Zusammenhang um dortige antisemitische Vorfalle wurde seitens der französischen Öffentlichkeit auch von einem „Import“ des Nahostkonflikts, welcher sich in Frankreich in „interkommunitäre“ Spannungen zwischen der jüdischen und muslimischen Gemeinde übersetze, gesprochen: D.h. der Solidarität einiger französischer Jüdinnen und Juden mit Israel stehe die Solidarität bzw. Identifikation arabisch-muslimischer Jugendlicher mit den Palästinensern gegenüber, ein Umstand, der insbesondere in französischen Vorstädten (in denen muslimische und jüdische EinwandererInnen aus dem Maghrebraum bis heute z. T. Tür an Tür leben) sicherlich ein gewisses Konfliktpotential in sich bergen kann. Letztlich reicht dieser Erklärungsansatz allerdings keineswegs aus, um tiefere Ursachen und Motive für antisemitische Ressentiments und Handlungen gerade von aus den Banlieues stammenden Jugendlichen zu erfassen. Vielmehr sind, wie im französischen Diskurs bisher vor allem seitens der soziologischen Literatur betont wurde, die Ursachen für den „neuen“, „muslimischen“ Antisemitismus zu einem wesentlichen Teil auch in „innerfranzosischen“ Problematiken zu sehen (bzw. im Kontext der französischen Einwanderungs- und Integrationspolitik) sowie in globaler Hinsicht im Spannungsfeld nationaler, ethnischer und religiöser Identitätsbildung(en).
Nach wie vor steht eine umfassende, explizite Forschung zum Phänomen eines „muslimischen“ Antisemitismus in Frankreich jedoch aus, wobei gerade Diskurs- und Medienanalysen noch ein weitgehendes Forschungsdesiderat darstellen, dem im Zuge des Dissertationsprojektes begegnet werden soll. Zum einen geht es hierbei darum, antisemitische Manifestationen im öffentlichen Raum in den Blick zu nehmen. Welche Vorfalle lassen sich diesbezüglich anfuhren? Wie reagierte und reagiert die französische Politik auf sie? Und wie wurde und wird dieser seitens der französischen Medien thematisiert? Auf einer weiteren Untersuchungsebene hinzu kommen antisemitische Manifestationen im medialen und virtuellen Raum. Besonders „reichhaltige“ Quellen stellen hierbei die neuen Medien bzw. das Internet dar. So bieten diverse Internetseiten, Internetforen oder -blogs mit islamischen (bis hin zu islamistischen) Thematiken (bzw. insbesondere auch hinsichtlich der Thematisierung und Darstellung des Nahostkonflikts) in Form von Artikeln, Kommentaren, Karikaturen, Videos u.a. ein äußerst umfassendes Quellenmaterial, anhand welchem exemplarisch verschiedene Meinungsbilder aufgegriffen und verglichen werden können. Als dritter Untersuchungsgegenstand bieten sich Manifestationen im kulturellen Bereich an. Quellen hierzu lassen sich beispielsweise in der Musikkultur, insbesondere in der, vor allem auch unter jungen MuslimInnen beliebten, französischen Rap- und Hip-Hop-Musik finden. Was die Musiktexte an sich betrifft, so sind diese in sich als relativ vielschichtig einzuschätzen, wobei – neben religiösen Bezügen bzw. Bezügen zum Islam – ein zentrales Moment in vielen Texten eine starke Identifikation mit anderen muslimischen „Opfergruppen“, hauptsachlich mit den Palästinensern, deren Situation in weiterer Folge oft in Bezug zur eigenen Situation als Muslim oder Muslimin in Frankreich gebracht wird, darstellt.
Zentral für die Analyse dieser verschiedenen zeitgenössischen Quellen ist insbesondere ihre Verortung in einem gesamtgesellschaftlichen, soziopolitischen Kontext: D.h. welche Rolle spielt in Frankreich etwa die generelle Debatte um die Zukunft „nationaler Identität“, um Laizismus, Integration und Multikulturalismus? Welche Erkenntnisse lassen sich über die Untersuchung antisemitischer Manifestationen zur gesellschaftlichen Situation von französischen MuslimInnen an sich gewinnen? Wie prägen einerseits Erfahrungen von Desintegration, Rassismus und Ausgrenzung, andererseits jedoch auch Tendenzen zu gewollter Abgrenzung, Desidentifikation mit der französischen Nation, Tendenzen hin zu religiöser Radikalisierung und gewisse transnationale Solidarisierungsphänomene mit anderen muslimischen „Opfergruppen“ antisemitische Denkmuster mit? Inwiefern können diese Faktoren Einfluss nehmen auf die grundsätzliche Positionierung, die Selbstbehauptung als Muslim oder Muslimin innerhalb der französischen „Mehrheitsgesellschaft“? Als „Endprodukt“, als Konsequenz welcher zum einen spezifisch französischen und zum anderen globalen Entwicklungen kann Antisemitismus unter Teilen der französisch-muslimischen Bevölkerung also letztlich beschrieben werden: Soll subsumierend von einem (muslimischen) „Antisemitismus der Exklusion“ gesprochen werden oder ist der Begriff langst nicht ausreichend um die komplexen ihm zugrunde liegenden soziopolitischen Strukturen zu erfassen?

Kathrina Reschka (Frankfurt/Main):

Der Fall Madeleine Bourdouxhe. Zu den Interdependenzen von Verlagswesen und Autorinnenbiographie bei Gallimards Ablehnung des Manuskripts Mantoue est trop loin (1956/65?)

Die belgische Schriftstellerin Madeleine Bourdouxhe (1906-1996) hat mit ihrem Debütroman La Femme de Gilles (1937) ein von der Literaturkritik gefeiertes Werk vorgelegt, das heute in Belgien kanonisiert ist und zur Schullektüre gehört. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Wiederentdeckung ebenjenes chef d'œuvre noch nicht allzu lange zurückliegt, denn sie ist auf Mitte der 1980er Jahre anzusetzen. Auch hat diese lange Zeit vergessene femme de lettres weit mehr als nur diesen einen Roman geschrieben. Warum aber ist das, wenn auch nicht umfangreiche, so doch autonome und künstlerisch elaborierte Werk für mehr als vierzig Jahre lang dem Vergessen anheimgefallen? Aus welchem Grunde ist es bis heute noch nicht vollständig publiziert? Worauf ist es zurückzuführen, dass Bourdouxhe unter deutschen Frankoromanisten eher wenig bekannt ist?  
Die Sonderrolle Bourdouxhes bedingen mehrere Faktoren: Zunächst einmal ist Bourdouxhe meines Erachtens jenen erfolgreichen, frankophonen Nachwuchsautorinnen der 1930er Jahre zuzurechnen, deren Karriere durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erschwert, wenn nicht gar beendet wurde. Innerhalb dieser Gruppe sticht Bourdouxhe als eine im Widerstand engagierten Belgierin hervor: Es sind ihre Nationalität sowie ihre politische Haltung während des Kriegs, weniger der Krieg selbst, die in den Augen der Schriftstellerin die ausschlaggebenden Gründe waren, warum ihr in den 1950/60er Jahren eine Rückkehr ins renommierte Verlagshaus Gallimard verwehrt wurde. Sie selbst hatte sich während der Kriegsjahre von dem sich der deutschen Besatzungsmacht unter-werfenden Verlag distanziert und war auf belgische Verlage ausgewichen. Nach dem Krieg näherte sie sich Gallimard aber über die Zeitschrift Les Temps modernes, mit deren Herausgebern Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir Bourdouxhe sie freundschaftliche Beziehungen pflegte, wieder an.
In der direkten Nachkriegszeit schrieb Madeleine Bourdouxhe, inzwischen allein erziehende Mutter und als Nachhilfelehrerin tätig, nachts an ihrem opus magnum Mantoue est trop loin. Mit diesem knapp 200 maschinengeschriebene Seiten umfassenden Roman wollte sie an den Erfolg ihres Debütromans, der mittlerweile an die zwanzig Jahre zurücklag, anschließen. Es sollte der große Wurf werden, ein Befreiungsschlag. Geworden ist daraus ein vernichtender (Rück-)Schlag. Er hatte zur Folge, dass sich die Schriftstellerin aus der Öffentlichkeit zurückzog und es auch privat (mehr oder weniger) aufgab zu schreiben. Nachdem die Lektoren bei Gallimard die Publikation empfohlen hatten, wurde sie, auf einer höheren Instanz, so berichtete Bourdouxhe, kurz vor Drucklegung gestoppt. Das an Bourdouxhe gerichtete abschlägige Schreiben enthielt keine Begründung, was sie in ihrem Selbstbewusstsein als Autorin so maßgeblich erschüttert haben mag, dass sie das ambitionierte Schreiben aufgab. Heute liegt das Manuskript Mantoue est trop loin im Fonds Bourdouxhe  in Brüssel, publiziert wurde es bisher nicht.
Ich habe mich in meiner Doktorarbeit, in zwei Seminaren zusammen mit den Studierenden, im Rahmen der Tagung Relire Bourdouxhe sowie beim Ordnen und Transkribieren eines weiteren unveröffentlichten Manuskripts von Bourdouxhe (Le Voyageur fatigué) eingehend mit dem Werk der Belgierin befasst.Dabei stieß ich immer wieder auf die ominöse und deshalb vermutlich umso wirkungsvollere Absage seitens des Verlags Gallimard. Mein wissenschaftliches Interesse ist es nun, dieses Ereignis allgemein verlagsgeschichtlich einzuordnen; vor allem was das Verhältnis der frankophonen belgischen Schriftsteller zum französischen Verlagswesen und generell zum französischen Literaturbetrieb in den 1930-1960er Jahren betrifft.
Ein Gegengewicht zu dieser Einbindung in einen größeren Kontext soll der Blick aufs Spezifische sein. Wodurch zeichneten sich Bourdouxhes Beziehungen zu Gallimard vor und nach dem Zweiten Weltkrieg aus? Hatten es mglw. diejenigen Autorinnen leichter, die nach der historischen Zäsur erstmals die literarische Bühne bei Gallimard betraten?  Zudem gilt es, das konkrete Werk (Mantoue est trop loin) dahingehend zu befragen, inwiefern es hinsichtlich seiner Thematik (condition féminine) sowie seiner Schreibweise (und literarischen Qualität?) nicht den Vorstellungen des Verlags entsprach: Passte es generell nicht ins „Programm“? Oder fiel ins Gewicht, dass der Text sich gegenüber jeglicher Zuordnung sperrte?  Schließlich stellt sich die Frage, inwiefern Bourdouxhes Rückzug ins Private, die Konzentration auf den Nachhilfeunterricht und den Posten als secrétaire perpétuelle de la Libre Académie de Belgique (1964) nicht allein persönlich motiviert waren, sondern auch genderspezifische Momente aufweist.

Elke Richter (Bremen):

Auf Spuren-Suche. Von Lebens-Zeichen in der frankophonen Literatur der Karibik

Édouard Glissant hat im Discours Antillais betont, dass die Geschichte der Karibik eine Geschichte der Auslöschungen ist: Auslöschungen physischen Lebens ebenso wie Auslöschungen von Kulturen und ihren Symbolsystemen. Glissant bezeichnet die Geschichte daher als non-histoire und vertraut ihre Rekonstruktion explizit den Schriftstellern an, d.h. bestimmt ihren Ort in der Literatur und die Fiktion als ihren Modus. Erzählbar sei die karibische Geschichte nur anhand von „Spuren“, so Glissant in diesem Zusammenhang, d.h. anhand all dessen, was in Form von Fetzen und Bruchstücken, von Resten und Splittern überlebt habe und im kulturellen Gedächtnis persistiere. Die Spur wird auf diese Weise zum Ausgangspunkt von Erinnerung, zur „Keimzelle“ literarischen Erzählens (Ginzburg).
Mein Vortrag setzt sich zum Ziel, diese für die frankophone Literatur der Karibik bedeutsame Figur der Spur genauer in den Blick zu nehmen. Es geht in einem ersten Schritt um die konzeptionelle Schärfung des Begriffs der Spur mit dem Ziel, seine literaturwissenschaftliche Tragfähigkeit zu prüfen. Neben einem (kurzen!) Blick in die 2000 Jahre alte Wissenschaftsgeschichte des Begriffs sollen dazu insbesondere die Spurkonzepte antillanischer Theoretiker wie Glissant und Chamoiseau herangezogen werden. In einem zweiten Schritt sollen Formen und Funktionen von Spuren in verschiedenen literarischen Texten vorgestellt werden, so in Glissants La case du commandeur, in Chamoiseaus Un dimanche au cachot, in Schwarz-Barts Un plat de porc aux bananes vertes oder in Marie-Célie Agnants Le livre d’Emma. Ihre besondere Bedeutung für die Rekonstruktion von Geschichte und die Aufarbeitung (kollektiver) Traumata sollen dabei im Zentrum stehen.
Schließlich sollen Spuren drittens als ‚Knotenpunkte‘ in den Texten vorgestellt werden, die vor dem Hintergrund semiotischer Theorien ein neues Licht auf Text-Kontext-Beziehungen werfen. Spuren erscheinen meiner Idee zufolge als ‚Orte‘ im Text, an denen der für die postkolonialen Literaturen vielbeschworene retour du référent gleichsam als Einbruch der Welt in den Text auszumachen ist. Auf diese Weise sollen Spuren als Lebens-Zeichen im Text gelesen werden und das Potenzial eines literaturwissenschaftlichen Spurenkonzepts über den Rahmen der hier behandelten Texte hinaus aufgezeigt werden.

Jennifer Roger (Rostock):

Wo ist der ‚böse Deutsche‘? Zur Kompensationsfunktion von Mediendiskursen in französischen Grande Guerre- und Années noires- Filmen

Das Dissertationsprojekt befasst sich mit sogenannten Erinnerungsfilmen (Vatter/Erll/Wodianka) zum Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Untersuchungen gelten allerdings primär nicht der für diese Thematik bereits viel erforschten erinnerungskulturellen Dimension der Filme. Es werden stattdessen intermediale Phänomene aufgedeckt, denen, so die These der Arbeit, eine besondere Funktion im deutsch-französischen Kulturkontakt zugeschrieben werden kann.
Während in früheren Filmen noch stereotypisierende Darstellungen das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich bestimmen, zeichnen sich neuere Produktionen weniger durch binäre Oppositionen aus. Das Bild vom ‚bösen Deutschen‘ verschwindet dahingehend, dass er nur noch eine (wenn überhaupt) marginale Rolle spielt. In der Arbeit werden Strukturen gesucht und aufgedeckt, die jene Vakanz kompensieren. Es lassen sich verschiedene Formen und Ausprägungen von Intermedialität feststellen, die identitätsstiftende Funktion haben, und in denen sich der scheinbar marginalisierte Kulturkontakt kristallisiert. Inwiefern sind mediale Phänomene als Kulturkontakt-Phänomene zu verstehen? Einerseits werden filmimmanente intra- und intermediale Diskurse in Filmen seit 1944 und vor allem Produktionen seit der Jahrtausendwende aufgedeckt. Andererseits können von der Analyse historischer, außerfiktionaler Mediendiskurse ausgehend (z.B. die Bedeutung des Radios im Kontext deutsch-französischer Auseinandersetzungen), neue Deutungsmuster für den fiktionalen Kulturkontakt entstehen.
Filmtranszendierende Überlegungen wie die Produktions- und Diffusionsbedingungen der Filme und ihre Rezeption im In- und Ausland werden ebenso in die Überlegungen mit einbezogen. Der Vortrag wird seine Argumentation anhand des Films Un long dimanche de fiançailles (Jean-Pierre Jeunet, 2004) vorführen.

Jakob Willis (Freiburg):

Transformationen des Heroischen im Drama des Siècle classique

Im 17. Jahrhundert vollzieht sich in Frankreich ein grundlegender Wandel der literarischen Heldendarstellung. Finden sich in der Literatur der ersten Jahrzehnte noch vorwiegend agonal geprägte Helden wie Corneilles Cid, so lässt sich etwa ab der Mitte des Jahrhunderts eine Tendenz hin zu einem dezidiert religiösen (Bossuet, Racine), intellektuellen (Molière, Cyrano) und amourösen (Scudéry, Lafayette) Heldentum beobachten. Folgt man Bénichous noch heute weithin akzeptierter Interpretation, dann vollzieht sich im Siècle classique nicht nur ein Wandel, sondern eine regelrechte „démolition du héros“. Verantwortlich für diese Entwicklung ist eine Reihe sozio-kultureller Prozesse, zu denen unter anderem die Konsolidierung des Absolutismus, der Einfluss von Rationalismus, Jansenismus und Quietismus sowie die institutionalisierte Reglementierung von Kunst-und Sprachformengezählt werden müssen. Entwicklungen, die sich im klassischen Ideal des honnête homme, des zivilisierten Menschen des mittleren Maßes, niederschlagen und dezidiert gegen die barocke Vorstellung heroischer démesure gerichtet sind.
Diese Arbeit möchte nun zeigen, dass man trotz der massiven Umbrüche im kulturellen Umgang mit den Heldenfiguren nicht von einer endgültigen „démolition“, sondern vielmehr von einer graduellen Transformation des Heroischen sprechen muss. Löst man sich von einer essentialistischen Definition des Helden und konzentriert sich auf seine mediale Konstruktion, so fällt auf, dass sowohl der agonale Kriegsheld wie auch die Tugend-, Geistes und Liebeshelden und nicht zuletzt der als Held glorifizierte Souverän in der Literatur des 17. Jahrhunderts ähnlich repräsentiert werden: die heroische Figur erscheint durchgängig in einem besonderen éclat, einem oft inkommensurablen Zusammenspiel von Licht und Klang, das eine kognitive als auch emotionale Herausforderung für den Betrachter darstellt, indem es diesen gleichermaßen erhellt und blendet, anzieht und ängstigt.
In dem Begriff des éclat, dessen ambivalentes semantisches Spektrum von der visuell geprägten Dimension des Glanzes und der Aura bis hin zum vornehmlich akustisch konnotierten Bereich des Splittersund des Skandals reicht, –so die These –kristallisiert sich ein ästhetisches Dispositiv der Heldendarstellung, das in unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten aktiviert werden kann. Er verweist nicht nur auf Beispiele literarischer Heldendarstellung, sondern kann allgemein als Chiffre für einen medialen Artikulationscode des Heroischen nutzbar gemacht werden.
An einem für das Siècle classique repräsentativen Korpus dramatischer Werkesoll im analytischen Teil der Untersuchung gezeigt werden, wie dieser mediale Artikulationscode den Rahmen für die Transformationen des Heroischen von Corneilles strahlenden Kriegern über Racines tragische Helden bis hin zu Molières Figuren des Skandals liefert. Gerade im Frankreich des 17. Jahrhunderts, das mit einigem Recht als „Theater–Staat“ im Sinne Blockmans bezeichnet werden kann, bietet sich das Drama in besonderem Maße für die Ziele dieser Untersuchung an, stellt es als Gattung mit dem höchsten sozialen Prestige doch das zentrale Projektionsmedium heroischer Figurationen dar. Im Spannungsfeld von Text und Bühne kann zudem der intermediale Anspruch der Arbeit eingelöst und auch die performativen und emotionalen Aspekte der Inszenierung der Heldenfiguren und ihrer Rezeption verstärkt mit einbezogen werden.
Neben neuen Erkenntnissen über die Formen und Funktionen des Heroischen bei drei kanonischen Autoren sowie den sozial-und kulturgeschichtlichen Implikationen ihrer Produktion ist damit in theoretischer Hinsicht auch ein Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Erforschung von Medialität, Performativität und Emotionalität zu erwarten. Da Helden immer als eine symbolische Form menschlicher Selbstverständigung verstanden werden können, möchte diese Arbeit schließlich auch eine Antwort auf die Frage geben, inwiefern sich in den Heldenfiguren des 17. Jahrhunderts bereits ein modernes Selbstverständnis des Menschen ankündigt.

 
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